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Meeting Rimini
Die Freiheit, Kinder zu sein
Carlo Dignola

Heute ist nichts größeren Missverständnissen ausgesetzt als der Begriff der Freiheit, wie Papst Benedikt XVI. betonte. Auf dem Meeting haben Schriftsteller, Politiker, Journalisten und Männer der Kirche bezeugt, dass sie das höchste Gut ist, und dass man ihr begegnen kann.


Die Freiheit der Wissenschaft
Wie die Politik läuft auch die Wissenschaft Gefahr, ihre Anziehungskraft zu verlieren und zu einer anti-menschlichen Technik zu verkümmern. Nämlich, wenn sie nicht mehr die Grundlagen begreift, die schon im Mittelalter das Auftauchen einer Methode rationaler Erkenntnis, die sich auf die Beobachtungen der Realität stützt, möglich gemacht haben. Der Nuklearphysiker Peter Hodgson und der Mathematiker Giorgio Israel erläuterten denn auch, dass es ohne den Monotheismus, ohne die Idee einer Ordnung des Geschaffenen und ohne das Vertrauen in eine nach vorne gerichtete Geschichte, das die jüdisch-christliche Kultur auszeichnet, einen Menschen wie etwa Galileo Galilei nie gegeben hätte. Stellt man aber Wissenschaft und Religion in einen Gegensatz, ruft man die Freiheit der einen aus, um sich von den angeblichen Ketten der anderen loszumachen, dann erliegt man gerade im Hinblick auf den Begriff der Freiheit einem Missverständnis. In seinem Grußwort stellte Papst Benedikt XVI. klar, dass wir "in einem historischen und kulturellen Augenblick leben, in dem nichts so missverstanden wird wie der Begriff der Freiheit". Und der Erzbischof von Bologna, Carlo Caffarra unterstrich: Die Freiheit des Menschen liegt heute in Ketten, und das heißt, sie selber muss als Erstes befreit werden. Vor allen Dingen von dem drängenden Skeptizismus über die eigene Natur, von der Angst, in einer Welt, die ganz von materiellen Orientierungskriterien bestimmt ist. Zugleich muss sie von einem Klima der moralischen Gleichgültigkeit befreit werden, das der Freiheit die Luft nimmt, von jener Anbetung des Nichts, die Hemingway in einem widersinnigen Gebet festhält, das sich in seinen 49 Depeschen findet: "Nada unser im Nada …".

Freier Gehorsam
Auch Julian Carrón ging von der strukturellen Schwäche der menschlichen Freiheit aus. "Es genügt sich zu fragen, wie viele wirklich freie Menschen wir kennen". Wie bei anderen Veranstaltungen drängten sich auch hier die Menschen. Derartig viele Besucher hatte man in den letzten Jahren lange nicht gesehen. Don Julián ist nicht Giussani, ihm fehlt die Vehemenz, die raue Stimme, die messerscharfen Bilder. Dennoch wurde er sofort von derselben Zuneigung umgeben. Tosender Applaus hat ihn lange daran gehindert zu reden. Er zitierte Kafka und Cesare Pavese, Maria Zambrano und Hannah Arendt, um zu zeigen, dass - im Gegensatz zu dem, was man so glaubt - die Freiheit ein "ebenso wertvolles wie mangelndes Gut ist". Wie ist dies möglich, so fragte er sich, wo doch unsere Epoche nichts anderes tut, als die Freiheit auf jedem Gebiet als ihren absoluten und nicht verhandelbaren Wert zu proklamieren? Der Fehler liegt in einer falschen Idee, die in der ganzen modernen Kultur Wurzeln schlägt: dass nämlich die Freiheit in der völligen Abwesenheit von Bindungen besteht. Deswegen ist es nötig, Kant ein wenig zu vergessen und sich statt dessen an die Geschichte vom verlorenen Sohn zu erinnern, der eben, weil er freier sein wollte, alle Brücken zum Vater abbrach, was aber damit endete, dass er zum Sklaven wurde. Der Prototyp unserer Fehler ist gerade der autonome Mensch. Demgegenüber besteht die wahre Freiheit nach Carróns Worten darin, "entdeckt zu haben, wie gut es ist, einen Vater zu haben". Aber es reicht nicht, ein braver Junge zu sein, um den Absturz zu vermeiden. Der Sohn, der im Gleichnis zu Hause blieb, ist ein "Formalist", ein fast bösartiger Moralist, der gerade nicht zu den guten Vorbildern des Evangeliums gehört. Damit ist das ganze menschliche Drama in diesem "freien Gehorsam" zu finden, von dem Péguy in so bewegenden Tönen schreibt. Und dieser freie Gehorsam ist so schwer zu leben, weil er so unsagbar weit von der vorherrschenden Mentalität entfernt ist.
Die Freiheit ist kein Fächer gleichwertiger Vorschläge, so Carrón, sondern "eine bestimmte Erfahrung. Wir fühlen uns frei, wenn wir ein Verlangen von uns erfüllt sehen". Wenn man Leopardi nicht versteht und seine Erkenntnis, dass "alles wenig ist", wenn man nicht darauf hinweist, dass die menschliche Freiheit sich der Realität gegenüber im Schach befindet, wenn man das Verhältnis zwischen dem Ich und dem unendlichen Geheimnis, den unsere vollendete Freiheit mit jedem Schritt proklamiert, gibt es keinen Ausweg. Nicht nur der Atheist, sondern auch der religiöse Mensch ist dann in einem Käfig eingesperrt. Denn die Freiheit ist letztlich kein abstraktes Konzept, sondern "ein freier Mensch, der durch die Begegnung mit Christus verändert wurde".
Schon die Griechen, die das Wort dafür erfanden, sprachen erst vom eleutheros, dem freien Subjekt und viel später von der eleutheria, der Idee der Freiheit. Für sie, daran hat die Historikerin Marta Sordi erinnert - war nicht der Einzelne, sondern die Stadt als ganze frei, soweit sie zur Welt der Barbaren Abstand wahrte, die sich Tyrannen jeder Art unterwarfen. Der Sklave war für die Griechen der Mann, der nicht zum demos, zum eigenen Volk gehörte, und der deshalb sich selbst überlassen blieb. Auch für die Lateiner war das Wort liber, wörtlich gesehen, der Sohn, der aus seiner Abhängigkeit vom Vater seine bürgerliche Identität bezieht.

