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Don Giussani
Pressespiegel


Interview mit Pierluigi Bersani*
„Er hat uns gelehrt, die Initiative zu ergreifen“
Welche Lehren hat Don Giussani der Linken hinterlassen?
Don Giussani hat eine allgemeingültige Sprache gesprochen, die sich an jeden Menschen wendet, gleich ob links oder rechts.

Gibt es im Gedankengut von CL Werte, die von einer laizistischen Denkweise geteilt werden können?
Es gibt einige Elemente in der Lehre Don Giussanis, über die alle nachdenken müssen. Er hat eine Generation junger Menschen zu einer starken Überzeugung und zur Fähigkeit der Begegnung erzogen, zur Neugierde gegenüber den anderen. Er hat dadurch zugleich gezeigt, dass eine starke Motivation nicht Abschottung bedeutet. Don Giussani hat uns beigebracht, dass eine förderliche Begegnung zwischen starken Überzeugungen stattfindet. Damit hat er verdeutlicht, dass es nicht sinnvoll ist, Wasser in den Wein zu gießen. Man begegnet dem anderen nicht dadurch besser, dass man sich selbst relativiert, sondern dadurch, dass man auch den Wein, den er mitbringt, anerkennt.

Eine Botschaft, die maßgeschneidert zu sein scheint für Politiker …
Ihnen hat Don Giussani die Grenze der Politik beigebracht. Eine Mahnung, die im Wesentlichen Folgendes sagt: Auch wenn die Politik alles aus dem Weg räumen könnte, was die Freiheit des Menschen behindert, hätten wir doch nicht die perfekte Gesellschaft. Es gibt keine Politik, sei sie weltlich oder katholisch, die nicht auch eine Anthropologie haben müsste, also eine Debatte über den Menschen. (…)

Was wird Ihrer Meinung nach jetzt, da der Gründer gestorben ist, aus CL werden?
CL wird immer das Charisma von Don Giussani haben und weiter gehen.
Barbara Romano, Libero, 25. Februar 2005
*Ex-Arbeitsminister der Links-Regierung unter Romano Prodi,


Interview mit dem Rabbiner David Rosen
„Er sprach über das, was uns eint“
Rabbi Rosen, wie kam es zur Begegnung mit Don Giussani?
Es mag seltsam erscheinen, aber in Wirklichkeit habe ich Don Giussani nie persönlich getroffen. Ich habe aber eine Nachricht von ihm erhalten, als ich 1996 das erste Mal beim Meeting von Rimini gesprochen habe. Ich war damals sehr erstaunt über diese Geste von ihm: Ich hatte schon von Don Giussani gehört, und natürlich hatte mir das Meeting die Möglichkeit gegeben, dem Charisma durch seine Bewegung zu begegnen. Aber in diesem Brief berührte er mich dadurch, dass er die Verbindung unterstrich, die zwischen dem Christentum und seinen jüdischen Wurzeln besteht. Der Brief ist mir noch heute als eine Nachricht voller brüderlicher Wärme in Erinnerung.

Danach haben Sie seine Schriften gelesen.
Dank der Freunde von CL bekomme ich die englische Ausgabe von Spuren. Auf diesen Seiten habe ich einige seiner Schriften lesen können. Sie haben mir sehr gefallen. Für einen Christen haben sie natürlich eine noch tiefere Bedeutung. Aus ihnen spricht ein Mensch von großem spirituellen Format.
Giorgio Bernardelli, Avvenire, 25. Februar 2005


