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Editorial
Erziehung


Mitte November haben sich über 50 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Italien in einem Appell dafür ausgesprochen, dem Thema Erziehung mehr Bedeutung beizumessen. «Wenn das Volk eine Erziehung hätte, ginge es allen besser», lautete ihr Motto. Damit stießen sie bei zahlreichen Mitbürgern quer durch alle gesellschaftlichen Schichten auf offene Ohren. Zugleich war man sich einig: Der Appell allein genügt nicht.
Ob in der Zeitung, im Radio, in E-mails oder Telefongesprächen, das Thema ist allgegenwärtig. Zugleich zeigt das Interesse die wachsende Sorge der Bevölkerung angesichts der Zukunft sowie die Bereitschaft, sich der Herausforderung zu stellen.
«Erziehung» war auch ein Schlüsselwort im Leben und Wirken Don Giussanis. Er hatte beizeiten erkannt, womit Intellektuelle, Politiker und auch Kirchenmänner später als bittere Realität konfrontiert wurden: dass es bei der Erziehung tatsächlich um die Zukunft eines Volkes geht. Wird ihm keine angemessene Erziehung angeboten, dann droht unweigerlich - besonders in Krisenzeiten - das Auseinanderbrechen jeder Gesellschaft. Davon sind wir derzeit Zeugen.
Die offenen oder schwelenden Konflikte unserer Zeit, können nur dann gelöst werden, wenn die Menschen unablässig zu einer positiven Einstellung gegenüber der Existenz erzogen werden. Allerdings ist dies nicht auf der Grundlage eines herbeigeredeten Optimismus zu haben. Allein ein geschichtlich verbürgtes Ereignis kann eine solche Hoffnung geben und aufrechterhalten. Das Ereignis in der Geschichte der Menschheit, das Anlass hierzu gibt, ist Jesus Christus, dessen Geburt wir bald wieder feiern. Die Lebensgeschichte unzähliger Frauen und Männer belegt dies seit Jahrhunderten ebenso wie die Existenz einer Zivilisation, die - in ihrem Ansatz vom christlichen Glauben geprägt - stets die Entwicklung, den Wohlstand und die Würde von allem, was lebendig ist, gefördert hat. Deswegen kommt es darauf an, das «Konzentrat» dieser Geschichte (also das, was wir «Tradition» nennen) als Arbeitshypothese für die Lösung der Probleme vorzuschlagen, vor die die Wirklichkeit uns stellt. Doch genau dagegen wehrt man sich, ja selbst Christen versuchen, dies zu verhindern.
Das Thema Erziehung betrifft daher alle in unserer Gesellschaft, nicht nur die junge Generation. Und selbst wenn eine Minderheit von Entscheidern in dieser Gesellschaft allein damit beschäftigt zu sein scheint, ihre eigene Zukunft zu sichern, so gibt es doch bereits ein ganzes Volk von Müttern und Vätern, Gelehrten und einfachen Arbeitern aller Couleur, die in eine andere Zukunft wollen - eine Zukunft, die nicht nur die der je eigenen Partei ist. Und keinem ist es verwehrt, sich ihnen anzuschließen.
Erziehung ist kein abstraktes Thema oder bloßer Gegenstand akademischer Debatten. Es geht vielmehr um einen konkreten, existenziellen Lebensvollzug: Erziehung hat mit der Freiheit dessen zu tun, der etwas vorschlägt und dessen, der zur Antwort herausgefordert wird. Von Erziehung kann man also nur sprechen, wenn man damit einen erzieherischen Weg meint und diesen allen anbietet. Das Wagnis, einen konkreten Vorschlag zu machen, muss man allemal eingehen. So wie es Don Giussani stets getan hat.