CL - Freizeit
Freizeit - die Zeit der Freiheit
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«Dass man sich auf die Ferien freut, ist ein Zeichen von Lebenslust:
gerade deshalb jedoch dürfen sie keine ‘Pause von sich selbst’
werden. Damit der Sommer uns nicht hindert, unser Leben zu leben!».
Was Mailänder Stundenten im Juni 1964 auf ein Flugblatt schrieben,
lernten und lebten sie mit Don Giussani. Ein Gespräch mit dem
Mailänder Priester, bei einem Aperitif, kurz vor der Abreise in die Ferien.
Vom ersten Anfang von GS (der Schülergruppe um Don Giussani, aus der Cl
hervorging, A.d.R.) an, war eines glasklar: Freizeit ist die Zeit, in der kein
Zwang besteht, irgendetwas zu tun; Freizeit ist frei zur Verfügung stehende
Zeit. Oft kam es mit Eltern und Lehrern zu Diskussionen, weil GS die Zeit der
Jugendlichen zu sehr in Anspruch nehme und die Kinder lieber lernen oder in der
Küche und im Haushalt mithelfen sollten. Ich meinte dazu immer
«Das ist mir ja eine schöne Vorstellung von Freizeit für die
Kinder!». «Einen jungen Erwachsenen, eine reife Person», so
hielt man mir dann entgegen, «erkennt man an ihrer Arbeit, an dem Ernst,
den sie auf die Arbeit verwendet, an ihrer Treue und Hingabe an die Arbeit».
«Mitnichten!» erwiderte ich, «Soweit kommt es noch! Es sagt
viel mehr aus, wie ein Jugendlicher seine Freizeit nutzt.» Ob ihr es
glaubt oder nicht: alle waren schockiert. Wenn wir es mit Freizeit zu tun
haben, dann ist man frei, zu tun und zu lassen, was man will. Gerade deshalb
versteht man, was man will, daran, wie man seine Freizeit nutzt.
Was jemand, sei er nun jung oder alt,
wirklich will, sagt mir nicht seine Arbeit, sein Studium, die Usancen und
gesellschaftlichen Verpflichtungen, all das, wo er irgendwie gezwungen ist zu
handeln, sondern: wie er seine Freizeit nutzt. Wenn ein Jugendlicher bzw. eine
reife Person ihre freie Zeit tot schlägt, dann liebt sie das Leben einfach
nicht: so jemand ist verrückt. Nicht umsonst ist die Ferienzeit die Zeit,
in der beinahe alle verrückt werden! Doch die Ferien sind eigentlich die
kostbarste Zeit des Jahres, weil sie die Zeit sind, in der man sich dem Wert
widmet, der für einen im Leben am wichtigsten ist. Oder aber man widmet
sich in dieser Zeit gar nichts. Dann aber ist man eben verrückt.
Die Antwort, die wir den Eltern und Lehrern
vor vierzig Jahren gaben, war von einer Tiefgründigkeit, die ihnen bis
dahin unbekannt geblieben war. Der höchste Wert im Menschen, seine Tugend,
sein Mut, seine Kraft, der Sinn, für den es sich zu leben lohnt, all das
liegt in der Fähigkeit, aus einer Ungeschuldetheit heraus zu handeln.
Diese Ungeschuldetheit tritt recht eigentlich in der Freizeit hervor und
bestätigt sich auf eindrückliche Weise. Während der Ferien tritt
die Art zu Beten, die Treue im Gebet, die Wahrheit von Beziehungen, die
Selbsthingabe, der Geschmack an den Dingen, die Genügsamkeit im Umgang mit
der Wirklichkeit, die Empfänglichkeit und die Leidenschaft für die
Dinge viel klarer zu Tage als während des restlichen Jahres. In den Ferien
herrscht Freiheit und in dem Maße, wie man frei ist, macht man, was man
tun will.
Die Ferien sind also eine wichtige Zeit.
Deshalb muss man sich seinen Umgang in den Ferien und den Ort, wo man sie
verbringt wohl überlegen, vor allem aber muss man auf die eigene
Lebensweise achten: wenn dir die Ferien nicht in Erinnerung rufen, woran du
dich am liebsten erinnerst, wenn sie dich den anderen gegenüber nicht
gütiger stimmen, sondern nur instinktiver machen, wenn sie dich die Natur
nicht mit forschendem Blick betrachten lassen, dir nicht dabei helfen, gerne
mal ein Opfer zu bringen, dann verfehlt diese Zeit der Ruhe ihren Zweck.
Ferien müssen so frei wie nur irgend möglich gestaltet sein.
Einziges Kriterium ist, dass sie die Luft zum Atmen schaffen, zu echtem,
befreiendem Durchatmen.
Daher kann man auch nicht a priori sagen,
man müsse die Ferien gemeinsam in der Gruppe verbringen. Das wäre ein
Widerspruch zu dem, was wir bereits gesagt haben, etwa da die Schwächsten
einer Gemeinschaft es nie wagen würden, nein zu sagen. Darüber hinaus
kann dies auch die missionarische Ausrichtung der Ferien beeinträchtigen:
auch die gemeinsam verbrachten Ferien haben sich an obigen Kriterien
auszurichten. Wie dem auch sei, Freiheit in allem und vor allem. Freiheit zu
tun, was einem gefällt ... gemäß dem Ideal. Was es einem
bringt, so zu leben? Die Fähigkeit ungeschuldet zu handeln, die Reinheit
menschlicher Beziehungen!
Womit das alles rein gar nichts zu tun hat
– um einen letzten eventuellen Einwand vorwegzunehmen –, ist die
Einladung zu einem traurigen Leben, der Versuch, dem Leben unnötige Lasten
aufzubürden. Wer das meint, beweist höchstens, dass er ein trauriger
Zeitgenosse ist, ein echter Kostverächter eben. Das heißt: jemand
der nicht isst und nicht trinkt, jemand der das Leben nicht genießt.
Dabei hat doch Jesus selbst die engste Verknüpfung zwischen den Menschen
auf Erden und dem lebendigen Gott, dem Unendlichen, dem unendlichen Geheimnis,
mittels des Essens und Trinkens hergestellt: die Eucharistie bedeutet Essen und
Trinken, auch wenn sie für viele nur ein Ritual darstellt, dessen Sinn sie
gar nicht verstehen. Essen und Trinken: Agape ist Essen und Trinken. Die
Beziehung zwischen mir und jener göttlichen Gegenwart, die in dir, o
Christus, Mensch geworden ist, vollzieht sich beim Essen und Trinken. Denn du
identifizierst dich so sehr mit dem, was du isst und trinkst, dass ich,
«obwohl ich im Fleische lebe, den Glauben an den Sohn Gottes lebe»
(‘Glaube’ heißt Anerkennung einer Gegenwart).
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