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Briefe
Briefe Mai 2004
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Wie Vater und Sohn
Lieber Don Giussani,
die Menschlichkeit, die in ihrem Brief an den Heiligen Vater steckte, hat mich tief beeindruckt. Diese Beziehung, die man wie die eines Sohnes zum Vater empfindet, weckt auch in mir das Bedürfnis, solch eine Beziehung zu pflegen, in der die Stärke des Blickes und die Einfachheit eines Christus dankbaren Herzens, darin beruhen, dass sie eine Entsprechung finden, in einem Blick und einem Herzen, das Christus ebenso dankbar ist. (Oder: eine Beziehung zu haben, deren Kraft darin beruht, dass sich die Stärke des Blickes und die Einfachheit eines Herzens, das Christus dankbar ist, gegenseitig entsprechen.)
Wie schön und großartig doch eine Beziehung ist, die aus der Begegnung mit Christus entsteht! Einem Vater anzugehören und sich der wohltuenden Präsenz dessen Gewahrsam zu sein, der über der Wahrheit unseres Lebens wacht, ist das, was ich begonnen habe zu leben. Ich lebe es durch die Erfahrung, die schon viele Menschen auf der ganzen Erde ergriffen hat, mir aber zugleich so nahe steht, als wäre ich ihr einziger Sohn. Obwohl wir uns nicht kennen, gehöre ich zu ihnen wie ein Sohn. Denn im Laufe der unergründlichen Geschichte hat Ihr „Ja“ das meine ergriffen und wirkt heute mit einer väterlichen Kraft, die auch dem „Ja“ des Heiligen Vaters Ihnen gegenüber eigen ist. Das alles könnte nie sein/wäre nie eingetreten, wenn es nicht der vorausschauenden und segensreichen Güte Christi entspränge, der mir in einem flüchtigen Augenblick eine Geschichte fürs Leben geschenkt hat. Diese bedeutet, dem Ereignis anzugehören, das die Hoffnung der Menschen aufrecht erhält, der Geschichte der Bewegung anzugehören und der Geschichte der Kirche anzugehören, sie bedeutet Christus anzugehören.
Christian, Mexiko

Nicola und der Blumenstrauß
Liebster Don Giussani,
unsere Tochter Chiara hat am Kloster Sant’Agata Feltria die zeitliche Profess abgelegt und den Namen Maria Chiara del Verbo fatto Carne (des fleischgewordenen Wortes) angenommen. Mein Mann und ich haben drei Kinder: Chiara ist 30, Silvia 28 (sie verheiratet und Mutter) und Nicola, der noch unsere elterliche Fürsorge genießt, 25. Einem Monat zuvor erklärt uns die Mutter Oberin zusammen mit unserer Tochter, wie die Feierlichkeiten vonstatten gehen würden. Danach sprechen wir über die religiöse Bedeutung. Die Mutter Oberin bedeutet uns dabei, dass sich die Familie für gewöhnlich selbst vorstellt/dar gibt oder gleichbedeutend ein Symbol übergibt, das für sie kennzeichnend ist. Mein Mann war überzeugt davon, dass das, was uns auszeichne, die Begegnung mit dem Charisma Don Giussanis sei. Ich war nicht sehr überzeugt davon, weil ich niemanden verletzten wollte. Denn schließlich traten wir in die Welt des Hl. Franziskus ein, und außerdem suchte ich vielmehr etwas, das die Bedeutung der „Aufnahme“ ausdrücken könnte. Über die „Aufnahme“ kam ich zum „Haus“, und von da zum „Haus der Memores“: „Das Haus ist der Ort der Erinnerung.“ Jetzt hatte ich es. Ich wollte ein Keramikschild mitbringen, auf dem dieser Spruch geschrieben stand. Als wir wieder im Kloster waren und ich der Mutter Oberin meine Gründe für die Wahl dieses Spruches darlege, ruft diese: „Herrlich, bei der Vorbereitung auf die Profess haben wir mit Chiara oft über die Bedeutung dieser Worte gesprochen: Haus, Bleibe, etc.“ Daraufhin erklärt auch mein Mann, wieso er die drei Bücher des PerCorsos von Don Giussani mitnehmen wolle. „Denn aus der Begegnung mit diesem Charisma entspringt das Verständnis der „Aufnahme“, und um dieses Charismas willen konnten wir die Wahl Chiaras für ihre Weihe stets mit Freude unterstützen.“ Daraufhin entgegnete die Mutter: „Es ist nicht nur völlig in Ordnung, dass du diese Bücher zum Altar bringst, sondern wir werden auch ans Mirkofon gehen, um die Wahl deiner Gaben zu erklären. Letztendlich haben wir durch euch und eure Fraternität die Erfahrung von CL kennen gelernt.“ Zum Kloster gehört auch ein Haus, das dafür gedacht ist, Familien und Gruppen aufzunehmen, und so beschließen wir dort zu bleiben. Nikola sagt zu uns: Wahrscheinlich komme auch ich mit euch ...“. Als wir zum Kloster Sant’Agata gelangen, um die letzten Absprachen mit der Mutter Oberin vorzunehmen, frägt diese unvermittelt meinen Sohn: „Du, Nicola, bringst deiner Schwester die Blumen, ja?“ Unglaublicherweise antwortet er ihr: „In Ordnung.“ Ich habe meinen Sohn noch nie mit einem Blumenstrauß in der Hand gesehen! Während ich in der Nacht betete, hatte ich das deutliche Gefühl, als ob mich meine Fraternität in diesem Moment tragen und umarmen sollte. Das ist eines der vielen Wunder, die ich in diesen Tagen sehen konnte. In der kleinen Klosterkirche versprach Chiara, für drei Jahre in Armut, Keuschheit und Gehorsam, sowie in Klausur zu leben. Die Darreichung unserer Gaben geschah folgendermaßen: Chiara trug das Brot, Silvia den Wein, mein Mann die drei Bücher des PerCorsos, ich das Schild, Nicola den schönen Blumenstrauß und Nelli das Weihrauchfass, in dem ganz besondere, nach Rosen duftende Weihrauchkörner brannten, die extra aus Moskau kamen. Als Nicola zum Bischof kam, der die Gaben in Empfang nahm, fragte dieser ihn: „Wer bist Du?“ Und er antwortet mit einem einzigartigen, völlig verblüfften Gesichtsausdruck: „Ich bin ihr Bruder!“.
Gabriele und Anna, Rimini

