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Aufmacher
Weihnachten: Das Geheimnis der Zärtlichkeit Gottes
Luigi Giussani

Aufzeichnung eines Gesprächs von Don Luigi Giussani bei Einkehrtagen der Memores Domini. Pianazze, 6. Januar 1976

Ich möchte die beiden Themen aufgreifen, die uns die Liturgie von gestern Abend vorgibt.i Bitten wir den Herrn um die Gnade, dass wir diese Worte mit lebendigem Herzen aufnehmen, denn sie sind wirklich Ausdruck dessen, was wir bereits von neuem Leben, von der neuen Wirklichkeit erfahren; sie sind Ausdruck dessen, was wir vom neuen Menschen erfahren.

1. Die Gewissheit des Lebens liegt in etwas, das geschehen ist
Wir sprachen gestern Abend von der Gewissheit als Bestand dessen, was wir sind, als Bestand unserer Person, unserer Zeit, unserer Identität. Wir machen diese Vorbemerkung und reflektieren über diese Voraussetzung, denn in ihr zeigt sich die Barmherzigkeit Gottes. Normalerweise suchen wir diese Identität, in dem, was wir tun oder haben, was in dieser Hinsicht dasselbe ist. So gewinnt unser Leben nie jenes Gefühl, jene Erfahrung vollkommener Gewissheit, auf die das Wort «Frieden» hinweist; jene Gewissheit und Fülle, jene vollkommene Gewissheit, ohne die es keinen Frieden und damit keine Fröhlichkeit und keine Freude gibt. Bestenfalls erreichen wir eine gewisse Genugtuung oder Selbstgefälligkeit. Die Fragmente der Genugtuung über das, was wir tun oder gegenüber dem, was wir sind, rufen aber keine Fröhlichkeit oder Freude hervor, keinen Sinn für eine Fülle, keine Gewissheit und keinerlei Erfüllung.
Wenn wir von diesen Vorbemerkungen ausgehen, von dieser Wahrnehmung unseres natürlichen Verhaltens, dann können wir wohl (wenn der Heilige Geist uns erleuchtet und unser Gemüt aufrichtet) die Behauptung besser verstehen, dass die Gewissheit unseres Lebens etwas ist, das in uns geschehen ist! Die Gewissheit ist etwas, das in uns geschehen ist, eingetreten ist, dem wir begegnet sind: Die Gewissheit als etwas, das in uns geschehen ist. Unsere Identität, der Bestand unserer Person, die Gewissheit der Zeit stimmen wortwörtlich mit dem überein, was uns geschehen ist. Emmanuel Mounier erklärt im Bericht über seine kranke Tochter zunächst «Etwas ist uns geschehen», doch dann verbessert er sich sogleich und sagt: «Jemand ist uns geschehen.»ii
Das Wort «Begegnung» ist noch etwas äußerlich. In der Tat zeigt es die äußere und vorläufige Form auf, in der sich uns das Ereignis darstellt. Das Wort gibt aber nicht den Inhalt wieder, es weist nicht auf den Inhalt des Ereignisses selbst hin. Jemand ist uns geschehen. Er hat sich uns hingegeben. Er hat sich uns so hingegeben, dass er in Fleisch und Blut und in die Seele eingezogen ist: «Nicht mehr ich lebe, sondern dies ist es, was in mir lebt.»iii
Wir wollen uns aber auf die Gewissheit konzentrieren, auf jenen Aspekt der Gewissheit, der auch die Hirten überraschte, als sie vor dem standen, was ihnen die Engel angekündigt hatten, als sie Ihn dort sahen: Die Gewissheit des Lebens in dem, was uns geschehen ist, die Gewissheit als etwas, das geschehen ist, etwas das uns geschehen ist.
Die Worte «Berufung» und «Sich-Hineinversetzen» sagen uns vielleicht etwas weniger aus dem Blickwinkel der Gewissheit, die in unser Leben Einzug hält, von der Tatsache, dass es ein Anderer ist, der sich in unser Leben einführt, als das Wort «Erwählung». Mehr noch als das Wort «Sich-Hineinversetzen» oder sogar Berufung (das zweifelsohne das angemessenste Wort wäre, wenn es vollkommen von der Unbestimmtheit, Abstraktion, Sentimentalität oder Eitelkeit gereinigt würde, die es in unseren Ohren hervorruft), ist das Wort «Erwählung» das passende, sowie die Worte «berührt sein» und «erwählt sein», «besiegelt sein»: «[Gott] hat uns auch das Siegel aufdrückt».iv Im Übrigen gebraucht man das Wort «Siegel» für die grundlegenden Sakramente, die für das Christsein wesentlich sind: Das Siegel, das uns den Charakter der Taufe und der Firmung gibt, das heißt das uns in unserem Sein verwandelt. Diese Verwandlung im Sein ist die Gegenwart eines Anderen.
Es gitl, sich hineinversetzen. Um diesen Augenblick gut zu erfassen und sich in ihn hineinzuversetzen, ist die Offenheit des Herzens, die Einfachheit des Herzens, die Armut des Herzens entscheidend! In dem Maße, wie uns die Armut des Geistes fehlt, können wir uns in gar nichts hineinversetzen. Denn sich in etwas hineinzuversetzen, bedeutet, die Haltung zu verlassen, in der man ist. Wir müssen uns in Maria hineinversetzen, wie sie Lukas im ersten Kapitel seines Evangeliums beschreibt oder den Hirten im zweiten Kapitel des heiligen Lukas oder den Weisen aus dem Morgenland im zweiten Kapitel des Markusevangeliums. Entsprechend ruft uns die heutige Messe das dritte Kapitel des Briefs an die Epheser in Erinnerung,v ein Abschnitt dieser drei phantastischen Kapitel, in denen der Inhalt dessen wiederholt wird, was uns geschehen ist, der Inhalt der Erwählung, der Berufung, die uns geschenkt wurde. Die Jungfräulichkeit ist die Perfektion der Berufung, die die Ankunft Christi in der Welt darstellt.
