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Kultur - Chorgesang
Ein Chorleiter und seine Jungen
Marco Bona Castellotti

Ein Erzieher mit einer Leidenschaft für den Gesang nimmt eine Stelle in einem Internat für schwer erziehbare Jungen an. Die Beziehung zu seinen Schülern bestimmen Zuneigung und Positivität. Den Schülern eröffnet sich damit die Möglichkeit einer ganz neuen Zukunft

Wenn Christen durch ein Kunstwerk ein Zeugnis ihres Glaubens geben wollen, dann brauchen sie dazu keine Ayatollah-Rufe am Stadtrand, ja sie brauchen nicht einmal unbedingt auf eine Sprache zurückzugreifen. Ganz im Gegenteil: diese Möglichkeit bietet auch ein so klassischer und poetischer Film wie Die Kinder des Monsieur Mathieu, den der französische Regisseur Christophe Barratier 2004 drehte. Ich kann diesen Film nur jedem empfehlen, auch wenn er trotz seines Erfolgs in Frankreich, in Italien fast unbeachtet geblieben ist.
Barratier hat die Originalfassung des französischen Films mit dem Titel La cage aux rossignols aus dem Jahr 1949 für ein Publikum von heute neu «interpretiert». Die Geschichte, die Barratier in langsamen, aber zugleich dichten Bildern erzählt, spielt 1949 in einem Internat, dessen Name «Fond-de-l'Étang» gewissermaßen Programm ist. Es handelt sich nämlich um ein Internat für «schwer erziehbare Jungen» in der französischen Provinz. Eines Tages fängt dort ein neuer Erzieher namens Clément Mathieu an. Mathieu ist ein eher unauffälliger Typ mittleren Alters, liebenswürdig, zuweilen auch melancholisch, einer, der durchgreift, aber auch seiner Zuneigung Ausdruck verschafft. In seiner Freizeit schreibt er mit Begeisterung Lieder zumeist religiösen Inhalts.

Vollkommene Ungeschuldetheit
Mathieu lässt sich auf eine Beziehung zu den Jungen ein, für ihn sind es «seine Kinder». Er begibt sich mit ihnen auf einen erzieherischen Weg und übt mit ihnen den Chorgesang ein. Diese Arbeit wird mit der Zeit so intensiv, dass die Wahrheit der Beziehung zu Mathieus Schülern sichtbar wird. So gewinnt die Harmonie der verschiedenen Stimmen des Chores auch symbolischen Wert. Diese beinahe vollkommene Harmonie entsteht durch die klare Positivität, die Mathieu ausstrahlt und um sich herum verbreitet. Diese Harmonie bricht auch den Widerstand der größten Rebellen. Es ist eine vollkommen neue Erfahrung, die sie mit Mathieu machen, da er alles ganz ohne Berechnung tut. Mathieu lebt eine vollkommene Ungeschuldetheit, wie sie Don Giussani in Si può vivere così? beschreibt. Mathieu gibt allein um des Gebens willen, er liebt allein um der Liebe willen; durch ihn wachsen Gewissheit und Hoffnung, die wiederum der Sauerteig all seines Tuns sind, aber er erwartet für sich selbst nichts zurück, will keine Gegenleistung. Der grausame Heimleiter Rachin setzt in seiner Erziehung hingegen auf das idiotische Schema «Aktion - Reaktion». Mathieu stellt dieser Methode die Vernunft der Freiheit entgegen. Diese Thematik verarbeitet Mathieu auch in dem Lied «Der große Adler». In den Jungen des Heims weiß er «die Sehnsucht nach Freiheit» zu lesen, wie zum Beispiel bei dem Jungen, der davon träumt, sich mit dem Geld, das er anderen stiehlt, einen Heißluftballon kaufen zu können und damit in die Freiheit zu fliehen.

Gut und Böse
Die Positivität Mathieus ist so prägend, dass sie auch vor Rachin nicht Halt macht. Aber wie im Gleichnis des Sämanns, stirbt der Same in ihm sofort, denn Rachin verkörpert ein wenig das Böse. Er ist die einzige negative Gestalt. Die christlichen Kategorien des Guten und des Bösen lassen sich nur als Gegensätze darstellen. Beim Kampf in der Welt siegt das Gute ohne zu triumphieren, ohne Zweideutigkeit. Als Mathieu am Ende das Internat als «erfolgloser Musiker und arbeitsloser Erzieher» verlässt, wünscht er sich, seine Kinder könnten sich von ihrer Gleichgültigkeit lossagen und kämen ihn verabschieden. «Geduld», murmelt er leise vor sich hin, da sie sich nicht blicken lassen. Aber als er unter dem Fenster des Klassenzimmers im ersten Stock vorbeigeht, fallen plötzlich viele kleine Zettelchen herab, auf die die Schüler ein paar letzte Abschiedsgrüße gekritzelt haben. Im Laufe dieser Monate hatten sich alle verändert, der eine mehr, der andere weniger. Auch in Pierre Morhange - eine Figur, die im Film besonders klare Konturen annimmt - hat eine Veränderung statt gefunden. «Ange» steht für Engel; auch wenn Morhange ein Engelsgesicht hat, hat sich doch um sein Herz eine Eiskruste gelegt, die Mathieu aufzubrechen weiß. In der Tat: er hat eine Stimme wie eine Nachtigall. Jahre später wird aus ihm ein großer Orchesterdirigent.
Mathieu lernt auch Pierres Mutter Violette kennen. Sie ist eine wunderschöne Frau, die die anderen Frauen, die die Kinder in «Fond-de-l'Etang» normalerweise besuchen kommen, an Schönheit weit übertrifft. Mathieu empfindet für sie mehr als reine Sympathie und sein Gesicht hellt sich auf, als er hört, dass ihr Leben sich seinetwegen verändert hat. Mathieu habe ihr Glück gebracht. Als Violette ihm eröffnet, dass sie in Lyon einen Ingenieur kennen gelernt hat, nimmt Mathieu dies gefasst auf.
Beim jungen Morhange tritt die Veränderung später ein. Mathieu ist da schon nicht mehr da. «Dadurch dass er auf die eigene Kindheit zurückschaut», ist er fähig, sich von seinem Panzer und aus der Einsamkeit, in die ihn sein Stolz gedrängt hat, zu befreien. Mathieu war in der Lage, den Panzer zu durchbrechen, weil er darin jenseits des äußere Anscheins auch das zu lesen vermochte, was nicht nach außen drang: «die Freude darüber, dass er Vergebung gefunden hatte» und eine «Art von Dankbarkeit», die ihm gegolten hatte.