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Briefe
Briefe Januar 2007
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Die gute Bestimmung Sergios
Lieber Don Carròn - mein Mann, Sergio Faccioli, hat dir im August geschrieben, um dir von unserer Gemeinschaft im Trentino zu erzählen und dich an den Freuden, den Mühen und der Dankbarkeit teilhaben zu lassen, die der Herr uns gibt. Wenige Tage später ist Sergio unvorhergesehen gestorben. Erst danach haben wir im Computer den Brief entdeckt, den er dir geschickt hat und der für mich eine Bestätigung der Bestimmung und des Bewusstseins wurde, mit der Sergio alles lebte, was ihm begegnete: Die Zugehörigkeit zu Jesus, zu jener Erfahrung der Schönheit, der Fülle des Lebens, des Geschmacks, der ihn faszinierte und den er ununterbrochen allen in Erinnerung rief. Es war das Ziel eines zunehmend gewissen und frohen Weges. In letzter Zeit, vor allem nach der Reise in Heilige Land, bat Sergio mit Nachdruck, ich möge mich Jesus hingeben; mich mit Freuden Ihm anvertrauen und aufmerksam sein für die Gnaden, die der Herr uns dauernd schenkt. Nach seinem Tod fühlte ich mich zunächst verloren, erstarrt. Aber gleichzeitig habe ich die Gewissheit, dass alles zu einer guten Bestimmung führt und nichts verloren ist: der Weg, den wir gemeinsam gegangen sind; das Sakrament, das für die Ewigkeit bleibt; das Gute, das wir zu errichten versuchten; die Kinder, die wir in der Liebe zu Christus und zur Kirche erziehen wollten.
Es ist wirklich die Teilhabe an einem großen Geheimnis. Nun, da das Fehlen meines Mannes zunehmend schmerzt und offensichtlich wird, nehme ich auch mehr wahr, dass der Herr ihn genommen hat, weil er seinen Weg zu Ende gegangen ist, und dass er nun mich möchte, so wie ich bin, mit all dem Schmerz, der mich bisweilen kaum leben lässt. Ich habe mich auch gefragt, ob der Herr Sergio genau deshalb genommen hat, um mich eine Entscheidung treffen zu lassen, um mich zu bitten, mich Ihm so anzuvertrauen, wie Sergio es gelernt und allen mit frohem Herzen bezeugt hatte. Bei der Beerdigung und in den darauf folgenden Tagen erhielt ich Zeugnisse aus aller Welt: Wie sehr Sergio sie fasziniert hatte durch sein Staunen über die Dinge, die Gott ihm begegnen ließ und wie er allen bezeugte, was ihn an der Bewegung so sehr faszinierte: das Leben Christus hinzugeben, ist das Einzige, wofür es sich lohnt zu leben und zu sterben. Mit Feinfühligkeit, Aufmerksamkeit und Hingabe bezeugen mir so viele Personen, dass sie in Sergio jene große Sehnsucht nach Wahrheit und Glück bemerkt haben, die sich in der Hingabe des Selbst an Jesus erfüllt. Und dies ermöglicht, dass ich mein Herz mehr der Erfahrung der Bewegung öffnen und für ihre Gegenwart und besonders für deine Gegenwart und Verfügbarkeit danken kann; dafür, dass du uns mit väterlicher Geduld auf den von Gott gewählten Weg führst, um uns Wegbegleitung zu sein.
