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Benedikt XVI. - Sacramentum caritatis
Jesus wendet sich an das Herz, das um die Wahrheit bittet
Papst Benedikt XVI.

Papst Benedikt XVI. veröffentlichte vor kurzem das nachsynodale Apostolische Schreiben Sacramentum caritatis. Es handelt von der Eucharistie als Quelle und Höhepunkt des Lebens und der Sendung der Kirche. Benedikt XVI. verfasste dieses Schreiben im Rückgriff auf die Ergebnisse der elften Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode. Im Folgenden geben wir Abschnitte daraus wider.

Einleitung
In scharfsinniger Kenntnis der menschlichen Wirklichkeit hat der heiligen Augustinus verdeutlicht, wie der Mensch sich freiwillig und nicht unter Zwang regt, wenn er in Beziehung zu etwas steht, das ihn anzieht und in ihm ein Verlangen erweckt. Als der heilige Bischof sich dann fragt, was den Menschen wohl letztlich im Innersten bewegen könne, ruft er aus: «Wonach verlangt die Seele denn brennender als nach der Wahrheit?» Tatsächlich trägt jeder Mensch das unstillbare Verlangen nach der letzten und endgültigen Wahrheit in sich. Darum wendet sich Jesus, der Herr, «der Weg, die Wahrheit und das Leben» (Joh 14,6) dem schmachtenden Herzen des Menschen zu, der sich als dürstender Pilger fühlt, dem Herzen, das sich nach der Quelle des Lebens sehnt, dem Herzen, das um die Wahrheit ringt. Jesus Christus ist ja die Person gewordene Wahrheit, die die Welt an sich zieht.

Eucharistie: Geschenk an den Menschen unterwegs
30. Der Mensch ist für die wirkliche und ewige Glückseligkeit geschaffen, die allein die Liebe Gottes geben kann. Aber unsere angeschlagene Freiheit würde sich verlieren, wenn es nicht möglich wäre, schon jetzt etwas von der zukünftigen Vollendung zu erfahren. Im übrigen muss jeder Mensch, um in die rechte Richtung gehen zu können, auf das Endziel hin ausgerichtet werden. Diese letzte Bestimmung ist in Wirklichkeit Christus, der Herr selbst, der Sieger über Sünde und Tod, der für uns in besonderer Weise gegenwärtig wird in der Eucharistiefeier. So haben wir, obwohl noch «Fremde und Gäste in dieser Welt» (1 Petr 2,11), im Glauben bereits Anteil an der Fülle des auferstandenen Lebens. Indem das eucharistische Mahl seine stark eschatologische Dimension offenbart, kommt es unserer Freiheit, die noch auf dem Wege ist, zu Hilfe.

Schönheit und Liturgie
35. Die Beziehung zwischen geglaubtem und gefeiertem Mysterium zeigt sich in besonderer Weise im theologischen und liturgischen Wert der Schönheit. Die Liturgie hat nämlich, wie übrigens auch die christliche Offenbarung, eine innere Verbindung zur Schönheit: Sie ist veritatis splendor. In der Liturgie leuchtet das Pascha-Mysterium auf, durch das Christus selbst uns zu sich hinzieht und uns zur Gemeinschaft ruft. In Jesus betrachten wir - wie der hl. Bonaventura zu sagen pflegte - die Schönheit und den Glanz des Ursprungs. Dieses Merkmal, auf das wir uns berufen, ist nicht nur bloßer Ästhetizismus, sondern eine Art und Weise, wie die Wahrheit der Liebe Gottes in Christus uns erreicht, uns fasziniert, uns begeistert und so bewirkt, dass wir aus uns herausgehen und zu unserer wahren Berufung hingezogen werden: zur Liebe.