Pluralismus und Toleranz. Die Lehre von Don Giussani
Mir als nichtgläubigem Liberalen war Don Giussani “politisch” sympathisch, weil er die Weigerung der Katholiken, sich kreuzigen zu lassen, in Theorie und Praxis verfochten hat – nebenbei gesagt, es scheint, als wäre auch ich, der ich bedauerlicherweise nie die Gelegenheit hatte, ihn zu treffen, ihm sympathisch gewesen. Und er hat die Anmaßung des Menschen, sich zum Gott zu erheben und die Menschen zu kreuzigen, bekämpft. Damit wir uns recht verstehen: Zu seiner Zeit sprach man unter anderem von „Gott, der versagt hat“. Gott ist – für den Gläubigen – Mensch geworden, und er hat sich kreuzigen lassen, um die Menschen zu retten. Aber den umgekehrten Prozess gibt es nicht, auch nicht für mich. Ich fürchte den Menschen, der sich zu Gott macht, um die Menschen zu retten, und der unweigerlich damit endet, sie in ein Lager (sei es braun oder rot) zu werfen, wenn sie sich nicht so retten lassen, wie er will. Giussani erinnerte sehr gerne daran, dass die westliche Kultur ihre eigenen Werte vom Christentum geerbt habe, und er setzte unter diesen Werten denjenigen der „Persönlichkeit“ (des Individuums), der als impliziten Zusatz den Wert der „Freiheit“ hat, an erste Stelle. (…) Für Don Giussani war das Christentum „ein Faktum, ein Ereignis“, noch bevor es eine „Lehre“ war, die man im Religionsunterricht wiederholen kann. Mehr als „ein Befolgen von Gesetzen der Moral“ und einer „bestimmten Ansammlung von Riten“, war es „ein Faktum, ein Ereignis“. Diese wirklich revolutionäre Definition des Christentums kam zudem noch von einem Priester und war daher kaum einzuordnen in ein rein kirchliches Schema; sie war so revolutionär, dass sie auch ein Historiker oder Religionssoziologe, ein Politologe oder ein Moralphilosoph, ein Laie und ein Nichtgläubiger ohne weiteres unterschreiben konnten und weiterhin könnten. (…) Deshalb entsetzte mich auch nicht, wie er seinen Glauben angesichts weniger starker, roter oder faschistischer Identitäten, die den Wert der Person und der Freiheit leugneten, „vor sich her trug“. Es war die Bejahung einer starken Identität, die – noch bevor sie religiös war – geschichtlich und gesellschaftlich bedeutsam war. So erklärte sich auch seine absolut weltliche und freiheitliche Behauptung, nach der „die wirkliche Religiosität die Grenze der Macht ist; die Grenze jeder Macht, sei sie zivil, politisch oder kirchlich“. Das Christentum also nicht als „Projekt“, sondern als „Erfahrung“ des Glaubens verstanden - und zugleich als eine geschichtliche und politische Erfahrung, also eine Tatsache, die dadurch bekräftigt wird, dass sie in „Erfahrungen des Christentums“ im Plural (durch den Schritt von der Utopie zur Gegenwart) Geschichte wird. So wird es – wie man politisch korrekt sagen würde, was Giussani jedoch absolut fern lag – zu einem Faktor des Pluralismus und des Experiments.
Piero Ostellino, Corriere della sera, 26. Februar 2005

Alle zu Füßen von CL
Beeindruckend war sie, die Begräbnisfeier für Don Giussani: Eine unglaublich große Menge vor und im Mailänder Dom; dazu viele Kardinäle und Hunderte von Bischöfen und Priestern. Die Regierung war praktisch komplett da, dazu die Präsidenten der beiden Kammern. Vor allem war die lange Live-Übertragung im Fernsehen eine wirkliche Seltenheit. Weshalb die Feierlichkeit dieser Begräbnisfeier? Weshalb diese nicht nur kirchliche, sondern auch gesellschaftliche und staatliche Ehrung von Comunione e Liberazione und den dazugehörigen Werken? Fragen, die einen sowohl über die Beziehungen zwischen Staat und Kirche als auch über die aktuelle Situation des italienischen Katholizismus nachdenken lassen. (…) Die Ablehnung von Systemen, von Vermittlungen, von Philosophien (auch der katholischen Scholastik). Anstelle der Vermittlungen die persönliche Begegnung mit Christus. Die jungen Menschen der nach-achtundsechziger Zeit, die alle Ideologien satt haben – sowohl die alten als auch die neuen – haben sich wieder gefunden in dieser Begegnung ohne (erkennbare) Schemata. Sie haben dort jene Wertschätzung ihrer Person gefunden, die sie weder in den alten Sakristeien noch in den neuen Parteizentralen fanden.
Filippo Gentiloni, Il Manifesto, 27. Februar 2005

