Logo Tracce


Gesellschaft - Unternehmer
Vom Vater auf den Sohn. Der Beginn einer Geschichte
Mario Molteni

Mit dieser Ausgabe eröffnet Spuren eine Reihe von Interviews mit Unternehmern, deren beruflicher Weg in der Bewegung gereift ist. Die Gespräche beleuchten die berufliche Erfahrung, in der sich die Entscheidungen, die Spannungen und die Probleme der Arbeit als Unternehmer widerspiegeln.

Als Erster berichtet Marco Montagna von seinem Werdegang. Zusammen mit seinem Bruder Michele steht er an der Spitze der Montagna-Gruppe. Er ist Präsident des vom Vater gegründeten Bauunternehmens, das in Pesaro verwurzelt, aber mittlerweile in ganz Italien und auch im Ausland aktiv ist. Wir veröffentlichen diese Geschichte als erste, weil sie die schwierige Zeit in den Mittelpunkt rückt, wenn ein Sohn in das väterliche Unternehmen einsteigt.
«An der Technischen Universität Mailand hatte ich die entscheidende Begegnung mit der Bewegung. Am Ende des Studiums, im Jahre 1982, stand ich vor der Frage, in das Unternehmen meines Vaters einzusteigen oder nicht. Ich sah zwei Schwierigkeiten: Vor allem schien es mir, dass eine Rückkehr nach Pesaro und mithin eine Aufgabe des Umfelds, das mich begeistert hatte, eine Aufgabe des Kernpunktes meines Lebens bedeutet hätte. Zweitens hätte ich ein Handwerk begonnen, das mir fern lag. Don Giussani sagte mir, dass es keinen Grund zur Eile gebe, auch weil ich noch den Wehrdienst ableisten musste. Gelegentlich sprachen wir darüber: «Vielleicht kann dein künftiger Schwiegervater - den er gut kannte - für dich eine Arbeit in Mailand finden, denn es ist recht, dass wir die Energie unserer Jugendwünsche aufrechterhalten.» Als ich den Wehrdienst beendet hatte, stellte mein Vater mich eines Tages vor die Wahl: «Entweder du kommst hierher, oder ich schließe den Laden.» Das hat natürlich mein Gewissen belastet. In einem Gespräch mit Don Giussani erkannte ich, dass es unvermeidlich war, diesem Vorschlag zu folgen. Aber er beruhigte mich und gab mir neue Begeisterung, indem er mir sagte, dass es darauf ankomme, eine Bindung aufrechtzuerhalten. So bin ich nach Pesaro zurückgekehrt. Aber seitdem ist nie eine Woche vergangen, ohne dass ich nach Mailand gefahren wäre. Das ist für mich ein Zeichen jener Zugehörigkeit, die meine Wandlung bestimmt.

Es ist aber nicht üblich in der Geschäftswelt, dass ein Unternehmer von Zugehörigkeit spricht!
Die Alternative ist traurig! Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem damaligen Direktor des Industrieverbandes von Pesaro, einem Freund meines Vaters. Ich besuchte ihn, um ihm zu sagen, dass ich zurückgekehrt sei, und er, ein engagierter Katholik, sagte mir: «Manche Dinge sind notwendig im Leben: der Industrielle ist ein notwendiges Übel, aber es gibt stets einen Abgrund zwischen dem Christen und dem Industriellen, denn der Christ muss sich dem Evangelium gemäß verhalten, der Industrielle hingegen kann es nicht. Wenn du zum Beispiel jemanden entlassen musst, musst du es tun: In dem Moment zählt das Evangelium nicht, und was machst du dann? Es sind zwei verschiedene Welten.» Im Laufe seiner Entwicklung steht der Mensch vor vielen Bedrohungen für die Einheit seiner Person. So sehr, dass die Gesellschaft für diese Art von Problemen folgende Lösung gefunden hat: In unserem Gewissen unterscheiden wir den Glauben vom Leben. Mithin sind die Menschen berufen, ein Leben nach dem Prinzip «Geschäft ist Geschäft» zu führen und auf der anderen Seite, sofern sie gläubig sind, einen gewissen Raum für das Gewissen zu erhalten. Und dann wird der Raum für das Gewissen normalerweise immer kleiner!