Eine eucharistische Form des christlichen Lebens, die kirchliche Zugehörigkeit
76. Die eucharistische Form des christlichen Lebens ist zweifellos eine kirchliche und gemeinschaftliche Form. Durch die Diözese und die Pfarreien als tragende Strukturen der Kirche in einem bestimmten Gebiet kann jeder Gläubige die konkrete Erfahrung seiner Zugehörigkeit zum Leib Christi machen. Vereinigungen, kirchliche Bewegungen und neue Gemeinschaften - mit der Lebendigkeit ihrer Charismen, die vom Heiligen Geist für unsere Zeit geschenkt werden - wie auch die Institute gottgeweihten Lebens haben die Aufgabe, ihren spezifischen Beitrag zu liefern, um bei den Gläubigen die Wahrnehmung dieses ihres Dem-Herrn-Gehörens (vgl. Röm 14,8) zu fördern. Das Phänomen der Säkularisierung, das nicht zufällig stark individualistische Züge enthält, hat seine schädlichen Wirkungen vor allem bei Personen, die sich absondern aufgrund eines schwachen Zugehörigkeitsgefühls. Das Christentum schließt von seinem Anfang an immer ein Miteinander ein, ein Netz von Beziehungen, die durch das Hören des Wortes und die Eucharistiefeier fortwährend belebt und durch den Heiligen Geist beseelt werden.
77. Man muss zugeben, dass eine der schwerwiegendsten Wirkungen der eben erwähnten Säkularisierung darin besteht, dass sie den christlichen Glauben an den Rand der Existenz verbannt hat, als sei er in Bezug auf die konkrete Entfaltung des Lebens der Menschen unnötig. Das Scheitern dieser Art zu leben, «als ob Gott nicht existierte», steht jetzt allen vor Augen. Heute ist es nötig wiederzuentdecken, dass Jesus Christus nicht eine bloße private Überzeugung oder eine abstrakte Lehre ist, sondern eine reale Person, deren Eintreten in die Geschichte imstande ist, das Leben aller zu ändern. […] Es ist bezeichnend, dass der heilige Paulus an der Stelle des Briefes an die Römer, wo er dazu auffordert, den neuen geistigen Gottesdienst zu leben, zugleich an die Notwendigkeit der Änderung der eigenen Art zu leben und zu denken erinnert: «Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist; was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist» (12,2). Auf diese Weise unterstreicht der Völkerapostel die Verbindung zwischen dem wahren geistigen Gottesdienst und der Notwendigkeit einer neuen Art, das Dasein wahrzunehmen und das Leben zu führen. Ein wesentlicher Bestandteil der eucharistischen Form des christlichen Lebens ist die Erneuerung des Denkens, um »nicht mehr unmündige Kinder [zu] sein, ein Spiel der Wellen, hin und her getrieben von jedem Widerstreit der Meinungen« (Eph 4,14).
78. Das bringt konsequenterweise die Verpflichtung mit sich, mit Überzeugung die Evangelisierung der Kulturen zu fördern, in dem Bewusstsein, dass Christus selbst die Wahrheit jedes Menschen und der ganzen Menschheitsgeschichte ist. Die Eucharistie wird zum Wertmaßstab von allem, was der Christ in den verschiedenen kulturellen Ausdrucksformen antrifft. In diesem wichtigen Prozess können wir die Aufforderung des hl. Paulus im Ersten Brief an die Thessalonicher: «Prüft alles, und behaltet das Gute!» (5,21) als äußerst bedeutungsvoll erfahren.
79. Die Eucharistie als Geheimnis, das es zu leben gilt, bietet sich jedem von uns in der Lage an, in der er sich befindet, und lässt seine existentielle Situation zu dem Ort werden, an dem er tagtäglich die christliche Neuheit leben muss. Wenn das eucharistische Opfer in uns das nährt und wachsen lässt, was uns in der Taufe, durch die wir alle zur Heiligkeit berufen sind, schon gegeben worden ist, dann muss das genau in den Lebenssituationen oder Lebensständen zutage treten und sich erweisen, in denen jeder einzelne Christ sich befindet. Man wird Tag für Tag zu einem Gott wohlgefälligen Gottesdienst, wenn man sein Leben als Berufung lebt. […] Und da die Welt «der Acker» (Mt 13,38) ist, in die Gott seine Kinder als guten Samen einsenkt, sind die christlichen Laien kraft der Taufe und der Firmung und gestärkt durch die Eucharistie dazu berufen, die von Christus gebrachte radikale Neuheit gerade in den gewöhnlichen Lebensbedingungen zu leben. Sie müssen den Wunsch hegen, dass die Eucharistie sich ihrem Alltagsleben immer tiefer einprägt und sie dazu führt, erkennbare Zeugen in ihrem Arbeitsbereich und in der ganzen Gesellschaft zu werden. Eine besondere Ermutigung richte ich an die Familien, aus diesem Sakrament Anregung und Kraft zu schöpfen. Die Liebe zwischen Mann und Frau, das Annehmen des Lebens und die Erziehungsaufgabe erweisen sich als bevorzugte Gebiete, in denen die Eucharistie ihre Fähigkeit zeigen kann, das Leben zu verwandeln und zur Sinnfülle zu führen. Die Hirten sollen niemals versäumen, die gläubigen Laien zu unterstützen, zu erziehen und zu ermutigen, ihre Berufung zur Heiligkeit voll auszuleben in jener Welt, die Gott so sehr geliebt hat, dass er seinen Sohn hingegeben hat, damit er ihre Rettung werde (vgl. Joh 3,16).

