Wie die Vatikandiplomaten Lajolo, Martino, Laghi, Tauran, Filoni die Lage sehen
Realismus - Der Weg des Papstes
Lucio Brunelli
Von Anfang an war die Stellung des Heiligen Stuhls klar: Nein zum Krieg, der nur
Hass und Terrorismus befördern würde. Genau so ist es gekommen.
Welche Schritte empfiehlt der Vatikan heute, um aus dem Sumpf des Irak herauskommen?
«Lohnt es sich, euch eine Milliarde
Muslime zu Feinden zu machen? Habt Ihr aus der Erfahrung von Vietnam nichts
gelernt?». Es ist Februar 2003, Oberbefehlshaber George W. Bush hat den
eigenen Truppen bereits den Befehl erteilt, sich auf die Invasion des Irak
vorzubereiten, als Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano einem wichtigen
Gesprächspartner aus Übersee unter vier Augen diese Fragen stellt.
Dahinter steht nicht nur eine prinzipielle moralische Missbilligung eines jeden
Krieges. Dahinter steht eine sehr rationale Einschätzung der
Opportunität der Entscheidungen, die der Präsident der Vereinigten
Staaten im Begriff ist zu fällen. Doch die vorausschauenden
Ratschläge des vatikanischen Staatssekretärs werden ignoriert, das
Weiße Haus erwartet sich einen schnellen militärischen Erfolg. Es
sind die Tage, in denen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld seine
sarkastischen Seitenhiebe gegen das „alte Europa“ führt, weil
es dem jungen Amerika nicht in dieses militärische Abenteuer folgt; und
nationale Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice kopfschüttelnd wiederholt:
«Nein, die Einstellung des Vatikan kann ich wirklich nicht
verstehen».
Kopfschüttelnd wird der Hinweis auf
Vietnam und die Warnung vor der drohenden Verschärfung des Hasses gegen
den Westen (und damit des Terrorismus) in der arabischen Welt auch in Europa
von vielen enthusiastischen neue Anhängern des neo-konservativen Denkens
in Amerika abgetan. Viele fühlen sich plötzlich als stolze
Verteidiger der christlichen Identität des Westens, ärgern sich
allerdings über die Weigerung des Papstes, die Fahnen des großen
Kreuzzugs zu segnen, der endlich Demokratie in die barbarische Zivilisation des
Islam „exportieren“ soll ...
Das Eingreifen der UNO unterstützen
Diese Ausgangslage muss man sich in
Erinnerung rufen, sich ansehen, wie die Dinge vor einem Jahr abliefen, um die
jetzige Haltung des Heiligen Stuhls zur Irak-Krise zu erklären. Als
überzeugter Kriegsgegner bemüht sich der Vatikan auch heute mit
großem Verantwortungsbewusstsein um Schadensbegrenzung. «Der
Heilige Stuhl, der Papst und seine ganze Umgebung» – sagt uns Kardinal
Renato Martino, Präsident des Päpstlichen Rates für
Gerechtigkeit und Frieden – «glauben, dass es Wahnsinn wäre,
den Irak vor dem 30. Juni zu verlassen, dem für die Übertragung der
Souveränität an die Iraker vorgesehenen Datum. Man muss der UNO die
nötige Zeit geben, in Aktion zu treten, sonst gibt es ein Chaos schlimmer
als vorher». Der neue Außenminister des Vatikans, Erzbischof
Giovanni Lajolo, zeigt mit äußerster Klarheit den politischen
Schritt auf, der als erster gemacht werden muss, um aus dem Sumpf des Irak
herauszukommen: «Es ist unerlässlich, dass so schnell wie
möglich an der Spitze des Landes eine irakische
Führungspersönlichkeit steht, die als solche von der Bevölkerung
anerkannt wird und zu den Menschen in ihrer Sprache spricht und ihre Sensibilität
kennt». Der Folter-Skandal in den Gefängnissen der Koalition hat die
Übergabe der Macht komplizierter und dringlicher gemacht. Während
einer Kundgebung vor dem Gefängnis von Abu Grahib hat ein irakisches Kind
ein Plakat mit der Aufschrift hochgehalten: «You gave a bad impression
about America and Christians». Ich habe Erzbischof Martino gebeten,
diesen Satz zu Beginn einer Sendung des zweiten Programms des italienischen
Fernsehens zu kommentieren. Seine Antwort: «Wie sollte man derart brutale
Episoden nicht verdammen? Der Skandal ist noch viel größer, wenn
diese Untaten von Christen begangen werden. Aber angeklagt ist nicht das
Christentum, sondern seine Verkehrung. Wird einem Menschen Gewalt angetan, so
wird Gott selbst beleidigt, der ihn nach seinem eigenen Bild geschaffen
hat». Zu dem moralischen Schaden gesellt sich noch der politische.
