Papst Johannes Paul II.
Steh auf! Das Christentum ist eine Person!
Johannes Paul II.
In Bern kam der Papst am vergangenen 5. Juni mit den katholischen
Jugendlichen der Eidgenossenschaft zusammen.
«In einer oft dunklen und mutlosen Welt ohne höhere Ideale,
ist nicht die Zeit, sich des Evangeliums zu schämen».
Die Ansprache im Wortlaut.
Steh auf! Lève-toi! Alzati! Sto se! (Lk 7,14).
Voll Kraft ertönt dieses Wort Christi
an den jungen Mann von Nain heute bei unserem Treffen. An euch, liebe
Jugendliche und Freunde, an euch junge Schweizer Katholiken richtet sich dieses
Wort!
Der Papst ist aus Rom zu euch gekommen, um
gemeinsam mit euch diesen Ruf Christi neu zu hören und als Echo
widerhallen zu lassen. Mit Freude grüße ich euch und danke euch
für den herzlichen Empfang. Ich grüße auch eure Bischöfe sowie
die Priester, Ordensleute und Jugendleiter, die euch auf eurem Lebensweg
begleiten und nahe sind.
Besonders begrüße ich den Herrn
Bundespräsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft Joseph Deiss.
Gerne heiße ich Pastor Samuel Lutz, Präsident des Synodalrates der
Reformierten Kirchen von Bern-Jura-Solothurn, willkommen und alle eure Freunde
anderer Bekenntnisse, die an diesem Treffen teilnehmen.
Das Lukasevangelium erzählt von einer
Begegnung: Auf der einen Seite zieht der Trauerzug mit dem toten Sohn einer
Witwe zum Friedhof, auf der anderen Seite kommt die freudige Schar der
Jünger, die Jesus nachfolgen, um ihn zu hören. Auch heute, liebe
Jugendliche, mag sich mancher im Trauerzug wiederfinden, der auf den
Straßen Nains dahinzieht. Dies ist der Fall, wenn euch Hoffnungslosigkeit
und Verzweiflung überkommen, wenn ihr euch von den Illusionen der
Konsumgesellschaft blenden laßt, die euch von der wahren Freude
wegführen, um euch mit vergänglichen Vergnügungen in Bann zu
ziehen und zu verschlingen. Ebenso trifft dies zu, wenn sich Gleichgültigkeit
und Oberflächlichkeit in euch breit machen, wenn ihr vor dem Bösen
und dem Leid in der Welt an der Gegenwart Gottes und seiner Liebe zu allen
Menschen zweifelt, wenn ihr auf der Suche, den inneren Durst nach wahrer und
reiner Liebe zu stillen, in ein ungeordnetes Gefühlsleben abdriftet.
Das Christentum ist keine Ideologie
Genau in solchen Augenblicken kommt
Christus zu einem jeden von euch wie zum jungen Mann aus Nain, um euch durch
sein Wort wachzurütteln und aufzuwecken: «Steh auf!».
«Nimm diese Einladung an, die dich wieder aufrichtet!»
Dies sind nicht bloß Worte. Jesus
selbst steht euch gegenüber, das menschgewordene Wort Gottes. Er ist
«das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet» (Joh 1, 9), die
Wahrheit, die uns frei macht (vgl. Joh 14, 6), das Leben, das uns der Vater in
Fülle gibt (vgl. Joh 10, 10). Das Christentum ist nicht einfach eine Art
Kultur oder eine Ideologie, selbst nicht ein System von noch so erhabenen
Grundsätzen und Werten. Das Christentum ist eine Person, eine Gegenwart,
ein Gesicht: Jesus Christus, der dem Leben der Menschen Sinn und Inhalt gibt.
Liebe Jugendliche, ich sage euch: Habt
keine Angst, Jesus zu begegnen: Im Gegenteil, sucht ihn vielmehr im
aufmerksamen und bereitwilligen Lesen der Heiligen Schrift als auch im persönlichen
und gemeinschaftlichen Gebet; sucht ihn in der tätigen Teilnahme an der
heiligen Eucharistie; sucht ihn im Empfang des Sakraments der Versöhnung
durch einen Priester; sucht ihn in der Kirche, die sich euch in den
Pfarrgruppen, geistlichen Bewegungen und in den Verbänden zeigt; sucht ihn
im Angesicht der Notleidenden, Bedürftigen und Fremden.
Diese Suche ist für das Leben vieler
Jugendliche eures Alters typisch, die sich auf den Weltjugendtag in Köln
im Sommer nächsten Jahres vorbereiten. Schon jetzt lade ich euch herzlich
zu diesem großen Treffen ein, das im Zeichen des Glaubens und des
Zeugnisgebens stehen wird.
