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Glaube - Afrika
Christsein in Afrika
Renato Farina

Armut, Aids, Unterentwicklung scheinen die einzigen Themen zu sein, wenn es um Afrika geht. Aber es gibt etwas, das dem vorausgeht und den ganzen Menschen betrifft.
Im Folgenden geben wir einige Beiträge von Afrikanern aus verschiedenen Nationen über ihre Erfahrung als Christen auf dem krisengeschüttelten Kontinent wieder. An dem Gesprächsforum, das von Spuren organisiert wurde, nahmen keine europäischen Missionare, sondern Freunde der Bewegung aus Afrika teil.
Omala Kizito, Kampala, Universitätsdozent für Statistik: Man muss die Lage in Afrika kennen, um zu verstehen, wie die Bewegung mein Bewusstsein geprägt hat. In unserer Kultur zählt die Eigenheit des Individuums nichts, nur der Klan zählt. Die Bewegung hat mir geholfen, die Einzigartigkeit des Ichs anzuerkennen. Vorher wusste ich nicht, was das ist. In der Vergangenheit ist uns das Christentum verkündigt worden, als handle es sich um eine überlegene Kultur, besonders von den Engländern. Eine überlegene Kultur, die unsere eigene Erziehung im Familienkreis, und sogar unsere Stammessprache auslöschen würde. Innerhalb der Bewegung habe ich gelernt, dass die Traditionen meines Volkes ein Warten auf die Erfüllung in Christus waren. Der Vorschlag der Bewegung bringt die Person zur Einheit mit sich und den anderen. Bei uns sind viele Menschen Christen, aber sie leben in Angst, und zwar so sehr, dass sie zur Zauberei Zuflucht nehmen. Die Bewegung ist hingegen eine Weggemeinschaft, in der es möglich wird, frei von Angst zu leben. Das Christentum ist die menschlichste Sache, die es gibt.
Francis Nkafor, Lagos, Angestellter in der Schulverwaltung: CL hat mir die Verbindung zwischen Glauben und Leben geschenkt. Ich war zwar bereits Katholik, aber ich befand mich in einer Krise, weil es keinerlei Zusammenhang gab zwischen dem Alltag und dem, was die Kirche mich lehrte. Giussani hat in mir diese beiden Schienen vereint, die nebeneinander herliefen; und zwar, indem er über afrikanische Probleme sprach. Ich hatte gedacht, dass ich mein Afrikanertum, meine Traditionen verlassen müsste, um Christ zu sein. So hatte man es mir eingebleut, und ich fühlte mich innerlich zerrissen. Giussani hingegen hat mich gelehrt, dass man die eigenen Traditionen nicht einfach überspringen darf, dass sie kein Missgriff der Geschichte sind. Die Traditionen führen mich in die Wirklichkeit ein, in ihnen begegnet mir Christus. Dadurch, dass ich Giussani gefolgt bin, habe ich die Kontinuität zwischen dem Christentum und meinen Eltern wiedergefunden. Das Christentum ist nicht europäisch! Es ist vielmehr ein Vorschlag, den die Europäer bereits vor langer Zeit akzeptiert haben - und jetzt ist es an uns. Ein erhellendes Vorkommnis: Vor ein paar Jahren ist Fideles, einer unserer Jungs, bei einem Unfall ums Leben gekommen. Wir sind ins Dorf gefahren. Für den Klan war dieser Tod völlig unannehmbar: Dunkle Kräfte, die es zu ergründen galt, seien schuld. Es sei das Ergebnis der Zauberei eines bösen Menschen. Unser Standpunkt hingegen unterscheid sich deutlich davon, er war verwandelt. Wir weinten und sie weinten. Aber das jeweilige Bewusstsein unterschied sich. Für sie stellte das Unglück etwas durch und durch Schlechtes dar, für uns hingegen steckte darin die Beziehung zu einem wohlwollenden Geheimnis.