Der Tod Luigi Giussanis und die Bewegung von CL
(…) Sein Glaube ist durchdrungen vom Geheimnis der christlichen Nächstenliebe, die im Verständnis für die menschliche Zerbrechlichkeit und Schwäche selbst die Toleranz der Laien übertrifft. Als ein Mann von großer Leidenschaft und grenzenloser Neugier hat Giussani immer wiederholt, dass die Erziehung grundsätzlich der “ganzen Wirklichkeit“, allen Faktoren der Wirklichkeit Rechnung tragen muss. Und das machte ihn zu einem Menschen, der an allem interessiert war, vor allem aber an Achtung und Aufmerksamkeit gegenüber jeder menschlichen Erfahrung. Einem jungen Kommunisten, Sohn einer großen katholischen Familie, schenkte er Das Kapital von Karl Marx und schrieb ihm dazu die folgende Karte: „Wenn Du diese Erfahrung leben willst, dann lebe sie wirklich voll und ganz“. Das große Paradox ist, dass Giussani, dessen Leben dem Geheimnis der christlichen Caritas gewidmet war, mit einem Fundamentalisten verwechselt wird. Das ist eine der übelsten Verleumdungen der italienischen Linkskultur, die Zeitungen und Verlage beherrscht. (...) Dank Don Giussani nähern sich junge und weniger junge Menschen wieder dem Christentum. Laien, die sich immer hart gegen die Kirche gewandt haben, kommen zum Meeting nach Rimini, um miteinander zu sprechen. Die Jugendlichen von Comunione e Liberazione festigen nicht nur ihre Bewegung und verbreiten sie in über 70 Ländern weltweit, sie errichten auch Werke in Brasilien, Afrika und Asien. Heute schreiben Studenten in Universitäten überall auf der Welt ihre Diplomarbeiten über Don Giussanis Buch Der Religiöse Sinn und andere Werke aus seiner Hand. Der Sohn des Anarcho-Sozialisten aus Desio, der junge Religionslehrer des Berchet-Gymnasiums, der Begründer von Comunione e Liberazione, ist heute Bezugspunkt für alle Christen und Laien der ganzen Welt, die nicht taub und abgestumpft sind gegenüber dem Geheimnis des Lebens und des Universums. Er hat Christus und seine Kirche mit einem Glauben und einer menschlichen Leidenschaft verteidigt, die Bewunderung erregen. Als eingefleischte Laien erlauben wir uns zu sagen: Vielleicht ist es richtig, dass ihm nie der Kardinals-Purpur verliehen wurde.
Gianluigi Da Rold, L’Opinione, 23. Februar 2005

Diese raue Stimme, die Menschen aufrüttelte
Ich war 16 Jahre alt – entschuldigt, wenn ich von mir spreche. Aber ich war 16 Jahre alt, als ich Don Giussani zum ersten Mal sprechen hörte. Ich war nicht katholisch, nicht christlich erzogen worden. Ich war nicht gewohnt, Priestern zuzuhören. Wenn es zufällig wegen irgendeiner Verpflichtung geschah, hörte ich jedenfalls nicht hin. Aber es war unmöglich, Don Giussani nicht zuzuhören: Diese raue Stimme, die leise anfing zu sprechen und dann plötzlich explodierte; die gestikulierenden Hände, die in der Luft die Bedeutung der Worte veranschaulichten; die Leidenschaft, die sich nicht bändigen ließ und die ansteckte. Jedes Wort hatte sein Gewicht, denn man spürte darin das Leben. Man konnte nicht gleichgültig bleiben, wenn man Don Giussani zuhörte. (...) Man braucht sich nur sein letztes Interview anzuschauen, das er im vergangenen Sommer zum 50jährigen Bestehen von Comunione e Liberazione dem italienischen Fernsehsender Rai Uno gab. Der nie abwesende Blick, die Worte, die plötzlich eine unmöglich scheinende Kraft bekamen. Ich glaube, darin liegt sein Charisma. Don Giussani hören, hieß immer, der Größe und Fülle des Lebens zu lauschen. Er berührt das Herz und verwandelt dich bei der ersten Begegnung. Du bleibst nicht mehr wie vorher. Er verändert. Das ist genau das, was mir vor vielen Jahren geschehen ist und Tausenden anderer, die ich nur zum Teil kenne. Eine Begegnung, die das Leben verändert, die es zeichnet für immer, mit all unseren Grenzen, mit allen Fehlern, die wir machen, die aber nach dieser Begegnung einen Horizont und eine Perspektive haben. (...) Mir tun alle Leid, die nicht das Glück hatten, ihn persönlich zu kennen (ich hatte in der Tat in meiner Jugend zwei- oder dreimal die Gelegenheit dazu), aber diese Begegnung ist heute allen möglich, denn Don Giussani bleibt in den Gesichtern und Worten von Comunione e Liberazione.
Franco Bechis, Il Tempo, 23. Februar 2005

Interview mit Kardinal Giacomo Biffi
Biffi: Diese „Wirkung“, die Charisma heißt
„Die Wirkung Don Giussanis auf die große Zahl Jugendlicher und Erwachsener aus allen Schichten, Kulturen und Breitengraden ist ein Geheimnis. In der Fachsprache für Übernatürliches spricht man von einem Charisma oder von einem Geschenk an ihn zum Nutzen aller. Wegen der langen Freundschaft, die uns verband, erfüllt mich die Tatsache, dass er uns verlassen hat, mit Trauer und Bedauern“. So erinnert sich Kardinal Giacomo Biffi, emeritierter Erzbischof von Bologna, an die Gestalt des Gründers von Comunione e Liberazione. (...)

