Herausforderung - Erziehung
«Den Werten und Wünschen ziehe ich Vernunft und Wirklichkeit vor»
Alberto Savorana
Erziehen heißt, «eine Person in die Wirklichkeit einzuführen».
Man führt eine Person nicht in die Wirklichkeit ein, wenn man sie nicht
in die Bedeutung der Wirklichkeit einführt (Carlo Caffarra).
In einem Vortrag hat der Erzbischof von Bologna die zentrale gesellschaftliche
Bedeutung der Erziehung thematisiert. Ohne Komplexe wandte er sich gegen Lehrer
und Erzieher, die einem mehr oder weniger «fröhlichen
Nihilismus» huldigen, der ohnehin tragische Züge habe.
Spuren berichtet davon, wie dieses mutige Wort aufgenommen wurde und welche
Früchte es tragen könnte und bringt den Vortrag des Erzbischofs
in Auszügen.
Mit welcher Wollust
haben sie das Nichts entlarvt.
Mit der einen Ausnahme nur:
ihren Lehrstühlen.
(E.Montale)
Diese wirklichkeitsnahen Worte des Dichters
Eugenio Montale sind der Spiegel einer Mentalität, die heute das
allgemeine Bewusstsein prägt. Im Mai dieses Jahres war das Thema
‘Nihilismus’ in einer Diskussionsrunde des italienischen Fernsehens
mit einigen italienischen Philosophen Thema Nr. 1. Der Erzbischof von Bologna,
Carlo Caffarra, hatte den Stein einige Tage zuvor ins Rollen gebracht, als er
bei einem Vortrag vor italienischen Sportlern die Frage stellte, wie Erziehung
heute überhaupt noch möglich sein könne, wenn man darunter die
Einführung in die Wirklichkeit verstehe, deren objektiver Bestand von der
heutigen Kultur jedoch allenthalben negiert werde.
Die erste Stunde der Diskussionsrunde im
Fernsehen plätscherte mit dem Austausch nihilistischer Gemeinplätze
zwischen den Philosophen Emmauele Severino und Gianni Vattimo sowie einem
halben Dutzend anderer Philosophen dahin. Erst als der Moderator der
Gymnasialdirektorin Elena Ugolini das Wort gab, wurden die Karten in der
müden Diskussion plötzlich neu gemischt. Sie brachte das Thema
‘Erziehung’ auf Tablett und zwang damit für die nächsten
zwanzig Minuten alle – Maximalisten und Minimalisten des Seins, die
Totengräber alles Wirklichen und ausgesprochene Verteidiger des Nichts
– den Blick zu heben und innezuhalten. Sie erzählte von ihrer
Tätigkeit als Lehrerin und Mutter, erzählte von Jugendlichen, die
Vattimo nicht lesen, aber jeden Tag fragen, ob das, was passiere und sie
umgebe, wirklich dazu bestimmt sei, im Nichts zu enden, dem Tod zu verfallen,
wenn es letztlich keinen Wert habe. «Monsignore Caffarra und Don
Giussani», so erklärte Elena, «gehen nicht von einer Negativiät
aus, sondern von einem positiven Vorschlag: Erziehen heißt in die
Wirklichkeit und in die Wahrheit einzuführen.»
Damit hatte sie bei den Vordenkern einer
Generation, die sich von Erziehung im eigentlichen Sinne längst
verabschiedet hat, in ein Wespennest gestoßen. Denn wenn von ihr unter
Erziehung überhaupt noch mehr als bloße Ausbildung verstanden wird,
dann die Ausstattung mit wenigen vorgefertigten Ansichten über Sinn und
(vor allem) Unsinn einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Welt, in der
wir leben. Der Geist, der insbesondere jungen Köpfen weltweit
eingetrichtert wird, lässt sich dem «Gebet für ein Kind»
entnehmen, das 1979 zu dem von der UNO ausgerufenen Jahr des Kindes verfasst
wurde: «Gib, o Herr, dass er anders werde als wir. Gib’,
dass er keine Eltern mehr habe, keine
Kinder, keine Familie, keine Lehrer, keine Schüler ... Gib’, dass er
keinen Konquistatoren, Feldherren oder Heiligen begegne. Gib’, dass er
weder Gesetz noch Ordnung, weder Heimat noch Religion kenne. Gib’, dass
er nicht so werde wie wir und wenigstens glauben kann, dass es dich doch
gibt.»
Vor dem Hintergrund einer derart sterilen
und seit Jahrzehnten propagierten Mentalität und im Hinblick auf die Rolle
der Vereinten Nationen ist ein Aufruf von Don Giussani zu verstehen, der im
November vom italienischen Fernsehen ausgestrahlt wurde: «Allen
würde es besser gehen, wenn dem Volk wirklich eine Erziehung zuteil
würde.»
Dass dies kein frommer Wunsch bleiben muss,
wurde zur gleichen Zeit, als der Erzbischof von Bologna seine Rede hielt, an
dem Gymnasium der Stadt deutlich, an dem Elena unterrichtet: Die Schule
lancierte zusammen mit Elternvereinen und mit Hilfe der Compagnia delle Opere
(einem von Cl-ern initiierten Zusammenschluß von ca. 30.000 Unternehmen
aus dem Profit und Non-Profit-Bereich, A.d.R.) ein Manifest mit dem Titel:
Bologna macht wieder Schule. Die Initiative wurde von Kulturschaffenden und
Unternehmern der Stadt begeistert und dankbar aufgegriffen: als Chance für
die Hoffnungsträger der Stadt, die Jugendlichen.
Mit Sicherheit ist die Aktion aber auch als
Angebot an diejenigen Lehrer zu verstehen, die dem Nichts das Wort reden
– als hätten sie selbst keine Kinder und darüber hinaus jede
Sehnsucht verloren. Denn der Mensch kann seiner Bestimmung gegenüber nicht
gleichgültig sein, zumindest nicht auf lange Sicht. Wir alle wollen das
Leben. Doch wir alle brauchen zugleich jemanden, der diese unsere Sehnsucht
ernst nimmt und uns Gründe für ein Leben zeigt, das Hoffnung kennt.
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