Wenn wir also diese Abschnitte lesen, wenn wir erneut auf diese Abschnitte des Evangeliums schauen, dann müssen wir innehalten und den Heiligen Geist darum bitten, dass er es uns ermöglicht, uns der Wirklichkeit Marias, der Hirten oder Weisen anzugleichen, uns in sie hineinzuversetzen: Sie sind «ergriffen», ihre Identität liegt in dem, was geschieht, oder besser in dem, was geschehen ist. Es ist der Plan, von dem der Brief an die Epheser spricht: «Den Menschen früherer Generationen war [das Geheimnis Christi] nicht bekannt; jetzt aber ist es seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist offenbart worden: Dass nämlich die Heiden Miterben sind, zu demselben Leib gehören und an derselben Verheißung in Christus Jesus teilhaben [...].»vi
Das Wort «Vorliebe» bedeutet in seinem etymologischen Sinne, dass wir geliebt sind, noch bevor wir uns dessen bewusst werden. Wir werden geliebt, noch vor unserer Antwort. Es ist jenes Geliebtsein, das eine unumkehrbare Tatsache darstellt, und unseren Wert in der Welt definiert. Geliebtsein bedeutet, in Seinem Plan sein, Sein Plan sein. Wie deutlich unterscheidet sich diese Erfahrung von der natürlichen Erfahrung, bei der wir allzu oft stehen bleiben. Während jene nur Verheißung, Vorankündigung, Einführung ist, die die Seele dazu bereitet, die Dichte und Tiefe zu verstehen, mit der der Herr sich mir hingegeben hat, bis er schließlich zu dem wurde, was mich bestimmt! Wie sehr unterscheidet sich die Beziehung dessen, was mit Maria, den Hirten, den Weisen geschehen ist, von der Beziehung, die die natürliche Erfahrung uns empfinden lässt gegenüber dem Geheimnis, das uns schafft!
Der heilige Bernhard sagt: «Zunächst liebt der Mensch sich selbst um seiner selbst willen [die instinktive Unmittelbarkeit] und versteht nichts anderes als sich selbst und außerhalb seiner selbst; wenn er aber einsieht, dass er aus sich heraus keinen Bestand gewinnen kann, dann beginnt er durch das Forschen des Glaubens, Gott als etwas zu lieben, was für ihn notwendig ist.»vii Die Beziehung zum Geheimnis auf der Ebene der natürlichen Erfahrung ist noch unsere Handlung, wie wir zuvor sagten, etwas, das von uns ausgeht. Und wir können bestenfalls Genugtuung über diese Beobachtungen empfinden. Sie können uns aber keine Gewissheit, keine Fülle und keinen Frieden schenken.
Der Mensch bleibt trotz dieser Intuition engherzig, denn die Engherzigkeit charakterisiert gerade den Menschen, der sich selbst so versteht, als habe er in sich selbst Bestand. Die Engherzigkeit besteht in der Begrenztheit des Maßes. Entsprechend erhebt diese natürliche Religiosität auch Ansprüche gegenüber Gott. Sie beklagt sich über Gott und neigt dazu, sich einen Gott nach eigenem Bild und eigener Vorstellung zu schaffen. Auch wenn sie in ihren reinen Augenblicken, in ihren authentischen Momenten, annäherungsweise mit einer gewissen Reinheit das vorahnt, was Gott für den Menschen ist. So etwa, wenn Tagore sagt: «Deine Jahrhunderte folgen aufeinander, um eine kleine Wildblume zur Vollendung zu bringen.»viii Denn um die Schönheit an Gestalt zu gewinnen, braucht eine kleine Wildblume sämtliche Jahrtausende der Evolution. So hat man quasi in einem flüchtigen Fragment die Vorahnung der Wirklichkeit als Plan Gottes.
Doch lasst uns jetzt einer der Hirten «werden»: Welche Konkretheit, welche Eindringlichkeit, welche vollkommen andere Ansehnlichkeit! Angesichts dessen wird die zuvor genannte Erfahrung zum «Gedanken», so wie - ich weiß nicht - der Gedanken, wenn jemand etwas Wohlschmeckendes mit Heißhunger wie ein Scheunendrescher verzehrt oder so, als ob man anfangen würde zu grübeln, während er umarmt wird. Wenn man in der Erfahrung einer Umarmung anfängt, darüber nachzudenken, dann heißt es, dass entweder die Liebe fehlt oder es eine tiefere Liebe gibt, die aufgrund eines vorgezeichneten Weges zum Verzicht einlädt.
Hier geht es nicht um die unbestimmte und allgemeine Beziehung des Menschen zum Geheimnis, zu Gott, sondern um etwas vollkommen Neues. Am nächsten kommt man ihm mit dem Beispiel, dass man unversehens die geliebte Person trifft oder die Person, die einem eine sichere Hilfe im Augenblick des Verfalls, des Dunkels, der Zerstörung, des Zusammenbruchs ist.