Wie hat das Seminar von Venegono zur Entwicklung der Persönlichkeit Giussanis und zu seiner besonderen Berufung beigetragen?
Das von Kardinal Schuster nach dem Vorbild alter Abteien geplante Seminar hatte eine eigenständige Vitalität. Große Sorgalt galt der Liturgie, die Studien wurden mit großem Ernst betrieben und die Forschung war, was die theologische Wissenschaft betraf, sehr frei. Alles trug dazu bei, dass wir die Freude an der allumfassenden Schönheit Christi und die Begeisterung dafür spürten und auch für eine kirchliche Wirklichkeit, die als Synthese und Bestätigung jeder authentisch menschlichen Positivität wahrgenommen wurde. Das war ein Merkmal von Venegono, das dann im Vorschlag von Giussani breiten Raum finden sollte. (...)

Was wurde in diesem Zusammenhang für Giussani kennzeichnend?
Diese Erfahrung von Licht und Leben, die uns alle ergriff und von der wir uns beschenkt fühlten, war bei Don Giussani sofort begleitet von dem Willen, andere an diesem Glück teilhaben zu lassen. Für Don Giussani war der Gedanke unerträglich, dass andere nicht zu der gleichen Freude gelangen sollten. Und das war die innere Einstellung, die ihn zunächst im Seminar dazu drängte, zum Initiator von Studien-Gruppen zu werden und dann dazu, den Lehrstuhl für Theologie aufzugeben, auf dem dann ich sein Nachfolger wurde, um sich den Schülern des Berchet-Gymnasiums zu widmen. Ihn interessierte nicht der Unterricht an sich, sondern die Weitergabe der Wahrheit. (...)

Die Erziehung war ständiges Thema seiner gesamten Tätigkeit. Warum?
In einer Zeit, in der sich für die herrschende Kultur das Verhältnis der Erwachsenen zu den Jugendlichen allein an der Frage “Was wollt ihr?“ orientierte, fragte Giussani sie, “Wer seid ihr?“. Er versuchte, sie die Wahrheit ihres Seins entdecken zu lassen, sodass daraus eine Entscheidung für ihr Leben reifen konnte. Deshalb hat sich Giussani immer um die Erziehung gesorgt. Mehr noch: Er hat nie aufgehört zu erziehen.
Stefano Andrini, Avvenire, 23. Februar 2005

Glaube und Begeisterung
Von den beiden revolutionären Priestern der Kirche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist er als Erster gestorben. Karol Wojtyla setzt sein Zeugnis durch die von aller Welt beobachtete Krankheit mit eisernem Willen fort - wie es ihm die Ausübung seines Amtes als Papst auferlegt. Don Giussani hat dies hingegen den Augen seiner Jugendlichen ersparen können, die ihn jetzt als Erwachsene wie einen Vater - und vielleicht noch mehr als einen Vater – betrauern. Zwischen zwei so völlig verschiedenen Gestalten und Lebensläufen ist offensichtlich kein Vergleich möglich. Es soll nur auf eine Gemeinsamkeit, eine Ähnlichkeit zwischen beiden Männern der Kirche hingewiesen werden: Beide besitzen ein großes persönliches Charisma, das einen besonderen Einfluss auf die Welt der Jugend ausübt und in der Lage ist, einen klaren Wandel in Verständnis und Praxis des katholischen Engagements vorzuschlagen.
Um die Reichweite der Revolution von „Don Giuss“ (so nannten ihn seine Schüler im Berchet-Gymnasium in Mailand) in Kirche und öffentlichem Leben Italiens - einschließlich des politischen Lebens – zu verstehen, muss man sich an das Klima der Zeit zwischen der zweiten Hälfte der 50er und dem Ende der 60er Jahre erinnern. Eine zunehmende Säkularisierung, ein gesellschaftliches Verständnis von Solidarität, das sich dem Radikalismus der extremen Linken annähert, das Vorherrschen einer „Kirche des Zweifels“, die zum Konzil führt und danach zum unruhigen Pontifikat Pauls VI. In dieses Klima bricht Giussani ein und stellt eine „Kirche der Begeisterung“ dagegen: den Integralismus eines Katholiken, der die Unterscheidung von privat und öffentlich verneint, der an die Stelle der „Mystik des Himmels“ die „Mystik der Erde“ setzt, eine „Mystik“ aus handfesten, pragmatischen, lombardisch-konkreten Werken. (...) Die einhellige Trauer über den Tod des Gründers von CL ist eine Anerkennung für den Wert dieses Mannes und die Kraft seiner Botschaft, aber zugleich verbirgt sie scheinheilig viel Abneigung. Andererseits schließt das Schicksal von Revolutionären sowohl einstimmigen Beifall als auch Gleichgültigkeit aus. Es erlaubt nur die Verehrung der Anhänger oder den Respekt der Gegner. Solange Don Giussani lebte, hatte er Ersteres, aber nicht immer Letzteres. Jetzt wird er beides haben.
Luigi La Spina, La Stampa, 23. Februar 2005

