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Charisma und Berufung - Gespräch mit don Giorgio Pontiggia
Studium Christi
Priester durch Nachahmung

Alberto Savorana

Im Jahre 1992 begann eine Gruppe von Mailänder Priestern, sich mit Don Giussani zu treffen: sie wollten einander helfen, die mit der Taufe empfangene Berufung zur Heiligkeit zu leben. Schweigen, Teilen und Pünktlichkeit prägen das Haus und die Regel. Don Giorgio Pontiggia berichtet darüber.

Zu Beginn der 90er Jahre dachten einige Mailänder Priester, die zur Fraternität von Cl gehören, sie könnten sich noch entschlossener gegenseitig helfen, die mit der Taufe empfangene Berufung zur Heiligkeit zu leben, in ihrem Fall besonders auch die Berufung zum Diözesanpriester. Don Giorgio Pontiggia erzählt die Umstände, von denen die Gruppe, die sich entschloß, sich Studium Christi zu nennen, ihren Ausgang nahm.

Es war 1992. Alles begann mit der resignierten Feststellung: Früher trafen sich die Priester von Cl regelmäßig mit Don Giussani. Jetzt aber kann er uns für eine Weile nicht aufsuchen – und so haben wir aufgehört, uns überhaupt zu treffen. Aber einige empfanden außer der Abwesenheit von Don Giussani auch schmerzlich die Fragwürdigkeit unserer Einstellung. Uns wurde bewußt, daß die Gemeinschaft zwischen uns nicht das ganze Leben umfaßte. Wir begannen erneut, uns zu treffen; und als es wieder möglich war, luden wir Don Giussani ein. Ich erinnere mich, daß er uns drei Beobachtungen mitteilte: „Ihr seid viele, aber Ihr seid noch nicht schlagkräftig; schlagkräftig seid Ihr nicht, weil Ihr nicht geeint seid; und Ihr seid nicht geeint, weil Ihr keiner Regel folgt.“ Und so forderte er uns heraus.

Wie habt Ihr diese Herausforderung angenommen?
Wir begannen, abstrakt über eine Regel nachzudenken. Als wir ihm davon berichteten, ließ er uns nicht einmal zu Ende sprechen und rief aus: „Die Regel ist die Bewegung; dies bedeutet nicht in erster Linie, etwas für die Bewegung zu ‚tun’, sondern meiner Erfahrung nachzufolgen. “ Und dann wurde er genauer: „Zum Beispiel das Brevier so zu beten, wie ich es bete; den Angelus so zu beten, wie ich ihn bete; zu verstehen, warum ich sage, daß wenn wir Veni Sancte Spiritus, veni per Mariam beten, alles darin enthalten ist.“
Was uns durcheinandergebracht hat, war der Gedanke der „Nachfolge“. Nach jenem Treffen kamen wir zusammen zu dem Schluß, daß die Regel der Memores Domini diejenige sei, die uns am meisten weiterbringen könne. Wir übernahmen sie, sogar bis zu dem Gedanken, ein „Haus“ zu gründen – das erste von Studium Christi – und zwar in Mailand. Don Giussani kommentierte dies mit den Worten, daß dieser Schritt richtig sei, „denn wenn ein Wert sich nicht in einer konkreten Erfahrung verkörpert, geht er verloren, auch wenn die konkrete Erfahrung den Wert nie in erschöpfender Weise zu verkörpern vermag.“ Ich schlug die Sache etwa dreißig befreundeten Priestern vor. Zehn sagten ja. Drei Jahre lang, von 1992 bis 1994, trafen wir uns alle zwei Wochen mit Don Giussani. Für ihn bedeutete diese Treue die Erkenntnis, daß gerade etwas Neues im Entstehen begriffen war, etwas, von dem wir noch nicht die geringste Ahnung hatten.