Doch es geht hier nicht eigentlich um den Punkt der Nützlichkeit, den das Beispiel nahe legt: Es geht um den Widerhall, den das Herz Mariens in jenem Augenblick verspürt haben muss und immer neu verspürte, als sie sich dessen bewusst wurde, was geschehen war, dessen, was sie in sich trug. Denn sie wurde sich dessen immer bewusster, wie die Evangelien wiederholt zeigen, wo es heißt, dass sie das, was ihr geschehen war, in ihrem Herzen erwog.ix Oder denken wir an das, was die Hirten empfanden oder die Weisen, als sie sich im Bewusstsein dessen, was ihnen gesagt worden war, Judäa näherten. Wir müssen uns in die Haltung dieser Menschen hineinversetzen. Auch wenn die Verkündigung bei ihrer menschlichen Wirklichkeit als Hirten ansetzt, die durch das einfache Verständnis der Propheten etwas erwarteten, und auch wenn die Gottesmutter aus dieser Betrachtung lebte, und die Weisen diese Erwartung lebten, so offenbarte sich ihnen dennoch das, was geschehen war, als etwas, das selbst das Bewusstsein der Erwartung übertraf. Es war nicht in erster Linie die Antwort auf eine Erwartung, sondern eine sich aufdrängende Gegenwart.
Der heilige Bernhard bezeichnet dies als den vierten Grad der Liebe Christi. Ich hatte zuvor über den ersten Grad gesprochen: Dass der Mensch, der sich selbst liebt und sich bewusst wird, dass er nicht aus sich selbst heraus Bestand hat, beginnt, Gott zu suchen und zu lieben. Doch dies ist noch ein Werk des Menschen. Davon unterscheidet sich, was ich soeben erläuterte: Es ist diese Haltung Mariens, dieser Blitzschlag, dieser Eindruck - sicherlich kann nur die Erfahrung des eigenen Lebens Vergleiche bieten, die diese Anrufung verständlich machen oder mit großer Einfachheit durch die Hinweise des Heiligen Geistes. Diese Haltung Mariens, der Hirten und der Weisen, war bestimmt von dem, was ihnen widerfahren war. Es bestimmte ihr Selbstbewusstsein. Angesichts des Kindes waren sie selbst dieses Kind, es war ihre Identität, ihre Gewissheit, ihre Fülle. Und sie erinnerten sich nicht mehr an das, was zuvor gewesen war. Angesichts dieses Kindes erinnerten sie sich nicht einmal mehr an ihre eigenen Erwartungen, sie dachten nicht mehr über sie nach, denn dieses Kind bestimmte mittlerweile alles.
Gewiss, wenn die Gottesmutter oder die Weisen in ihr Büro, in ihr Haus gegangen wären, um etwa die morgige Religionsstunde vorzubreiten, dann hätten sie sich Gedanken darüber gemacht und gesagt: «Dieses Kind antwortet auf alle Empfindungen, die wir zuvor hatten, und die auch ihr, meine lieben Schüler, habt.» Doch es ist nur ein Augenblick vorübergehender nicht wesentlicher Reflexion, die zu einem anderen Augenblick wesentlich wird: Sie wird nur in der Mission wesentlich. Die Mission ist gleichsam die Ausdehnung meines Eins-Werdens mit Christus zu einem Eins-Werden mit den anderen, das heißt mein mit Christus eins gewordenes Ich erweitet sich zu einem Eins-Werden mit den Menschen.
Der heilige Bernhard schreibt also über den vierten Grad der göttlichen Liebe und sagt, dass der Mensch dann «sich selbst nur um Gottes Willen liebt».x Dieses «um» ist für uns zerbrechlich und «zittrig» wie Seidenpapier, während es hier um große Pflöcke, um Säulen geht. «Sich selbst nur um Gottes Willen lieben»: Das ist dasselbe, was wir zuvor gesagt haben, als wir feststellten, dass das, was geschehen ist, meine Identität darstellt: Wenn ich also das liebe, was gesehen ist, dann liebe ich mich selbst, denn das, was geschehen ist, ist meine Identität.

2. Die Zärtlichkeit: Gott, der sich in unser Fleisch einfühlt
Eine Konsequenz hiervon zeigt uns die Liturgie dieses Tages auf. Und sie ist gleichsam wie der zweite Schritt im Verständnis dieses Begriffs «Gewissheit». Die Gewissheit ist die Fülle, die nicht in dem liegt, was wir tun - was nur zu einer vorläufigen Genugtuung führt -, sondern die Gewissheit dessen, was uns geschehen ist, und uns zur Fröhlichkeit und Freude führt.
Der zweite Schritt, der an der Wurzel dieser Freude liegt, ist das Wort «Zärtlichkeit». Denn Weihnachten ist das Geheimnis der Zärtlichkeit, der Zärtlichkeit Gottes mir gegenüber. Die Zärtlichkeit ist nicht die Selbstgefälligkeit oder Genugtuung über meine Gefühle gegenüber Gott oder Christus. Denn diese Selbstgefälligkeit im Empfinden ist dieselbe, von der ich bereits am Anfang sprach. Das heißt eine Genugtuung über das, was wir selbst tun. Die Zärtlichkeit ist keine Genugtuung über unser Empfinden, sondern ist die Haltung eines Menschen der sich Ihm anvertraut und dabei spürt, von der Liebe ergriffen zu sein, die uns erreicht, von Dem ergriffen zu sein, der uns genommen hat. Es ist das Empfinden, von dieser Gegenwart, von dem, was geschehen ist, von der Gegenwart dessen, was geschehen ist, ergriffen zu sein.
Es ist so wie beim Kind, das die Augen aufschlägt und ganz erfüllt ist, von dem, was es sieht, und keinen Platz für das Gefühl hat, was es empfindet oder für das Bewusstsein vom Gefühl, das es empfindet. Angesichts dessen, was es sieht, ist es ganz erfüllt vom dem, was es sieht. «Se diligit homo tantum propter Deum.»xi Der Mensch liebt sich selbst nur auf Grund dessen, was er vor sich hat, in Christus, in dem, was er vor sich hat, in diesem Ereignis.
