Logo Tracce


Thema - Das Werk der Bewegung
Familien am Werk - Die Sehnsucht wach halten
Giorgio Paolucci

Im Leben der Fraternität liegt die Antwort auf die Bedürfnisse nach Jemandem, der die menschlichen Grenzen teilt und sie erlöst. Das Beispiel von zwei karitativen Werken in der Lombardei und den Marken.

Wenn die Sehnsucht das Herz brennen lässt und wenn die Freundschaft wie Holz ist, das diese Sehnsucht brennen lässt, können große Dinge geschehen. Größere Dinge als bei irgendeinem Projekt, das am grünen Tisch geplant wurde. «Francesco und ich arbeiteten zusammen. Wir hatten einen Betrieb auf die Beine gestellt, der Arbeit für Behinderte anbot. Aber wir wollten mehr. Es war wie ein Same in unserem Herzen, der darum bat zu wachsen, mehr Platz einzunehmen». So erläutert Lorenzo Crosta, Gründer der Kooperative Solidarität, die Dynamik, die ihn dazu brachte, die gesamte Existenz mit Francesco Coatti zu teilen, dem Freund, mit dem er bereits einige Zeit die Arbeit teilte. «Wollen wir ein Haus kaufen und zusammenleben?» Diese Frage bei einem Abendessen mit den jeweiligen Ehefrauen gestellt, brauchte erst eine Zeit der Reife, bis alle vier «Ja» dazu sagten. Heute ist dieses Haus in Malnate (Varese), wo die zwei Familien seit 1991 mit ihren Kindern und 10 Behinderten leben, die lebendige Frucht dieses «Ja» und die Möglichkeit, es jeden Tag neu zu sagen. Man muss dieses «Ja» vor Jesus wirklich jeden Tag neu sagen, sagt Lorenzo. Nur so kannst du erkennen, dass das, was unter uns geschieht, vor allem das Ergebnis einer Gnade ist. Es darf zu keiner gutmenschlichen Aktivität werden, der man sich nähert oder die es zu organisieren gilt, bis man sie wie eine Art «routiniertes Christentum» lebt.
Nach dem ersten Haus der Familie sind weitere vier entstanden, jeweils mit zwei Familien und 10 Behinderten. Wenn die Dinge größer werden, steigt auch das Risiko einer «organisierten Nächstenliebe». «Man muss daher die Sehnsucht nach dem Unendlichen stets wach halten, die uns zusammengeführt hat und sich dies gegenseitig bezeugen. Man braucht Holz, um ein Feuer wach zu halten und dieses Holz bekommen wir durch die Fraternität. Die Freundschaft mit Jesus ermöglicht eine Freundschaft zwischen uns, die nie selbstverständlich ist, und sie ist das Rückrad, das die Werke, die aus dieser Freundschaft entstanden sind aufrechterhält. Aber um so zu leben, muss man vom ersten Augenblick des Tages an in einer Bitte leben. Man muss eine Gegenwart «einatmen». Morgens zum Beispiel frühstücken wir um 7 Uhr, hören dabei klassische Musik und beten bevor wir zur Arbeit gehen. Ein Junge mit Down-Syndrom, der mit uns lebt sagte mir: «So zu leben, gibt auch mir die Möglichkeit zu atmen». Der Atem des Geheimnisses kann nicht etwas Lebloses sein und wird daher allen angeboten, die Sehnsucht danach verspüren, einschließlich den Behinderten, die in den fünf Häusern wohnen, die wir in diesen Jahren eröffnet haben. Gerade durch ihre Einfachheit wird die Gegenwart des Geheimnisses offensichtlich. Mit den Jahren hat sich die Fraternitätsgruppe vergrößert und wurde immer mehr ein Ort, an dem man das Leben in all seinen Aspekten teilt und beurteilt, vom zufälligsten bis hin zu Aspekten, die normalerweise als Schonraum für den eigenen Individualismus angesehen werden: der Gebrauch des Geldes oder der Zeit, die Wahl der Arbeit, der Urlaub. «Und so verändert das Leben langsam sein Gesicht - erzählt Lorenzo -, und der Blick wird geschärft für die Wunder, die Gott unter uns wirkt». Daher heißt das Werk, das die «Häuser» trägt, heute Mirabilia Dei, die Wunder Gottes, der gleiche Name, den auch die Fraternität trägt.

Mirabilia Dei
Auch auf einem Hügel in den Marken kann man auf ein Zeugnis der Mirabilia Dei treffen. Seit drei Jahren leben dort in dem kleinen Ort San Michele (Macerata) vier Familien, die zur Fraternität von CL gehören und selbst beim Aufbau des Dorfes mitgewirkt haben. Dort entstand ein Werk der Gemeinschaft von Pars, die sich seit 1990 der Erziehung und den Problemen Jugendlicher widmet. José Berdini, der Pionier erzählt: «Wir sind hierher gekommen, um zusammenzuleben, weil wir Sehnsucht nach einer engeren Freundschaft hatten und den Wunsch, die christliche Gemeinschaft intensiver zu leben. Wir wollten die täglichen Kämpfe des Lebens, die all unsere Energien fordern gemeinsam angehen. Daher haben wir den Ort dem heiligen Michael gewidmet, dem kämpferischen Erzengel». Pars kümmert sich um Personen, die sowohl Drogenprobleme als auch psychische Probleme haben: eine «Spezies» die noch problematischer ist als der Personenkreis, der normalerweise in therapeutischen Gruppen zu finden ist. «Viel mehr als eine "Spezies" - korrigiert José - ist jede Person dort ein Leidensschrei und eine Bitte um Hilfe, die auch für uns eine radikale Frage nach den offensichtlichen menschlichen Grenzen und der Notwendigkeit von Jemandem darstellt, der das Leid mit ihnen teil und es erlöst. Und wenn du nicht in einer soliden menschlichen Erfahrung verwurzelt bist, endest du damit, dass du unterliegst oder dich damit zufrieden gibst, " das Problem" zu organisieren. Die Fraternität ist diese Wurzel, die uns nährt und gemeinsam unsere Arbeit beurteilt. Und mit der Zeit ist das Dorf, das wir erbaut haben, ein wenig wie eine mittelalterliche Kathedrale geworden, ein Ort der bewirkt, dass sich unser Leben und die Wirklichkeit darum herum langsam verändert.» Das Dorf San Michele ist ein sichtbarer Ort der Gnade und des Kampfes in einer Zeit, in der die Flucht und die Dürre von Körper und Seele zur Mode geworden sind. Wenn man Crosta und Berdini zuhört, kommen einem die Worte von Alasdair McIntyre in den Sinn, als wären sie für die heutige Zeit geschrieben: «Die Geschichte der Antike nahm einen entscheidenden Wendepunkt, als Männer und Frauen guten Willens aufhörten, das römische Imperium zu unterstützen (...). Die Aufgabe, die sie sich zum Ziel setzten, war die Errichtung neuer Formen der Gemeinschaft, in denen sowohl die Gesellschaft als auch die Moral die Möglichkeit hatten, in einer Epoche der beginnenden Barbarei und der Dunkelheit, der Auflösung des Staates und gesellschaftlichen Korruption, zu überleben».