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Musik - Mozart
Konzerte für Klavier und Orchester Nr. 20 und 24, Clara Haskil
Alessandro Colliva

Im Herzen der Musik. Die jüngste Veröffentlichung der Reihe "Spirito Gentil" gilt einer großartigen Pianistin, die sich besonders als Mozart-Interpretin einen Namen gemacht hat.

Clara kam am 7. Januar 1895 in Bukarest als Zweite von drei Schwestern in einer Familie sephardischer Juden zur Welt. Alle drei musizierten und Clara glänzte von Anfang an auf der Violine und am Klavier. Zunächst schien sie zum Studium der Mathematik bestimmt. Aber schon im zarten Alter von sechs Jahren begleitete die Mutter sie nach dem Tod des Vaters im Jahre 1901 nach Wien. Dort sollte sie beim großen Meister Anton Door auf dem Klavier vorspielen. Door war ein alter Freund von Johannes Brahms. Er war tief beeindruckt von dem Wunderkind und schrieb nach dieser Begegnung in der österreichischen Neuen Freien Presse, dass Clara "ein Wunder" sei, "ein einzigartiges Mädchen". Sie könne "eine Sonate von Beethoven nach Wahl ohne Schwierigkeiten spielen, ohne je einen Lehrer gehabt zu haben, der diese Bezeichnung verdient hätte".
Im Jahre 1903 beginnt Clara, großen Meistern zu folgen. Mit elf Jahren kommt sie an das Konservatorium von Paris - damals unter der Leitung von Gabriel Fauré. Dort tritt sie in die Klasse von Alfred Cortot ein. Sehr bald erkennt auch er Claras einzigartige Begabung, die in wenigen Monaten die ein- und zweijährigen Klavierprogramme beherrscht.
1910 erhält sie ihr Pariser Diplom, den "Premier Prix". Ein Jahr später trägt sie in Gegenwart von Busoni ihre Transkription der Chaconne in d-Moll von Bach vor. Daraufhin möchte sie der große italienische Meister als seine Schülerin zum weiterführenden Studium nach Berlin holen. Die Mutter aber will der gerademal 16-Jährigen nicht erlauben, allein in Berlin zu leben. Zum selben Zeitpunkt wird Clara eine Konzerttournee in den Vereinigten Staaten angeboten. Doch Clara erkrankt schwer an einer Knochensklerose, einer Wirbelsäulenverkrümmung am Oberkörper, die durch ein ungewöhnlich schnelles Wachstum verursacht wird. So muss sich die lebenshungrige und unternehmungslustige Pianistin dem Gang der Krankheit beugen. In dieser Zeit stirbt auch die Mutter. Obgleich selbst schwer erkrankt muss Clara nun für den Unterhalt ihrer Schwestern aufkommen und ist gezwungen, privat Klavierunterricht zu erteilen. Das wiederum hat katastrophale Auswirkungen auf ihre Krankheit. Die körperlichen Schmerzen werden schlimmer.
Clara aber nimmt ihre Krankheit so mutig an, dass man sie, als "eine Heilige des Klaviers" betrachtet, so zumindest schreibt Joachim Kaiser in seinem Werk Große Pianisten unserer Zeit. Sie selbst beschreibt ihre letzten Lebensjahre, ihre menschliche und künstlerische Geschichte folgendermaßen: "Ich bin glücklich gewesen in meinem Leben. Ich bin dermaßen oft am Rande des Abgrunds gestanden, ohne je hinabzustürzen, so dass die Tatsache, dass ich jedes Mal davongekommen bin, wenn auch nur um ein Haar, nur der Vorsehung zu verdanken sein kann".
Der heilige Eifer für die Musik gibt Clara Kraft und Stärke, so dass sie ihren Wunsch einer Amerikareise erfüllen kann. Zusammen mit Stokowski interpretiert sie auf dieser Reise Klavierkonzerte.
Doch der Abgrund der Krankheit tut sich erneut auf. 1942, mitten in der Zeit der deutschen Besatzung in Frankreich, diagnostizieren Ärzte bei ihr einen Gehirntumor und der einzige Mediziner, der imstande ist, sie zu behandeln, wohnt in Paris. Wie durch ein Wunder gelingt aber einem Freund von Clara, diesen Arzt nach Marseille zu holen, wo er sie erfolgreich operiert.
Clara Haskil kann dem Holocaust entrinnen. Sie nimmt die schweizerische Staatsangehörigkeit an und beginnt mit ihrem Landsmann Dinu Lipatti, mit dem belgischen Geiger Arthur Grumiaux sowie den Dirigenten Igor Markevitch und Herbert von Karajan zusammenzuarbeiten. Der Publikumserfolg kommt für Clara aber erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre mit der Veröffentlichung ihrer Platten bei der Firma Philips, die an sie, eine große Künstlerin ohne die Allüren vieler Zeitgenossen, glaubte.
Die Pianistin Tatiana Nikolaewa berichtet über diesen Wesenszug. Nikolaewa ging damals nach Salzburg, um einen vielversprechenden jungen Dirigenten zu hören. Doch die von ihm dirigierte Sinfonie von Mozart begeisterte sie nicht. Im zweiten Teil des Programms folgte dann ein Klavierkonzert von Mozart mit Clara Haskil als Solistin. Haskil trat "gebeugt, mit grauen Haaren und mit dem Aussehen einer Hexe" auf, so Nikolaewa. Und dieser Eindruck sei so prägend gewesen, dass sie sich von ihr geradezu belästigt gefühlt und die Versuchung verspürt habe, den Saal zu verlassen. "Ich erwartete gewiss nicht das, was dann passierte", fuhr die russische Pianistin fort. "Als Clara Haskil die Hände auf das Klavier legte, flossen mir die Tränen über das Gesicht. Ich war gekommen, um den neuen Toscanini zu entdecken und stattdessen entdeckte ich die größte Mozart-Interpretin, die ich je gehört hatte. Sie hatte eine solche Eindringlichkeit, eine so starke Anziehungskraft, dass in dem Augenblick, als das Orchester wieder auftrat, alles verändert war. Die Qualität des Dialogs, den diese Frau mit ihrem so bescheidenen Verhalten und ihrem so flüssigen und natürlichen Klavierspiel herstellte, hatte Orchester und Dirigent wie durch Zauberhand verwandelt. Dank ihrer schöpften sie selbst aus der Wahrheit der Musik. Es war nicht mehr der Dirigent, der dirigierte, sondern es waren die zehn Finger und das Herz der Haskil. Es war das schönste Kammermusikkonzert, das ich je besuchte".
Am 7. Dezember 1960 stirbt Clara Haskil mit 65 Jahren an den Folgen ihrer Gebrechlichkeit in Brüssel.
Das beste Motto für die Pianistin sind die Worte Busonis: Sie spielte so wie viele große Komponisten. Sie berührte das Herz der Musik und gewann eine so enge Beziehung, dass sie die Stücke so interpretierte, wie sie "im Geiste des Komponisten entwickelt wurden". Dies gehört zu den außergewöhnlichsten Begabungen.

Spirito Gentil, n. 32. Concerti per pianoforte 20 e 24
Clara Haskil, pianoforte Orchestre des Concerts Lamoureux IGOR MARKEVITCH.