Wie lief es mit deinem Vater in der ersten Zeit eures «Zusammenseins»?
Als ich eingestiegen bin, war mein Vater 70 und ich 25. Sofort begann die Debatte über das Wachstum der Firma: Wiewohl mein Vater ein großer Unternehmer war, wurde er doch langsam alt und neigte dazu, das Unternehmen auf eine Größe hin zu lenken, die ihm entsprach. Abgesehen von dem «Willkommen» des ersten Jahres wurde der Zusammenstoß heftig: Mit seiner ausgeprägten Persönlichkeit hatte er eine heftige Art, zu sagen, was er dachte; schließlich wusste er alles über sein Handwerk, so sehr, dass ich an meinem Wert zu zweifeln begann. Das war der Kern der anfänglichen Krise. Das ständige Gespräch mit Don Giussani stützte mich angesichts dieser Einwände. Was er mir gab, war eine Weggemeinschaft, eine Anteilnahme, eine Hilfe, die Gründe zu vertiefen; nicht ein Hinweis auf eine Lösung. Giussani hat meine Freiheit «hervorgelockt». Die Tatsache, dass Don Giussani so viel Menschlichkeit um sich herum schaffte, hatte für mich ein Gewicht, denn mein Vater hatte so viel Wohlstand fabriziert, und ich musste ihn mit jemandem vergleichen, der so viel ins Werk gesetzt hatte! Die Schlacht mit meinem Vater endete, als ich einmal, nach drei oder vier Jahren in der Firma, zu Don Giussani ging und sagte: «Ich bin die Tyrannei meines Vaters leid, ich gebe die Arbeit auf.» Die ersten 20 Minuten stimmte er mir zu. Und dann: «Ich habe den Eindruck, wenn du diese Beziehung zu deinem Vater verlässt, wenn du diese Schlacht nicht gewinnst, dann ist das, als wenn du die Schlacht des Glaubens nicht gewännest.» Giussani brachte mich dazu zu verstehen, dass ich, um diese Schlacht zu gewinnen, erkennen musste, dass ich sie schon gewonnen hatte. Ich musste das wieder aufgreifen, was mich in der Universität eingenommen und überzeugt hatte: Die Begegnung, die ich mit 20 Jahren gemacht hatte, war das wahre Gewicht» und bedurfte nicht der Bestätigung durch einen Vater oder durch einen Erfolg. Ab diesem Moment begann ich, an meinen Vater als an einen Teil meiner Erfahrung zu denken, und nicht als einen Feind. Zum zweiten Mal in meinem Leben bemächtigte sich meiner ein Verhalten gegenüber der Wirklichkeit, das nicht von Angst, sondern von einer großen Öffnung geprägt war, so dass alles, was einem geschieht, als Gelegenheit wahrgenommen wird. Der anfängliche Zweifel war verschwunden: Wer sollte siegen? Wir hatten beide gesiegt: Mein Vater in der großen Persönlichkeit, die er hatte, und ich in dem, dem ich begegnet war. So habe ich die Firma in Besitz genommen.

In welchem Sinne in Besitz genommen?
Vor allem habe ich mich für die schon in der Firma beschäftigten Mitarbeiter geöffnet, angefangen bei meinem Cousin Adalberto und seinem Sohn Andrea. Und ich habe angefangen, etwas zu wagen! Diesbezüglich gibt es eine bezeichnende Episode aus jener Zeit. Ich entschied, eine Baustelle zu eröffnen, ohne meinem Vater etwas zu sagen, so dass er es eines Tages beim Zeitungslesen entdeckte! Er rief nach mir. Einige Freunde, die bei ihm waren, gratulierten ihm und meinten, er habe Glück, dass er einen Sohn mit Unternehmergeist habe. Aber er sagte wütend zu mir, dass er solche Dinge im Voraus wissen wolle. Ich antwortete ihm: «Du hast mir immer gesagt, ich müsse gut und schnell wie du sein: ich habe getan, was du mir gesagt hast!» Er gab zurück: «Du musst nicht handeln, wie ich dir sage! Du musst zusammen mit mir handeln!» Als ich die Episode Don Giussani erzählte, sagte er mir: «Schau mal an! Siehst du deinen Vater? Das ist der Mittelpunkt der ganzen Bewegung von CL! Wir müssen nicht so handeln, wie man uns sagt: wir müssen zusammen handeln; anderenfalls ist alles nur Gerede.» Und von dort aus entwickelte sich das Thema «Zusammen handeln», das er dann allen vorschlug.