Mariapia, Isera

Vernunft und Vorurteil
Ich studiere Sprachen. In der Vorlesung über Philosophiegeschichte sagte der Professor, dass man das Glück nicht an diesem oder jenem festmachen könne. Aber im Mittelalter hätte man den Leuten eine Antwort gegeben, nämlich dass das Glück im Versprechen des ewigen Lebens bestehe, wohingegen das irdische Leben nur traurig und mühevoll war. Diese falschen Darstellungen der katholischen Lehre ärgerte mich. Schließlich entschloss ich mich, nach der Stunde zu ihm zu gehen und mit ihm zu reden. Ich sagte ihm, dass ich in meinem Leben das Glück gesehen hätte und nicht auf das ewige Leben warte, um zu leben. Er hat mir geantwortet, dass in der Schrift die Versprechen für das ewige Leben zahlreicher seien als jene des Hundertfachen. Am meisten erstaunte mich aber, dass bei unserem Gespräch keiner von beiden den anderen überzeugen, sondern diskutieren und die Gründe verstehen wollte. Es folgten noch weitere Vorlesungen mit den gleichen falschen Anschuldigung gegen die Kirche und das Christentum. In einer der letzten Vorlesungen - es ging um den Unterschied zwischen Katholizität und Protestantismus - konnte ich nicht mehr still bleiben. Der Professor sagte, dass die Protestanten alles auf die einzelne Person setzten, wohingegen der Einzelne bei den Katholiken nichts gelte außer als Teil der Gemeinschaft. Also nahm ich das Flugblatt mit der Rede des Papstes in Verona, unterstrich alle Stellen, in denen Benedikt XIV. von der Bedeutung des Einzelnen spricht, und gab ihm den Zettel. Die darauf folgende Vorlesung war anders. Der Professor begann, die Grundaspekte der Aufklärung klarzustellen, um «mögliche Missverständnisse auszuschließen». Der Rest der Stunde nahm eine ganz andere Wendung. Am Ende sagte er mir, dass er das Flugblatt gelesen habe. Er schätze den Einsatz des Papstes, die Beziehung zwischen Glaube und Vernunft zu bekräftigen und seine Aufgabe als Professor zu bewahren, nämlich nachzudenken und Fragen zu stellen. Ich habe ihm erwidert, dass seine Vorlesungen sicher eine Anregung waren. Am Ende brachte er sein Staunen und seine Zufriedenheit zum Ausdruck und stellte fest, dass zumindest ich Interesse hätte, mich mit den Dingen auseinander zu setzen.
Lucia, Venedig

Schreibwerkstatt im Gefängnis
Lieber Don Carròn, seit Mai vergangenen Jahres gehe ich zweimal monatlich ins Gefängnis von Vallette, wo ich einen Schreibkurs für Häftlinge koordiniere, die in der Universität eingeschrieben sind. Fast alle verbüßen lange Haftstrafen, viele wegen schwerer Verbrechen. Alles entstand aus einer Brieffreundschaft mit einem von ihnen. Da er gerne schreibt, kam ich auf die Idee, mit Unterstützung einiger Freunde einen Schreibkurs anzubieten. Der Kurs, der im Dezember beendet wurde, nahm als Grundlage einige Stücke von Flannery O’Connor von unserem Freund Luca Doninelli: mitgearbeitet haben meine Kollegen von Sole 24Ore, Journalisten der Repubblica, der Nachrichtenagentur Ansa, von Canale 5, ein Ex-Terrorist, der heute als Schriftsteller arbeitet, der Schriftsteller Culicchia, der Regisseur Vacis, die Schauspielerin Laura Curino; vor Weihnachten nahm zudem Lorenzo Del Boca, Präsident des nationalen Journalistenverbandes, teil. Am schönsten waren für mich die Aufmerksamkeit der Gefangenen, das gegenseitige Zuhören, die menschlichen Zeugnisse meiner Freunde, die von sich erzählten und darüber, was für sie das Schreiben bedeutet. Bei einigen Übungen, die ich aufgab, und den Stücken, die die Gefangenen schrieben, kamen sehr deutlich die Frage nach der Bedeutung des Lebens und das Staunen über das Leben selbst zum Ausdruck. Allmählich habe ich sie als Weggefährten empfunden, natürlich habe ich niemanden umgebracht, aber auch ich verspüre immer mehr das Bedürfnis, gerettet zu sein. Und nur Christus rettet, das verstehe ich immer mehr, und so werden mir die Sakramente und unsere Gemeinschaft immer wertvoller.
