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Mittelstufe - Die Gruppen des Graal
Das Abenteuer des Ideals
Paola Bergamini

Vor 15 Jahren entstand ein Vorschlag für Schüler der Mittelstufe. Man wollte ihnen ein Umfeld schaffen, in dem sie die christliche Erfahrung leben könnten. Für die Erwachsenen, die sich einbringen, ist er eine Gelegenheit, ihre eigene Begegnung mit Christus tiefer zu verstehen.

Die Sucher des Graal, Die Ritter Sobieskis, Das Fischerboot von Petrus, Die Ritter vom Heiligen Gennaro, Die Ruderer von Lepanto... Namen, die Epochen, Ereignisse und Personen der christlichen Geschichte in Erinnerung rufen. Es sind wichtige Namen für jemanden, der den christlichen Vorschlag ernst genommen hat, und seien es 11-, 12- oder 13-Jährige. Mit diesen Namen verbindet sich eine Erfahrung, die in den vergangenen 15 Jahren über Italien hinaus unter Schülern der Mittelstufe aufgeblüht ist. Denn unter diesen Namen treffen sie sich in der Gemeinde, in der Schule oder sonstwo bei Freunden. Durch das gemeinsame Lernen, die Lektüre eines Buches, Spiele, Ausflüge oder Urlaub entdecken sie, dass das christliche Abenteuer die faszinierendste Art zu leben ist, die beste Art, um glücklich zu sein. Und das geschieht zusammen mit Erwachsenen, Lehrern, Priestern, aber auch Vater und Mutter, die mit ihnen den Dingen auf den Grund gehen. Und die Erfahrung ist so faszinierend, dass man es den Klassenkameraden, den Freunden am Spielplatz, den Eltern und allen mitteilen möchte. Bei den wöchentlichen Treffen geht es jeweils um das Thema, das in diesem Moment am drängendsten ist: Die Schwierigkeiten eines Freundes in der Schule oder die Gefühle. Denn Jesus hat mit allem zu tun. Den Schülern geht es in der Beziehung zu den Erwachsenen aber nicht um eine formale Freundschaft, sondern um ein vollständiges Sicheinlassen. Aus dieser Beziehung kann man sich auch nicht mehr so einfach zurückziehen, selbst wenn man vielleicht spät abends angerufen wird, wenn jemand Rat sucht oder spontan Hilfe nötig ist. Um die Lebendigkeit dieser Erfahrung zu dokumentieren möchten wir einige Momentaufnahmen wiedergeben, die wir selbst erlebt haben oder von denen uns berichtet wurde.

Die Freundinnen von Annalisa
Neapel. Die Nachricht machte in allen Zeitungen Schlagzeilen. Während einer Schießerei zwischen zwei verfeindeten Camorra-Banden wurde ein 13-jähriges Mädchen getötet, das einer der Verbrecher als Schutzschild während des Schusswechsels benutzt hatte. Sie hieß Annalisa und nahm an der Gruppe der Ritter des Heiligen Gennaro teil. Ihre Freundin Patrizia schrieb einige Tage später: "Ich kannte Annalisa seit dem Kindergarten. Wir sind die ganze Grundschule in einer Klasse gewesen, auch in der Mittelstufe, bis zu jenem verwünschten Samstag. Als ich hörte, dass Annalisa getroffen worden war, fühlte ich mich hundeelend. Am Dienstag hat Schwester Maria uns zum Wald von Capodimonte gebracht. Dort waren auch Don Paolo und Mimmo. Wir haben über Annalisa gesprochen und Don Paolo hat uns gesagt, wobei er ein Lied von Claudio Chieffo zitierte: "Aber hab keine Angst, halt nicht an, weil meine Liebe treu ist und nie endet". Das sind die Worte, die jetzt Annalisa zu uns sagt. Dann fuhr er fort und sagte, dass sich Annalisa in geheimnisvoller Weise für die anderen geopfert habe, genauso wie Jesus für die Sünder. Deswegen müssten wir zu ihr beten, dass sie uns helfe stark zu sein. Dann hat er mir gesagt: "Du hast keine Freundin verloren, sondern eine Freundin im Himmel gewonnen", und diese Worte haben mir Kraft gegeben und mir geholfen zu verstehen, dass es Annalisa gut geht, weil sie jetzt nahe bei Jesus ist. Dann habe ich von meiner Mitschrift das Wichtigste herausgenommen und es mit zur Schule genommen. Dort haben wir für Annalisa eine Messe gefeiert. Dabei habe ich genau das vorgelesen. Im Klassenraum waren wir noch sehr traurig, aber nachdem wir diese Worte von Don Paolo vorgelesen haben, sind wir wieder in die Klasse zurückgegangen, und alles änderte sich. Es schien, als ob Annalisa dort wäre und mir sagen würde: "Kopf hoch! Mir geht's gut, ich bin in der Nähe von Jesus". Mir ging es hundeelend, aber unsere Gemeinschaft und das Zusammensein haben mir den Mut gegeben, weiterzumachen.

