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Thema - Das Werk der Bewegung - Nairobi
Bande, die stärker sind als zwischen Mann und Frau
Nunzia Capriglione

Vier Familien, die nicht aus Anstrengung vorankommen, sondern wegen der Notwendigkeit, Leben, Arbeit und Erziehung der Kinder miteinander zu teilen. Das Ende der Einsamkeit. Eine Revolution in Afrika.

«Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal zur Fraternität eingeladen wurde. Ich war überrascht, dass die konkretesten Fragen des Lebens auf der Tagesordnung standen. Damals stand Stefano Pizzi vor der Entscheidung, ob er eine Arbeit in Äthiopien annehmen sollte. Ich war davon beeindruckt, dass diese Frage nicht von der Familie allein überlegt wurde, sondern zusammen mit Freunden. Für mich war das wirklich etwas ganz Außergewöhnliches, eine echte Revolution. Gewöhnlich wird über so etwas in der Familie, zwischen Mann und Frau gesprochen.» So beginnt Romana Jepto Koech ihren Bericht. Sie gehört zu einer Fraternitätsgruppe, die vor sechs Jahren um die italienische Familie Pizzi und die deutsch-italienische Familie Diefenhardt entstanden ist. Seit 2001 ist viel geschehen. Zuerst haben die Pizzis, dann die Diefenhardts Kenia verlassen und sind nach Äthiopien beziehungsweise Deutschland gezogen.
Heute besteht die Fraternität aus vier Familien mit elf Kindern. «Und trotzdem: Jedes Mal, wenn wir uns mit Elena, Marigiò und ihren Familien treffen, ist es, als ob sie nie fortgegangen wären … Noch heute sind diese beiden Familien ein wichtiger Bezugspunkt für mich, wenn es darum geht, meinen Alltag anzugehen, und vor allem in der Beziehung zu meiner Familie.» Wer die afrikanische Gesellschaft und ihre Geschichte kennt, wird mit Staunen auf diese kleine Gruppe von Freunden schauen, die sich derart des Faktums bewusst sind, das von ihrem Leben Besitz ergriffen hat, und das allein die Gesellschaft, in der sie leben, verändern kann.

Drang zum Teilen
«Anfangs, nachdem diese beiden Familien weggezogen waren, dachten wir, dass es nicht mehr dasselbe sein würde», sagt Joakim, Lehrer an einer weiterführenden Schule. «Aber der Wunsch und der Drang, einen Ort zu haben, an dem man das Leben teilen kann, waren so stark, dass die Treffen für uns nahezu unentbehrlich geworden sind. Kurz gesagt, wir sind nicht aus Anstrengung, sondern aus der Notwendigkeit, das Leben miteinander zu teilen, vorangekommen. Dabei war die Beziehung zu den Pizzis und Diefenhardts zweifelsohne wichtig, denn sie kümmerten sich um ihre Familien und hatten viel Aufmerksamkeit für sie, vor allem für die Erziehung der Kinder. Wie durch Osmose ist diese Aufmerksamkeit und Fürsorge auch bei uns herangewachsen.»
«Die wichtigste Begleitung in den letzten Jahren war gerade die Hilfe, die mir die Fraternität bei der Erziehung meiner Kinder geboten hat», erklärt Henry Kamande, einer der Ersten in der Bewegung in Kenia. «Die richtige Schule für unsere Kinder auszusuchen, ist immer eine heikle und wichtige Entscheidung. Aber dank unserer Freundschaft und der gemeinsamen Erfahrung ist jetzt alles viel einfacher und ich bin mir viel sicherer, dass die Entscheidung, die ich getroffen habe, richtig war.» Und Joakim fügt hinzu: «Man kann wirklich nicht von unserer Erfahrung bei der Auswahl einer Schule absehen. Wir wollen für unsere Kinder eine Schule, in der sie als Personen angesehen werden.»
Inzwischen gibt es in Kenia beziehungsweise Nairobi einen Kindergarten, zwei Grundschulen, eine weiterführende Schule und eine Berufsschule, die Eltern und Lehrer gegründet haben, die der Erfahrung der Bewegung folgen.
«Es ist wirklich schön zu sehen, dass die Fraternität auch für unsere Kinder wichtig geworden ist», erklärt Consolata. «So will meine Tochter zum Beispiel wissen, was los ist, wenn wir uns einmal nicht treffen. Und auch die Kinder haben eine schöne Freundschaft untereinander geschlossen. Es zieht sie zueinander hin. Für mich war die Fraternität ebenfalls eine Revolution in meinem Leben. Zuerst war ich etwas niedergeschlagen. Die Uhrzeit für unsere Treffen und die Tatsache, dass Elena nach Äthiopien gezogen war, hatten mich entmutigt. Dann entschloss ich mich, den Beziehungen treu zu bleiben. Deswegen wende ich mich jetzt genau an diese Freunde, wenn ich
Schwierigkeiten habe. Zuvor waren dies meine Eltern! Es ist wirklich etwas Außergewöhnliches, denn wir teilen das Leben miteinander. Und heutzutage ist es schwierig, einen Ort zu finden, an dem ich, so wie ich bin, ernst genommen werde.»