Adriano, Turin

Schottisches Leben
Lieber Don Carròn, im September haben wir geheiratet und sofort danach zogen wir nach Schottland um, wo wir beide ein Promotionsstudium anfingen, ich in Mathematik und meine Frau in Physik. Bereits von Anfang an wurde die Aussage Christi «Bete und du wirst erhört werden» in allen Dingen zur Erfahrung. Das war zum Beispiel beim Eröffnungstreffen der Studenten von CL aus Schottland der Fall. Wir trafen uns in der Früh am Bahnhof in Edinburgh. Wir waren rund fünfzehn Personen und am Abend sind weitere vierzehn Personen dazu gestoßen. Unter ihnen waren ganz unterschiedliche Leute - unter anderem ein muslimisches Mädchen aus Marokko und ein Spanier, der erst seit kurzem dabei war. Tagsüber gingen wir ins Museum und dann aßen wir in einem Pub zu Mittag. Danach gingen wir zur Chaplaincy (die Kapelle der Universität für die katholischen Studierenden, wo auch Versammlungsräume sind) und sangen zweieinhalb Stunden zusammen. Es war erstaunlich, all diese Leute die Lieder singen zu hören, die wir in der Bewegung gelernt haben und die sie zum ersten Mal hörten. Wir schenkten ihnen Traces, denn, auch wenn wir nicht sehr gut Englisch sprechen und deshalb nur unzureichend von unserer Erfahrung erzählen können, so wollen wir ihnen doch den Ursprung dieser Erfahrung vermitteln. Wir schlugen das Seminar der Gemeinschaft vor. Außer uns und Lucia kamen Brett, ein englischer Junge, der bereits letztes Jahr zusammen mit einer italienischen Erasmus-Studentin zum Seminar gekommen war, dann Joseph, ein Amerikaner, der soeben ein Promotionsstudium in Geschichte in Angriff genommen hat, Dan, ein weiterer Amerikaner, und ein Franzose. Es war schwierig, die Methode des Seminars der Gemeinschaft zu erklären, damit unser Treffen nicht zu einer der vielen Diskussionsveranstaltungen wird. Wir lesen gerade deine Ansprachen bei der internationalen Versammlung der Verantwortlichen. Es fällt uns auf, dass das, dem wir begegnet sind, für alle bestimmt ist. Um etwas mitzuteilen, muss man daher von der Erfahrung ausgehen. Dabei ist das Teilhaben am Leben der anderen unabdingbar: Hier herrscht der Individualismus. Ein Beispiel: Ein Freund von uns kam nicht zum Eröffnungstreffen, weil er Angst hatte, dass wir zu sehr in seine «Privacy» eindringen. Gerade deswegen besteht unsere Aufgabe nicht darin, schöne und richtige Reden zu halten, sondern dieses Stück einer neuen Menschheit mitzuteilen, die uns auf eine ganz einfache Art und Weise erreicht hat.
Giacomo und Maria, Edinburgh

Das Abenteuer der Erziehung
Das Sozialzentrum Edimar existiert nun seit fünf Jahren. Trotz der Schwierigkeiten ist der Elan des Anfangs nicht verloren gegangen. Die erzieherische Erfahrung, die das Zentrum kennzeichnet, wird in immer weiteren Kreisen bekannt. Jeden Tag kommen rund 200 Straßenkinder zu uns. Es handelt sich oft um vom Leiden tief gezeichnete Gesichter, ein Leiden, das vom Mangel an Zuneigung in der Familie, aus menschenverachtenden Erfahrungen im Gefängnis und aus der Verachtung durch die Gesellschaft verursacht wird. Durch das Zuhören, den Dialog, die Schule, den Sport, die Filme, die Suche nach einer Arbeit und den Mut, auf eine Beziehung immer neu einzugehen, deren Erfolg nicht immer selbstverständlich ist - durch all dies versteht man, dass das Herz des Menschen aus seinem Wunsch nach dem Unendlichen besteht. Es handelt sich um Jugendliche, die sich mit einer irgendwie erfundenen Geschichte nicht abspeisen lassen, nur damit sie sich beruhigen. Die Gewalt und die Unausgeglichenheit, die sie oft charakterisieren, bringen mich auf den Gedanken, dass sie sich nach mehr sehnen. So werden sie zum Beispiel auch sehr aufmerksam, wenn man die Geschichte Edimars erzählt. Das Abenteuer der Erziehung, vor allem unter diesen Umständen, ist faszinierend. Es ist eine fortdauernde Spannung. Ich würde dies mit den Worten des großartigen Don Gnocchi ausdrücken: «Ich bin in das Geheimnis jedes Menschen und dessen Freiheit verliebt». Wie viele Gespräche haben wir mit den Familien dieser Jugendlichen geführt! Es war tröstlich, vor einigen Tagen die Worte einer Mutter zu hören: «Ich bete sehr viel für diesen Sohn (der mal auf der Straße und mal im Gefängnis lebt) und ich empfange ihn mit offenen Armen». Enttäuschend war aber die Erfahrung eines Kindes, das, um den Vater auch nur zu erblicken, stundenlang am Straßenrand stand. Als der Vater einmal mit dem Auto vorbeifuhr, ignorierte er es vollkommen! Als die Oma von Pati einmal in unser Zentrum kam, staunte sie über das Interesse der Erzieher für ihr Enkelkind, das sonst in ihr nur Tränen hervorrief. «Wir sind nicht mit euch verwandt und dennoch liebt ihr ihn so sehr.» Dieser Junge ist verwaist und kennt nicht einmal seinen Vater. Jetzt lebt er in einer Pflegefamilie und geht zur Schule. Das Schönste an unserem Werk, finde ich, ist die Einheit unter den Erziehern. Das lässt die Tätigkeit nie zur Routine werden.