Edimar und die Engel
"Gloooooria, in... ." "Nein, nein, Kinder, so wird das nichts", unterbricht Don Marcello. "Ihr seid die Engel, die den Hirten die Geburt Jesu verkünden. Die schönste Nachricht, die man sich nur denken kann. Es ist Weihnachten! Auch heute, Marco, hast du verstanden? Mattia, spuck es aus. Wir fangen noch mal an. Ich dirigiere euch." Der Saal vibriert vom Lied der 80 "Engel" im Alter von 11 bis 13 Jahren. "Gut. Jetzt teilen wir uns für das Treffen auf. Wir kommen hier in 30 Minuten für das Spiel wieder zusammen. Meine Gruppe nach unten, in den anderen Raum". Als sie die Treppe heruntergehen, gibt Giovanni seinem Freund einen Stoß in die Rippen. "Von wegen Engel, wir sind Ritter! Der Priester verwechselt da was. Wir haben gerade eben das Gelöbnis abgegeben." Am Tisch ruft Don Marcello nach und nach jeden beim Namen auf. "Maria? Ist sie nicht da? Na gut, wer erzählt ihr, was wir heute gemacht haben? Wer ist ihr Freund? Du machst das, Alessia. Roberto? Warum ist er nicht da?" "Don, er hat Stubenarrest, seine Mutter lässt ihn nicht aus dem Haus." "Er wurde von der Schule verwiesen." "Auch hier macht er nur Chaos." "Ruhe, immer mit der Ruhe. Was können wir tun, um ihm zu helfen? Er ist unser Freund, oder? Erinnert ihr euch an Edimar? Nehmt das Buch hervor, wir lesen noch mal die Seite mit den blauen Augen. Vorwärts, denkt euch was aus. Um die Mama kümmere ich mich, ich bin Priester. Aber für ihn, was können wir tun? Was würde Jesus tun?" Es herrscht alles andere als betretenes Schweigen. Jeder hat etwas zu sagen und einer berichtigt den anderen. Eine halbe Stunde wird über den Freund gesprochen, der nicht da ist - über einen Freund, der dieselben Sehnsüchte, dieselben Ängste und vielleicht ein Problem mehr hat. "Gut, mir scheint, dass wir heute etwas Wichtiges gelernt haben. Nehmt euer Heft und schreibt folgende zwei Dinge auf (Stefano, nächstes Mal bringst du dein Heft mit, ja?): 1. Unsere Regel sagt uns, sich um die Freunde zu kümmern, wie es Jesus tat. 2. Wenn jemand so betrachtet wird, ändert er sich und wird fähiger, das Leben zu leben. Gut. Also einverstanden: Ihr zehn geht abwechselnd zu Marco und lernt mit ihm eine Stunde jeden Tag. Lernen, meine ich. Und jetzt, Ritter von Sobieski spielen wir ... auf geht's."

Vascos Gründe
Siena. Es ist der Abend vor dem Gelöbnis. Im Saal erschallt das Lied von Vasco Rossi " ... ich will einen Sinn in diesem Leben finden, doch das Leben hat keinen Sinn." Die Kinder singen im Stehen aus vollem Halse. Nach dem letzten Ton erhebt sich die Stimme von Don Marcello: "Wenn Vasco Recht hat, was machen wir dann hier? Sind wir alle verrückt?" Alle reden durcheinander "Nein, Don, warte". Alle haben etwas zu sagen. In einer Ecke murmelt Giulio alle fünf Minuten: "Vasco hat Recht". Fulvia hört es: "Gehen wir zu Don Marcello und sagen es ihm. Entweder er oder Vasco hat Recht". "Mein Leben ist fürchterlich, du weißt das, mit all den Problemen, die meine Familie hat, also hat es keinen Sinn... aber verrückt bin ich nicht. Gehen wir." Marcello hört ihr zu. "Hör zu, dein Leben ist wie ein trockener Boden, und dennoch hat der Herr Samen gesät, die bald aufgehen werden. Andernfalls wärest du nicht hier. Und - nächstes Jahr, in der Oberstufe, warum kommst du nicht in meine Schule? Am darauf folgenden Tag vibriert sein "Da bin ich" durch das Kirchenschiff der Abtei von San Galgano. Am Abend des Gelöbnisses gibt es ein großes Fest. Giulio ist nicht eine Sekunde still, plaudert, schreit. Fulvia hält das irgendwann nicht mehr aus und geht mit ihm nach draußen. "Was ist mit dir? Was stört dich?" "Ich bin froh, es ist alles wunderschön, aber ich habe eben erfahren, dass mein Bruder wieder ein Ding gedreht hat. Er sitzt im Gefängnis. Warum gibt es das nicht auch für ihn? Für alle? Ich will, das es für immer ist." Das Wunder einer Begegnung, die einfach in die Welt hineinbricht und ihr eine neue Perspektive bringt - und alle umarmt.

