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Thema - Das Werk der Bewegung
Das Gedächtnis Christi in jedem Umfeld leben - Die Vernünftigkeit des Glaubens bezeugen
Roberto Fontolan

Auf unsere Anfrage hin hat sich Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone bereit erklärt, für Spuren einige Fragen anlässlich des 25. Jahrestages der Anerkennung der Fraternität von Comunione e Liberazione zu beantworten. «Die Erfahrung, die aus dem Charisma von Don Giussani erwachsen ist, beeindruckt vor allem deswegen, weil sie Zeugnis dafür ablegt, wie der Glaube im Menschen eine Leidenschaft für die Wirklichkeit hervorruft.»

Benedikt XVI. hat ihm mit dem Amt des Staatssekretärs des Heiligen Stuhls die schwierigste Aufgabe an seiner Seite anvertraut. Als bekannt wurde, dass der Erzbischof von Genua, Bertone, einen Ruf nach Rom erhalten habe, richtete der Papst einen Brief an die Gläubigen seiner Diözese, in dem er von ihm als einem Hirten sprach, der «eine besondere Fähigkeit besitzt, den Anliegen der Pastoral und der Lehre gleichermaßen gerecht zu werden». In den Jahren des gemeinsamen Dienstes in der Glaubenskongregation hätten sie sich sehr gut kennen gelernt und es sei ein gegenseitiges Vertrauen gewachsen, «das mich dazu brachte, ihn für das hohe und schwierige Amt des Staatssekretärs auszuwählen», heißt es in dem Schreiben. Vor seiner Ernennung zum Erzbischof von Genua war der damalige Monsignore Bertone sieben Jahre lang Sekretär der Glaubenskongregation unter dem damaligen Kardinal Ratzinger. Bertone stammt aus Romano Canavese (Diözese Ivrea), ist das fünfte von acht Kindern und gehört dem Salesianerorden an. Heute steht er als Kardinal jenem «Dikasterium vor, das am engsten mit dem Heiligen Vater in der Ausübung seiner Mission zusammenarbeitet» (vgl. Apostolische Konstitution Pastor Bonus). Der gerade erst in dieses Amt erhobene Kardinal stellte sich einigen Fragen zum Jahrestag der Anerkennung der Fraternität von Comunione e Liberazione. Er bezeichnete Don Giussani einmal als den «Don Bosco des 20. Jahrhunderts». Ein großes Lob aus dem Munde eines Salesianers.