Freie Menschen
Viele freie Menschen waren auf dem Meeting dieses Jahr zu sehen. Und bei solchen Leuten muss man immer auf Überraschungen gefasst sein. Nehmen wir Giuliano Ferrara, der als "Super-Laizist" und ehemaliger Kommunist erklärte, er werde die Embryonen, das traditionelle Verständnis der Ehe und sogar das Konzept der Sünde gegen die Ideologie der Gleichwertigkeit aller moralischen Vorstellungen verteidigen. Und er scheute sich nicht zu bekennen, dass ihn der Kampf zur Beibehaltung des restriktiven Embryonenschutzgesetzes so begeistert habe wie seit Jahren nichts mehr. Er sei glücklich, gemeinsam mit den Katholiken gewonnen zu haben. Seinen ehemaligen Genossen rief er zu, dass jene, die für die Abschaffung des Embryonenschutzes auf die Barrikaden gegangen sind, "nicht für den Laizismus, sondern für barbarischen Positivismus gekämpft haben". Und schließlich räumte er ein, dass er niemals unter Liberalen oder Kommunisten "so viel Leidenschaft für die Freiheit" gefunden habe, "wie in der angeblich verdunkelnden und düsteren katholischen Welt".
Ein anderer Zeuge der Freiheit war Giancarlo Cesana, der in diesem Jahr mehrfach aufs Podium ging, oder Giorgio Vittadini. Er attackierte Italien frontal als "Land der Rendite", reichte dann aber dem ehemaligen Finanzminister Giulio Tremonti die Hand, mit dem es zur Frage der Banken-Stiftungen zu etlichen Auseinandersetzungen gekommen war. Der afghanische Außenminister Abdullah Abdullah bezeugte ebenfalls seinen Willen zur Freiheit. Er dankte dem Plenum geradezu gerührt dafür, dass ihm als Moslem "das große Privileg zukomme hier in Rimini fromme und gelehrte Menschen, religiöse und politische Vertreter zu treffen", die die Probleme seines Landes aufmerksam verfolgen würden. Oder der Leiter des bedeutenden US-amerikanischen Ordens-Vereins "Knights of Columbus", Carl A. Anderson. Er sagte auf dem Meeting, dass er sich sofort wie zu Hause gefühlt habe und die Jugendlichen seiner Vereinigung nach Rimini bringen wolle, damit sie sähen, dass das Christentum keine langweile Sache aus der Vergangenheit sei. Frei zeigte sich auch Tony Hendra, ein berühmter englischer Komiker, der aus seinem Leben von Sex, Drugs and Rock 'n Roll erzählte (er bezeichnete sich als "entweihte Satire") und davon, wie er auf wundersame Weise über die Jahre durch eine freundschaftliche Beziehung zu dem Benediktiner-Pater Joe gestützt wurde. Sein Leben als "verlorener Sohn" wäre ein Gefängnis gewesen, hätte er nicht irgendwann gemerkt, "dass die Vergebung immer möglich ist". Gerade durch die Barmherzigkeit wird die Freiheit des Menschen offen gehalten.

Don Giussani
Und Don Giussani? Der Bildhauer Manfredi Quartana fasste es in folgende Worte: "Dass es einen Vater gibt, sieht man daran, dass es Brüder und Schwestern gibt. Die Brüderschaft, die man hier auf dem Meeting trifft, ist das Zeichen, dass es einen Vater gibt, und dass er hier präsent ist." In der Tat wurde dies in jeder Einzelheit deutlich, angefangen bei den Babysittern, über die Art, wie der Service oder Techniker arbeiteten, bis hin zu den jugendlichen Helfern, die beim Abschlussfest Rap tanzten. All diese Leute beschäftigte nicht die in den Medien hin und her gewälzte Frage nach der "Erbschaft des Gründers". Sie waren dort, weil sie von einer Gegenwart fasziniert waren. Der Titel des Meetings 2006 wird in diesem Sinne erstmals ganz von "Don Giussiani" vorgegeben: "Die Vernunft ist das Bedürfnis nach Unendlichkeit, und sie gipfelt in der Sehnsucht und Vorahnung, dass sich die Unendlichkeit einstellt".