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Thema - Das Werk der Bewegung
Ohne Alibi - Freunde für die Welt
Carlo Dignola

Ein Ort, der die Hoffnung und die Mühe jedes Einzelnen aufrecht erhält. In der Erinnerung daran, dass Christus sich nicht von der menschlichen Wirklichkeit unterscheidet, genau wie das Leben der Bewegung.

Davide Prosperi ist ein enger Freund von Binocolo. Nachdem Davide sein Studium abgeschlossen hatte, war die Fraternität nicht die erste Sache, an die er dachte: «Ich sage dir die Wahrheit: Die Exerzitien des CLU von 1994 waren für mich ein Wendepunkt. Ich hatte Giussani kennen gelernt und es begann eine Freundschaft mit Cesana und mit Don Pino. Sie hatten mich gefragt, ob "Binocolo" helfen könne, der die Bewegung in ganz Europa betreute. Ihm wurden noch andere Aufgaben anvertraut und deshalb schlugen sie mir vor, seine Stelle zu übernehmen. Ich war dann fast täglich mit den Personen in Verbindung, die die Bewegung leiten. Ehrlich gesagt, ich sah nicht die Dringlichkeit eines "Grüppchens". Ich wehrte mich dagegen, ich sagte zu den Freunden: "Macht ihr es!"
Daria Frigerio aus Brianza beharrte aber darauf. Am Ende sagte Davide zu ihr: "Geht in Ordnung, leite du sie, ich bleibe hier." Am Anfang waren es fünf oder sechs: "Dann ist einer nach Russland gegangen, ein anderer ging seine eigenen Wege."» Andere kamen unterdessen neu dazu, auch jüngere. Jetzt haben sie eine Fraternität von 50 Personen, trotz der Anstrengungen, sie zusammenzuhalten. Die Fraternität umfasst mehrere Generationen (Daria Frigerio, zum Beispiel, schloss ihr Studium an dem Tag ab, an dem Michele Cantoni sein Abitur machte.) Und die Fraternitätsgruppe hat eine Struktur, sich immer wieder ändert: Manchmal treffen sich alle zusammen, manchmal treffen sie sich in kleineren Gruppen. Sie laden auch Leute ein, die nicht zu CL gehören: «Wenn einer besser verstehen will, was die Bewegung ist, bringt es nichts, ihm ein paar Seiten zum Lesen in die Hand zu geben», sagt Davide. Chiara Marinzi, Forscherin in Chemie an der Bicocca-Universität, erklärt, dass diese Freundschaft nicht dazu dient, alles in Ordnung zu bringen, wie ich es in meinem Wahn gerne hätte, sondern um mir Fragen zu stellen, um meine Zuneigung zu meinem Nächsten zu wecken. Und das «passiert» oft auf sehr einfache Art und Weise, indem man von den gewöhnlichen Dingen des Lebens spricht, in all ihren scheinbaren Kleinlichkeiten. Silvia Ronchi, die erst seit kurzem zur Fraternität gehört, gibt zu, dass es für sie schwierig ist, «die Verlegenheit und Scham» zu überwinden, wenn sie vor allen gewisse Fragen stellt. Aber sie weiß im Grunde, «dass hier Leute sind, die mich nicht einfach aufgäben, wenn ich das Leben wegwerfen würde. Es mag banal klingen. Aber dieses Interesse, diese Nicht-Gleichgültigkeit ist das, was mir am Anfang aufgefallen ist, und mich hier gebunden hält. Und es ist das, was die Fraternität vom Rest unterscheidet», wo man sich im Namen einer so genannten «Freiheit» ignoriert.