Eucharistie und sittliche Verwandlung
82. Diese Erinnerung an die sittliche Bedeutung des geistigen Gottesdienstes ist nicht in moralistischem Sinn zu interpretieren. Es ist vor allem die glückliche Entdeckung der Dynamik der Liebe im Herzen dessen, der das Geschenk des Herrn annimmt, sich ihm ganz hingibt und die wahre Freiheit findet. Die sittliche Verwandlung, die der von Christus eingesetzte neue Gottesdienst einschließt, ist ein inneres Streben und ein herzliches Verlangen, der Liebe des Herrn mit dem ganzen eigenen Sein zu entsprechen, auch wenn man weiß, wie anfällig man ist. Das, wovon wir sprechen, spiegelt sich sehr gut in der Evangeliums-Erzählung von Zachäus wider (vgl. Lk 19,1-10). Nachdem er Jesus in seinem Haus bewirtet hat, ist der Zöllner völlig verwandelt: Er beschließt, die Hälfte seines Vermögens den Armen zu geben und denjenigen, von denen er zu viel gefordert hat, das Vierfache zurückzuerstatten. Das sittliche Streben, das aus der Aufnahme Jesu in unser Leben hervorgeht, entspringt aus der Dankbarkeit, die unverdiente Nähe des Herrn erfahren zu haben.
ZITAT
Die Eucharistie als Geheimnis, das es zu leben gilt, bietet sich jedem von uns in der Lage an, in der er sich befindet, und lässt seine existentielle Situation zu dem Ort werden, an dem er tagtäglich die christliche Neuheit leben muss.

Eucharistische Konsequenz
83. Wichtig ist, das zu unterstreichen, was die Synodenväter als eucharistische Konsequenz bezeichnet haben und wozu unser Leben objektiv berufen ist. Der Gott wohlgefällige Gottesdienst ist nämlich niemals ein nur privater Akt ohne Auswirkungen auf unsere gesellschaftlichen Beziehungen. Er verlangt das öffentliche Zeugnis für den eigenen Glauben. Das gilt selbstverständlich für alle Getauften, erscheint jedoch besonders dringend für diejenigen, die wegen ihrer gesellschaftlichen oder politischen Position Entscheidungen im Zusammenhang mit fundamentalen Werten zu treffen haben, wie die Achtung und der Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, die auf die Ehe zwischen Mann und Frau gegründete Familie, die Erziehungsfreiheit für die Kinder und die Förderung des Allgemeinwohls in all seinen Formen. Diese Werte sind unveräußerlich. Darum müssen sich die katholischen Politiker und Gesetzgeber im Bewusstsein ihrer großen gesellschaftlichen Verantwortung von ihrem recht gebildeten Gewissen in besonderer Weise aufgerufen fühlen, Gesetze vorzuschlagen und zu unterstützen, die von den in der Natur des Menschen begründeten Werten getragen sind. Darin liegt im übrigen eine objektive Verbindung zur Eucharistie (vgl. 1 Kor 11,27-29). Die Bischöfe sind gehalten, diese Werte ständig ins Gedächtnis zu rufen. Das gehört zu ihrer Verantwortung für die ihnen anvertraute Herde.
ZITAT
Die wahre Freude besteht nämlich darin, zu erkennen, dass der Herr bei uns bleibt, als unser treuer Weggefährte. Die Eucharistie lässt uns entdecken, dass sich der gestorbene und auferstandene Christus im Mysterium der Kirche, seinem Leib, als unser Zeitgenosse erweist. Von diesem Geheimnis der Liebe sind wir Zeugen geworden.