Warum habt Ihr Euch diesen Namen gegeben?
Unsere Absicht war dieselbe, die Don Giussani bewegt hatte, in seinen Seminarjahren zusammen mit dem späteren Erzbischof von Bologna, Enrico Manfredini, das Studium Christi zu beginnen. Er erhob gegen diese Absicht keine Einwände, vielleicht erblickte er in unserer Wahl sogar eine Verwirklichung jenes ersten Studium Christi.
Als Manifest unserer Gruppen wählten wir einen Satz, den Johannes Paul II. zu uns Priestern von Cl sagte, als er uns 1985 in Castelgandolfo empfing: „Erneuert beständig die Entdeckung des Charismas, das Euch fasziniert hat, und es wird Euch noch kraftvoller dazu führen, Diener jener einzigen Macht zu werden, die Christus der Herr ist!“

Welche neuen Faktoren bringt eine Gruppe von Priestern wie Ihr in das Panorama des kirchlichen Lebens?
Eben dies machte uns Don Giussani während einer Versammlung klar, als er von dieser unserer seltsamen Gruppe als von dem Beginn einer „Revolution“ sprach, die eine Neuheit in das Leben der Kirche würde bringen können: die Einheit unter Priestern lasse sich nicht von der übernommenen Funktion ableiten, sondern von einer Erfahrung, der Erfahrung des Charismas, das auch das Amtsverständnis als Priester verändert habe. Er sprach vom Haus des Studium Christi als „Wohnsitz“ und von der Pfarrei als Ort der Mission.

Welche Aspekte der Regel sind Euch am wichtigsten?
An erster Stelle das Schweigen. Don Giussani hat uns mehrere Male gesagt: „Daß Priester schweigen, persönlich und gemeinsam, das ist bereits eine Revolution des Bewußtseins.“ An nächster Stelle steht das Teilen „bis zum Tod“, das heißt die Nächstenliebe das ganze Leben hindurch. Und schließlich hat uns Don Giussani immer die Pünktlichkeit empfohlen „als Ausdruck des eigenen Stehens vor dem Geheimnis. Deshalb ist das Schweigen die Vertiefung des Bewußtseins vom Geheimnis und die Nächstenliebe ist der Ausdruck davon.“ Zusammenfassend kann man sagen, daß die Haupteigenschaft der Erfahrung des Studium Christi die totale Nachfolge Christi in der Bewegung ist. Wir möchten nichts anderes darstellen, sondern uns gegenseitig einfach helfen, die Aufgabe, die uns die Kirche gibt, gemäß dem Charisma zu leben, durch das Christus uns begegnet ist.

Wie reagieren die Pfarreien und die Bischöfe auf diese neue Form des Zusammenlebens unter Diözesanpriestern?
Nach den ersten Anfängen traf ich Personen, die mir dankten, weil sie in ihren Pfarreien die Priester, die dem Studium Christi angehören, verändert vorfanden. Ein Pfarrangehöriger sagte mir: „Wir sehen, wie der Pfarrer zurückkommt, nachdem er bei Euch war, und wir bringen dann gerne das Opfer, ihn nicht immer bei uns zu haben.“ Hieran sieht man, daß der Gegensatz Charisma – Amt nicht existiert, und unserer Meinung nach besteht er nur, wenn das Charisma nicht gemäß seiner Natur gelebt wird. Die Erfahrung der Bewegung bietet die besten Voraussetzungen, um die Rolle zu erfüllen, die einem von der Kirche zugewiesen worden ist.
Ein Bischof begleitete einen Priester des Studium Christi zu seinem Einzug in eine heruntergekommene, einsame und verlassene Pfarrei; als er zurückgekehrt war, sagte er mir: „Ich dachte nicht, daß der Zustand der Pfarrei so trostlos wäre, aber es tröstet mich, die Freundschaft unter Euch zu sehen.“ Nachdem Don Giussani dies erfahren hatte, zwang er uns, einen Terminplan festzulegen, damit jener Priester niemals alleingelassen werde. Und als er mich kurz darauf traf, beschwerte er sich, weil ich ihm noch keinen Tag zugeteilt hatte, um zu jenem befreundeten Priester zu gehen und ihm zu helfen!

