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Um den Frieden zu gewinnen
Renato Farina

Wie geht es weiter im Irak nach dem 30. Juni? Hintergründe aus der Sicht eines muslimischen Beobachters und ein Blick auf die Politik des Vatikan.
Den fundamentalistischen Hintergrund der Gewalt im Irak gilt es ebenso zu beachten wie die Chancen, die in einem Dialog mit den gemäßigten Muslimen liegen. Ein Gespräch mit dem Muslim Magdi Allam, dem Vizedirektor der Tageszeitung Corriere della Sera.

Kann dieser schreckliche Krieg überhaupt etwas Positives bringen? Vor kurzem wurde der amerikanische Jude Nick Berg bei einem Ritualmord im Namen Gottes enthauptet. Wenig früher hatten amerikanische Folterer von sich reden gemacht. Sie mit den Terroristen von Al-Kaida zu vergleichen, um zu sehen, wer schlimmer ist, ist jedoch unsinnig. Es würde nur die Opfer beleidigen. Eines aber lässt sich bestimmt sagen: die Soldaten der Koalition hatten sich bei ihren Untaten vor Christus zu verstecken, keiner von ihnen konnte sich auf den christlichen Gott berufen, ihn sich als ideologisches Feigenblatt vorhalten.
Vor diesem aktuellen Hintergrund sind die momentan zu treffenden Entscheidungen zu sehen, die die Zukunft des Irak betreffen. Allen voran die, ob die Truppen nun abzuziehen oder unter UN-Mandat im Land zu verweilen haben? Und: Welcher Umgang ist mit der islamischen Gemeinschaft in unserem eigenen Land zu pflegen? Fragen, über die wir uns mit Magdi Allam unterhalten haben. Allam ist ein in Italien weithin bekannter Journalist. Der Chefredakteur des Corriere della Sera, der wichtigsten italienischen Tageszeitung, hat ihn kürzlich zu seinem persönlichem Stellvertreter gemacht. Er ist italienischer Staatsbürger, wurde in Ägypten geboren, Araber und nicht praktizierender Muslim. Kürzlich erschien sein Buch Kamikaze made in Europe. Wird es dem Westen gelingen, die islamischen Terroristen zu besiegen? (erschienen beim Mondadori-Verlag). Beim Meeting 2004, dem von CL in der letzten Augustwoche in Rimini veranstalteten internationalen Kulturfestival, wird er einer der Hauptredner sein.

Keine totale Konfrontation
Nehmen wir es gleich vorweg: Allam ist kein Schwarzseher, er hat die Hoffnung nicht verloren. Er glaubt nicht, dass alles auf eine gewaltsame Auseinandersetzung hinausläuft, dass der berühmte totale Krieg der Kulturen zwischen Christentum und Islam unausweichlich kommt. Er hält eine positive Auseinandersetzung mit dem gemäßigten Islam für möglich und notwendig. Aber er hat kein Verständnis für Nachgiebigkeit gegenüber den Fundamentalisten.
Hören wir ihn selbst: «Die Hinrichtung von Nick Berg ist dadurch noch schrecklicher geworden, dass die Täter sie im Namen Gottes und des Propheten vollzogen haben in der Überzeugung, Interpreten und Bewahrer des wahren Islam zu sein. Eines Islam, der als Religion und Kultur des Todes betrachtet wird! Der dem menschlichen Leben seinen Wert total aberkennt, wo doch allen klar ist, dass das Leben des Einzelnen der Kern einer jeden Religion und Kultur sein muss, die sich menschlich nennen will. Mit diesem Islam kann es keinen Dialog geben. Aber das ist eben nicht der Islam schlechthin! Ein solche Auffassung würde Al-Kaida in die Hände spielen. Ich glaube vielmehr, dass die Hinrichtung des armen Amerikaners die Verwirklichung einer Ideologie ist, die sich ausdrücklich als wahrer Islam durchsetzen will, aber es ganz und gar nicht ist».
Magdi Allam glaubt, dass der Islam mehrheitlich eine ganz andere Position bezieht. Sogar im Irak. Es ist ein Irrtum, die Schiiten von Al Sadr, der bekundet hat, alle im Land stationierten Italiener töten zu wollen, als repräsentativ für die Schiiten im Irak anzusehen. Al Sistani, der viel einflussreicher ist und größere Gefolgschaft hat, ist ganz anderer Meinung und erkennt «den Wert der Person, die Heiligkeit des Lebens» an. Das Land zu verlassen hieße, es einem Bürgerkrieg zwischen diesen Parteien auszuliefern, in den Al-Kaida mit Macht eingreifen würde, um in Mesopotamien und von dort aus überall die Vorherrschaft zu erringen. Das wäre eine den Irakern und den gemäßigten arabischen Ländern gegenüber unverantwortliche Politik, aber auch eine höchst fahrlässige, was unsere eigene Sicherheit betrifft.

