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Kultur - Die weiße Rose
«Nun bin ich an der Reihe»


Die Ausstellung Die weiße Rose. Gesichter einer Freundschaft stößt in Italien auf eine unerhörte Resonanz. Unzählige Besucher von Genua bis Apulien entdecken in diesen Gesichtern eine Positivität, die sie ihre eigene Sehnsucht nach einer wahren Freundschaft neu entdecken lässt.

In diesen Monaten haben Tausende italienischer Studenten und Erwachsener die Möglichkeit, die Geschichte einer beeindruckenden Freundschaft kennen zu lernen. Nachdem die Ausstellung Die weiße Rose. Gesichter einer Freundschaft schon auf dem Meeting in Rimini unzählige Besucher angezogen hatte, wandert sie nun durch ganz Italien: von Turin über Mailand nach Rom, Genua, Perugia und Bologna bis ins apulische Andria. Und das ist noch lange nicht das Ende. Zudem kursiert eine Kurzversion von zwölf Plakaten, die bisher schon an 400 italienischen Schulen gezeigt wurde. Gianni Mereghetti sieht das Phänomen der Ausstellung vor allem darin, dass die heutigen Studenten die beeindruckende Übereinstimmung einer Leidenschaft für das Leben und einen Wunsch nach Freundschaft entdecken, der auch ihr Herz, wenngleich oft unbewusst, erfüllt. Und viele Jugendliche haben davon ein Zeugnis gegeben, als sie beim Verlassen der Ausstellung sagten oder schrieben «nun bin ich an der Reihe». Gleichsam als Zeichen, so Mereghetti, dass diese Geschichte eine Bitte im Leben wachruft. Er erzählt vom «Tag der Befreiung von Ausschwitz» am 27. Januar, der dieses Jahr vielerorts Anlass für die Vorstellung der Ausstellung war und so zu einem erzieherischen Moment werden konnte. «Viele Lehrer und Direktoren haben die Präsentation der Ausstellung als eine der bedeutsamsten Initiativen dieser Erinnerung wahrgenommen. In der Tat, aus der Beschäftigung mit der menschlichen Erfahrung der Freunde der Weißen Rose zeigt sich eines ganz klar: Man kann nicht an den Terror der Nazis erinnern, ohne zugleich diese Positivität, die dem menschlichen Herzen eingeschrieben ist und von der Gegenwart des Göttlichen genährt wird, ans Licht zu bringen. Eine Positivität, mit der man dem Bösen entgegentreten kann. Mit dieser Ausstellung ist die Frage 'Wo war Gott in Ausschwitz', die so oft Inhalt der Gedächtnisreden ist, durch eine Gewissheit ersetzt worden. Eine Gewissheit, die die Sekretärin Hitlers plötzlich ergriff, als sie an der Gedenktafel vorbeikam, die an das Opfer von Sophie Scholl erinnerte. In diesem Augenblick verstand Traudl Junge, dass man 'nie zu jung ist, um zu verstehen.' Dies ist es, was viele Jugendliche während der Ausstellung verstanden haben. Die Leidenschaft für das Leben ist im Herzen der Jugend eingeschrieben. Dies gilt für diese jungen Leute, so wie es für jedes menschliche Wesen gilt. Das zu entdecken, setzt die Energie des Herzens und seine Ausrichtung auf das Unendliche hin frei.»

Eine Freundschaft, die die Sehnsucht weckt
Don Roberto unterrichtet am ITIS, einer Schule, wo nur Ettore der Bewegung angehört. Kulturelle Themen sind dort nicht an der Tagesordnung. So bat Ettore andere Schüler von GS, die Ausstellung an seiner Schule vorzustellen, die innerhalb von vier Tagen allein 25 Klassen des Institutes besuchten. Dies war ein so außergewöhnliches und positives Ereignis, dass der Direktor, der normalerweise nur Beschwerden und kaum jemals einen positiven Vorschlag erhält, das lokale Fernsehen einlud, um die Ausstellung aufnehmen zu lassen und die Schüler zu interviewen. «Das Beeindruckende, so die Schüler, war, dass sogar die größten Chaoten ruhig waren, beeindruckt von dem Zeugnis einer wahren und intensiven Freundschaft, die sie zwar nicht leben, aber umso mehr ersehnen.»