Als die Fraternität vor 25 Jahren anerkannt wurde, war sie vor allem in Italien beheimatet. Inzwischen ist sie enorm gewachsen. Don Giussani bezeichnete sie einmal als «reifste Frucht der Erfahrung von CL». Sie zählt Tausende Mitglieder in vielen anderen Ländern der Erde: junge Berufstätige und Rentner genauso wie Verheiratete und ehelos Lebende, Personen aus allen Gesellschaftsschichten. Was wollen Sie der Fraternität von CL zu diesem Jahrestag mit auf den Weg geben? Was sollte für die Bewegung die größte Sorge sein im Dienst an der Kirche?
Die Herausforderung, vor der die Fraternität von CL wie auch jede andere kirchliche Wirklichkeit steht, die aus der unvorhersehbaren Ungeschuldetheit und schöpferischen Kraft des Heiligen Geistes hervorgeht, ist vor allem folgende: den Reichtum und die Lebendigkeit des eigenen Charismas in den Dienst am Aufbau der Kirche zu stellen und zwar dadurch, dass sie in der konkreten Wirklichkeit die tiefe und ursprüngliche Einheit bezeugt, die zwischen jedem Charisma und der Kirche als Institution besteht.
Ich könnte selbst keine besseren Worte finden als die, die der Heilige Vater bei der Pfingstvigil gebraucht hat: «Vielfalt und Einheit gehen zusammen.» Einheit und Vielfalt sind beides Gaben des Geistes, der uns nach den Worten des Papstes «nicht die Mühe abnimmt, zu lernen, miteinander umzugehen. Aber er zeigt uns auch, dass er im Blick auf den einzigen Leib und in der Einheit des einzigen Leibes wirkt. Nur so erhält die Einheit ihre Kraft und Schönheit.»
Die Kirche ist dazu berufen, der Menschheit inmitten der Geschichte zu bezeugen, dass diese Einheit in der Vielfalt sich nur in Christus verwirklicht und im Gehorsam gegenüber dem Geist verwirklicht. Diese Einheit in der Vielfalt war schon im Plan der Schöpfung eingeschrieben und nach ihr sucht die Welt und tastet sich langsam voran (vgl. Apg 17, 27). Die Kirche verfolgt das Ziel, inmitten der Geschichte zu bezeugen, dass diese Einheit in ihrer Vielfalt unter den Menschen vor allem eine Gabe Gottes ist. So kann ich nur noch einmal wiederholen, was der Heilige Vater allen Bewegungen ans Herz gelegt hat: «Nehmt teil an der Erbauung des einzigen Leibes ... auf dass Christus für das Leben des einzelnen Menschen, die gerechte Gesellschaftsordnung und das friedvolle Zusammenleben der Nationen jener "Eckstein" sei, auf dem die authentische Zivilisation, die Zivilisation der Liebe errichtet wird!»
Vor der Fraternität von CL tun sich unzählige Bereiche und Orte auf, in denen der Mensch heute lebt, arbeitet, lernt, etwas aufbaut, sich freut oder auch leidet: Dort soll Christus bezeugt werden, dort soll man ihn kennen und lieben lernen können. Es ist kein Zufall, dass aus der Erfahrung von CL die Memores Domini hervorgegangen sind, das heißt eine Wirklichkeit von Laien, die in Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam ihr Leben dafür hingeben, dass das Gedächtnis Christi in jeder Wirklichkeit, in der der Mensch lebt und arbeitet, im Herzen der Welt, gelebt wird. Nun, ich würde euch sagen wollen - und damit eine Formulierung verwenden, von der ich weiß, dass sie auch Don Giussani teuer war: «Macht aus Christus das Herz der Welt!» Das ist eine mühevolle und zugleich faszinierende Aufgabe, der sich eure Bewegung in verschiedenen Bereichen und an unterschiedlichen Orten schon stellt. Dafür bin ich im Namen der Kirche Gott und auch euch dankbar.

Im Laufe der Jahre haben Sie die Bewegung von Comunione e Liberazione bei unterschiedlichen Anlässen, an ganz verschiedenen Orten kennen gelernt. Was ist Ihr Eindruck von diesen Begegnungen? Was macht diese Erfahrung in der Welt von heute so interessant?
Die Erfahrung, die aus dem Charisma von Don Giussani hervorgeht, beeindruckt vor allem, weil sie bezeugt, wie der Glaube im Menschen eine Leidenschaft für die Wirklichkeit hervorruft, für alles, was existiert, für alles, was das Leben des Menschen ausmacht, für die ganze Wirklichkeit. Ich denke, dass das Meeting von Rimini ein schöner Beweis dieser Leidenschaft für die ganze Wirklichkeit ist, die der Glaube, wo er in seiner ganzen Tiefe gelebt wird, hervorbringt.
Und das scheint mir auch ein wichtiger Beitrag zu sein, um die Vernünftigkeit des Glaubens zu bezeugen. Der Glaube adelt die Vernunft, erweitert ihren Horizont und treibt sie dazu an, die Wirklichkeit zu erforschen, indem er sie immer mehr in unerforschte Gebiete hineinführt. So beweist der Glaube auch, dass er dazu in der Lage ist, das wertzuschätzen, was menschlich ist, was wirklich menschlich ist. Deswegen gefällt mir auch dieser Satz des Rhetorikers Victorinus, den Don Giussani sehr oft zitierte: «Als ich Christus begegnet bin, entdeckte ich meine Menschlichkeit.» Ich würde noch ergänzen: Als ich Christus begegnet bin, ist mir alles, was wirklich menschlich ist, vertraut geworden.
Genau aus diesem Grund kann man sagen, dass eure Erfahrung auch eine große Leidenschaft für den Menschen bezeugt: Eine Leidenschaft für den Menschen und alle seine Bedürfnisse, angefangen bei den materiellen bis hin zu den tiefsten Bedürfnissen des Herzens. Einige Werke eurer Bewegung - die ich aus der Nähe kennen gelernt habe - bezeugen eine beeindruckende Fürsorge für den Menschen. Ich denke da etwa an viele eurer Familien, für die es zu einer normalen Dimension ihres Lebens geworden ist, ihre Häuser für viele Kinder zu öffnen, auch und vor allem für Kinder und Jugendliche, die sie als Pflegekinder aufnehmen oder adoptieren. Dann denke ich auch an die Essenstafel; ich weiß, dass Tausende von Familien ohne sie um das tägliche Brot bangen müssten ... Wenn ich nicht irre, war es Don Giussani selbst, der dieses Werk wollte. Und er war es auch, der der Tiefe des Hungers des menschlichen Herzens auf den Grund gegangen ist - beispielsweise in seinem Buch Der Religiöse Sinn - und uns so daran erinnert, dass dieser Hunger nicht weniger konkret ist als der des Magens.