«Die Glaubwürdigkeit der Koalition ist gefährdet»–
stellt Monsignore Filoni, der päpstliche Nuntius in Bagdad, bitter fest
– «und ich bezweifle, dass sie überhaupt wieder hergestellt
werden kann».
Hätte er nur zugehört…
Der Verfasser dieses Artikels
(Vatikankorrespondent des zweiten italienischen Fernsehens, A.d.R.) hat Tag
für Tag die Friedensbemühungen der päpstlichen Diplomatie
verfolgt. Als wäre es gestern gewesen, erinnere ich mich an ein
Gespräch mit Kardinal Pio Laghi nach seiner Rückkehr aus den
Vereinigten Staaten, wohin ihn der Papst zu einem letzten Versuch gesandt
hatte, Bush von seinem Vorhaben abzubringen, ausgestattet nur mit der Macht des
Gebets (es war ein Aschermittwoch!) und der Vernunft, unterstützt von dem
nur Christus eigenen großen Erbarmen für den Menschen. «Ich
habe zum Präsidenten auch von den möglichen Folgen des Krieges
gesprochen: die Gefahr eines Bürgerkriegs zwischen den verschiedenen
Volksgruppen und religiösen Gemeinschaften, der eine Destabilisierung in
einem Schlüsselgebiet des Nahen Ostens mit sich bringen
würde...». Wenn ich heute diese Notizen wieder lese, kocht mir das
Blut in den Adern, denn mindestens neuntausend unschuldige Tote und
großes Chaos wären uns und der Welt erspart geblieben ... Man komme
nun bloß nicht mit dem notwendigen Kampf gegen den Terrorismus. Heute
wissen wir ja alle (aber im Vatikan hatte man damals schon Zweifel), dass das
Dossier über die Massenvernichtungswaffen im Irak aufgebauscht war und die
schreckliche, unmenschliche Bedrohung durch den Terrorismus heute schwerer auf
der Welt lastet als vor dem Krieg. Die päpstlichen Diplomaten
genießen nicht die unfehlbare Hilfe des Heiligen Geistes, aber sie glauben
weiter, dass zur Bekämpfung des Terrorismus internationale polizeiliche
Maßnahmen dienlicher sind. Besser noch als sie wäre es wohl, den
irren «Liebhabern des Todes» mögliche Argumente für die
Gewinnung von Anhängern unter den arabischen Massen zu nehmen. «Der
ungelöste israelisch-palästinensische Konflikt», wiederholt uns
Kardinal Jean Louis Tauran, ist die Mutter aller Krisen». Wir wissen von
einem Brief, den der Papst im Oktober 2002 an Bush geschickt hat und der nie veröffentlicht
wurde: Besorgt wegen der Kriegsgerüchte im Irak forderte Johannes Paul II.
Präsident Bush auf, seine Anstrengungen lieber auf die Lösung der
Palästinenserfrage zu konzentrieren. Hätte der junge Präsident
da mal auf den Rat des alten Papstes gehört ...
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