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Editorial
Christliches Ereignis und Idolatrie
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Überall und in zunehmendem Maße sind in letzter Zeit polemische Töne gegen gelebte Religiösität zu vernehmen. Journalisten, Philosophen und selbsternannte mâitre a penser befleißigen sich wieder einmal, im religiösen Sinn des Menschen die mehr oder weniger unmittelbare Ursache aller Übel dieser Welt zu entdecken. Überall, wo sich noch Überreste jener vermeintlich überholten Religiösität halten, sei auch eine gewisse Rückständigkeit zu beobachten. Das gelte für das soziale und politische Leben ebenso wie für Wissenschaft und Forschung. Religiösität stehe der modernen Welt entgegen.
Ein ziemlich alter Hut. Heute vorherrschende Strömungen in der Philosophie verdanken ja ihre Geburt weitgehend einer feindseligen Haltung gegenüber der menschlichen Religiösität. Und nicht wenige der heutigen Machthaber ebenfalls. Oft scheint diese Feindseligkeit sogar der eigentliche Zweck ihres Daseins zu sein.
Dabei basiert diese Feindseligkeit, die meist in pauschalen Vorurteilen zum Ausdruck kommt, oft schlicht auf Unkenntnis und weniger auf böser Absicht. Das Vorurteil vom finsteren Mittelalter etwa hält sich hartnäckig. Unter Historikern jedoch herrscht längst Einigkeit darüber, dass es eine Blütezeit der Menschheit war, überaus reich an wichtigen Erfindungen und ungeheuer fortschrittlichen Errungenschaften auf allen Gebieten.
Doch was kümmern geschichtliche Fakten, wenn es nurmehr auf Meinungen ankommt und darauf, der eigenen zum Durchbruch zu verhelfen! Nietzsche hat ja verkündet: «Es gibt keine Tatsachen mehr, nur noch Interpretationen.»
Zwei Dinge zeigt das Revival antireligiöser Polemik.
Zum einen, dass die eigentliche Trennungslinie nicht zwischen Menschen verläuft, die religiös sind und solchen, die es nicht sind. Die Trennungslinie verläuft vielmehr, wie auch ein Blick in die Bibel zeigt, zwischen wahrhaft religiösen Menschen und den Anhängern von Idolen. Es ist schon erstaunlich, dass so mancher Intellektuelle der heute der Religion gegenüber feindlich eingestellt ist, ohne weiteres seinen Idolen huldigt. Die jakobinische ‘Göttin Vernunft’ sitzt bei ihnen nach wie vor auf dem Thron. Was sie fassen, messen und berechnen kann, das wähnt sie in ihrem Besitz. Was sich ihrem Zugriff entzieht, was sie nicht erfassen und begreifen kann, das erklärt sie für nichtig. Viele Bereichen werden heute zu Orten der Idolatrie. Nicht selten erwartet jemand alles von der Politik, von einer Organisation, von einem Leben in Wohlstand oder Gesundheit. Kein Opfer scheint dann mehr zu groß. Das ist bei der Pflege des eigenen Image nicht anders, mit der man den Überdruss an einem Lebens in Bedeutungslosigkeit zu vertreiben hofft. Manch einer verfällt sogar darauf, eine Sicht des Lebens zu propagieren, die es ganz auf biologische Prozesse verkürzt.
Was bei den polemischen Attacken gegen Religiösität aber besonders auffällig ist, ist, dass sie alle verdeckt darauf abzielen, die katholische Kirche zu treffen. Das zeigt sich an dem Beifall, der allen anderen Religionen im Namen des sogenannten Multikulturalismus dann doch zuteil wird. Die Europäische Verfassung ist Ausdruck dieses Antikatholizismus. Die Leugnung des geheimnisvollen Urgrundes der Person, aus dem allein ihr unendlicher Wert fließt, macht den Menschen zum Spielball der Macht.
Das christliche Ereignis – moderne Genies wie Rimbaud und Dostojewski haben es gewusst – ist der einzige Störfaktor, mit dem bürgerliche Selbstgefälligkeit und politische Machthaber rechnen müssen. Denn das Christentum ist gar keine Religion oder Theorie. Mit einer solchen kann man sich nämlich immer irgendwie arrangieren. Das Christentum ist eine Gegenwart. Die Gegenwart Gottes in der Geschichte, der uns Seine Gegenwart anbietet und in der Beziehung zu Ihm den einzig möglichen Sieg über das Leben und den Tod. Wer die Wahrheit mehr liebt als sich selbst, wer ein einfaches Herz hat und die Außgewöhnlichkeit einer Gegenwart anerkennen kann und sich nicht verbittert vor der Realität verschließt, der hat wirklich gute Karten.