Und wie ging die Sache mit deinem Vater weiter?
Diese Sache markierte einen weiteren Schritt der Wiederannäherung an ihn, der allmählich alt wurde. Und so ist es bis zum Ende weitergegangen. Mir ist es wichtig, eine Sache zu erzählen. Nachdem Don Giussani mir oft Recht gegeben hatte, sagte er mir nach 15 Jahren beim Tod meines Vaters: «Schau mal, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, dein Vater ist im Paradies.» Ich antwortete ihm, dass er nie in die Messe gegangen sei. Und er sagte mir, auch auf meinen Bruder verweisend: «Ja, aber den Plan Gottes versteht man in einem weiten Raum; an den Früchten erkennt man den Wert des Baumes, und da ihr die Früchte seid, war sicher auch dieser große Vater Teil von Gottes Plan.»

Wie hat sich mit der Zeit dein unternehmerisches Handeln verändert?
Als ich in die Firma einstieg, arbeitete mein Vater fast ausschließlich an Immobilien. In der Vergangenheit war er Konstrukteur gewesen, hatte Brücken und Straßen gebaut, aber dann war der Immobiliensektor der weniger problematische. Ich habe es mit der Zeit vorgezogen, auch zur Arbeit des Konstrukteurs zurückzukehren. Im Übrigen haben die Gewissheit und die Ruhe, die im Laufe der Jahre in mir gewachsen sind, es mir erleichtert, auch die Gelegenheiten an der unternehmerischen Front anzunehmen. Sowohl was das Verbandsleben angeht (ich bin in den Industrieverband eingetreten und bin heute dessen Vorsitzender in Pesaro, wiederum aufgrund einer Gelegenheit, die man mir vorschlug), als auch was die Entwicklung der Firma betrifft. Zum Beispiel habe ich aus Sympathie zu einem serbischen Freund eine Arbeit in Belgrad aufgenommen. Er hatte gesehen, wie wir als Unternehmer arbeiten und wollte so etwas in seinem Land errichten. Ferner entstand eine wichtige Aktivität unserer Firma in Mailand auf Einladung eines Freundes, mit dem ich zusammen an der Technischen Universität studiert hatte. Ich dachte mir, wenn der Ewige Vater uns eine zweites Mal zusammenkommen lässt, dann muss ich das annehmen!

Wie siehst du die Zusammenarbeit mit anderen Firmen, die von den kleinen Unternehmern oft negativ gesehen wird?
Giussani sagte immer, wenn jemand keine Gründe hat zu misstrauen, dann ist der rechte Zugang zur Wirklichkeit der des Vertrauens. Eine äußerst schwerwiegende Lücke, die ich in meinem Handwerk hatte, war, dass ich überhaupt nichts von der Warenbeschaffung verstand. Die Bauunternehmer sind Leute, die sehr viel vor Ort sein müssen. Sie müssen auf die Plätze und zu den Festen gehen, um zu erkennen, wie der Wind weht. Ich - als einer, der immer mit einem Fuß dort und mit einem in Mailand stand - verstand nicht zu kaufen. So fand ich mich nach ein paar Jahren - als die Arbeit, die mein Vater geführt hatte, abnahm - ohne Bauland wieder, ohne den Rohstoff, der für meine Arbeit notwendig war. Die Lösung ergab sich aus dem Umstand, dass mir ein Freund meines Vaters eine gemeinsame Initiative auf einem bestimmten Gebiet vorschlug. Seit dem Zeitpunkt verfolge ich die Methode des Firmenverbunds: Meine Firma beteiligt sich an 37 Gesellschaften, jede zusammen mit anderen, und damit machen wir eine großartige Erfahrung. Mit einigen von ihnen festigt sich die Beziehung und verschafft eine große Befriedigung, so sehr, dass ich zusammen mit drei anderen Bauunternehmern darüber nachdenke, ein Dachunternehmen zu schaffen, was auch notwendig ist, denn in diesem Markt genügt die Kleinfirma nicht mehr.