Aber ich möchte, dass ihr die Aufmerksamkeit auf das Wort «Zärtlichkeit» lenkt. Denn die Tatsache, dass Gott, das Wort, das Geheimnis sich n unser Fleisch hineinversetzt hat, dieses Sich-Hineinversetzen des Mensch gewordenen Wortes, dieses göttlichen Fleisches, dieses Menschen in uns, in mir, ist eine Zärtlichkeit, die eine Million mal größer ist, nachdrücklicher, durchdringender als die Umarmung eines Mannes durch seine Frau oder eines Bruders durch seinen Bruder.
Diese Dinge versteht man aber nicht durch Nachdenken, sondern indem man auf die Worte schaut, die zusammenfassend die Erfahrung zum Ausdruck bringen, die diese Worte andeuten wollen. Und dann ist es nötig, mehr als ein Wort zu sagen. Man muss auf dieses Wort schauen - Zärtlichkeit - innerhalb des Bewusstseins dieser Identität zwischen Dir und mir, Dir mir gegenüber, oder besser, innerhalb des Bewusstseins dieses Ereignisses, das in mir Sitz genommen hat, dieses «Du, der du Ich bist».
Auch hier lässt die religiöse Intuition Dostojewskij, der von den christlichen Begriffen, in denen er aufwuchs, provoziert war, viele richtige Dinge spüren. In Die Brüder Karamasoff, lässt er den Oberen des Klosters Folgendes sagen: «In seinem feurigen Gebet flehte Alë?a keineswegs zu Gott, ihm seine Verwirrungen zu klären [denn er war in einem Augenblick der Versuchung], es dürstete ihn vielmehr nur nach jener freudigen Rührung, der früheren Rührung, die immer noch in seine Seele eingekehrt war, wenn er Gott gelobt und gepriesen hatte, worin auch gewöhnlich sein ganzes Gebet vor dem Einschlafen bestand. Diese Freude, die über ihn zu kommen pflegte, brachte dann einen leichten und ruhigen Schlaf mit sich.»xii
Es stimmt, dass die Charakteristik aller richtigen Intuitionen außerhalb des Gleichgewichts, das einzig in der Erfahrung der Kirche gegenwärtig ist - der wahren Kirche Christi, der Kirche von Rom, der katholischen Kirche -, stets eine Verkürzung, eine Einseitigkeit, eine Übertreibung ist, so als müsse sich diese Freude, um zu existieren, stets einen «leichten und ruhigen Schlaf» nach sich ziehen, oder dass sich diese Zärtlichkeit notwendigerweise als besondere Gestimmtheit nach dem Lob und der Verherrlichung Gottes einstellt. Wenn es aber diese Möglichkeit einer «Entgrenzung», eines Überbordens gibt, so wie heiße Milch überkocht, so ist der Kern der Beobachtung dennoch völlig zutreffend und für jeden von uns, so hoffe ich, verständlich. «In seinem feurigen Gebet flehte Alë?a keineswegs zu Gott, ihm seine Verwirrungen zu klären, es dürstete ihn vielmehr nur nach jener freudigen Rührung, der früheren Rührung, die immer noch in seine Seele eingekehrt war, wenn er Gott gelobt und gepriesen hatte.»
Diese Zärtlichkeit wird aber auf noch konkretere und treffendere Weise, noch mehr «in Aktion», von den letzten Worten der heiligen Klara an ihre Seele im Augenblick des Todes beschrieben: «Gehe hin in Frieden, denn du wirst gutes Geleit haben, weil der, der dich schuf, in dich die Vorsehung zur Heiligkeit hineinlegte, und weil dein Schöpfer den Heiligen Geist in dich einhauchte; und dann schaute er auf dich, wie eine Mutter auf ihr kleines Kind.»xiii
Geh hin in Frieden, du wirst gute Weggemeinschaft haben, denn Der, der dich geschaffen hat, hatte dich für die Heiligkeit vorgesehen, noch bevor du denken konntest, noch bevor du eine Vorstellung entwickeln konntest. Und nachdem er dich geschaffen hatte, gab er dir seinen Heiligen Geist und dann «schaute er auf dich, wie eine Mutter auf ihr kleines Kind».
Diese Worte verfallen sofort, wenn sie außerhalb dessen bleiben, was wir gesagt haben, sie verlöschen gewissermaßen, wenn sich das vernebelt, was sie sind, nämlich Hinweis auf das, was geschehen ist: Denn unsere Gewissheit, unsere Fülle, unsere Identität und unser Bestand ist etwas, das uns geschehen ist, Jemand, der uns «geschehen» ist und uns gesagt hat: «Komm mit mir, folge mir», wie im ersten Kapitel des Johannesevangeliums. Deshalb müssen wir neben den Gestalten von Maria, der Hirten und der Weisen auch auf das erste Kapitel des Johannesevangeliums schauen. Wir müssen es ab dem 35 Vers erneut bis zu Ende lesen und uns in Johannes und Andreas, in Simon, den Sohn des Jona, in Philippus und Nathanael hineinversetzen: Begreift ihr, dass für Nathanael, in dem Abschnitt des Evangeliums von gestern Abend, das, was er vor sich hatte, auf ihn eindrang und alle Aufmerksamkeit von sich selbst ablenkte, genau wenn ein Kind die Augen mit dem erfüllt hat, was es schaut?

3. Das Einbeziehende und die Freiheit von der Sklaverei der Sünde
Es gibt zwei Ausführungen, die sich aus dieser Konsequenz der Gewissheit ergeben, die die Zärtlichkeit darstellt. «Zärtlichkeit»: Das Gewollt-sein, das Angeblickt- und Erwählt-sein, man fühlt sich angesprochen wie Zachäus: «Ich komme zu dir nach Hause.»xiv Man vernimmt die Worte, die an den guten Schächer gerichtet sind: «Du wirst immer bei mir sein.»xv «Und dann hat er auch dich angeschaut ...»
