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Thema - Das Werk der Bewegung
«Rettungsring-Bruderschaft»
Alberto Savorana

Eine Gruppe von Freunden trifft sich auch nach dem gemeinsamen Studium weiterhin regelmäßig. Cesana, ein Zeuge der ersten Stunde, erinnert sich an Don Giussanis ansteckende Eindringlichkeit am Ursprung der ersten Bruderschaft. Aus ihr ging die Fraternität hervor.

Ende der 70er-Jahre war Giancarlo Cesana um die Dreißig. Als junger Arbeitsmediziner und ebenso junger Familienvater landete er mit einigen Freunden in einem Abenteuer mit seinerzeit ungewissem Ausgang. Im Rückblick wird aber deutlich, dass es ein geleiteter Weg auf etwas Neues hin war. Etwas Neues, das ein paar Jahre später entstehen sollte. Heute erzählt er: «Ich fand mich inmitten der Freundschaft, die an der Universität mit Don Giussani entstanden war und nicht einfach mit dem Studienabschluss auslaufen konnte. In der Tat dauerte sie über die Universität hinaus bis hin zur Bildung einer festen Gruppe. Wir trafen uns alle 14 Tage in der Via Mosè Bianchi, in der Niederlassung der Missionare des PIME, der Päpstlichen Instituts für die Auslandsmission, die damals CL beherbergten.» So beginnt unser Gespräch für die Ausgaben von Spuren, die dem 25-jährigen Jubiläum der Fraternität gewidmet ist.
In jenen Jahren stellte sich Don Giussani die Entstehung von Strukturen vor, «die nicht vom Zentrum der Bewegung, von der Organisation der Bewegung abhängen, sondern die vollständig, ganz und gar abhängen von der würdigen Verantwortung des Erwachsenen, dessen, der eine Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft anerkennt.» (La Fraternità di Comunione e Liberazione, San Paolo, Alba 2002, S. 47; das war im Jahre 1979). Und weiter: «Es handelt sich um ein vollkommen freies Band, das sein Dasein nicht dem Aufruf der Struktur der Bewegung verdankt, sondern dem Werk Erwachsener, die die Sehnsucht verspüren, sich in objektiver Weise, auch gegenüber den anderen, als Freunde, auf einem Weg der persönlichen Heiligkeit festzulegen.» (S. 57; das war 1981).

Und was geschah bei diesen Treffen im PIME?
Don Giussani begann unter diesen Freunden, die mit ihm an der Universität aufgewachsen waren, von «Bruderschaft» zu reden. Er verstand unter diesem Begriff eine christliche Freundschaft unter Erwachsenen, die von vornherein weder an die Organisation der Bewegung noch an kirchliche Strukturen gebunden war, wie etwa Pfarrgemeinden. Nicht in dem Sinne, dass diese Bruderschaft gegen etwas entstehen sollte. Im Gegenteil, Don Giussani verdeutlichte später, dass das Werk der Fraternität die Bewegung sei. Außerdem ermutigte er zu einem tätigen und ausdruckstarken Einsatz, wo auch immer dieser erbeten wurde oder wo man im kirchlichen Umfeld einen Bedarf ausmachte. Sein Akzent lag aber auf unserer Freiheit, die erkennen sollte, dass die an der Universität begonnene Freundschaft einen endgültigen Wert für das ganze Leben hatte. Einer von uns war nach dem Studium in Mailand nach Pesaro zurückgekehrt und reiste von dort zu den Treffen unserer gerade entstehenden Fraternität an. Ich erinnere mich, dass Don Giussani ihm einmal zurief: «Schau mal, du kommst hierher für nichts!» Er wollte damit sagen, dass Marco allein für einen ungeschuldeten Austausch der Freundschaft kam, ohne irgendein Ziel organisatorischer oder operativer Art, in erster Linie jedenfalls.

Auf was für ein menschliches Umfeld traf Don Giussanis Einladung?
Anfänglich reagierten wir, ich jedenfalls, fragend auf diesen Vorschlag, ohne zu verstehen, weshalb er so sehr auf der Notwendigkeit unseres Zusammenkommens bestand. Nach den ersten Treffen wurde er dann noch eindringlicher, bis er uns irgendwann sagte: «Es ist besser, dass ihr hierher kommt, denn wenn ihr nicht kämet, würdet ihr alle verloren gehen, einer nach dem anderen.» Ab dem Moment nannten wir jene regelmäßigen Treffen die «Rettungsring-Bruderschaft».
Da uns Don Giussani aber ansteckte, fanden wir uns immer mehr in einen Einsatz verwickelt, um den er ausdrücklich bat, auch ohne dass wir seine Sorge bis ins Letzte verstanden. So führten wir nicht nur unsere Gruppe weiter, sondern gingen umher und förderten andere. Dann wurde ich von Don Giussani zu einem Treffen in Montecassino mit Abt Matronola eingeladen, um das zu gründen, was sich «Fraternität von Comunione e Liberazione» nannte. Das war 1980. Wir waren ein Dutzend Leute.