Ein Sieg über das Leben
Lieber Don Giussani,
ich bin 42 Jahre alt und habe zwei Söhne, die ich sehr lieb habe. Mein ganzes Leben habe ich dafür eingesetzt, dass sie glücklich sein können. Meine Kindheit und Jugend waren von Schmerz und Opfern geprägt: Meine Eltern haben meine Schwester und mich verstoßen und gaben uns in ein Heim. Später habe ich Freunde aus der Bewegung kennen gelernt, die mir geholfen haben, mich dem Leben zu stellen. In all diesen Jahren empfand ich stets die treue und ehrliche Liebe so vieler Brüder, die mich durch Mühen und Freude hindurch begleiteten. Als ich heiratete, musste ich aber leider feststellen, dass mein Mann gewalttätig war und unter Alkohol stand. Daher war ich gezwungen, diese Freundschaft, die mir so viel bedeutete, aufzugeben. Nach mehrmaligen Aufforderungen seitens meiner Kinder beschloss ich, mich zu trennen, unterstützt auch durch die Familie, die mich aufgezogen hatte. Nur durch die Zuneigung und die Gegenwart von so vielen Freunden, die mir beistanden du mich in jeder schwierigen Situation unterstützten, konnte ich die Aufgabe als alleinerziehende Mutter bewältigen. Trotz dieser Erfahrung aber, fühlte ich ständig eine große Trauer in meinem Herzen, hatte einen inneren Widerstand dagegen, meinen Eltern und meinem Mann zu verzeihen und konnte die Realität nur negativ sehen. Wenn ich betete, stellte ich Christus oft auf die Probe und sagte ihm: „Du hast mich nicht lieb.“ Dann kam ich zu den Exerzitien. Du brachtest deinen Beitrag, in dem Du mir sagtest, dass Christus den Tod besiegte und sein Sieg, ein Sieg über(?) das Leben sei. Ich verstand, dass das Schicksal des Menschen trotz aller Widersprüchlichkeit und Schmerz, den es mit sich bringt, gut sei und ich konnte auch das Meine wieder als gutes sehen. Wieder zu Hause, ging ich in die Kirche und betete für meine Eltern, denn, da ich lebe, so habe ich es ihnen zu verdanken, dass sie mich wollten. Ebenso betete ich für meinen Mann und erinnerte mich dabei, wie sehr ich ihn wirklich geliebt hatte und dass aus unserer Liebe meine beiden Söhne hervorgingen.
Unterzeichneter Brief