Der erste Zusatz ist dieses Einbeziehende dieser Zärtlichkeit. Diese Zärtlichkeit hat ihren Höhepunkt, ihr Ideal an Reinheit, nicht im Ausschließen / Ausgrenzen von Dingen oder Personen, sondern in ihrer Einbeziehung. In dem von Hayen kommentierten Werk Die Mystische Theologie des Heiligen Bernhard, fasst Gilson den Gedanken des heiligen Bernhard wie folgt zusammen: «Nicht die Kälte [also das Abweisende] und das Schmachten reinigen die Liebe, sondern die Glut» und Hayen kommentiert: «... aber diese Reinheit ist im Wesentlichen einbeziehend (...): die Liebe zu Gott ist nicht vollkommen, wenn sie nicht all das einbezieht, was dieselbe Schöpferliebe des Allmächtigen Vaters einbezieht.»xvi Das, was die Zärtlichkeit reinigt, was die Liebe zu Christus reinigt, ist nicht die Kälte und das Schmachten, sondern die Glut, die einbezieht, die versucht, alles einzubeziehen, was der Vater geschaffen hat, entsprechend der Weise, wie der Vater es geschaffen hat:
«Nicht die Kälte und das Schmachten reinigen die Liebe, sondern die Glut». Nicht die Glut als gespannte Leidenschaft, die ganz von den Dingen und den Personen bestimmt ist, sondern jene, die von der Gegenwart bestimmt ist. Das Einbeziehende dieser Liebe, dieser Glut besteht darin, dass man diese Leidenschaft auch für die Dinge und Personen bekräftigt. Allerdings ist die reine Bekräftigung dieser Leidenschaft und Glut gegenüber den Dingen und Personen dann die Konsequenz der Gewissheit und der Fülle, die man lebt. Sie ist die Konsequenz der Fröhlichkeit und Freude, die man lebt. Sie die Konsequenz der Zärtlichkeit, die nur eine einzige ist: Die gewisse und erfüllte Zärtlichkeit, die aus Gewissheit und Fülle besteht, die das Fiat, das «es geschehe» der Gottesmutter zum Gegenstand hat oder das unmittelbare Vertrauen der Hirten oder die Bewunderung der Hirten oder die Bewunderung der Weisen oder die Bewunderung von Johannes und Andreas, von Simon, von Philippus und von Nathanael.
«Rein zu sein bedeutet, rein zu sein von jeglicher Verarmung»xvii, sagt wiederum Hayen. Das bedeutet, man liebt die Dinge und Personen so, dass sie nicht eine Verarmung bewirken. Und wenn sie nicht eine Verarmung bewirken sollen, dann müssen sie nicht aus einem Grund geliebt werden, der außerhalb von dem ist, was mir geschehen ist. Wenn sie nicht eine Verarmung bewirken sollen, dann müssen sie innerhalb dieser Zärtlichkeit ergriffen werden. Es ist in diesem Falle analog zu dem, was wir zu Anfang gesagt haben, zu jenem Satz des heiligen Bernhard, den wir zu Beginn zitiert haben, das heißt: der Mensch, der einsieht, dass er aus sich selbst heraus keinen Bestand haben kann, sucht Gott. Und an diesem Punkt ist auch die Überlegung, die Beobachtung, die man nun machen kann, analog. Denn es gibt keine Zärtlichkeit, die aus sich selbst heraus Bestand haben könnte, die die Zeit über standhalten könnte, und damit ist sie auch nicht in der Lage, Gewissheit oder Fülle hervorzubringen. Das, was die Liebe zu den Dingen und zu den Personen steigert, ist gerade diese Gewissheit und diese Fülle, die «Du» bist, «der Ich ist». «Rein zu sein bedeutet, rein zu sein von jeder Verarmung, frei von jedem Prinzip der Begrenzung, die die Fülle des Seins einengt». Was ist die Fülle des Seins? Das Bewusstsein dessen, was mir geschehen ist, das Bewusstsein Deiner Gegenwart, Du.
Die zweite Ausführung zur Zärtlichkeit besteht darin, dass die Sünde, unsere Sünde, nicht mehr bestimmend ist, sie versklavt uns nicht mehr.
