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Südostasien
Die Natur ist von Gott geschaffen. Sie ist gut, aber unvollkommen.
Marco Bersanelli

Beitrag eines Wissenschaftlers

Auch in der Morgendämmerung des dritten Jahrtausends entfesselt die Natur noch ihre Wut und fordert ihre Opfer. Nicht nur in den großen Katastrophen wie dem schrecklichen Tsunami Ende Dezember, sondern alltäglich: Überflutungen, Krankheiten, Erdbeben, Brände. Man denke nur daran, dass jedes Jahr über 1000 Menschen vom Blitz erschlagen werden. Aber die todbringenden Elemente der Natur (Feuer, Wasser, die Bewegung der Erdkruste) sind dieselben, denen wir das Leben verdanken. Besonders die Erdbeben stehen in einem tiefen Zusammenhang mit der Möglichkeit unseres Daseins. Die seismische Aktivität ist direkter Ausdruck der langsamen und gewichtigen Bewegungen der Platten der Erdkruste, die über die darunter liegenden Schichten des Erdmantels gleiten. Kein anderer Planet im Sonnensystem hat eine ähnliche geologische Struktur. Und dies ist einer der Gründe für die außergewöhnliche Fähigkeit der Erde, ihre mittlere Temperatur, derer es für die biologische Evolution bedarf, über Milliarden Jahre hinweg stabil zu halten. Das bedeutet paradoxerweise: Wenn wir über hinreichend empfindliche Instrumente verfügten, könnte ein Indiz für die Suche nach extrasolaren Planeten, die fähig wären, Leben zu beherbergen, gerade darin bestehen, an ihrer Oberfläche eine vergleichbare seismische Aktivität nachzuweisen.

Das seismische Ereignis, das Südostasien verwüstet hat, ist enorm: Mit der Größenordnung 9,0 ist es das viertschwerste seit 1900. In weniger als vier Minuten hob sich ein riesiges Gebiet am Boden des Ozeans um zehn Meter und setzte dabei eine Milliarde Joule frei, das entspricht 23.000 Atombomben. Aber selbst diese Schwindel erregenden Zahlen sind nur ein kleines Säuseln im Vergleich zu den Energien, die normalerweise auf planetarer Ebene wirken, damit die Erde als Ganzes nichts davon mitbekommt. Es gab viel Gerede über die bleibenden Veränderungen in Folge des Tsunamis in Südasien. Aber die Verlagerung der Erdachse (drei Zehntausendstel Grad) und die Verlangsamung der Dauer des Tages (zwei Millionstel Sekunden) liegen weit unterhalb der normalen Schwankungen. Sie sind auf globaler Ebene unerheblich und sogar zu klein, um messbar zu sein.

Eine Kräuselung des Ozeans, ein nicht wahrnehmbarer Hauch auf der Haut unseres Planeten genügt, um unser Überleben zu gefährden. Erscheinungen wie diese zeigen, wie zerbrechlich und hoch komplex diese Welt ist, die wir tagtäglich als etwas Selbstverständliches hinnehmen. Der Normalfall dieses Universums ist keineswegs ein ruhiges Meer, in dem es von Leben wimmelt, sondern das Gegenteil: eine endlose Wüste, unbewegliche Räume, oder umgekehrt die Entfesselung alles zerstörender Gewalten. Die Explosion einer Supernova in unserer Nachbarschaft könnte zur totalen Auslöschung innerhalb eines Augenblicks führen, aber es sind gerade solche stellaren Explosionen, die in einer weit zurückliegenden Vergangenheit gerade Kohlenstoff, Sauerstoff und andere Elemente bereitgestellt haben, die für uns und für jeden Organismus notwendig sind. Das Leben auf der Erde vollzieht sich in einer überaus zarten Nische, die wundersam zurechtgeschnitten ist und die Erzeugnisse der gesamten kosmischen Geschichte ausnutzt.

Die Natur ist nicht grausam. Ganz im Gegenteil: Sie ist vorsehungshaft, aber zugleich unvollkommen, gefährlich. Sie versteht sich darauf, gewalttätig zu sein. Vielleicht stellt dies ein Problem für jene philosophischen oder religiösen Auffassungen dar, die mehr oder weniger ausdrücklich die Natur mit dem Göttlichen gleichsetzen und somit einige ideologische Standpunkte vertreten, die gerade im Trend liegen. In der jüdisch-christlichen Tradition hingegen ist die Natur nicht Gott: Die Natur ist Gottes Schöpfung, sie ist "gut", aber dann geheimnisvoll vom Bösen gezeichnet, der "Vergänglichkeit" und der Unvollkommenheit unterworfen. Die Natur ist das Spiegelbild der Lage des Menschen, das heißt eines jeden von uns: voll guten Willens, aber unvollkommen, zerbrechlich, ein wenig böse, manchmal zu schrecklichem Handeln fähig. Kein vernünftiger Mensch erwartet mithin das Heil von den Kräften der Schöpfung oder von menschlichem Vermögen. Angesichts der entfesselten Natur und des Elends unserer Grenzen stellt sich somit die tiefe Frage nach dem Sinn des Daseins, eine Frage, auf die nur eine Gegenwart antworten kann, die mächtiger ist als die Unwetter und gütiger als wir selbst.
Und was uns bewegt, den Überlebenden zu helfen, ist gerade diesen Sinn des Lebens mit ihnen zu teilen. Dies bringt uns das Leid jeder verzweifelten Mutter und jedes Kindes nahe, die am verwüsteten Strand allein geblieben sind.