Söhne in der Mission
Lieber Don Giussani,
vor kurzem besuchten wir unseren Sohn Francesco und seine Frau Manuela, die seit September im Libanon wohnen. Gut zwanzig Kilometer von der Hauptstadt entfernt, wohnen sie dort mit zwei weiteren Familien der Bewegung, Maria und Matteo, sowie Paola und Emilio und deren Kindern. Schon immer haben wir die karitativen und missionarischen Unternehmungen der Bewegung unterstützt, haben sie mitgetragen und unsere eigenen Erfahrungen mit ihnen gesammelt. Nun aber wurde für uns persönlich greifbar, was sich daraus entwickelte und welche Arbeit AVSI heute in der ganzen Welt leistet. Das alles hat mich noch überzeugter davon gemacht, wie gut die Erfahrung unserer Bewegung ist, besonders die Art und Weise, wie diese heute durch die Arbeit von AVSI mitten in der Gesellschaft wirkt und präsent ist. Unser Aufenthalt im Libanon war durch eine Reihe ganz besonderer Begegnungen gekennzeichnet: Am Abend unserer Ankunft trafen wir ihre Freunde aus Italien und dem Libanon, unter denen auch der Sekretär des Apostolischen Nuntius, Don Alberto aus Madrid, war, in einem Restaurant, das von Jocelyine geführt wird, einer wirklich außergewöhnlichen Frau und Christin. Sie hat selbst für die libanesische Sache gekämpft. Als sie mit zwanzig Jahren die Universität besuchte, war sie Anführerin der Freiheitskämpfer an der maronitischen Front. Mit der Zeit jedoch verstand sie, dass der Krieg mit all seinen Grausamkeiten dem Libanon nicht die Freiheit bringen konnte, sondern noch größere Gräben zwischen den Kirchen riss. Daher beschloss sie, nach zehn Jahren Freiheitskampf, ihr Leben völlig Gott zu widmen und sich um ihre Kinder und ihre Familie zu kümmern, dem einzigen Reichtum der ihr geblieben war. Sie eröffnete daraufhin eine Beratungsstelle für Familien, der ersten und einzigen im Libanon. Das Restaurant betreibt sie zur Finanzierung der Beratungsstelle und als Ort der Mission. Eine große Ikone der Gottesmutter empfängt die Klienten. Wir besichtigten mit ihr, Don Alberto, Maria, die zusammen mit den Schwestern der Mutter Theresa „Fernadoptionen“ organisiert, mit Matteo, der Leiter eines Ausbildungs- und Beratungszentrums für Landwirte der Region von Jbeil ist, an das sich gut 400 Bauern dieser Gegend wenden, mit Paola und Emilio sowie mit Emanuela und Francesco das Tal der maronitischen Heiligen und der Patriarchen. Es ist ein wunderschönes Tal und eine Wildnis, in die sich um 1200 die maronitischen Mönche flüchteten, um sich vor dem Einfall des Islams zu retten. An jedem Tag gab es eine Überraschung! Für uns „Alte“ war es, als wären wir zu den Ursprüngen unserer Erfahrung in der Bewegung zurückgekehrt, so erfüllt waren wir vom Gefühl der Dankbarkeit. Zurückgekehrt schauten wir mit geschärftem Blick auf die Wirklichkeit, auf die Welt und auf unsere Kinder und Enkel, die uns zu Hause erwarteten und uns mit soviel Aufmerksamkeit und Liebe empfingen, dass sie uns noch glücklicher machten und wir dem Herrn noch dankbarer wurden, Dich getroffen zu haben, lieber Don Giussani. Und mit Dir der Erfahrung der Bewegung, die uns erzogen hat.
Rosy und Giuliano, Lecco

Spuren in der Mensa
Heute ist der dritte Donnerstag in Folge, an dem wir Spuren in der Mensa unserer Universität verkaufen. Das erste Mal waren wir nur zu viert, heute sind wir schon zu siebt. Auch Albrecht ist mit uns mitgekommen, ein Student aus unserem Wohnheim, der sich, nicht zuletzt aufgrund der engen Freundschaft mit den Erasmusstudenten, die bereits vor uns in München waren, sofort mit uns gut verstanden hat. Mittlereile geht er sogar mit uns in die Messe und ins Seminar der Gemeinschaft, obwohl er Protestant ist. Nur beim Spurenverkauf in der Mensa wollte er dann lieber doch nicht mitmachen, so dass er uns bloß zusah und sich währenddessen in die Sonne legte. Ganz im Gegensatz zu meiner Befürchtung, sind die Leute sehr nett zu uns und hören uns zu. Wenn sie nicht interessiert sind, so sagen sie es uns mit einem Lächeln. Ich glaube, die Tatsache, dass wir Ausländer sind, spielt dabei eine große Rolle. Sie sehen deutlich, wie schwer wir uns noch im Deutschen tun, um ihnen etwas zu vermitteln, das uns wichtig ist. Sie haben wirklich viel Geduld mit uns bewiesen, selbst als einer von uns sich ein wenig verwirrt hat. Denn anstelle zu sagen, er verkaufe die Zeitschrift einer katholischen Gemeinschaft, bot er ihnen die Zeitschrift einer katholischen Mannschaft an. Komischerweise haben wir die meisten Ausgaben an Studenten verkauft, die nicht katholisch waren. Zunächst meinten sie, Spuren aus eben diesem Grund nicht kaufen zu können. Erst als wir ihnen erklärten, dass das eigentlich kein Problem sei und dass es darum gehe, ein Urteil zu bilden, über das, was geschieht, begannen sie sich dafür zu interessieren, lasen das Inhaltsverzeichnis und blätterten darin. Das Gleiche sagten wir auch denjenigen, die sich mit dem Argument aus der Affäre ziehen wollten, Religion ginge sie nichts an.
Marco, München

