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Ausstellung
In Kontakt mit der Wirklichkeit
Sebastian Hügel

Im September werden in Bielefeld die Bilder von Letizia Fornasieri zu sehen sein. Die Gemälde der italienischen Künstlerin haben nicht nur Kunstexperten aufmerken lassen.

Man erkennt nur das wirklich, was man liebt. Eine Beobachtung, die einleuchten mag, aber im Alltag oft irgendwie nicht berücksichtigt wird. Die gegenüberstellende Unterscheidung von Experten- und Amateurwissen belegt dies. Im Zweifelsfall vertrauen wir doch lieber auf ersteres, anstatt beides miteinander zu verbinden.
Dass nur der Liebende in der Lage ist, wirklich zu erkennen, scheint zwei Gründe zu haben: Einerseits kann er sich staunend seinem Gegenüber öffen und dankbar vernehmen, was es ihm zu sagen hat. Andererseits ist diese Haltung aber auch geradezu notwendige Vorbedingung auf Seiten des Gegenübers, um etwas über sich mitteilen zu können – und das wird meist übersehen. Augustinus sprach daher einmal davon, dass eine Art Einwilligung des Erkenntnisgegenstandes nötig sei, ohne die nichts erkannt werden könne, nicht einmal ein Stein.
Letizia Fornasieri scheint diese Einwilligung für ihre Bilder eingeholt zu haben. Was sie abbilden sind weniger Dinge und Personen, als vielmehr die Beziehung zwischen ihnen und der Künstlerin. Und doch geben diese Bilder ganz unmittelbar den Blick auf die ‘Objekte’ frei. Vielleicht weil Fornasieri in erster Linie mit dem Sein der Dinge in Beziehung tritt, ohne die seienden Dinge dabei zurechtzurücken. Jedenfalls, so sagt sie selbst, «gibt es keine Farben, die nicht einer Form zugehören, d.h. die nicht einen tieferen Grund haben, auch wenn alles immer einen bestimmten Grund haben muss.»
Wer sich so der Welt zuwendet, erfährt die Dynamik einer geheimnisvollen Beziehung, von der auch die Bilder Fornasieris leben. Die Künstlerin scheint von allem, was aus der Ferne kommt, gleichsam mitgerissen zu werden. Auch Straßenbahnen, aber natürlich insbesondere die vielen Gesichter, die täglich an uns vorüberziehen (und die bei Fornasieri in jüngster Zeit im Vordergrund stehen), eröffnen neue Welten.
Den Themen, mit denen sie sich seit Beginn ihres Schaffen auseinandersetzt, wendet sich die Wissenschaft heute immer mehr zu. Was Fornasieri in den Blick nimmt, sind allesamt Objekte und Situationen aus dem Alltag, stark geprägt von einer Gegenwart innerhalb der vier Wände eines Hauses oder auch von einer innigen, gleichsam teilnehmenden Beziehung zu ganz unscheinbaren, zufälligen Geschehnissen in der Wirklichkeit außerhalb dieser Wände – betrachtet durch das Fenster hindurch oder von den Straßen der Stadt aus. Auch Städtelandschaften fängt ihr Blick ein, wenngleich es eigentlich die Landschaften sind und alles, was auf sie zukommt, das ihren Blick anzieht und mitreißt. Daneben hält sie – nur scheinbar überraschenderweise – auch aktuelles Zeitgeschehen fest, Ereignisse, die die Welt bewegen.
Bei Letizia Fornasieri verlieren die Gegenstände ihre banale Bestandlosigkeit, die man ihnen als oberflächlicher Beobachter attestieren kann. Sie werden von einer expressiven Lebendigkeit erfüllt, die bisweilen dramatisch, ironisch oder geheimnisvoll, immer jedoch überraschend ist. Luca Beatrice beschrieb die Wirkung von Fornasieris Kunst kürzlich folgendermaßen: «Ihre Bilder klingen, lautstark tönen sie wie die Meisterwerke der Futuristen. Sie haben die Fähigkeit, fragmentarische Details aus dem Alltag zum Leben zu erwecken.»
Die Poetik Fornasieris, die auch das Interesse von Schriftstellern und Dichtern aus Mailand und Rom geweckt hat, dreht sich ganz um ihre Auffassung von Raum als «Weitung des Maßes des Individuums». Kommen mehrere Individuen zusammen, ballen sich gleichsam verschiedene Maße an einem Ort, dann entsteht Raum, Raum für das Geheimnis des Ganzen: eine Stadt vieler Menschen zieht vorüber und nimmt die U-Bahn; eine Straßenschlucht tut sich auf; ein unentschlüsselbares architektonisches Konglomerat zeichnet sich vor den Augen des Betrachters ab. Die Kunstkritikerin Elena Pontiggia sieht Fornasieris Originalität in einem «Blick von unten», der einen Augenblick einzufangen weiß, ohne ihn zugleich psychologisch zu interpretieren, ein Blick, der von der Gewissheit getragen wird, dass die Dinge existieren, dass sie wirklich sind, einfach weil sie wirken, weil sie handeln. «Denn das Leben ist nicht die Bühne der Geschichte, sondern vieler individueller Handlungen.»

Die Ausstellung findet statt in der Galerie Samuelis Baumgarte in Bielefeld (siehe auch S. 2) vom 2. September bis 7. Oktober 2004. Die Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr; Samstags von 10 bis 14 Uhr.

Letizia Fornasieri
Letizia Fornasieri gehört zu einer Gruppe junger Künstler, deren Stil in Italien als Neue Figürlichkeit bekannt geworden ist. Was die jungen, vornehmlich aus Mailand stammenden Künstler verbindet, ist weniger eine gemeinsame Erfahrung oder der Einfluss einer charismatischen Persönlichkeit. Vielmehr ist es der Versuch, die Wirklichkeit in einem neuartig-subjektiven Stil ins Bild zu bringen. Ein Anliegen, das einem ebenso kenntnisreichen wie respektvollen Umgang mit dem vielschichtigen kulturellen Erbe des 20. Jahrhunderts entspringt.
Letizia Fornasieri kam in Mailand zur Welt, erhielt dort ihre Ausbildung und fand bald im Umfeld der Neuen Figürlichkeit ihren Schaffensraum. Ihre Arbeiten leben von einer originellen Maltechnik, die gern mit Licht und Farben spielt, deutliche Züge des italienischen 20. Jahrhunderts trägt und einen Hauch deutschen Expressionismus einfließen lässt, dem jedoch auch etwas von dem sonnigeren Gemüt des Mediterranen innewohnt.
Nach dem Studium an der Brera-Akademie trat Fornasieri mit zahlreichen Ausstellungen in verschiedenen italienischen Städten an die Öffentlichkeit und gewann u.a. den Dalla Zorza-Preis der Galleria Ponte Rosso, einem Traditionshaus Mailänder Malkunst. Seit fünf Jahren arbeitet die Künstlerin mit der Galerie Rubin zusammen. Seither waren ihre Bilder in zwei persönlich zusammengestellten Ausstellungen zu sehen; ihre Werke wurden bereits auf Messen in Bologna, Mailand und Frankfurt gezeigt.