George Pariyo, Kampala, Uganda, Professor für Medizin: Die Grundfrage der Probleme Afrikas betrifft die Menschlichkeit. Die Bewegung hat dieses Wissen wiedererweckt und es zu einer Erfahrung werden lassen. Dadurch haben wir wieder zu leben begonnen. Damals, in einer Zeit großer politischer Schwierigkeiten, wurde der Glaube in der Weihe an die Muttergottes fassbar, in dem Christus die Quelle eines neuen Lebens wird. Der Denkfehler liegt darin, den Vorschlag des Christentums nicht für alle wahr sein zu lassen: «Wir haben halt eine Frau, ihr Afrikaner habt drei. So ist das nun mal.» Als wäre jede Veränderung unmöglich. In der Kirche wird «Inkulturation» oft als Weg aufgefasst, das, was einem am Christentum gefällt, herauszulösen und es der afrikanischen Kultur anzupassen. Diese Haltung verengt den Glauben auf einen gesellschaftlichen Sachverhalt, auf kulturelle Vermittlung. Eine Begegnung jedoch verändert alles. Geduld ist vonnöten, aber die Veränderung geschieht. Als Beispiel kann man das Aids-Problem nehmen. Man behandelt uns, als ob wir unverbesserliche Tiere wären, Menschen, die ihre Instinkte nicht beherrschen können und denen man deshalb Kondome verordnen muss. Wir machen hingegen die Erfahrung, dass Erziehung möglich ist. Und aus Erfahrung wissen wir, dass die Zugehörigkeit zu Christus Orte formt, wo andere Beziehungen wachsen können. Sie verändert zum Beispiel die Auffassung von Sexualität.
Peter Karanja, Kenia, Ingegnieur: In Afrika herrschen Armut, Aids, Unterentwicklung und so weiter. Aber das kann es nicht sein, was uns bestimmt. Es kommt im Grunde auf unser Selbstverständnis in dieser verzweifelten Lage an. Es gibt Leute, die von außen kommen und behaupten, die Lösung zu haben. Wir werden hier von zwei Seiten zugleich angegriffen, durch die westliche Welt und den Islam. Beide löschen unsere Traditionen aus und geben eine falsche Antwort auf die Frage nach dem Geheimnis, die in unseren Traditionen lebendig ist. Für mich hat der Vorschlag der Bewegung in erster Linie bedeutet, mir meines eigenen Wertes bewusst zu werden, unabhängig von meiner derzeitigen Lage. Ich wurde angeleitet, meinem Leben auf den Grund zu gehen. Ich bin weder aus Zufall noch aus einem bösen Geheimnis heraus entstanden. Ich bin ein Geschenk, kein Unglück. Das ändert alles. Nur aus einer solchen Auffassung heraus können gute, sinnvolle Werke und andere Beziehungen wachsen.
Priscilla Ndonga, Nairobi, Kenia, Bankangestellte: Ich möchte auf die Erziehung eingehen, die normalerweise im Rahmen verschiedener Projekte auf Ausbildung oder Spezialisierung eingeengt wird. Die Leute merken zwar, dass jemand, der ein Zeugnis vorweisen kann, mehr zählt. Aber diese Erziehung hat uns überhaupt nicht geholfen. Möglicherweise kommen auch Spendengelder, aber das ändert nichts, denn die Menschen bleiben dieselben. Denn woran es wirklich mangelt, ist die Erziehung des Ichs. In der Bewegung wird uns geholfen, zu verstehen, dass wir von uns aus die Initiative ergreifen müssen. Aber nicht als Teil eines Programms zur sozialen Entwicklung, sondern um die Fülle unseres Lebens zu erlangen. Und das geschieht in der Begegnung mit Christus. Um dieses erzieherische Bedürfnis zu befriedigen, haben wir uns als Eltern zusammengetan und errichten jetzt Schulen. Aber die erste wahre Schule ist das Seminar der Gemeinschaft, denn ohne ein verändertes «Ich» verändert man sich nicht und man bringt sich bei gar nichts ins Spiel.