Giussani ist tot, der Mann des Gehorsams
Ich unterrichtete an der Katholischen Universität in Mailand, als eine neue Studentengruppe auftauchte, die sich Gioventù Studentesca (GS / Studentische Jugend) nannte. Ihr Erscheinen war von ein paar kleineren Auseinandersetzungen begleitet. Da ich Mitglieder von GS in meiner Vorlesung hatte, wurde ich sogleich über ihren “Don Giuss“ informiert. Er war kein Studentenpfarrer und doch zugleich sehr viel mehr: Eine Autorität und ein Freund mit dem man lachen, Sport treiben und scherzen konnte. Kurz, ein sehr beliebter, großherziger, kontaktfreudiger Priester, der die Gegenwart verstand und sie als sein existenzielles Glaubensabenteuer lebte. Es war ein großer Vorteil Mitglieder von GS unter den eigenen Studenten zu haben. Ich hielt damals Seminare über neue Forschungen zur Pädagogik ab. Dazu gehörten auch Übungen, die die Studenten und Studentinnen gemeinsam im Hörsaal absolvierten und besprachen, sowie Gruppenprüfungen. Hatte man Mitglieder von GS als Assistenten, lief alles glatt. Dank ihres organisatorischen Geschicks und ihrer Präzision gab es keine Pannen (...). Sie hatten keine Berührungsängste und waren offen für das Abenteuer des mutigen Denkens und Forschens. Das war das Erste, was Giussani sie lehrte. Ich erinnere mich, dass sie um zusätzliche Vorlesungen baten und alles andere als gleichgültig waren (sie wirkten etwas überspitzt, wie Don Giussani selbst. Ich glaube er liebte aus der ganzen Heiligen Schrift am meisten den furchtbaren Ausspruch: “Wehe den Lauen, ich werde euch ausspeien aus meinem Munde“). In den Ergänzungskursen schlugen sie vor, Gramsci und die Schriftsteller des Neorealismus zu lesen; also wirklich nichts Frommes, Linientreues oder Beschwichtigendes. Giussani spornte zum Risiko an. (...) Kurz, Giussani war ein bedeutender Mann des Glaubens, mit einem Einfluss, der vielleicht noch größer war, als er selbst glaubte (er wies häufig auf das Unvorhergesehene hin, auf das, was man nicht erwartet). Er hatte einen furchtlosen Glauben, war fähig sich zu messen – bis zu einem gewissen Punkt. Ich glaube, das ist es, was von ihm bleibt. Und es wäre nicht schlecht, sich hieran zu erinnern, jenseits aller Erbauungsbildchen, die er wohl auch selbst zurückweisen würde. Der Punkt, an dem er sich zurückzog, war der Gehorsam gegenüber der Kirche. Hierin bestand auch die scharfe Trennlinie zwischen ihm und Don Milani oder Pater Balducci, dass nämlich für ihn der Gehorsam eine Tugend war.
Lidia Menapace, Liberazione, 23. Februar 2005

Giussani und die Bewegungen, die die Kirche gleichzeitig beleben und aufrütteln
Aufgrund des Aufbruch-Charakters seiner Intuitionen, in denen man auch den Nährboden der ambrosianischen Tradition wahrnehmen kann, hat Don Giussani es mit dem Katholizismus in Mailand und allgemein in Italien nicht leicht gehabt. Seine Person reiht sich unter die großen italienischen Charismatiker des 20. Jahrhunderts ein, die die Schwäche kirchlicher Präsenz in der Gesellschaft zugleich aber auch die große Leidenschaft für die Verkündigung des Glaubens empfanden. In Hinblick auf diesen tiefgründigen und sorgfältigen, dabei zurückhaltenden, ja fast schüchternen Menschen von einem Charismatiker zu sprechen, mag fragwürdig scheinen. Er selbst hat das Charisma auf eine Art und Weise beschrieben, die die Leitfunktion der Träger stark einschränkt: „Das Charisma ist eine Geschichte, keine Person. Der Urgrund des Charismas ist Jesus Christus.“ Die Leidenschaft für Christus hat ihn, wie er sagte, aus dem beschaulichen Rahmen des Unterrichts im Priesterseminar dazu gedrängt, im schwierigen Umfeld des Berchet-Gymnasiums im Mailand der 50er Jahre zu wirken. In einer Zeit der „klerikalen Herrschaft“ konstatierte Giussani die Zerrüttung christlicher Präsenz und fehlende Substanz der Masse bei der Teilname an der religiösen Praxis. Von da wird die Mission zur tragenden Achse im Leben Giussanis, der die Unzulänglichkeit einer auf eine räumliche Dimension eingeschränkten Kirche, und sei es auch die stark verwurzelte ambrosianische Pfarrgemeinde, spürte. Aus dieser Spannung zur Mission im inhaltlich bestimmten Umfeld entstehen zunächst Gioventù Studentesca, dann Comunione e Liberazione. In einem noch immer katholischen Italien musste das Christentum „aus der Tradition zu einer Überzeugung werden“, wie er in Appunti di metodo cristiano 1964 schrieb: „Man kann sich vom Christentum nicht überzeugen, indem man es wie eine x-beliebige Theorie abstrakt studiert: Man kann sich nur davon überzeugen, dass es wahr ist, wenn man sich mit der gesamten eigenen Erfahrung damit auseinandersetzt… .“ Die Erfahrung war das Schlüsselwort im Vorschlag von Giussani. […] Er war überzeugt, dass aus der Begegnung mit Jesus unvorhersehbare Folgen für die menschliche Existenz hervorbrechen würden. Für ihn war klar, dass eine erneuerte christliche Erfahrung wirkliche Energien des Lebens und der Kultur freisetzen würde.
Andrea Riccardi, Il Foglio, 24 Februar 2005