Auch ich war einmal zwanzig Jahre alt wie
ihr heute. Ich machte gern Sport, liebte das Skifahren und das Theaterspielen.
Ich hatte Wünsche und Sorgen. In diesen Jahren, die nun schon in Ferne
liegen und in denen meine Heimat unter dem Krieg und dann unter dem
Totalitarismus litt, suchte ich nach dem Sinn meines Lebens. Ich habe ihn
gefunden in der Nachfolge Christi, des Herrn.
Die Jugend ist die Zeit, in der auch du,
lieber Jugendlicher, liebe Jugendliche, dich fragst, was du in deinem Leben
machen sollst, wie du helfen kannst, die Welt ein wenig besser zu machen, wie
du zum Aufbau von Gerechtigkeit und Frieden beitragen kannst.
So richte ich eine zweite Einladung an
euch: «Höre!» Werde nicht müde beim Training in der
schwierigen Disziplin des Hörens. Höre auf die Stimme des Herrn, der
auch durch die alltäglichen Geschehnisse zu dir spricht, in Freud und
Leid, die dich begleiten, durch die Menschen um dich herum und durch die Stimme
des Gewissens, das nach Wahrheit und Glück, nach dem Guten und
Schönen verlangt.
Die eigene Berufung entdecken
Wenn du dein Herz und deinen Geist
bereitwillig zu öffnen weißt, wirst du «deine Berufung»
entdecken, jenen Plan, den Gott immer schon in seiner Liebe für dich
vorgesehen hat.
Du kannst eine Familie gründen, die
auf der Ehe beruht, welche einen Liebesbund zwischen Mann und Frau darstellt,
die sich um eine feste und treue Lebensgemeinschaft bemühen. Du kannst
persönlich bezeugen, dass es trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse
möglich ist, voll und ganz eine christliche Ehe zu führen als
sinnerfüllte Erfahrung und «gute Nachricht» für alle
Familien.
Du kannst, wenn dies deine Berufung sein
sollte, Priester, Ordensmann oder Ordensfrau werden und mit ungeteiltem Herzen
dein Leben Christus und der Kirche schenken. So wirst du zu einem Zeichen der
liebevollen Gegenwart Gottes in der Welt von heute. Wie viele andere vor dir
kannst du ein unerschrockener und unermüdlicher Apostel sein, der im Gebet
wachsam ist und freudig und froh der Gemeinschaft dient
Ja, wenn auch du einer von ihnen sein
könntest! Ich weiß sehr wohl, dass du vor einem solchen Vorschlag
zögerst. Ich sage dir aber: Hab keine Angst! Gott läßt sich in
seiner Freigebigkeit nicht übertreffen! Nach fast sechzig Priesterjahren
freue ich mich, hier vor euch allen dafür Zeugnis zu geben: Schön ist
es, sich bis zum Ende der Sache des Reiches Gottes hingeben zu können!
Zeit zu handeln
Da ist aber noch eine dritte Einladung:
Junger Schweizer, junge Schweizerin, «mach dich auf den Weg!». Gib
dich nicht mit Worten zufrieden; warte nicht auf Gelegenheiten, das Gute zu
tun, die vielleicht doch niemals kommen. Die Zeit des Handelns ist angebrochen!
Zu Beginn des dritten Jahrtausends seid
auch ihr Jugendlichen aufgerufen, die Botschaft des Evangeliums mit dem Zeugnis
eures Lebens zu verkündigen. Die Kirche braucht eure Energien, eure
Begeisterung, eure jugendlichen Ideale, um dafür zu sorgen, dass das
Evangelium das gesellschaftliche Gefüge durchdringt und eine Zivilisation
wahrer Gerechtigkeit und Liebe ohne Unterschied hervorruft. Heute mehr denn je,
in einer oft dunklen und mutlosen Welt ohne höhere Ideale, ist nicht die
Zeit, sich des Evangeliums zu schämen (vgl. Röm 1, 16). Es ist
vielmehr die Zeit, das Evangelium von den Dächern zu verkünden (vgl.
Mt 10, 27).
Der Papst, eure Bischöfe, ja die ganze
Christenheit zählen auf euren Einsatz, eure Freigebigkeit und sie
begleiten euch mit Vertrauen und Hoffnung: Schweizer Jugendliche, macht euch
auf den Weg! Der Herr geht mit euch.
Haltet das Kreuz Christi in den
Händen. Aus eurem Mund mögen Worte des Lebens kommen. Tragt die
heilbringende Gnade des auferstandenen Herrn im Herzen.
Steh auf! Lève-toi! Alzati! Sto se!
Christus ist es, der zu euch spricht. Hört auf ihn!
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