Priester des Studium Christi leben auch im Ausland, in den Steppen von Kasachstan und den übervölkerten Städten der Vereinigten Staaten: Welches Gewicht hat die Mission in Eurer priesterlichen Erfahrung?
Alle Priester des Studium Christi haben die Bereitschaft erklärt, auch in die Mission zu gehen, und so entstanden mit den Jahren „Häuser“ in Kasachstan, Argentinien, Paraguay, Venezuela, Peru, Puerto Rico – immer in Verbindung mit Studium Christi von Mailand. Weitere Gruppen entstanden in den Vereinigten Staaten und anderswo. Derzeit gibt es etwa 250 Priester des Studium Christi auf der Welt. In Italien gibt es auch in Como und in Rimini Häuser. Und auch einer von uns, der Bischof geworden ist – Monsignor Vecerrica –, nimmt weiterhin am Leben der kleinen Gruppe des Studium Christi in der Region Marken teil.

Auf welche Weise seid Ihr mit der kirchlichen Wirklichkeit der Fraternität von Cl verbunden?
Wir sind keine „klerikale Superfraternität“, sondern nur eine der vielen Gruppen der einzigen Fraternität von Cl. Durch die persönliche Verantwortlichkeit innerhalb der je eigenen Gruppe erlebt jeder die eine und einzige Fraternität als seine geistliche Heimat. Wir wollten die Erfahrung des Charismas immer in der Funktion leben, die uns von der Kirche übertragen wurde. Das Charisma ist ganz einfach das Leben der Person selbst, während der Priester heute leider immer mehr auf seine Funktion reduziert wird. Aber nur, wenn man von einer persönlichen Erfahrung ausgehen kann, kann man auch wirksam eine Funktion übernehmen.

Während eines Treffens von Seminaristen vor vielen Jahren antwortete Don Giussani auf die Frage, was er jemandem raten würde, der sich auf das Priestertum vorbereite, trocken: „Daß er ein Mensch sein möge.“ Was bedeutet das für Dich?
Dieser Hinweis unterstreicht die Weise, in der man der Bewegung folgt: wenn man dies wegen einer Aufgabe, einer Rolle macht – und sei es die Rolle des Priesters –, geht es nie um das Ich. Wenn es hingegen deswegen geschieht, weil der Glaube für Dich die Antwort auf Deine grundlegenden Bedürfnisse ist, dann wird er das Sprungbrett für alles.

In einer Predigt für den Seminaristentag erklärte ein Priester, daß nach derzeitigem Stand der Dinge in den nächsten zehn Jahren mehrere Pfarreien nur einen Priester haben werden, einige vielleicht überhaupt keinen. Und er hat daraus den Schluß gezogen, daß es sich dabei um einen Akt der Vorsehung handele, weil nunmehr die Laien ihre Verantwortlichkeiten werden wahrnehmen müssen. Demnach wäre der Priester dann ja nicht so wesentlich ...
Der Priester ist unersetzlich, weil er den Vollzug der Sakramente sicherstellt; die Sakramente sind die Quelle und das Urbild des christlichen Lebens. Ohne Priester gäbe es keine Kirche. Das Tragische ist, daß der Niedergang des christlichen Lebens heute den Priester gleichsam überflüssig macht. Und die Tendenz, die ich heute sehe, geht nicht dahin, sich Sorgen zu machen über die Durststrecke an Erfahrungen, die wir in dieser Zeit durchleben müssen, sondern dahin, die Laien zu klerikalisieren. Kürzlich hat mir ein Akolyth (Kommunionspender) geschrieben: „Schon lange fragte ich mich, ob es in der christlichen Erfahrung rationale Gründe gibt. Als ich Euch getroffen habe, habe ich die Antwort gefunden.“ Als Laie war er in eine Rolle eingefügt worden, aber er hatte nie die Erfahrung von der Vernünftigkeit des Glaubens gemacht. Ein klerikalisierter Laie ist in gewisser Weise schlimmer als ein klerikalistischer Priester.
Alle unsere gemeinsamen Anstrengungen beim Studium Christi gelten dem Bemühen, nicht von der Erfahrung der Person zu einem bloßen Erfüllen der Funktion abzugleiten. Während unserer Versammlungen thematisieren wir nicht in erster Linie die seelsorglichen Probleme, über die natürlich auch gesprochen wird, sondern die Erfahrung, die wir leben: andernfalls würden wir Gefahr laufen, eine kleine und nutzlose, wenn nicht sogar schädliche „Superkurie“ zu werden. Durch unsere Erfahrung als Menschen wollen wir einen Beitrag zum Leben der Kirche leisten – das ist alles.