Die Freunde von Freunden
Lieber Don Giussani,
ich bin 24 Jahre alt und habe im Dezember mein Universitätsstudium abgeschlossen. Am 19. März bin ich als Schwester Maria Giovanna in das Kloster von Vitorchiano eingetreten. Seitdem ich meinen Eltern und Freunden diesen Entschuss mitgeteilt hatte, verbreitete sich die Nachricht in Windeseile und erregte die verschiedensten Reaktionen. Daraus konnte ich ersehen, dass mein „Ja“ für Christus nicht etwas ist, was nur mich und mir sehr nahestehende Personen betrifft, sondern selbst Menschen erreicht, die ich gar nicht persönlich kenne, wie Freunde meiner Freunde, oder Eltern meiner Freunde. Leute, die ich nie gesehen habe. Genau deswegen schreibe ich Ihnen, da das, was jetzt gerade geschieht, mir widerfahren ist und sich weiterhin an mir vollzieht. Ihr „Ja“ zum Herrn hat mein Leben erfasst und geformt, selbst wenn wir uns nie gesehen haben, über die Bewegung, das heißt Freunde der Freunde von Freunden... bis hin zu meinen Eltern und Don Sergio.
Anna Maria, Rom

Bräutliche Liebe
Lieber Don Giussani,
am 29. Januar starb mein Mann Romano. Im Dezember waren Sie so gütig, uns eine Karte zu schicken. Sie versprachen uns, immer mit uns zu sein und sagten: «Gott nimmt seinen Kindern nicht die Freude, es sei denn, um ihnen eine noch größere und gewissere Freunde zu schenken» In den fünf Monaten seiner Krankheit habe ich Romano sehr geliebt. Unsere Beziehung näherte sich dem an, was mein Herz ersehnt. Man muss sein Herz nur ins Spiel bringen ... Tag für Tag haben wir mit unseren drei Kindern Maria gebeten, glücklich sein zu können und uns alles zu geben, was wir nötig hätten. Wir erlebten täglich wie sie uns bei der Hand nahm. In der menschlich-fleischlichen Zuneigung zu meinem Mann, wuchs mir Jesus ans Herz. Heute bete ich, dass unsere Beziehung immer fleischlich bleibe, sich nie auf einen vagen Gedanken oder Spiritualismus verkürze. Ich sage ihm: «Zeige dich mir auch heute so, dass ich dich erkenne.»

Protuberanzen
I
nur mit den fingern
auf die narben zu
pochen die vorher
einmal wunden
gewesen sind ist auf
dauer keine lohnende
aufgabe es sei denn sie
wird irgendwann einmal
aufgegeben wenigstens war ich
so klug darauf zu bestehen
aus dem was passiert
ist nutzen zu ziehen

(Hendrik Rost)

Hendrik Rost: Fliegende Schatten. Gedichte. Stuttgart: Akademie Schloß Solitude, 1999; ISBN 3-929085-56-9 (z. Zt. vergriffen; Nachfolgeband: Aerobic und Gegenliebe. Gedichte. Düsseldorf: Grupello, 2001; 12,80 Euro ; ISBN 3-933749-69-7)

Protuberanzen – «aus dem Sonneninnern ausströmende glühende Gasmasse, medizinisch: stumpfer Vorsprung an Organen, besonders an Knochen», sagt das Lexikon. Der fünfunddreißigjährige Dichter Hendrik Rost macht aus diesem Motiv einen Gedichtzyklus. Lakonisch, ironisch, wortspielerisch (Aufgabe/aufgegeben), aber mit dem Unterton der Erwartung. Das Leben schlägt Wunden, hinterläßt Narben. Steckt in ihm nicht doch auf Dauer eine «lohnende aufgabe»? Jedenfalls haben wir die Möglichkeit, uns von unseren Vorstellungen zu verabschieden und zu lernen. Vorausgesetzt, wir sind «so klug darauf zu bestehen/aus dem was passiert/ist nutzen zu ziehen».
F. Reimer