Ich möchte euch zwei weitere Abschnitte von Dostojewskij vorlesen. Erinnert euch an die Bemerkung von Überbordendem wie die überkochende Milch. Es sind sehr wertvolle Abschnitte, wenn sie mit dem klaren, durchsichtigen und gewissen Blick der christlichen Erfahrung gelesen werden, der katholischen Erfahrung, unserer Erfahrung. Wie groß ist Gott doch, dass er uns durch die Entdeckungen anderer uns selbst verstehen lässt! «Liebet einander [es ist die Rede, die der Starec Zosima den anderen Mönchen hält] ihr Väter , liebet das Volk Gottes. Wir sind ja nicht deshalb heiliger als die in der Welt da draußen, weil wir hierher kamen und uns in diesen Mauern einschlossen; ganz im Gegenteil: jeder der hierher kam, hat ja schon gerade dadurch, dass er hierher kam, für sich erkannt, dass er schlechter sei als alle draußen in der Welt und alles und jenes auf Erden... Und je länger dann weiterhin der Mönch in seinen Mauern leben wird, um so schmerzhafter muss er auch dies erkennen. Andernfalls hätte es ja für ihn gar keinen Zweck gehabt, hierher zu kommen. Wenn er sich aber bewusst wird, dass er nicht nur schlechter ist als alle in der Welt, nein, dass er auch schuldig ist vor allen Menschen, für alle und jedes: schuld an alle Sünden der Menschen, [...] dann wird das Ziel dieses unseres Lebens erreicht sein [Christus am Kreuz: «Ihn, der von Sünde nichts wusste, hat er für uns zur Sünde gemacht»xviii]. Wisset ja, ihr Lieben, dass jeder einzelne von uns ganz zweifellos schuld trägt für alle und alles auf der Erde, und das nicht nur, sofern er Anteil hat an der allgemeinen Schuld der Welt, nein, ein jeder trägt auch unmittelbar für seine Person Schuld für alle Menschen und für jeden Menschen auf der ganzen Erde. Diese Erkenntnis bedeutet die Krone auf dem Wege des Mönches, ja überhaupt jedes Menschen auf der ganzen Erde. Denn die Mönche sind ja nicht ganz besondere Menschen, vielmehr nur solche, wie alle Menschen sein sollten. Nur in dieser Erkenntnis wird euer Herz gerührt sein in der Liebe, die grenzenlos ist, alle Welt umspannt und keine Sättigung kennt. Dann wird jeder von euch die Kraft haben, die ganze Welt durch die Liebe zu erwerben und durch seine Träne die Sünde der Welt abzuwaschen.»xix Das ist in jeder Hinsicht vollkommen (erinnert euch an Emanuel Mounier, der von seiner erkrankten Tochter sprach). Und es ist keine Heuchelei, wenn er sagt: «Wir sind hierher gekommen, weil wir uns als die schlechtesten unter den Menschen erkannt haben!»
Der zweite Abschnitt: «Warum man mich bedauern soll, sagst du? Ja, ich verdiene kein Mitleid. Kreuzigen sollte man mich, kreuzigen, aber nicht bedauern! Kreuzige, Richter, kreuzige, und nachher bemitleide den Gekreuzigten! Dann will ich selbst zur Kreuzigung zu dir kommen; denn ich lechze nicht nach Freuden, sondern nach Leid und Tränen!? Meinst du, Schankwirt, dass deine Flasche Schnaps mir ein Genuss war? Leid, Leid habe ich auf ihrem Grunde gesucht, Leid und Tränen, und die habe ich gefunden und gekostet; Mitleid aber wird mit uns der haben, der mit allen Mitleid hat und alle und alles versteht, er, der Einzige, er wird Richter sein. Er wird an jenem Tage kommen und fragen: ,Wo ist die Tochter, die sich um der bösen, schwindsüchtigen Stiefmutter und der fremden Kinderchen willen zum Opfer gebracht hat? Wo ist die Tochter, die mit ihrem irdischen Vater, einem verkommenen Trunkenbolde, Mitleid hatte, ohne vor seiner Verrohung zu erschrecken?" Und er wird sagen: "Komm her zu mir! Ich habe dir schon damals vergeben ? dir schon damals vergeben. Vergeben wird dir auch jetzt deiner Sünden Menge, denn du hast viel geliebt ?" Und er vergibt meiner Sonja, er vergibt ihr; ich weiß, dass er ihr vergibt ? Das habe ich noch eben erst, als ich heute bei ihr war, in meinem Herzen gefühlt! ? Und alle wird er richten und allen vergeben, den Guten und den Bösen, den Weisen und den Einfältigen ? Und wenn er dann mit allen fertig sein wird, dann wird er auch zu uns sprechen: "Kommet her", wird er sagen, >auch ihr! Kommet her, ihr Säufer, kommet her, ihr Willensschwachen, kommet her, ihr Schamlosen." Und wir werden alle kommen, ohne Scheu, und vor ihn hintreten. Und er wird sagen: "Schweine seid ihr, Ebenbilder des Viehes; aber kommet auch ihr zu mir!" Da werden die Weisen und die Klugen sprechen: "Herr, warum nimmst du diese auf?" Und er wird sagen: "Darum nehme ich sie auf, ihr Weisen, darum nehme ich sie auf, ihr Klugen, weil auch nicht einer von ihnen sich dessen selbst für würdig gehalten hat?" Und er wird uns seine Hände entgegenstrecken, und wir werden vor ihm niederfallen ? und werden weinen ? und werden alles verstehen! Dann werden wir alles verstehen! ? Und alle werden es verstehen, ? auch Katerina Iwanowna, ? auch die wird es verstehen! ? Herr, dein Reich komme.»xx
Ich habe den Abschnitt wegen dieses letzten Satzes gelesen: «Und er wird uns seine Hände entgegenstrecken, und wir werden vor ihm niederfallen ? und werden weinen! Dann werden wir alles verstehen! ? Und alle werden es verstehen». Dies ist wahr innerhalb des Geheimnisses der Gerechtigkeit Gottes, es ist aber auch als Erwartung wahr, es ist wahr, weil es von der Barmherzigkeit Gottes nahe gelegt wird. Und für den, der wie wir in den Schoß der Kirche berufen ist, der wie wir eine authentische christliche Berufung erfährt, der wie wir eine Berufung zur Jungfräulichkeit hat, für den geschieht das in dieser Welt, beginnt in dieser Welt zu geschehen, in dieser Welt streckt Er uns seine Hände entgegen.
Dostojewskij hatte nicht das Bewusstsein des Ereignisses, wie wir es haben, er war sich nicht bewusst, dass seine Identität die Tatsache war, die geschehen war. Er empfing davon nur den Widerschein und zurecht einen guten Widerschein, er beschränkte sich auf die Haltung, die die Erinnerung Christi einflößt. Wir denken und sehen dieses «Ende der Welt» als ein Ereignis, das bereits geschehen ist.