Ein Meister der Freiheit
Von Don Luigi Giussani wird vieles erhalten bleiben. Etwa seine Fähigkeit, sich dem Geheimnis zu nähern. Wie wenige heutzutage verstand er es, das Doppelgleis des Christentums zu erklären, das im Pessimismus über die Natur des Menschen aber im Optimismus über seine Bestimmung besteht. Ihm gelang es, das Bedürfnis nach Wahrheit in Einklang mit dem Geschmack des Vernünftigen, der Erfahrung des Glaubens zu bringen. Und alle, die von diesem Priester aus Desio persönlich berührt wurden, bis hin zur Anhängerschaft, können sicherlich noch wesentlich mehr Dinge benennen und auch betrauern. Aber Don Giussani darf nun nicht einfach in ihren Bibliotheken oder den verborgenen heiligen Winkeln ihrer Zuneigung weiterleben. Seine Lektüre sei vor allem jenen eindringlich anempfohlen, die sich als Liberale bezeichnen. […] Das gilt vor allem für ein Thema, das ein zuverlässiger Indikator ist: die Erziehung. Der eingegrenzte Raum der „laizistischen Schule“ wird auch heute noch scharf bewacht. […] Giussani hat diesbezüglich an vielen Stellen, vor allem aber im bedeutenden Werk Il rischio educativo (Das Wagnis der Erziehung) entschieden und nachdrücklich jede Zweideutigkeit ausgeräumt. Der Staat kann keine Erziehung bieten, weil Erziehung im eigentlichen Sinne viel mehr ist als das Abspeichern von Begriffen auf der einen und der Versuch einer Indoktrination auf der anderen Seite. Don Giussani hat die Lüge der laizistischen Schule entlarvt, indem er uns die Augen für die Unmöglichkeit einer neutralen Erziehung geöffnet hat, die angeblich gerade über jene Fragen schweigt, die den Menschen zutiefst aufrütteln. Zu lehren, bedeutet, das „Risiko der Freiheit“ anzunehmen und es in der Auseinandersetzung zu formen. […] In diesen Seiten findet sich das Lehrstück einer außergewöhnlichen Freiheit, die man gerade den ideologischen Verfechtern des Skeptizismus entgegen schreien müsste, jenen, die das Gewissen zum Schweigen bringen wollen, den vermeintlich gebildeten, schlauen Geistern, für die der Respekt vor anderen Meinungen aus einem Belustigenden und voreingenommenen Zynismus hervorgeht, statt aus einer Feststellung der Identität in der Verschiedenheit. Nicht zufällig lag Giussani ein Wort besonders am Herzen: „Kreativität“. Es sagt das Beste über den Menschen aus, der von den wilden Eingriffen der vorherrschenden Ideologie unterdrückt und verletzt ist. Die Staatsgläubigkeit ist immer eine erbärmliche Situation, ja sie ist Mitleid erweckend: ohne Kreativität, ohne Poesie, ohne Gesang (angemessen, meine ich). „Eine Gesellschaft besteht darin, dass diese Kreativität, zu der die Freiheit des Menschen fähig ist, sich auch unter der Vorherrschaft des Staates ausdrückt. Mehr Gesellschaft: mehr Individuen, mehr Schöpferkraft von unten.“
Alberto Mingardi, Il Riformista, 23. Februar 2005

