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Autorität und Dienst. Zeuge der Wahrheit
Andrea Tornielli

Zum 84. Geburtstag des Papstes erschien sein neuestes Buch mit dem Titel Auf, lasst uns gehen! Der Pontifex gewährt dort Einblicke in seine langjährigen Erfahrungen als Bischof, angefangen mit der Zeit in Krakau bis hin zu seiner Papstwahl.

«Auf, lasst uns gehen!» waren die Worte, die Jesus im Garten von Gethsemani an seine Lieblingsjünger Petrus, Jakobus und Johannes richtete. «Nicht er allein machte sich auf, dem Willen des Vaters zu entsprechen, sondern mit ihm auch sie» schreibt der Papst gleichsam zur Erklärung des Titels seines vierten persönlichen Buches, das er in seiner Amtszeit verfasst hat. Mit ihm möchte er vor allem seine Mitbrüder im Bischofsamt in aller Welt an seiner Erfahrung als Oberhirte der Kirche teilhaben lassen. Das Buch liest sich deshalb wie eine Reflexion über das Bischofsamt, freilich gekleidet in Anekdoten aus jenen zwanzig Jahren, die er in Krakau zunächst als Weihbischof (1958-1964) und dann als Erzbischof und Kardinal (1964-1978) gewirkt hat.
«Zur Rolle des Hirten gehört selbstverständlich auch das Ermahnen. Ich denke, dass ich in dieser Hinsicht vielleicht zu wenig getan habe», schreibt der Papst. «Das Gleichgewicht von Autorität und Dienst ist jedoch nicht immer leicht zu finden. Doch vielleicht muss ich mir vorwerfen, dass ich mich nicht genügend bemüht habe zu befehlen. Bis zu einem gewissen Grad hängt das von meinem Temperament ab. In gewisser Weise muss man es aber auch dem Wollen Christi zuschreiben, der von seinen Aposteln nicht so sehr das Befehlen wie das Dienen fordert ... Der Dienst des Bischofs besteht in der Leitung, zugleich aber muss er leiten durch seinen Dienst.» «Das Bischofsamt», fügt er hinzu, «ist zweifelsohne ein Amt, aber der Bischof muss mit aller Kraft dagegen kämpfen, zu einem ‘Beamten’ zu werden. Er darf nie vergessen, Vater zu sein!»
Glasklar die Worte, die er bezüglich der Notwendigkeit findet, Zeugnis für die Wahrheit abzulegen, auch auf Kosten des eigenen Lebens: «Wirklich, man kann der Wahrheit nicht die kalte Schulter zeigen, aufhören, sie zu verkünden, sie verbergen – auch, wenn es sich um eine schwierige Wahrheit handelt, deren Enthüllung sehr schmerzlich sein kann. ‘Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit macht euch frei’ (Joh 8,32): das ist unser Ziel und gleichzeitig unsere Kraftquelle! Das lässt weder Raum für Kompromisse noch für den opportunistischen Rückgriff auf menschliche Diplomatie. Man muss für die Wahrheit Zeugnis ablegen, auch wenn man dafür Verfolgung in Kauf nehmen muss, auch wenn es Blut kostet, - so wie es Christus getan hat, oder einst auch mein heiliger Amtsvorgänger in Krakau, Bischof Stanislaus ...».   Am 13. Mai 1981, beim Attentat auf dem Petersplatz, hat Wojtyla selbst mit Blut und Leiden bezahlt und den Worten Aktualität verliehen, die er in einem Gedicht über Stanislaus ausgesprochen hat: «Wo das Wort nicht bekehrt, wird das Blut bekehren.»

Einheit von Glaube und Vernunft
Der Papst lädt die Bischöfe auch dazu ein, nicht bloß Lehrer zu sein: «Manchmal erreicht ein Bischof die Erwachsenen leichter, wenn er ihre Kinder segnet und diesen ein wenig Zeit widmet. Dies vermittelt mehr als jede Rede Achtung für die Schwachen. Heute braucht man viel Einfühlungsvermögen, um ins Gespräch über den Glauben und die Grundfragen des Menschen zu kommen. Nötig sind daher Menschen, die lieben und denken, denn das Einfühlungsvermögen lebt von Liebe und Denken, nährt unsere Gedanken und entzündet unsere Liebe.»
Es mangelt dem neuen Buch auch nicht an autobiographischen Abschnitten, die ganz unmittelbar viele für das Papsttum charakteristische Themen aufgreifen, wie beispielsweise die Einheit von Glaube und Vernunft: «In meiner Lektüre und meinem Studium habe ich immer versucht, auf liebende Weise die Fragen des Glaubens, des Denkens und des Herzens zu vereinen. Denn es handelt sich dabei nicht um verschiedene Bereiche, jeder einzelne durchdringt und belebt vielmehr die anderen. In diesem Durchdringen von Glaube, Denken und Herz übt das Staunen einen besonderen Einfluss aus, das angesichts des Wunders der Person entsteht, angesichts der Ähnlichkeit des Menschen zum Dreieinen Gott, der tiefen Beziehung zwischen Liebe und Wahrheit, dem Geheimnis der wechselseitigen Hingabe und des Lebens, das daraus entsteht ...». Johannes Paul II. verrät darüberhinaus auch einige seiner Gebete: «Mein Schutzengel weiss, was ich gerade tue. Mein Vertrauen auf ihn, auf seine schützende Gegenwart vertieft sich immer mehr. Der heilige Michael, der heilige Gabriel, der heilige Raphael sind die  Erzengel, die ich oft in meinen Gebeten herbeirufe.» Dankbare Worte findet er auch für den heiligen Pius X., der mit der Entscheidung, die Heilige Kommunion schon Kindern zu spenden, auch ihm ermöglicht hat, sich früh diesem Sakrament zu nähern.
Einige Seiten wenden sich an die Laien, die Bischof Wojtyla viel zur Mitarbeit herangezogen hat. «Als Bischof habe ich zahlreiche Laieninitiativen unterstützt.» Neben einer Beschreibung verschiedener Bewegungen und Prälaturen, geht der Papst auch auf CL ein: «Eine weitere Bewegung, die wir der Lebendigkeit der italientischen Kirche verdanken, ist Comunione e Liberazione unter der Leitung von Luigi Giussani».

Unterwegs durch die Welt
Aussagekräftig ist auch, wie Johannes Paul II. die Gründe seiner Pilgerfahrten um die ganze Welt erklärt: «Der Herr hat mir die nötigen Kräfte gegeben, um viele Länder besuchen zu können ..., was sehr wichtig ist. Denn der Aufenthalt in einem Land, und sei es auch nur für wenige Tage, erlaubt einem, vieles in Augenschein zu nehmen. Darüber hinaus ermöglichen es die vielen Treffen, in direkten Kontakt mit den Leuten zu treten, was wiederum unheimliche Wichtigkeit besitzt sowohl auf zwischenmenschlicher als auch auf kirchlicher Ebene. So war es auch für den heiligen Paulus, der ununterbrochen unterwegs war. Liest man seine Briefe, so spürt man, dass er bei den Leuten vor Ort gewesen ist, ihre Probleme persönlich gekannt hat. Dasselbe gilt für jede Epoche, auch für unsere heutige Zeit. Ich bin immer gern gereist, und ich bin mir wohl bewusst, dass diese Aufgabe in einem gewissen Sinn von Christus selbst dem Papst übertragen wurde.»