Versteht ihr also, wie der heilige Johannes in seinem ersten Brief sagen kann: «Wir reinigen uns, so wie er rein ist»xxi, weil es in diesem Augenblick, der in Schuld und Sühne von Dostojewskij beschrieben wird, in diesem so verstandenen Ende der Welt, unmöglich ist, die Sünde zu lieben, es ist unmöglich, die Sünde zu planen, es ist unmöglich, an der Sünde festhalten zu wollen!? Dieses Ereignis, dieses Ereignis der Vergebung währt fort: Deshalb schließt die Befreiung aus der Sklaverei der Sünde die Tatsache ein, dass unser Fehler uns niemals so sehr im Griff hat, dass er für uns zum Programm, zur Fessel wird. Das Ereignis dieser Vergebung ist unablässig, so dass es uns aus ganzem Herzen ersehnen und bitten lässt, dass uns Gott auch von der Versuchung befreit, wie es das Vater Unser erbittet. Das Böse bleibt böse, ja wir verstehen dies letztlich sogar nur in diesem Zusammenhang. Weshalb werden wir uns « werden vor ihm niederfallen und ohne Unterlass weinen und alles verstehen»? Weshalb werden wir ### weinen? Weil wir verstehen, was das Böse und die Sünde ist. Und wir verstehen sofort, was das Böse und die Sünde ist, weil - wie wiederum jenes geistliche Genie, das der heilige Bernhard ist - sagt: «unde anima dissimilis Deo, unde dissimilis et sibi»xxii, wo die Seele Christus unähnlich wird, wird sie sich selbst unähnlich. Das heißt, es gibt keinen Gegensatz zwischen der Liebe zu Christus und der Liebe zu sich selbst, weil Christus unsere Identität ist, sie ist das Ereignis dessen, was uns geschehen ist. Und in der Tat wirkt gerade die Sünde, gerade der Fehler auf unsere Gewissheit und unsere Fülle so zerstörerisch wie eine Bombe ein. Aber kaum, dass der Rauch der Detonation verzogen ist, erkennt man wieder seine Gegenwart; seine Zärtlichkeit ist noch vorhanden. Das befreit uns. Und im Laufe der Zeit gleicht dies zu sich auch die Schwingungen unseres Leibes und unseres Geistes an, so dass sich eben dieses Hervorgehen und Entstehen unseres Geistes und unseres Fleisches langsam oder mit großen Schritten - je nach dem Plan des Vaters - ihm angleichen, nach seinem Geiste.

4. Damit das Leben zur Mission wird
Schließen wir diese Betrachtung über die Gewissheit, über die Fülle unseres Seins, indem wir die Erfahrung erneuern, die das Wort «Freude» in unserem Gedächtnis hervorruft. Unsere Freude liegt in einem Anderen. Wir erhoffen sie nicht von dem, was wir haben oder haben werden, von dem, was wir tun oder tun werden: Unsere Freude liegt in seiner Gegenwart und seinem Handeln, mirabilia Dei, in seinem Wirken an uns und unter uns: «Sucht jeden Tag das Antlitz der Heiligen und findet Ermutigung darin.»xxiii Unsere Freude liegt in seinem Handeln an uns und unter uns. Lest deshalb die Kapitel 60 bis 62 von Jesaja: Die Betonung der Freude bei seiner Vorhersage der Zukunft wird auch in unserer Seele Freudensprünge hervorrufen und Anknüpfungspunkte in unserer Erfahrung finden.
Die Form der Beschreibung dieser Kapitel von Jesaja, die die Freude betreffen, eine Freude, die die Freude Jerusalems ist, auf die inzwischen die ganze Welt blickt - führt uns zum zweiten Schlüsselwort, das uns die Liturgie von gestern Abend vorgelegt hat, als wir sagten: Weshalb ist er den Weisen erschienen? Nicht umsonst ist das Fest der Erscheinung des Herrn, die Epiphanie in der Kirchengeschichte das Missionsfest schlechthin gewesen. Und nicht zufällig wurde Weihnachten mit der Erscheinung des Herrn identifiziert, das heißt mit dem ersten Offenbarwerden des unter uns geborenen Gottes, des Gott-Menschen in der Welt.
Das Leben Christi war nicht seines, es war für die Mission. Das Leben Marias war nicht ihres, es war für die Mission. Jenes Leben der Hirten gehörte ihnen, bevor sie ihn sahen und die Botschaft empfingen. Doch dann gehörte es nicht mehr ihnen, sondern war für die Mission da; auch wenn sie mit ihren Frauen, mit ihren Kindern, mit ihrer Herde zu Hause blieben. Was war aber ihre Botschaft in ihrer Umgebung, in ihrem Dorf, die Botschaft, die sie mitteilten und die sie sich und anderen erzählten? Jenes Leben, das für die Weisen bis zu jenem Augenblick das ihre war, blieb nicht mehr das ihre.
Damit versteht man auch den Abschnitt aus dem Johannesevangelium von gestern Abend besser, der ganz von der Bruderliebe handelt. Es heißt dort: «Ängstigt euch nicht, wenn die Welt euch hasst»xxiv, die Welt wird euch zwangsläufig hassen. Der Hass wird hier vor allem als völlige Entfremdung verstanden, denn der wahre Hass ist die Entfremdung. Versuchen wir uns in die ganzen Menschen um Maria, die Hirten und die Weisen hineinzuversetzen. Wie wurden sie beurteilt? Als Verrückte. Wie wurden sie eingeschätzt? Als seltsam, verschroben. Die Leute meinten, diese seien von einer anderen Welt, losgelöst von der Erde, in einer leeren Phantasiewelt.