Eine Freundschaft, die Hoffnung gibt
Wenn Daria an all die anstrengenden Situationen zurückdenkt, die so viele erlebt haben oder noch erleben, dann fällt ihr am meisten auf, dass die Fraternität «nicht etwas ist, was die Probleme löst, sondern dass sie eine Freundschaft ist, die Hoffnung gibt». Sie hilft, die Umstände zu leben, indem sie dem einen durch den anderen Kraft gibt und ihm eine helfende Hand anbietet. Wie damals, als Silvia Pedralli aus Rogoredo schwanger war und wegen einer Blutung ins Krankenhaus gehen musste. Einerseits war sie verärgert darüber, andererseits hatte sie Angst, ihr Kind zu verlieren: «In diesen schrecklichen Stunden, kurz davor, in den Abgrund der Verzweiflung zu fallen», schrieb sie von ihrem Krankenbett aus eine E-Mail. Die Antworten waren «ein köstliches Wasser, das mir Hoffnung gab, mich wieder aufs Gleis setzte und mir sagte, wohin ich schauen sollte».
«Wir sprechen nicht oft ausdrücklich über die Beziehung mit Christus», meint Davide. Dennoch seien sich alle sicher, dass die Verbindung mit der Fraternität genau darin besteht. «Denn man versteht, dass Christus sich nicht von der menschlichen Wirklichkeit unterscheidet, in der man die Kraft der Veränderung der Person sieht. Vor Weihnachten kam einer von meiner Fraternität zum Mittagessen. Er ist Verkäufer in einer Firma. Er hatte folgendes Problem. Er musste den Verkauf eines Produktes an einen Kunden abschließen, als er entdeckte, dass sein Konkurrent von CL war. Am selben Abend hat er entschieden, ihn anzurufen, um herauszufinden, wie wichtig dieses Geschäft für den anderen war. Schaut, es hat mich überrascht, dass sich ihm dieses Problem stellte. Er nahm den Telefonhörer in die Hand und rief ihn an. Das ist etwas, was jeder Logik von Profit widerspricht, etwas, das man als Kaufmann einfach nicht macht. Das Verständnis von Gemeinschaft ist stärker als jede andere Logik.» Aber die Fraternität ist keine «Bewegung» innerhalb von CL: «Wir wollten die Wirklichkeit der Bewegung leben, und zwar bis auf den Grund. Uns kam niemals der Gedanke, dass die Gruppe der Fraternität etwas für sich wäre. Aber die Gefahr besteht dennoch ein bisschen. An einem gewissen Punkt schafft man sich einen idealen Bezug zur Bewegung, aber das Leben geht dann seine eigenen Wege. Man kann sich "in Ordnung" fühlen. Ich habe meine Gruppe der Fraternität, eine Frau, zwei, drei oder vier Kinder, gehe jeden Sonntag in die Messe, und so weiter. Man hat seine Fixpunkte, man versteht, dass gewisse Dinge richtig sind und andere falsch. Wir haben so viele Werkzeuge, das Seminar der Gemeinschaft, die Texte von Giussani und auch die von Carrón, die Bücher des Monats, und so weiter. Dennoch könnte all dies doch ein Alibi sein, die Herausforderung, die Christus einem in diesem Augenblick zuwirft, in dem man gerade lebt, nicht anzunehmen. Man bemerkt, dass es einem nicht gut geht, und das ist es, was eine Frage in einem aufwirft. Wir haben begonnen, zu fragen.» Und die überraschende Tatsache besteht darin, dass man in der Entdeckung Christi als Gegenstand der eigenen Sehnsucht viel mehr entdeckt hat als die Freundschaft: «Wir haben uns wegen einer Freundschaft zusammengetan, die wir schon lebten, aber wir haben angefangen, diese Freundschaft wirklich zu verstehen, als wir verstanden haben, dass sie "für die Welt" war.» Heute reist Davide durch ganz Europa und seine Freunde nehmen sich gewisse Situationen von Leuten zu Herzen, die er trifft. Ja sie kümmern sich mit ihm sogar um ganze Völker. Und sie helfen seiner Familie, wenn er nicht da ist, vor allem an Wochenenden. «Das hat mich immer bewegt. Wenn man in dieser Freundschaft lebt, fehlt einem nie etwas. Es ist immer jemand da, der hilft, sei es, mit der Gesellschaft, die er einem leistet, sei es mit materieller Hilfe.»