Pommes und Mathe
Nachdem die Bücher und die Aufgabenhefte verstaut sind, beginnt das Treffen. Dauer? Höchstens 20 Minuten. Das Thema ist "Gefühle". Seit einiger Zeit wollen die Kinder darüber reden. Eine einfache Frage: Was heißt es, jemanden gern zu haben? Viele von ihnen kommen aus zerrütteten Familien. Paolo ergreift das Wort: "Ich weiß, wann mich jemand gern hat. Wenn mich jemand die Dinge machen lässt, die mir nützen und nicht nur ihm." "Erklär das." "Wenn jemand mir sagt: "Geh, und klau Pommes", ist es glasklar, dass mir das nicht gut tut. Wenn mir aber jemand sagt: "Lerne Mathe" und ich so entdecke, dass dieses Fach faszinierend ist und mir sogar gefällt, ist es klar, dass das ein Freund ist, der mich gern hat. Er hat mich eine neue, schöne und interessante Sache entdecken lassen." Glasklar.

Die Erfahrung der Erwachsenen
Alles begann 1990. Don Giorgio Pontiggia teilt einigen Lehrern des Instituts Sacro Cuore in Mailand seine Idee mit: Für die Schüler der unteren Mittelstufe gilt es ein Umfeld zu schaffen, in dem sie die christliche Erfahrung erleben können. Keine "kleine" GS, sondern etwas anderes. Denn die Bedürfnisse und Notwendigkeiten in dieser Altersgruppe sind anders. Lucio, Franca, Giovanni und Gloria machen mit. Sie schlagen einigen ihrer Schüler vor, zwei Tage in die Berge zu fahren. So entsteht die erste Gruppe. Der Name, den sich die Gruppe gibt, spiegelt die Spannung gegenüber dem Ideal wider. Daher fällt die Wahl auf "Die Sucher des Graal". Das gilt später auch für alle anderen Namen. "Wir haben von Anfang an begriffen, dass alles von der persönlichen Beziehung zu den Schülern abhängt", berichtet Lucia. "So konnte der Vorschlag auch nicht auf eine Diskussion reduziert werden, sondern kam in einer Freundschaft zum Tragen. Sie können also "kommen und sehen", was es mit dieser faszinierenden Erfahrung auf sich hat. Die Schüler bemerken nur dann die Schönheit, in der wir leben, wenn wir darauf achten, die Dinge mit ihnen gemeinsam zu machen. Deswegen haben das gemeinsame Lernen, die gemeinsamen Aktionen nichts mit den Schulausflügen oder dem normalen Urlaub zu tun", betont Lucia. Und Gloria berichtet: "Eines Morgens habe ich diese Erfahrung Don Giussani mitgeteilt. Ich erzählte auch von den Partnerschaften, die zwischen einzelnen Gruppen entstanden sind. Dort halfen sich die Erwachsenen untereinander. Und die Kinder der einen Gruppe wurden Teil der anderen Gruppe. Er war berührt und sagte: "Das ist genau das, was ich als lebendige Punkte bezeichnet habe. Man muss immer den "lebendigen Punkten" folgen. Sagt es allen." "Das war auch für uns Erwachsene ein grundlegender Moment. Denn wir sind uns der Größe der Erfahrung, die wir erlebten, bewusst geworden - mehr noch als die Kinder. Und wir sind überrascht zu entdecken, dass dieses eine Art Berufung für jeden von uns ist. Dabei helfen wir uns gegenseitig, indem wir uns alle sechs Wochen treffen und nochmals einige Texte von Giussani lesen.