So ist unser Leben nicht mehr das unsrige. Unser Leben ist statt dessen Mission, es ist die Mitteilung dessen, was geschehen ist. Unser Leben besteht darin, das mitzuteilen, was geschehen ist, daher diese unsere Gegenwart zu einer Communio zu machen, die Präsenzen, auf die wir treffen, zu einer Communio zu führen, das Wunder Seiner Gegenwart zu erneuern, das Ereignis mit den anderen zu erneuern, das Er mit uns verwirklicht hat: Mit den anderen, den Dingen, mit allem.
Es ist beeindruckend und erschütternd, wenn man sich bewusst wird, wie die andern uns als fremd empfinden, je mehr wir versuchen, diese Dinge zu leben! Wir sehen dies selten, weil wir eine instinktive Angst davor haben, während gerade die Bemühung des Sich-Hineinversetzens, von dem ich spreche, uns auf anschauliche Weise die genaue Wahrnehmung des neuen Antlitzes erlaubt, das in uns ist. Und mit diesen anderen sind fast alle gemeint und dabei spreche ich auch von jenen in der Bewegung, von fast allen in der Bewegung, für die die Bewegung und damit das Christentum weiterhin darin bestehen wird, Initiativen zu ergreifen, Reden zu halten oder eine doch gute Empfindung der Nächstenliebe zu spüren, Menschen zu begeleiten, Hilfestellungen zu leisten, für die sie aber nicht das neue Ereignis ist. Sie haben noch nicht erfahren, wie «ihnen die Hände entgegengestreckt sind, um vor ihm niederzufallen und ohne Unterlass zu weinen und alles verstehen.» Deshalb erfahren sie auch in der Aussage «Dein Reich komme» nicht den höchsten Ausdruck der eignen Person, des eigenen Selbstempfindens, wie dies hingegen bei Dostojewskij für Sonia gilt: «Oh Herr, möge Dein Reich kommen.» Das ist die Bitte, die alles Gestrüpp und Stroh unserer Person bis in die Wurzeln verbrennt, um allein das Gold freizulegen. Es ist das Gestrüpp und Stroh unserer Sehnsüchte und unserer Projekte, die als Anspruch gelebt werden.
Was uns geschah, passierte, damit unser Leben zur Mission wird, zur Sendung im Fleisch, zur Sendung in unserem Fleisch. Es gibt keine Trennung zwischen der Drehbank und den Händen, die sie antreiben, zwischen der Schreibmaschine und unserem Herzen und unserem Gesicht, denn alles ist der Leib des Menschen!
Mission bedeutet deshalb, das zu vergegenwärtigen, was unter uns zur Gegenwart geworden ist, und zwar da, wo wir sind, gleich wo wir sind. Wenn jemand von uns zur Arbeit geht, ohne im Herzen auszurufen und sich zu wiederholen: «Dein Reich komme»; wenn jemand von uns zur Universität oder Schule geht, ohne zu sagen: «Dein Reich komme», dann lebt er nicht die Mission. Und wie ist es möglich, «Dein Reich komme» zu sagen, und dabei sich so gleichgültig zu verhalten, wie wir es normalerweise anderen gegenüber tun, den Freunden, die da sind? Wie können wir sagen, «Dein Reich komme», ohne zu versuchen, ihnen das mitzuteilen, was uns geschehen ist, indem wir es in ihren Nöten und ihrer Mentalität einverleiben, in ihren Initiativen und ihren Schwierigkeiten? Wie können wir in unserem Haus leben, wo auch immer es ist, ohne zu sagen: «Dein Reich komme», «Dein Reicht komme hier her»? Das heißt natürlich nicht notwendigerweise, dass ihr gleich alle aus eurem Wohnblock zu euren Treffen einladet. Das meine ich nicht. Ich meine etwas, was auch damit identisch sein kann, aber den Zeiten und Formen entspricht, auf die die Umstände hinweisen werden.
Und diese missionarische Aufmerksamkeit macht euer Leben zu einer Strategie Gottes, die unser Leben mit der Strategie Gottes identifiziert, mit dem Plan Gottes. Unsere Person identifiziert sich mit seiner Gegenwart, mit der Gewissheit und Fülle, der Zärtlichkeit, der Fröhlichkeit und Freude: denn das ist Weihnachten. Ich lege hier Weihnachten aus, das Jesuskind. All das ist uns gegeben, damit unser Leben zur Mission wird, das heißt damit unser Leben in den Plan Gottes eintritt, mit dem Plan Gottes übereinstimmt, mit der Strategie Gottes.
Die Alternative besteht aber nicht darin, die Memores Domini oder die Bewegung zu verlassen. Mann kann wohl in der Bewegung und bei den Memores Domini bleiben, ohne dies zu leben. Unser Christentum bleibt dann aber intellektualistisch (Reden und Initiativen, von den kleinsten zu den größten, vom Geldsammeln für Kooperativen bis zum Verfassen von Flugblättern oder Ausbildungskurse organisieren) oder aber sentimental. Eine rein sentimentale Gefühlsduselei. Der Intellektualismus oder die Gefühlsduselei sind das genaue Gegenteil der Gewissheit und der Zärtlichkeit. Genau in dieser missionarischen «Übereinstimmung» unseres ganzen Seins, unseres Lebens, der äußeren und inneren Beweggründe unserer Person, «erweist sich», beweist und nährt man die Wahrhaftigkeit dieser Gewissheit und die Möglichkeit der Zärtlichkeit, durch die sich unser Leben einbezogen und gestützt erfährt. Wenn das Ereignis meine Identität ist, dann muss sich meine ganze Person dadurch einbezogen, geprägt und durchdrungen fühlen. Gewissheit und Zärtlichkeit: Beides erfährt man gerade in der Mission.