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Editorial
«Alles warst du für mich und bist es!»


Wer hin und wieder mit Eltern über ihre Kinder oder mit Unternehmern über ihre Betriebe spricht, dem wird die sorgenvolle Unruhe nicht verborgen bleiben, mit der sie in die Zukunft blicken. Eine Skepsis, die sich auch in Umfragen widerspiegelt. Besonders junge Menschen machen keinen Hehl aus der Ratlosigkeit, die sie empfinden. Viele sind der Ansicht, dass jede Erwartung früher oder später einmal enttäuscht wird und ihre Sehnsucht ins Leere läuft.
Man hat sich daran mittlerweile schon gewöhnt. Die Unsicherheit, die hier zum Tragen kommt, prägt unsere Zeit und vergiftet unsere Lebenswelt. Im Leben der Einzelnen, aber auch ganzer Gesellschaften führt dies zu Widersprüchen: Der Entschiedenheit, mit der heute Lebensstile und Verhaltensweisen gewählt und verteidigt werden, steht eine fundamentale Unsicherheit gegenüber, wenn es darum geht, Stellung zu beziehen und wichtige Entscheidungen zu treffen, die dem eigenen Leben eine Richtung geben.
Auf der einen Seite räumen viele heute der Arbeit einen hohen Stellenwert ein, auf der anderen Seite gibt es kaum jemanden, der mehr als nur vage Gründe dafür angeben kann. Ähnlich sieht es im Beziehungsleben aus: So sehr man es heute für wichtig hält, in Beziehung zu stehen, so sehr zögert man doch, dauerhaft in Beziehungen einzutreten oder etwas in sie zu investieren. In der Folge gerät man in die fast schon schizophrene Lage, sich einerseits für oder gegen bestimmte Ziele und Lebensentwürfe einzusetzen, andererseits aber jede Auseinandersetzung mit den Gründen, die für oder gegen sie sprechen, zu unterlassen. Das eigene Ich kommt in all diesen Angelegenheiten offenbar überhaupt nicht mehr vor.
Der Mensch ohne Gewissheit ist die beste Ressource für Machthaber aller Art. Er ist der ideale Untertan. Er wird sich dem allgemeinen Gang der Dinge fügen, das heißt dem Gang der Dinge, wie ihn die jeweiligen Machthaber wünschen. Der Mensch ohne Gewissheit, der Mensch ohne Urteilskraft, der seinen eigenen Gefühlen und der Mode ausgeliefert ist, steht sich selbst im Weg. Besonders wenn er seine Ungewissheit zum Gesetz erhebt. Er wird daher versuchen, sich mit seiner Situation zu arrangieren und so zu tun, als ob er eine Gewissheit im Leben hätte, sprich: Er wird als Träumer durchs Leben gehen, ständig mit dem Zweifel im Herzen, dass alles nur Lüge ist. Und mag er auch noch so sehr seine Freude am Leben beteuern, seine angstvolle Sorge kann er damit nicht vertreiben.
In Zeiten der Ungewissheit bieten Christen jene Gewissheit, die allein es erlaubt, den eigenen Weg im Leben zu finden. Der Heilige Vater lebt aus dieser Gewissheit und hat sie in den Ostertagen aller Welt verkündet. Dabei handelt es sich um eine Gewissheit, die nicht das Geringste zu tun hat mit der unerträglichen Arroganz von Besserwissern, die meinen, sie müssten anderen das Leben erklären und ihnen Verhaltensregeln beibringen.
Nicht aus einer verlogenen moralischen Selbstvergewisserung heraus erwächst die Gewissheit, die zum Neuanfang befähigt - zum Neuanfang in der Arbeit, in der Liebe, in den Problemen, in denen wir alle uns verstricken. Nein, sie wird geboren in der Beziehung zu etwas, das größer ist als alles andere: «Alles warst du für mich und bist es!», ruft die Dichterin Ada Negri aus. Nicht aus einem Traum, sondern aus einer Gegenwart, die dem Herzen entspricht, hier und heute. Die Exerzitien der Fraternität von Comunione e Liberazione Ende April hatten genau dies zum Thema:
Wir leben aus Liebe zu etwas, das jetzt gerade geschieht. Wie den enttäuschten und verlorenen Jüngern von Emmaus - so Julián Carrón in seiner Ansprache - gesellt sich auch heute Christus uns zu, um uns dem Nichts zu entreißen, in dem alles zu enden scheint. Seine Gegenwart, Seine Gesellschaft erweist sich als siegreich, wenn sie all unseren Skeptizismus und Zynismus beiseite schiebt und die Erwartung unseres Herzens erfüllt. Nicht also von einer aus eigener Kraft gewonnenen, letztlich angemaßten Gewissheit ist hier die Rede, sondern von der Gewissheit der Existenz eines Du, der Beziehung mit Christus, der unser Weggenosse wird, Augenblick für Augenblick «in Menschen, in denen Er durchscheint» (Benedikt XVI.).
Die Ungewissheit lässt die Menschen wie Kinder zurück, die verängstigt an der Türschwelle eines Zimmers stehen bleiben, in das einzutreten sie nicht wagen. Dabei verlieren sie allmählich den Kontakt zur Wirklichkeit. Der christliche Glaube hingegen treibt an zu ständiger Entdeckung, er potenziert die Vernunft und richtet sie ganz aus auf die Wirklichkeit und deren Erkenntnis. So wie uns die Ungewissheit von den Dingen entfernt, so treibt uns der Glaube an, in die Wirklichkeit hineinzugehen und in ihr zu wirken.