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Hispanidad
Ecclesia in America Brennende Fragen
Lorenzo Albacete

Kann die spanische Kultur die angelsächsische Welt bereichern? Vor welche Herausforderungen steht die Kirche in den USA ?
Ein Interview mit Mario Paredes.

Mario Paredes ist zur Zeit Direktor für den hispanoamerikanischen Markt in den Vereinigten Staaten bei dem Finanzanalysen Merrill Lynch. Er stammt aus Chile und war 25 Jahre lang leitender Direktor des Zentrums für spanischsprachige Katholiken der katholischen Bischöfe in den Vereinigten Staaten. Nur wenige sind in den Vereinigten Staaten so gut wie er über die Präsenz der Spanischsprachigen in der Kirche informiert. Die Beziehungen die er zwischen diesen Katholiken in den USA und den Bischöfen ihrer Herkunftsländer geknüpft hat, waren Ausgangspunkt für die apostolische Exortation des Heiligen Vaters Ecclesia in America.

Die spanischsprachigen US-Amerikaner kommen aus zahlreichen Nationen und lokalen Traditionen. Was eint sie außer der Sprache? Gibt es eine gemeinsame ‘hispanoamerikanische’ Kultur’?
Von einer einheitlichen Kultur kann man sicher nicht sprechen, aber von einer eigenen hispanoamerikanischen Präsenz schon. Einundzwanzig Nationen haben Einwanderer in unser Land geschickt. Sie alle sprechen Spanisch; die überwiegende Mehrheit von ihnen bekennt sich zum katholischen Glauben und alle haben einen gemeinsamen historisch-kulturellen Hintergrund. In den Vereinigten Staaten können wir heute ganz klar von einem eigenen Volk sprechen, das Spanisch spricht und andere kulturelle Erfahrungen mitbringt.

Meinen Sie, die katholische Kirche in den Vereinigten Staaten hat die Herausforderungen dieser Präsenz und ihre Chancen richtig eingeschätzt?
In den fünfziger Jahren gehörten drei Millionen spanischsprachige Menschen zur Bevölkerung der Vereinigten Staaten. Die Verantwortlichen der Kirche hielten das nicht für einen bedeutenden Anteil. Die Einwanderer wurden als Gelegenheitsarbeiter betrachtet, kaum je als feste Mitglieder der Gemeinde. Die Volkszählung in den Vereinigten Staaten im Jahr 2000 ergab, dass heute 39 Millionen offiziell ansässige Einwohner spanischer Sprache dort leben. Wir haben dreissig Bischöfe hispanoamerikanischer Herkunft, ein nationales, sechs regionale und 140 Diözesanbüros für hispanoamerikanische Angelegenheiten. Mehr als 2000 Hispanoamerikaner sind zu Priestern geweiht worden, mehr als 1600 Priester kamen zu uns aus Spanien, Lateinamerika und der Karibik. Die Bischöfe müssen heute Spanisch sprechen können. Die Kardinäle von Los Angeles, Boston und Washington DC, um nur einige zu nennen, sind perfekt zweisprachig. Die Gottesdienste werden von hispanoamerikanischer Kultur geprägt. In mehr als 3000 Pfarreien wird der Katechismusunterricht auf Spanisch erteilt.

Was bedroht die katholische Identität dieser Menschen am meisten?
An erster Stelle steht die Bedrohung durch die Säkularisierung und die Kulturrevolution, die zur Zeit im Gange ist und sich unter dem Einfluss der Massenmedien ausbreitet. An zweiter Stelle steht die Bedrohung durch die aggressive Proselytenmacherei der anderen Kirchen. An dritter Stelle kommt der Mangel an genügend zweisprachigem Personal für den Dienst an der großen Zahl von Einwanderern. Dazu kommt der Mangel an Einrichtungen und Organisationen um die Bedürfnisse dieser Bevölkerung im Schul-, Gesundheits und Vereinswesen zu befriedigen und genügend Bildungsangebote auf kulturellem und sprachlichem Gebiet anzubieten. Diese Probleme zu vernachlässigen hieße, eine Parallelgesellschaft entstehen zu lassen, eine Gesellschaft, die unfähig ist, sich zu integrieren und deshalb auch unfähig, sozial aufzusteigen. Die Sendung der Kirche ist es, die Größe der Frohen Botschaft des Herrn aufzuzeigen und davon in unserer heutigen kulturellen Umgebung auch Zeugnis zu geben, wie es die Kirche in der Vergangenheit gleich nach der Ankunft in der Neuen Welt getan hat. Sie hat eine katholische Kultur hervorgebracht.