Der Radikale des Geistes
Wenn ein wahrer Christ stirbt, braucht man nicht zu trauern. So ist auch Don Giussani von uns gegangen und hat damit gleichsam die Kraft der Freude und die Leidenschaft für das Ewige erneuert. Dies gilt auch für den, der kein Christ ist und nicht einmal beabsichtigt, es zu werden. „Der Tod - so sagte Giussani einmal- ist gewissermaßen eine Stille. Wenn er Stille ist, gibt es nichts, das mehr schreit als diese Stille. Normalerweise ist es eine Stille, die zu einem Schrei werden kann, wie der Tod Jesu wirklich ein Schrei war.“ Genau. Der Tod war für ihn das Leben: die letzte Wende. Das Leben als Möglichkeit, die Gegenwart Gottes anzuerkennen. Ihn in allem anzuerkennen: ein Glas Whisky, ein Rosenkranzgebet im Auto, ein Spaziergang im Schnee, ein Lächeln in einer Favela, ein Vers von Leopardi, eine Gleichung zweiten Grades, eine Harmonie von Schubert, eine Enzyklopädie, ein Detail von Caravaggio, der zum x-ten mal mit der Kasse durchgebrannte „verlorene Sohn“, eine Konserve mit Pilzen, ein unerwartetes Klingeln. Alles war „mit“ Christus und „in“ Christus. Hier liegt der letzte Sinn des „Ereignisses“. Das enthüllte und alles umstürzende Geheimnis der Fleischwerdung, etwas so Einschneidendes, dass sich das gesamte Leben ändert und damit Kopf, Herz, Augen, Brille, der Zusammenhang, also alles. (...) Sein Leben war glücklich und erfüllt wie wenige andere.(...) Jene, die Giussani als Person erleben konnten, bewahren wunderbare Erinnerungen. Bis zuletzt, als es ihm schon wirklich schlecht ging und er humpelte, versuchte er dem Gast zu helfen und ihm den Mantel abzunehmen.. Oder er pfiff wie ein kleiner Junge. Er war strahlend, anspruchsvoll, mitreißend, gelegentlich auch unklar in der Schnelligkeit, mit der er die Gesamtheit mit der Einzelheit verknüpfte, die Erde mit dem Himmel, Péguy und Bernanos mit „Dem kleine Marcellino“.(...) Einer der wenigen vielleicht, der jede ausgesprochene Lauheit und klerikale Untergebenheit von sich wies und gezögert hat, der aufklärerischen Kultur auf ihrem eigenen Feld zu trauen: Die Gnade widerspricht nicht der Vernunft, sondern bildet erst ihre eigentliche Vollendung. Der Religionssoziologe Salvatore Abruzzese hat ihn in Comunione e Liberazione (Laterza, 2001) als einen „Radikalen der Existenz und der Leidenschaft für das Menschliche“ bezeichnet. Vom „Ereignis“ Christi bis hin zum verworrenen Lauf der Geschichte führt schließlich dieses Band, das Don Giussani sein ganzes, langes und glückliches Leben fest in der Hand hielt.
Filippo Ceccarelli, La Repubblica, 23. Februar 2005

Interview mit Erzbischof Caffarra
Der Erzbischof von Bologna, Carlo Caffarra erinnert sich: ”Er war ein großer Zeuge Christi. Er gab dem christlichen Wortschatz seinen ursprünglichen Sinn zurück.“
Exzellenz, was versucht man aus dem Tod eines Freundes wie Don Giussani zu lernen?
Ich hatte nicht das Geschenk, einer seiner Schüler zu sein. Wir haben uns kennen gelernt, als ich Professor für Religionswissenschaften an der katholischen Universität von Mailand war. Nach diesem Zusammentreffen verband mich eine tiefe Freundschaft mit ihm, die von großer Achtung und Zuneigung geprägt war. Ich empfing dabei viel mehr, als ich geben konnte. Als ich von seinem Tod hörte, dachte ich sofort, dass nun die Stimme eines großen Zeugen Christi erstorben war. Gestern hat die Kirche das Fest des „ Kathedra Petri“ gefeiert. Ich habe in diesem nicht zufälligen Übereintreffen das Siegel einer Existenz erkannt, die sich leidenschaftlich der Kirche geschenkt hat.

Der Verlust von Giussani hinterlässt eine Leere für CL und die Kirche: Wird es möglich sein, diese Leere zu füllen?
Die Art und Weise der Beziehung, die die Jünger Christi verbindet, ist viel stärker als die Abwesenheit der physischen Person. Monsignor Giussani hat die Gabe eines „ Gründungscharismas“ erhalten, einen Samen, den er in das Leben der Kirche eingepflanzt hat. Die Leere seiner Gegenwart wird mit den Früchten dieses Samens gefüllt, der kirchlichen Bewegung von CL. (...)

