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Mailand - Alberto Cremona
«Taten, nicht Worte» - Das Schöne am Leben
Paola Bergamini

Die Begegnung mit Don Giussani und GS. Dann beide aufgegeben wegen des Geldes, wegen der Frauen, wegen des Erfolges. Eine bekannte Werbeagentur und gleichzeitig ein Gefühl der Leere, eine verzehrende Sehnsucht. Die Begegnung mit der Erfahrung des Anfangs. Vierzig Jahre später.

Mailand, Anfang der 60er-Jahre. Alberto, Erstsemester in Jura an der staatlichen Universität, wartet an einer roten Ampel. «Also, Don Gius, wohin fahren wir heute?» Er ist einer der wenigen, die ein Auto haben, und deshalb gehört er zur so genannten «Tourismusgruppe» von GS. Er ging mit einigen Freunden auf die Suche nach schönen Orten, um Ausflüge und Ferien für die Gemeinschaft zu organisieren. Oft nahm er Don Giussani im Auto mit. Heute sitzen nur sie im Wagen. «Fahr los, es ist grün! Hör zu, Alberto, ich wollte dir Folgendes sagen: Vergiss nicht die Ideale deiner zwanzig Jahre! Du bist wie ein Vogel, der in die Höhe fliegen kann, aber du hast gewissermaßen einen Faden am Bein; jedes Mal, wenn du versuchst, aufzufliegen, zieht dich dieser Faden wieder nach unten. Du musst ihm mit dem Schnabel einen Schlag versetzen und ihn abreißen.» Alberto bekommt einen Stich in den Magen. Don Giussani hat, wie immer, den Nagel auf den Kopf getroffen. Er hatte verstanden, dass da etwas war, das nicht in Ordnung war. Es ist eine Zeit der Krise für Alberto. Genau wie fünf Jahre zuvor, als er die Abschlußklasse des humanistischen Gymnasiums «Beccaria» besuchte: Er hatte so viele Fragen, auf die er keine Antwort fand, und er fühlte sich am Boden zerstört. Eines Morgens hatte ihn ein Junge zum «Raggio» (dem wöchentlichen Treffen der Leute von GS) eingeladen. Er ging in die Statuto-Straße und dachte bei sich: «Ich habe nichts zu verlieren. Probieren wir es!» Und dort war dieser alles andere als 'pfäffische' Pfarrer, ohne jedes formale Gerede, sondern mit dem klaren Vorschlag eines lebendigen, schönen Christentums, das jeden Aspekt des Lebens umarmt - das glücklich macht. Er versäumte kein Treffen mehr: «Raggi», Ferien in den Bergen, Einkehrtage in Varigotti und Ausflüge.

Andere «Leidenschaften»
Mit diesen Freunden und mit Don Giussani zusammen zu sein, das war ein faszinierendes Abenteuer. Er hatte sich kopfüber hineingestürzt. Er hatte mit dem Verfassen und Drucken von Flugblättern und anderem Material begonnen und ging nach Saronno zu einer Druckerei. Dies war für ihn die Gelegenheit, die Leidenschaft für die Kommunikation und für den graphischen Bereich zu entdecken. Dies hatte er Don Giussani anvertraut und dann hatte er für ihn ein kleines Büro in der Bautta-Straße auf die Beine gestellt. So rief Alberto, zusammen mit einigen Freunden, eine kleine Werbeagentur ins Leben. Aber dann traten andere «Leidenschaften» in den Vordergrund: Die Frauen, das Geld, die Lust am Erfolg in der Arbeit. Die Erfahrung von GS schien ihm eng, er sah darin zu viele Einschränkungen. Der Faden wurde immer dicker und wurde schließlich zum einem Stahlseil. Alberto entschied sich schließlich dafür, alle Beziehungen abzubrechen.
Der Erfolg in der Arbeit stellt sich ein, genau im Bereich der Werbung, und zwar in der Form, dass er eine der bedeutendsten Werbeagenturen Italiens gründet, eben die «Alberto Cremona». Die Werbekampagne «Taten, nicht Worte», die für einen bekannten Hersteller von elektrischen Haushaltsgeräten organisiert wurde, war das Ergebnis seines schöpferischen Einfalls. Der Rubel rollte, die Frauen fehlten auch nicht. Und so lief es vierzig Jahre lang. Aber diese Sehnsucht, die nicht ganz besänftigt wurde, blieb und verzehrte sich nach einem gewissen «Mehr», das er in jener Freundschaft und bei jenem Priester gesehen und genossen hatte. Im Hinterkopf bleibt diese Hoffnung bestehen: «Im Grunde kann ich immer zu Don Gius zurückkehren.» Als die Götzenbilder des Geldes, der Arbeit und der Liebe bis zu ihm selbst hin zusammenbrechen, beschließt Alberto, nicht noch mehr Zeit zu verlieren, und macht sich auf die Suche nach jenem Göttlichen, das er in all jenen Jahren zu vergessen versucht hatte. Er widmete sich der hinduistischen Philosophie, dem Yoga, dem Buddhismus. Aber es war nur ein schwacher, nur ein schmerzlindernder Trost.

Der Ausflug nach Padua
Im Jahre 2004 machte Alberto mit seiner Frau und seinem jüngsten Sohn einen Ausflug nach Padua, um die Kapelle der Scovegni zu besichtigen. Und da sie schon in Padua waren, besuchten sie auch die Basilika des heiligen Antonius. Drinnen standen die Leute Schlange, um das Grab des Heiligen zu berühren. Alberto stellte sich auch an. Er wusste selbst nicht genau, warum. Und als er die Marmorplatte berührte, scheint es ihm, als ob etwas in seinem Innern schmelzen würde. «Ich habe gespürt», erzählt er, «dass ich alle Antworten, die ich suchte, schon wusste. Es war Christus.» Im Laufe weniger Monate begann er wieder, in die Messe zu gehen, kaufte sich das Stundenbuch, fand wieder Freude am Gebet, nahm die «Bücher des Monats» aus der alten Zeit bei GS wieder in die Hände, die er aufgehoben hatte. Aber das genügte nicht. Da ist dieses «Déjà vu», das er wiederfinden möchte. Jene konkrete Erfahrung der Freundschaft mit Christus. Im Februar 2005 erfuhr er vom Tod Don Giussanis. Gerade jetzt, wo er daran dachte, ihn zu besuchen, gerade jetzt, wo er ihn brauchte. Ihm kamen einige Namen wieder in den Sinn und nach vierzig Jahren rief er einen von ihnen an: «Hallo Rodolfo. Ich bin Alberto Cremona. Erinnerst du dich?» Es war ein voller Erfolg. Der Faden war gerissen. «Ich habe jene Freunde wiedergefunden. Mit ihnen hat meine Bekehrung angefangen. Mit ihnen zusammen zu sein, zusammen in die Messe zu gehen, die Texte von Giussani zu lesen und dem Vorschlag der Fraternität zu folgen, das war die konkrete Möglichkeit, ein neues, erfülltes Leben zu führen, das wie vor vierzig Jahren, das ganze Leben umarmt. Die Beziehung zu meinen Kindern, zu den alten Freunden, die ein bisschen verblüfft sind, ja sogar meine Arbeit hat sich verändert. Meine Werbekampagnen sind amüsanter und ... ehrlicher.» Jetzt erstrahlt alles in neuem Glanz.