Viele spanischsprachige US-Amerikaner, wie auch viele Katholiken, wählen die Demokratische Partei. Es heißt, die Republikaner bemühten sich, hier dadurch Wähler zu gewinnen, dass sie ‘kulturelle Fragen’ aufgriffen, die bereits viele katholische Demokraten dazu bewegt haben, republikanisch zu wählen. Funktioniert Ihrer Meinung nach diese Strategie?
Offensichtlich versucht die Republikanische Partei die Stimmen der hispanoamerikanischen Gemeinschaft zu gewinnen. Es ist sicher kein Zufall, dass der Präsident der Vereinigten Staaten jede Anstrengung unternimmt, um vor spanischsprachigem Publikum Spanisch zu sprechen. Allen ist klar, dass heute das politische Programm der Republikanischen Partei auf ethischem und moralischen Gebiet in größerer Übereinstimmung mit der spanischsprachigen Wählerschaft ist. Die Hispanoamerikaner sind gegen Abtreibung und Homosexualität, verteidigen die traditionelle Auffassung von der Ehe und bemühen sich, die Einheit der Familie zu bewahren. Die Hispanoamerikaner trauen keiner Zentralregierung. Darin stimmen sie mehr mit der Republikanischen Partei überein. In den letzten Jahren haben die Demokraten, die traditionell katholisch sind, sich der Arbeiterklasse verpflichtet fühlen und für sozialen Ausgleich eintreten, widersprüchliche Signale und Botschaften ausgesandt, als sie eine Position zugunsten der Wahlfreiheit in Fragen wie Abtreibung, ‘Homosexuellenehen’, einer Zentralregierung und anderen ähnlichen Fragen vertraten. Zweifellos erleben wir zur Zeit eine kulturelle Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft. Viele Katholiken sind von der Demokratischen Partei enttäuscht und haben beschlossen, republikanisch zu wählen.

Samuel P. Huntington behauptete kürzlich, die Hispanoamerikaner seien noch nicht in die Massenkultur der Vereinigten Staaten integriert, weil sie dem amerikanischen Traum zugrunde liegende «anglo-protestantische» Werte ablehnten. Assimilation und Verlust der eigenen Identität als katholisches Volk würden sich demnach gegenseitig bedingen. Was sagen Sie dazu?
Die meisten Hispanoamerikaner sind aus wirtschaftlichen Gründen und wegen der Ausbildung in die USA gekommen, einige auch aus politischen Motiven. Bis in die jüngste Vergangenheit haben sich sich aber nie mit der protestantischen Kultur auseinandergesetzt. Sie sind überhaupt nicht mit den Prinzipien vertraut, die dieser Kultur zugrunde liegen. Erst zu Beginn der 1960er Jahre, als sie ihren Kampf für die Bürgerrechte zu begannen, kam der Konflikt zwischen den Werten der katholischen und der protestantischen Tradition zum Vorschein. Ein Teil der Bevölkerung beschloss, die katholische Identität aufzugeben und sich in den ‘Schmelztiegel der Nationen’ zu begeben. Heute ist der Antikatholizismus viel heimtückischer. Die Kandidaten für politische Ämter stellen Wahlprogramme vor, die ihren Antikatholizismus hinter schönen Worten verbergen.

Glauben Sie, die katholische Identität der Hispanoamerikaner kann die US- Kultur bereichern? Und wie?
Immer mehr Menschen nehmen die kulturelle Dimension der hispanoamerikanischen Präsenz in den Vereinigten Staaten positiv auf. Familie, Gemeinschaft, Arbeit, Opfer, Solidarität sind alles katholische Prinzipien, die in der hispanoamerikanischen Tradition voll entwickelt sind und die Grundlage für den Aufbau und die Entwicklung einer Weltanschauung bilden. Wir sind offensichtlich eine vom Evangelium und der katholischen Tradition genährte humanistische Kultur. Mit diesem Humanismus, mit unserer Hingabe an die Gemeinschaft, unserer Liebe zum Leben und unserer Offenheit für die Schönheit der Schöpfung können wir einen Beitrag zur amerikanischen Kultur leisten. Wir können zur amerikanischen Gesellschaft mit unserem Menschenbild beitragen, das alle Dimensionen und die ganze Fülle der menschlichen Person umfasst. Auch auf andere Weise tragen wir bei: wir vermehren zum Beispiel den Reichtum – 650 Milliarden Dollar Kaufkraft. Dieser Betrag übertrifft die Summe des Bruttoinlandsprodukts von fünfzehn Spanisch sprechenden Ländern. Mit unserer Küche, Musik, Mode, Kunst, Dichtung, unserem Theater und unserer Literatur bereichern wir die US-Kultur ohnehin. Wer je in Kalifornien, New Mexiko, Texas und Florida war, wird den Einfluss dieser Kultur bemerkt haben, die dort schon vor der Geburt der Vereinigten Staaten verbreitet war.