Was bleibt von der Lehre Don Giussanis?
Die Verkündigung des Evangeliums in seiner Substanz. Erstens: Gott ist Mensch geworden, gestorben und auferstanden. Du kannst ihm heute innerhalb der Kirche auf eine solche Art und Weise begegnen, dass Deine gesamte Menschlichkeit wieder aufgerichtet wird. Zweitens: Wenn Dir dies widerfahren ist, kannst Du es nicht verschweigen. Du musst es mitteilen. Giussani liebte es, einen Satz von Thomas von Aquin zu zitieren: “Wenn alles Wissen in einem einzigen Buch geschrieben stünde, so würde ich alle anderen Bücher beiseite lassen und nur dieses Buch lesen. Dieses Buch gibt es, es ist Christus.“

Wird CL ohne seinen Gründer schwierigen Zeiten entgegengehen?
Das Hinscheiden des Gründers stellt für jede geistliche Bewegung einen besonderen Moment dar. Ich bin jedoch sicher, dass Don Giussani Männer und Frauen mit einem solchen Elan hinterlassen hat, dass sie fähig sein werden, seine Erfahrung mit schöpferischer Treue weiterzuführen.“
Orazio La Rocca, La Repubblica, 23. Februar 2005

Interview mit dem Präsidenten des italienischen Senats, Marcello Pera
Wir Laien haben Giussani viel zu verdanken
Was fasziniert Sie an der Position Giussanis zu den existenziellen Fragen?
Der Glaube. Ich bewundere gläubige Menschen zutiefst. Sie erschüttern mich. Manchmal machen sie mich sogar verlegen, immer jedoch bin ich an ihnen interessiert und von ihnen angezogen. So wie ich Don Giussani wahrgenommen habe, war er einer dieser Menschen. Als ein Apostel des Glaubens war er auch verfügbar, ein Märtyrer zu werden. Damit meine ich, die Kritik zu ertragen, das Unverständnis, die Verhöhnung, die Feindseligkeiten, an denen es auch in „seiner“ Welt, innerhalb seiner Kirche nicht fehlte. Ist dies nicht ein wunderbares Beispiel eines wirklichen Zeugnisses und ein fortwährender Ansporn, wie man leben sollte? Für alle, Gläubige und Nichtgläubige.

In der Vergangenheit haben Sie auch das Gewicht der Gedanken Don Giussanis unterstrichen.
(…) Wie verwirklicht sich das christliche Zeugnis für Don Giussani? Nicht einfach durch Worte, sondern vor allem in Taten. Don Giussani hat die Gläubigen dazu aufgerufen, Handelnde zu sein, zu wirken. Er hat sich geweigert, einer in Europa weit verbreiteten Tendenz nachzugeben: den christlichen Glauben in das Gehege der Subjektivität zu verbannen und einzuschließen. Er hat die Gläubigen vor Stumpfheit, Untätigkeit und Faulheit bewahrt, die Nichtgläubigen vor Verdächtigung und Misstrauen. Er sprach den einen zu, keine Angst zu haben und gebot den anderen, keine Angst zu erzeugen. Das Christentum ist tätiges Leben. Der Glaube erwächst zunächst aus einer Begegnung, einer direkten Beziehung, dann aber wird er ein persönliches, soziales, gemeinschaftliches und politisches Ereignis. Der Glaube verschließt sich nicht, sondern er reißt mit. Er respektiert die anderen, hat aber auch Respekt vor der eigenen Person und fordert ihre Freiheit im Handeln ein. (…) Don Giussani vertrat die Ansicht, dass die höchste Kategorie der Vernunft die Möglichkeit sei. Das ist meine Art und Weise, in Gemeinschaft mit ihm zu sein.
Renato Farina, Libero, 24. Februar 2005

Interview mit dem Psychoanalytiker Claudio Risé
Der Wirbelsturm zwischen den Bänken des Berchet-Gymnasiums
Es scheint, Herr Professor, als ob Ihre erste Erinnerung die eines physisch hinreißenden Einbruchs war, damals in der Aula des Berchet-Gymnasiums in den 50er Jahren.
Das stimmt, und gerade dieses Physische ist auch das Charakteristikum der Spiritualität Giussanis. Er wiederholte ständig, dass das Christentum keine Philosophie, sondern ein Faktum ist, nämlich die Erhöhung eines menschlichen Leibes durch Gott. Dieser so tief verkörperte Glaube drückte sich auch durch seine Körperlichkeit aus: Er sagte das, was er war, ja, er vertrat auch in seinem ganzen Sein und seinen Bewegungen leidenschaftlich den Fleisch gewordenen Christus, an den er glaubte.(…) Er bat uns, wir selber zu sein, Menschen, die keinen Schritt von der Wahrheit zurückweichen. Nicht geizig sein, das bedeutet, uns dem Zusammentreffen und der Anerkennung der Wahrheit nicht zu entziehen. (…)

Gibt es etwas von Giussani, das für Sie besonders wichtig war?
Ich war nicht bei GS und der Bewegung. Im Gegenteil, ich war der „weltliche“ Leiter der Schülerzeitung des Berchet-Gymnasiums. Wenn ich auch keiner „seiner“ Jungen war, so fühlte ich mich bei Giussani stets äußerst aufmerksam wahrgenommen und von Grund auf geliebt. Diese Liebe wird für immer in mir bleiben.