Wirkliche Schönheit bedarf des Opfers
Die deutschen Kuratoren der Ausstellung sind zur Zeit in Italien sehr gefragt. Und da ich als solcher momentan sowieso für den Verleih und die Geschicke der Ausstellung in Deutschland tätig bin, reise ich als ihr Botschafter oft und gerne auch in den Süden. Die Besuche laufen meist ähnlich ab: Ankunft am Flughafen, im Eiltempo zum Ort der Ausstellung, im günstigsten Falle ein schnelles Frühstück in der Bar. Dann zum Ort des Geschehens: Universität, Bibliothek oder wo auch immer die Ausstellung präsentiert wird. Ein kurzes Überprüfen der Technik, damit die Vorstellung der Protagonisten mit ihren Gesichtern auf der Leinwand hinter mir auch funktioniert. Auf dem Podium wichtige Vertreter der Stadt oder jüdischer Gemeinschaften, Professoren italienischer Universitäten und... die Kuratorin aus Deutschland. Was erzählt sie den Leuten? Warum diese Ausstellung, warum war dieser Widerstand überhaupt möglich, welche Rolle spielte die Erziehung und so weiter. Nach mittlerweile acht Vorträgen könnte man meinen, dass sich bei mir eine entspannende Routine einstellt. Wenn da nicht immer die Fragen am Ende des Vortrags kämen ... Die kann ich schlecht vorbereiten. Und sie sind auch nie so inhaltlich geprägt, dass ich sie aus einem historischen Wissen heraus beantworten könnte. Sie zielen immer auf eine Erfahrung ab. Auf meine. Und bringen mich gelegentlich ganz schön ins Schwitzen. Wenn ich ein bisschen Zeit brauche, um eine Antwort zu geben, habe ich als Ausländer immer noch eine Möglichkeit. Ich lasse mir die Frage wiederholen, da ich sie nicht verstanden habe ... Und bis dahin ist die Antwort dann in mir gereift. So etwa auf die Frage: «Wenn die Freunde der Weißen Rose eine Ästhetik anstatt einer Schönheit gelebt hätten, wären sie dann auch zum Widerstand fähig gewesen?» Ein 25- jähriger Student schaut mich erwartungsvoll an. Und ehe ich meine Bewegung und Überraschung über die Bedeutung dieser Frage verarbeiten kann, muss ich schon antworten. Ohne meine eigene, tägliche Erfahrung in der Bewegung und die Erziehung Giussanis wäre ich dazu nicht in der Lage. Ich muss also erklären, was Schönheit und Ästhetik ist. Und während ich rede, verstehe ich, dass die wirkliche Schönheit eines Opfers bedarf. Eines Opfers, das das Vorherrschen einer Ästhetik im eigenen Leben mit einer eher äußerlichen Betrachtung der Dinge nicht leisten kann. Die Schönheit aber führt zum Herz der Dinge und verweist zugleich auf das Unendliche. Ich zitiere Alexander Schmorell, dessen Leidenschaft die Bildhauerei war: «Und brennen, selbst dabei verbrennen - so muss man schaffen und schöpfen. Wie die Sonne brennt und verbrennt, so muss auch der Künstler leben, nur dann werden seine Werke Kraft ausstrahlen ... nur dann wird der Mensch sie begreifen, mit ihnen zusammenleben, ruhig, groß, stark, leidenschaftlich ... wird mit ihnen leiden.« (Katalog, Gesichter einer Freundschaft, S.13).
Ich könnte noch etliche solcher Beispiele von Fragen anführen, die mir Schüler und Studenten stellen. Und die Haltung, die in ihnen aufscheint, erfüllt mich jedes Mal mit Staunen, einer großen Freude und noch größeren Dankbarkeit: dass alles im Leben zur Möglichkeit wird, zu lernen und zu wachsen. Allerdings nur dann, wenn ich mich darauf einlasse. Denn sonst bleibt diese Ausstellung, wie es in Deutschland leider noch zu oft geschieht, eine Dokumentation von Heroen der Vergan-genheit. Wären die Freunde der Weißen Rose wohl von der Bewegung gewesen, fragte mich ein Schüler in Genua .... Ich bin sicher, ja!

Eine bewegende Überraschung
Ein Brief, der nach dem Besuch der Ausstellung in Mailand hinterlassen wurde
Ich bin Jüdin, 63 Jahre alt und noch immer verstehe ich nicht, warum mein Leben bewahrt werden konnte, während viele meiner jüdischen Altersgenossen ihr Leben lassen mussten. Ich bin weder gläubig noch "voller Staunen über die Schönheit all dessen, was der Mensch nicht geschaffen hat" (Zitat Sophie Scholl), aber in einer solchen Sache gibt es ....Gott. Ich bin sehr viel stolzer, einem Menschengeschlecht anzugehören, zu dem auch Personen wie jene der Weißen Rose zählen. Komplimente an die Personen, die die Ausstellung geführt haben und für die bewegende Überzeugung, mit der sie alles erklärt haben.
Claudia

«Womit beschäftigen sich die meisten Menschen heute? Alles erscheint ihnen wichtig, nur die wichtigste Frage, nämlich nach dem "Sinn des Lebens", nicht! Traurige Ironie.»
Christoph Probst

«Ich danke Dir, daß Du mir das Leben gegeben hast. Wenn ich es recht überblicke, war es ein einziger Weg zu Gott.»
Christoph Probst an die Mutter, kurz vor der Hinrichtung.