Wie hat die künftige Idee von der Fraternität Gestalt angenommen, ausgehend von euren regelmäßigen Mailänder Treffen?
Das Bild der Fraternität entwickelte sich nach und nach, so wie wir uns trafen. Vor allem betonte Don Giussani den Wert der Freundschaft und der Freiheit. Gleich danach die Notwendigkeit eines konkreten Bezugspunktes. Es wurde Luciano Riboldi empfohlen, der nicht ein Leiter sein sollte, sondern ein intelligenter Sekretär, ein Förderer unserer Freiheit. Er hatte die Aufgabe, für jede Versammlung Notizen zu machen und zu ordnen, die dann die Einführung für die nachfolgende Versammlung darstellten.
Der zweite Punkt, der klar gestellt wurde, war die Regel, die, wenn ich mich recht erinnere, im täglichen Angelusgebet und in der vierzehntägigen Beichte bestand.
Der dritte Punkt - der uns eine Zeit lang am meisten bezauberte - war das Werk. Jede Gruppe sollte ein Werk haben, das der Bewegung diente, aber ein bestimmtes Werk. Wir befanden uns in den Jahren unmittelbar nach dem berühmten Beitrag Don Giussanis auf der Équipe von 1976 in Riccione und fühlten daher den Wind der «Reform» der Bewegung und der Gesellschaft, was für uns dasselbe war. Denn die Veränderung für uns war die Veränderung für alles. Mithin sprudelte es nur so von Projekten, vor allem politischer, kultureller und sozialer Art. Eben auf diese Jahre geht Antonio Simones und Antonio Intigliettas Einzug in die Politik zurück, mit den Aufsehen erregenden Wahlen in der Region Lombardei und der Stadt Mailand. Des weiteren die Verbreitung der Kulturzentren und dann später die Entstehung der Gemeinschaft der Werke.
Don Giussani hatte keine Einwände gegen diese Art des Einsatzes. Er empfand die Werke als notwendige, ja unvermeidliche Folge einer wahren Erfahrung von Bewegung. Allerdings setzte er immer den Akzent auf die Ungeschuldetheit. Ferner betonte er, dass wir uns nicht vom Ergebnis unseres Handelns abhängig machen sollten, auch wenn es uns nicht gleichgültig sein sollte. Folglich behandelte er all unser Tun mit einer Ironie, die nie auf Distanz ging, sondern immer darauf ausgerichtet war, zu korrigieren.

Welche Worte haben dich am meisten beeindruckt?
Durch den Weg der Fraternität verstanden wir vor allem die Bedeutung der wesentlichen Leitbegriffe für das christliche Leben, die Don Giussani in der genannten Équipe von 1976 einführte [„Utopie und Präsenz“ in: Spuren 11/2002]: Die Gegenwart als Einheit und Gemeinschaft, mit der Askese, welche diese mit sich bringt; das Urteil als Zuneigung; die Autorität als Tatsache.
Aus den wenigen hundert Leuten, die 1982 für die ersten Exerzitien der Fraternität den Saal des Hotels «Punta Nord» in Torre Pedrera bei Rimini füllten (im «Aufmacher» dieser Ausgabe von Spuren sind die Notizen der ersten Lektion von Don Giussani nachzulesen), sind heute über 50.000 Mitglieder in aller Welt geworden. Was bleibt vom «Rettungsring», und was sagt dir jene erste Erfahrung, wenn du an die heutigen Ausmaße denkst?
Dieses Band unter uns ist nie verloren gegangen, es besteht weiter, auch wenn die Umstände uns dazu geführt haben, an anderen Orten und mit anderen Leuten zu leben. Die «Rettungsring-Bruderschaft» «bricht ständig herein», als ein für mich wegweisendes Beispiel, und weil sie der Anfang ist. In der Tat ist meiner Meinung nach das grundlegende Bedürfnis all dieser Gruppen der Fraternität, die zu Tausenden auf der Welt entstanden sind, die Erfahrung eines Anfangs zu sein, das heißt eines Ereignisses am Anfang. Mit anderen Worten, sich nicht auf das etwas verstaubte Einerlei zu beschränken, das manche katholischen Bruderschaften zu kennzeichnen scheint, so als ob ein Regelchen oder ein Einsätzchen in der Freizeit allein das Leben retten könnten. Obschon wir im Grunde genommen den Sinn der Regelchen und Einsätzchen neu bewerten müssen, denn sie mögen keine Aufsehen erregenden Auswirkungen haben, aber sie erhalten wenigstens im Menschen das Flämmchen, von dem früher oder später der große Brand ausgehen kann.
In diesem Sinne war ich immer beeindruckt von der Einfachheit, mit der Don Giussani von der Fraternität sprach. Er schlug die Zugehörigkeit zu ihr als persönliche Entscheidung vor, die nicht durch Gruppen vermittelt wird. Und er betonte, dass für die Mitgliedschaft die Unterschrift unter der Bitte um Aufnahme ausreiche. Zusammen mit der Aufnahme empfahl er als einzige Geste, die von allen gefordert wurde, die Gemeinschaftskasse. Dabei sollte jeder Form und Ausmaß für sich festlegen. Entscheidend für ihn war die Treue.

Genügte CL nicht, um alle genannten Ziele zu verwirklichen?
Etwas, das mir immer klar wurde - und das Don Giussani reichlich betonte - ist die Tatsache, dass das Leben der Fraternität der größeren Bewegung dient, die es ausdrückt, und Leidenschaft für ihr Wachstum ist. Bei denen, die die Fraternität leben, gibt es keinerlei elitäres oder aristokratisch-katholisches Denken.