Veronica Ndung'u, Nairobi, Kenia, Gymnasialdirektorin: Es scheint zwar unglaublich, aber der Hunger ist nicht Afrikas Hauptproblem, sondern der gleiche Nihilismus, der auch die westliche Welt durchdringt. Er schleicht sich hauptsächlich unter den Akademikern und Studenten ein. Die jungen Leute haben keine Hoffnung mehr, auf gar nichts. Es kommt ihnen nur darauf an, irgendwie durchzukommen, die Prüfungen zu bestehen und, wenn man es nicht schafft, ist man am Ende. Das wahre Bedürfnis ist also eine umfassende Erziehung.
Ester, Kenia: Ja, aus dieser Methode erwachsen dann Werke und eine Nähe zu den wirklichen Bedürfnissen. Dank seiner Begegnung mit der Bewegung hat mein Bruder eine Hilfsorganisation aufgebaut.
Pater Peter Kamay, Jos, Nigeria, Theologe am Priesterseminar. Leider muss ich noch einen anderen Faktor in Erinnerung rufen: die Ausbreitung der Pfingstlersekten. Meine Studenten, also die künftigen Priester, neigen dazu, sie zu imitieren. Sie setzen auf Angst und nicht auf die Erfahrung einer größeren Menschlichkeit. Dadurch, dass wir uns gemeinsam mit Don Giussanis Werk Warum die Kirche beschäftigen, ändert sich die Lage allmählich.
Francis. Die Pfingstler antworten in Nigeria mit Gewalt auf die Gewalt des Islam. Sie haben das gleiche Glaubensverständnis, bei ihnen ist das Christentum ein Nicht-Christentum. Der Glaube stellt keinen Vorschlag an die Person dar, sondern einen Moralismus. Was fehlt, ist eine eigene Identität. Unsere Klinik in Lagos steht allen offen, auch den Moslems. Christus ist für jeden da. Wer zu uns kommt, trifft auf das, was wir sind - und steht frei vor dem Vorschlag.
Pascal Ouma, Kenia, Universitätsdozent für Informatik: Viele Afrikaner sind zerbrechlich, auch jene, die einen christlichen Hintergrund haben. Sie geben dem Nihilismus nach und stehen dem Islam machtlos gegenüber. Das liegt daran, dass für sie der Glaube nur einer unter vielen Aspekten des Lebens ist. Christus ist jedoch die Erfüllung des Lebens und aller Sehnsüchte des Herzens. Die größte Hilfe gegen den Nihilismus, der Menschen im Westen ebenso wie in Afrika angreift, besteht darin, die christliche Erfahrung auf wahre Art und Weise vorzuschlagen.
Veronica: In Kenia wie auch an vielen anderen Orten durchdringt der Islam die Gesellschaft. Es gibt Versuche, die sharia, das islamische Gesetz, in der Verfassung zu verankern.
George Pariyo, Uganda: Die muslimischen Studenten bei uns bekommen finanzielle Hilfe aus islamischen Ländern, auch Professoren erhalten Geld.
Kizito: Ich bin Lehrer an einer Schule, deren Direktor ein Moslem ist. Sein Vorgänger, der Katholik war, ist vertrieben worden. Die islamische Seite unternimmt große Anstrengungen, um die öffentlichen Schulen zu vereinnahmen.
Pater Peter: Der islamische Proselytismus benutzt nicht nur Geld (das im Norden Nigerias aus Saudi-Arabien kommt), sondern greift auch zur Gewalt. In letzter Zeit hatten wir vier große Konflikte mit zahlreichen Toten.
George: Auch im Gesundheitswesen geht die islamische Durchdringung systematisch voran. Wegen der Wirtschaftskrise um des Liberalismus willen verfallen alle sozialen Einrichtungen. Hier dringen die islamischen Organisationen erfolgreich ein. Unter diesem Blickwinkel erhalten wir keinerlei Hilfe von den europäischen Staaten. Die internationalen Geldgeber haben ihre Unterstützung vermindert. Und wer ersetzt sie? Die «privaten» islamischen Organisationen. Das angestammte Wirkungsgebiet der Katholiken waren die Schulen. Da jetzt die Finanzierung wegbricht, sind die Moslems auf dem Vormarsch.