Kampf gegen den Nihilismus
Versuchen wir mit Magdi Allam zu verstehen, welche Anstrengung an der inneren Front im Westen und an Euphrat und Tigris notwendig ist. Allam geht von einer Prämisse aus, die er so beschreibt: «Die Moslems dürfen nicht alle in einen Topf geworfen werden, vielmehr ist jeder Einzelne als Person zu betrachten. Es darf nicht sein, dass der Westen sich das Maß des islamischen Fundamentalismus zu eigen macht, demzufolge keine Individuen existieren, sondern nur ein gesichtsloses Kollektiv, das es zu unterwerfen oder zu vernichten gilt. Jeder Mensch ist frei (außer den Selbstmordattentätern, die zu Robotern geworden sind)».
«Wie wird der Krieg gegen den Terrorismus also ausgehen?», wollen wir also von Allam wissen. Antwort: «Das hängt von der Fähigkeit des Westens ab zu verstehen, um was es geht und von seiner Willensstärke. Vor allem muss man die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen. Der von Bin Ladin und seinen Leuten entfesselte Krieg ist nicht die Reaktion auf irgendeine verfehlte Politik oder auf eine vorgebliche Ausbeutung. Es ist ein aggressiver, frontaler, totaler Krieg. Sich nachgiebig zu zeigen würde nur neue Überfälle herausfordern. Dieser Krieg hat in den Selbstmordattentätern seine siegreichen Waffen. Etwas ganz anderes als herkömmliche Waffen, nicht nur für Kriege, sondern auch für den Terrorismus selbst. Die Selbstmordattentäter, die sich vor allem in Europa ausbreiten, sind von dem Augenblick an scharfe Waffen, in dem sie sich selbst zum Martyrium bereit fühlen. Sie sind Roboter des Todes, bar jeden eigenen Willens. Es ist klar, dass eine solche Waffe andere politische, militärische, juristische und kulturelle Antworten verlangt als die herkömmlichen Waffen». Auf kulturellem Gebiet muss hier ein Kampf gegen den Nihilismus begonnen werden. Juristisch ist das Problem sehr delikat. Ein Kandidat für das Martyrium kann heute praktisch nicht verhaftet werden, außer in dem Augenblick, bevor er sich in die Luft sprengt, und das ist kaum möglich, wie der Fall eines marokkanischen Selbstmordattentäters zeigt, der sich am vergangenen 28. März in Brescia getötet hat.
Muss man vielleicht schon die Verherrlichung von Martyrium und Dschihad als Straftat behandeln? «Aber sicher», gibt Magdi zu verstehen. «Jedenfalls darf es nicht mehr möglich sein, das jemand derlei predigt und die Behörden schauen einfach zu.»

Menschen- und Bürgerrechte
Aus politischer Sicht empfiehlt Magdi Allam ein festes Bündnis mit den gemäßigten arabischen Ländern sowie den Einsatz internationaler (Streit-)Kräfte. Etwas mehr Intelligenz würde auch nicht schaden: «Ich habe einen Kontrollposten in Bagdad gesehen. Ein Stammesführer wurde von amerikanischem Militär ohne jede Achtung behandelt, und das vor seinen Leuten. Solche Demütigungen machen aus einem Wohlmeinenden einen Feind. Etwas mehr Kultur und Achtung vor dem Anderen ist nötig».
Und in Italien? Die Antwort: Man muss sich bewusst werden, dass das eigentliche Problem die Repräsentanten der Muslime sind. Die Vorsteher der Moscheen können absolut nicht für sich beanspruchen, die Muslime zu vertreten. «Von einer Million Moslems besuchen nur 5% Moscheen. Und von diesen wiederum werden etwa 70% vom UCOI vertreten. Die Führer dieses Verbands wollen den Islam an die Moscheen binden, um die Muslime politisch überwachen zu können». Sie sind an die ‚Muslim-Brüder’ gebunden, die alles daran setzen, die Schwächen der Demokratie auszunutzen, um diese Gesellschaft zu erobern. Allam schlägt daher einen Dialog vor, bei dem es nicht um Händeschütteln und allgemeine Reden über Frieden und Solidarität geht, sondern ganz konkret um Menschen- und Bürgerrechte. Um die Möglichkeit der Konversion zum Beispiel. Moscheen? «Ja, vorausgesetzt sie haben gläserne Wände. Wenn einer den Dschihad predigt, dann weg mit ihm!» Leider geschieht das Gegenteil. «Aus Rom»– beklagt Allam – «ist ein Imam der Großen Moschee nach Ägypten zurückgeschickt worden, weil er gemäßigt war». Kurz und gut, gegen den Terrorismus muss man kämpfen, und das geht uns alle an. Allam sagt: «Ein Gegenangriff ist erforderlich, sowohl der christlichen Kultur des Westens wie der gemäßigten Muslime. Beide befinden sich im Krieg und müssen sich bewusst werden, dass sie auf der gleichen Seite stehen und sich dringend tatkräftig gegen den Terrorismus des fundamentalistischen Islam verbünden müssen – nicht nur in Italien, aber besonders auch in Italien».