Eucharistie und Zeugnis
85. Die erste und fundamentale Aufgabe, die uns aus den heiligen Geheimnissen, die wir feiern, erwächst, ist die, mit unserem Leben Zeugnis abzulegen. Das Staunen über das Geschenk, das Gott uns in Christus gemacht hat, überträgt unserem Leben eine neue Dynamik, indem es uns verpflichtet, Zeugen seiner Liebe zu sein. Wir werden Zeugen, wenn durch unser Handeln, unsere Worte, unser Sosein ein Anderer erscheint und sich mitteilt. Man kann sagen, dass das Zeugnis das Mittel ist, durch das die Wahrheit der Liebe Gottes den Menschen in der Geschichte erreicht und ihn einlädt, frei diese radikale Neuheit anzunehmen. Im Zeugnis setzt Gott sich sozusagen dem Risiko aus, das in der Freiheit des Menschen liegt.

Christus Jesus, der einzige Retter
86. Je lebendiger im Herzen des christlichen Volkes die Liebe zur Eucharistie ist, desto deutlicher wird ihm der Auftrag der Mission: Christus zu bringen. Nicht nur eine Idee oder eine an ihm orientierte Ethik, sondern das Geschenk seiner Person selbst. Wer dem Mitmenschen nicht die Wahrheit der Liebe vermittelt, hat noch nicht genug gegeben. So erinnert uns die Eucharistie als Sakrament unseres Heiles unweigerlich an die Einzigkeit Christi und an die von ihm vollbrachte Rettung zum Preis seines Blutes. Darum ergibt sich aus dem geglaubten und gefeierten eucharistischen Mysterium der Anspruch, fortwährend alle zum missionarischen Einsatz zu erziehen, dessen Zentrum die Verkündigung Jesu als des einzigen Retters ist. Das verhindert, das entscheidende Werk der Entwicklungshilfe, das jeder authentische Evangelisierungsprozess einschließt, auf eine bloß soziologische Unternehmung zu reduzieren.

Eucharistie, gebrochenes Brot für das Leben der Welt
88. «Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt» (Joh 6,51). Mit diesen Worten offenbart der Herr den wahren Sinn der Hingabe seines Lebens für alle Menschen. Sie zeigen uns auch das tiefe Mitleid, das er mit jedem einzelnen hat. Tatsächlich berichten uns die Evangelien viele Male von den Gefühlen Jesu gegenüber den Menschen, besonders gegenüber den Leidenden und den Sündern (vgl. Mt 20,34; Mk 6,34; Lk 19,41). Durch ein zutiefst menschliches Gefühl drückt er die Heilsabsicht Gottes für jeden Menschen aus, damit er das wahre Leben erreiche.
97. Die wahre Freude besteht nämlich darin, zu erkennen, dass der Herr bei uns bleibt, als unser treuer Weggefährte. Die Eucharistie lässt uns entdecken, dass sich der gestorbene und auferstandene Christus im Mysterium der Kirche, seinem Leib, als unser Zeitgenosse erweist. Von diesem Geheimnis der Liebe sind wir Zeugen geworden. Wünschen wir uns gegenseitig, voller Freude und Verwunderung zur Begegnung mit der heiligen Eucharistie zu gehen, um die Wahrheit des Wortes zu erfahren und zu verkünden, mit dem Jesus sich von seinen Jüngern verabschiedet hat: «Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt» (Mt 28,20).

Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 22. Februar, dem Fest der Kathedra Petri, im Jahr 2007, dem zweiten meines Pontifikats.