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Buchempfehlung - Joachim Fest
«Der Verlogenheit nicht unterwerfen»
Martin Groos

Der heroische Widerstand gegen Hitler und die Tragik in der Nachkriegszeit. Mit Ich nicht legte der jüngst verstorbenen Historiker Joachim Fest eine zwiespältige Biographie vor.*

Die Autobiographie Ich nicht des vor kurzem verstorbenen langjährigen FAZ-Herausgebers, Historikers und Hitlerbiographen Joachim Fest hinterlässt im Leser einen eigenartigen Zwiespalt.
Das Buch setzt nach dem ersten Weltkrieg an und reicht bis zum Beginn der Bundesrepublik. Im Mittelpunkt steht der Vater: Schulleiter, Preuße, bürgerlicher Republikaner, Anhänger der Zentrumspartei, Katholik. Ein Mann klarer Prinzipien, der sich um keinen Preis vom Hitlerregime verbiegen lässt. Die Mutter aus großbürgerlichem Hause trägt, ja erträgt die Folgen: Berufsverbot, Armut, Angst, Bespitzelung. Auch die Kinder werden eingebunden. Es gibt zwei Abendessen. Eines für die kleinen Kinder, auf deren Diskretion und Verständnis noch kein Verlass ist, eines mit den großen Kindern, die die Kommentare des Vaters zum Hitlerregime mitbekommen. «Ein Staat, der alles zur Lüge macht, soll nicht auch noch über unsere Schwelle kommen». Er will sich «der Verlogenheit wenigstens im Familienkreis nicht unterwerfen».
«Ich nicht» so laute sein Motto.
Dem Bösen wird das Schöne, die bürgerliche Ordnung, die humanistische Bildung, das kulturelle Erbe entgegengesetzt. Aber reicht das, wenn das Schöne und die Kultur nicht mehr ihre innere Entsprechung zum Wahren in der konkreten Erfahrung des Menschen aufweisen können? Fest selbst antwortet darauf: «Aufs Ganze war, was ich erlebt habe, der Einsturz der bürgerlichen Welt. Ihr Ende war schon absehbar, bevor Hitler die Szene betrat. Was die Jahre seiner Herrschaft integer bestand, waren lediglich einzelne Charaktere, keine Klassen, Gruppen oder Ideologien. (...) Hitler hat im Grunde nur weggeräumt, was an Resten noch herumgestanden hatte. Er war ein Revolutionär. Aber indem er sich ein bürgerliches Aussehen zu geben verstand, hat er die hohlen Fassaden des Bürgertums mit Hilfe der Bürger selbst zugrund gerichtet».
Die Dramatik des Gesagten gilt aber gewissermaßen auf tragische Weise teilweise auch für die Familie Fest selbst, wie ihr Weg nach dem Ende der Nazi-Herrschaft zeigt. Sie hätte ein Neuanfang sein können, gleichsam als Frucht erlittener Entbehrung. Doch dem ist nicht so. «Als Ausgleich» für ein zerstörtes Leben ohne Zukunftsperspektiven «hatte mein Vater lediglich seine rigorosen Grundsätze und das Bewusstsein, vor deren Richterstuhl zu bestehen», resümiert Fest. Von tiefer Tragik sind die letzten Tage der Mutter: «Mit jedem Wort brach das Unglück ihres Lebens aus ihr heraus. Erstmals hörte ich sie mit ihrem Schicksal hadern. (Sie) verdammte in nie vernommenen Wendungen die Welt und ihr verpfuschtes Leben».
Woran also anknüpfen? fragt sich Fest und meint zur Nachkriegszeit.
«... intellektuell waren es regellose Jahre. Wie selbstverständlich nahm man die Freiheiten, die sich boten.» An Literatur wurde alles Neue gelesen, ein wenig wahllos – ohne Urteil jedenfalls in diesem Buch. Fest fährt oft nach Italien, es wird ihm gleichsam ein Fluchtort, Arkadien. Im wirklichen Leben bleibt hingegen eine Verlorenheit wie er dem Vater eingesteht: «Selbst bei der Heimkehr stoße man auf irgendwelche Eindringlinge, die sich anmaßend aufführten, und wenn sie endlich aus dem Haus seien – ja was dann? Was solle man schon sagen? Dann warte die Langeweile. Die Mühen endeten nicht, soviel jedenfalls hätte ich begriffen».
Trotz des beeindruckenden Widerstands gegen Totalitarismus und Unmenschlichkeit und eines beispielhaften Zusammenhaltes in der Familie bleibt damit eine letzte Ratlosigkeit zurück.
* (Joachim Fest, Ich nicht. Ernnerungen an eine Kindheit und Jugend. Rowohlt Veralg 2006)