Vater Maurizio, Yaoundé (Kamerun)

Das Geschenk Veronikas
Am 7. Oktober letzten Jahres ist unsere erste Tochter Maria Veronika wenige Stunden nach der Geburt in den Himmel gegangen. Mein Mann Riccardo und ich möchten euch für euren Beistand und eure tiefe Zuneigung danken, die wir uns vorher gar nicht vorstellen konnten. Als unsere Freunde von den Schwierigkeiten bei der Geburt erfuhren, machten sie eine Wallfahrt zum Heiligtum der Divino Amore. Riccardo und ich waren zum ersten Mal mit einem so großen Schmerzen konfrontiert. Vorher hatten wir nie so wie in diesem Augenblick an den Tod als Anfang des ewigen Lebens und als Bitte um Frieden und Hoffnung in unseren Herzen gedacht. Jesus, der gekreuzigt wurde, um uns das ewige Leben zu schenken, bittet uns, seine Zeugen zu sein. So wie Maria am Kreuz stand. Sie verzweifelte nicht, sondern überließ sich ganz dem Willen Gottes. Die Totenmesse war freudig, weil wir gewiss waren, dass Maria Veronika bereits im Paradies ist, in den Armen der Gottesmutter, und weil wir von so vielen Freunden begleitet wurden. Einige Tage vor Veronikas Geburt sagte mir meine Mutter, dass sie während ihrer vier Schwangerschaften in sich spürte, dass jedes Kind, das sie in ihrem Schoß trug, zur Auferstehung bestimmt war, und dies erfüllte ihr Herz mit Freude. In dem Augenblick verstand ich nicht ganz, was sie mir sagte, aber nun, da Maria Veronika im Himmel ist, erhielten wir die Gnade, jene Worte erleben zu dürfen. Ein Freund sagte mir dann, dass der heilige Augustinus einmal schrieb: Meine Mutter hat mich zweimal geboren: das erste Mal schenkte sie mir das irdische Leben, das zweite Mal das ewige. Auch im Krankenhaus brachte man mir am Tag des Todes von Maria Veronika die Lesungen des Tages. Im Evangelium sagte Jesus: «Lasst die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes». Zwei Monate vor der Geburt der Kleinen, war der Papst am Heiligtum von Manoppello gewesen, wo das Tuch der Veronika mit dem Bild vom Heiligen Antlitz aufbewahrt wird. In der Predigt sagte Papst Benedikt, wir sollen Sein Angesicht suchen. Veronika, dessen Name «wahre Ikone, wahres Bild» des Heiligen Antlitzes bedeutet, wurde von Ihm dazu erwählt, in Ewigkeit auf Sein Antlitz zu schauen. Nun erfahre ich eine nie zuvor erlebte Einheit mit meinem Mann. Riccardo hat wieder zu den Sakramenten gefunden. In all meinen Gebeten bat ich Jesus immer, dass er auch den Glauben finde. Maria Veronika, kaum war sie im Himmel, hat mein Gebet erhört.
Maria Pia, Roma