Einige Tage nach dem 25. Jahrestag der Anerkennung der Fraternität jährt sich auch zum zweiten Mal der Todestag von Don Giussani. Bei einer Gedenkveranstaltung haben Sie ihn vor zwei Jahren in Rom auf dem Kapitol den «Don Bosco des 20. Jahrhunderts» genannt. Was hat Sie dazu veranlasst?
Ich habe ihn ganz spontan so genannt. Vor allem, weil ich als ein «Sohn» Don Boscos einige Analogien zwischen Don Giussani und dem Gründer unseres Ordens feststelle: vor allem in der Leidenschaft für die Jugend und dann die Art, wie er die Frage der Erziehung wahrgenommen hat; man könnte auch sagen: in seinem Genie als Erzieher. Als Don Bosco den jungen Leuten durch ihre konkreten Bedürfnisse hindurch begegnete, das heißt in ihrem Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach einem Vater, nach Freude und Spiel, nach Begleitung in der Schule und in der Arbeit, hat er sie mit dem Oratorium von der Straße an einen erzieherischen Ort geholt. So hat er sie zu Christen gemacht, zu wahren Freunden Jesu. Genauso ist in meinen Augen auch Don Giussani vor allem in der Schule Tausenden von Jugendlichen begegnet und hat in ihnen den ganzen Reichtum ihres Herzens geweckt, indem er ihre tiefsten Bedürfnisse wie eine wertvolle Quelle geteilt hat, die zu Christus führt und indem er ihnen beigebracht hat, die christliche Gemeinschaft in ihrem Umfeld als einen Ort zu leben, der ihren Glauben und ihre Menschlichkeit unaufhörlich reifen lässt.
Beide haben viele Söhne und Töchter hervorgebracht, da sie wahre Väter im Glauben waren. Da sie wahre Freunde Jesu waren, haben beide es verstanden, die Herzen vieler Menschen in die Freundschaft mit dem Herrn einzuführen. Ihre Herz war voller Liebe für die Kirche. Sie hatten eine Liebe zur Kirche, wie sie ist, in all ihrer Schönheit, in ihrer Strahlkraft auch durch ihre Wunden hindurch.
Es hat mich immer sehr beeindruckt, dass Don Giussani auf die Freiheit des Menschen gesetzt hat. Noch bevor er die Freiheit als ein Problem ansah, dem man Abhilfe schaffen und das man eingrenzen musste, sah er sie als eine Möglichkeit an. Diese Sichtweise hat ihm aber nicht den realistischen Blick auf das menschliche Elend und die menschliche Schwäche versperrt. Es ist gerade dieser positive Blick, ein Blick voller Hoffnung und Väterlichkeit gegenüber allem, was zum Menschen dazugehört, in dem Don Giussani und Don Bosco sich gleichen. Und noch etwas anderes war diesen beiden großen Männern gemeinsam: die Freude, die auf ihren Gesichtern zu lesen war. Beide hatte eine immens große Ausstrahlung, da es die Freude von jemandem war, der von sich weiß, dass er zu Christus gehört. Diese Freude möchte ich all denen wünschen - und das als eine tägliche Erfahrung -, die «Söhne und Töchter» Don Giussanis sind.