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Thema - Erfahrung
Vernunft und Wirklichkeit begegnen einander in der Erfahrung


«Nicht die abstrakte Überlegung lässt den Geist wachsen und sich weiten. Sondern der Geist wächst und weitet sich, wenn er in der Menschheit einen Moment findet, in dem die Wahrheit erreicht und ausgesprochen wird.» (L. Giussani)

Die Vorlesung Benedikt XVI. in Regensburg war einer dieser Momente, in denen die Wahrheit erreicht und ausgesprochen wird. Sie war ein Beispiel für einen richtigen Gebrauch der Vernunft.

Angesichts der Herausforderung dieses Zeugnisses haben wir den Medizinprofessor Giancarlo Cesana und den Philosophen Costantino Esposito gebeten, sich mit dem Thema der «Erfahrung» auseinander zu setzen, ohne die unsere Vernunft abstrakt und die Wirklichkeit fremd bliebe. Beide Beiträge zeigen, was es bedeutet, wenn man die vom Papst vorgeschlagene Methode verwendet. Darin besteht auch der tagtägliche Inhalt der Erziehung in der Bewegung. Es geht dabei um die Anwendung der Vernunft als einem Bedürfnis nach umfassendem Sinn, das uns als Menschen kennzeichnet. Die Beiträge weisen auch auf die Folgen einer rationalistischen Verkürzung der Vernunft hin.

«Meine Gedanken gehen dabei zurück in die Jahre, in denen ich an der Universität Bonn meine Tätigkeit als akademischer Lehrer aufgenommen habe. Es gab eine sehr unmittelbare Begegnung mit den Studenten und vor allem auch der Professoren untereinander. In den Dozentenräumen traf man sich vor und nach den Vorlesungen. Es gab jedes Semester einen so genannten Dies academicus, an dem sich Professoren aller Fakultäten den Studenten der gesamten Universität vorstellten und so ein Erleben von Universitas möglich wurde – auf das Sie, Magnifizenz, auch gerade hingewiesen haben – die Erfahrung nämlich, dass wir in allen Spezialisierungen, die uns manchmal sprachlos füreinander machen, doch ein Ganzes bilden und im Ganzen der einen Vernunft mit all ihren Dimensionen arbeiten und so auch in einer gemeinschaftlichen Verantwortung für den rechten Gebrauch der Vernunft stehen – das wurde erlebbar.”
(Benedikt XVI, Regensburg, 12. September 2006)

Es gibt nicht nur die physische Gehörlosigkeit, die den Menschen weitgehend vom sozialen Leben abschneidet. Es gibt eine Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden. Wir können ihn einfach nicht mehr hören – zu viele andere Frequenzen haben wir im Ohr. Was über ihn gesagt wird, erscheint vorwissenschaftlich, nicht mehr in unsere Zeit hereinpassend. Mit der Schwerhörigkeit oder gar Taubheit Gott gegenüber verliert sich natürlich auch unsere Fähigkeit, mit ihm und zu ihm zu sprechen. Mit diesem Verlust an Wahrnehmung wird der Radius unserer Beziehung zur Wirklichkeit überhaupt drastisch und gefährlich eingeschränkt. Der Raum unseres Lebens wird in bedrohlicher Weise reduziert.

Wir glauben an Gott. Das ist unser Grundentscheid. Aber nun noch einmal die Frage: Kann man das heute noch? Ist das vernünftig? Seit der Aufklärung arbeitet wenigstens ein Teil der Wissenschaft emsig daran, eine Welterklärung zu finden, in der Gott überflüssig wird. Und so soll er auch für unser Leben überflüssig werden. Aber sooft man auch meinen konnte, man sei nahe daran, es geschafft zu haben – immer wieder zeigt sich: Das geht nicht auf.

Wir glauben an Gott. An welchen Gott? Nun, eben an den Gott, der Schöpfergeist ist, schöpferische Vernunft, von der alles kommt und von der wir kommen. Diese schöpferische Vernunft ist Güte. Sie ist Liebe. Sie hat ein Gesicht. Gott lässt uns nicht im Dunklen tappen. Er hat sich gezeigt als Mensch. Erst dieser Gott erlöst uns von der Weltangst und von der Furcht vor der Leere des eigenen Daseins. Erst durch das Hinschauen auf Jesus Christus wird die Freude an Gott voll, wird zur erlösten Freude.