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Euthanasie - Der Sinn des Todes
Die Ideologie des «guten Todes»
Lucetta Scarraffia

Im Namen einer individuellen Selbstbestimmung des Menschen wird die Forderung nach der Herrschaft über das Ende des Lebens als eine Errungenschaft der Zivilisation dargestellt.

Die Probleme der Bioethik sind längst nicht mehr wissenschaftlichen Experten vorbehalten, sondern ein Schlachtfeld politischer Grundsatzdebatten. Will man angemessen urteilen, dann muss man sich auch entsprechend informieren. Die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist so zu einem grundlegenden Problem geworden, das auch deutlich parteiische Züge annimmt. Wir sehen das an der fast immer «parteiischen» oder jedenfalls der Lehre der Kirche entgegengesetzten Information durch die Medien. Aus genau diesem Grund hat in Italien die Beilage È vita (Es ist Leben) der katholischen Tageszeitung Avvenire beim Referendum zu Fragen der Bioethik eine wichtige Rolle gespielt. Die Beilage erscheint jetzt weiter mit dem Ziel, über Themen der Bioethik zu informieren. Das gleiche Ziel verfolgt auch die Vereinigung Scienza e Vita (Wissenschaft und Leben). Sie hat sich die Aufgabe gestellt, korrekt über die hinter ethischen Fragen stehenden wissenschaftlichen Probleme zu informieren und trägt dazu auch mit einer Serie periodisch erscheinender Schriften bei, den Quaderni di Scienza e Vita (Hefte für Wissenschaft und Leben), die jeweils «heißen» Themen gewidmet sind.

Notwendige Antwort auf eine neue Lage?
Das erste Heft behandelt die Frage der lebensverlängernden Maßnahmen und der Euthanasie. Der Fall des italienischen Patienten Welby, oder besser gesagt dessen politische Instrumentalisierung, hat dieses Thema wieder auf die Tagesordnung gesetzt.
Heute wird von vielen gerade der wissenschaftliche Fortschritt, der erlaubt hat, den Tod immer mehr hinauszuschieben, in vielerlei Hinsicht als negativ und gefährlich empfunden. Zur Angst vor dem Sterben, wie sie die Menschen immer empfunden haben, ist nun die Angst vor dem langen Sterben gekommen oder gar davor, nicht sterben zu können. Es ist die Furcht vor einer Medizin, die den Kranken und Leidenden zwar nicht heilen kann, aber das menschliche Leben ohne Rücksicht auf den Zustand des Patienten verlängert. Vor diesem Hintergrund erhebt ein Teil der politischen Gruppierungen in Europa die Forderung nach aktiver Sterbehilfe. So als handele es sich dabei um eine notwendige Antwort auf neue medizinische Möglichkeiten, die man «lebensverlängernde Maßnahmen» nennt.
Unter diesem Vorwand hat man versucht, das erste der Menschenrechte zu umgehen: Die Verteidigung jedes menschlichen Lebens. Nach der Geburtenkontrolle - und aus ideologischer Sicht gewissermaßen in Verbindung mit dieser - bahnt sich eine Ideologie den Weg, die darauf zielt, dem Tod seine «Natürlichkeit» zu nehmen mit dem Argument, die Wissenschaft habe ihn schon in etwas Artifizielles verwandelt.

Wann und wie sterben?
Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Schauen wir die überprüften Fälle von Euthanasie genauer an und die Praxis in den Ländern, wo Euthanasie legalisiert ist, dann sehen wir, dass der «gute Tod» nicht nur auf Kranke angewandt wird, die einzig aufgrund lebensverlängernder Maßnamen leben, sondern auch auf solche, die einfach an unheilbaren Krankheiten leiden, deren Schmerzen durch palliative Behandlung wesentlich vermindert werden könnten. Im Grunde ist also die Euthanasie dabei, ein neues Recht zu werden, wie ihre Verfechter übrigens klar zugeben - nämlich das Recht zu entscheiden, wann das eigene Leben beendet wird - auch wenn man dabei so tut, als gehe es ausschließlich um extreme Fälle. Die Frage der lebensverlängernden Maßnahmen ist zweifellos ein Problem. Es sollte und könnte aber eine Lösung im Rahmen ärztlicher Verantwortung und einer größeren Klarheit und Aufmerksamkeit im Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten sowie seiner Familie gefunden werden. Statt dessen wird diese Frage nur aufgeworfen, um sie zu instrumentalisieren. Man versucht dabei das neue «Recht» als kulturelle Gegebenheiten darzustellen.
Die Forderung, selbst zu entscheiden, wann und wie jemand stirbt, ist also Teil jenes Prozesses der individuellen Selbstbestimmung, der die Moderne kennzeichnet und der von der herrschenden Kultur als einziger Weg zum menschlichen Glück verteidigt wird. An diesem Horizont der Selbstbestimmung ist kein Platz mehr für das Unvorhergesehene, kein Platz für das Andere, von uns Verschiedene, das neue Erfahrungen, neue Räume der Einsicht in unser Leben erschließen könnte. Wir glauben, schon alles zu wissen, nichts mehr nötig zu haben, es sei denn jeden Aspekt unseres Lebens unter Kontrolle zu haben. Und wie man die Geburten mit empfängnisverhütenden Mitteln kontrolliert, so möchte man den Tod mit der Euthanasie kontrollieren.

Lebensunwürdiges Leben?
Hinter der Entscheidung, ob es für ein menschliches Wesen besser ist, zu sterben als weiterzuleben, steht eine Frage - die des «lebensunwürdigen Lebens» - von der man hoffte, dass sie mit dem Fall des Nazismus ein für alle Mal entschieden sei. Es geht hier um eine Auffassung, deren Anwendung auf die Legalisierung der Euthanasie - angesichts der Kosten langer Krankenhausaufenthalte und der Lebenserhaltung Schwerkranker - zum mächtigsten Faktor sozialer Diskriminierung zu werden droht. Es handelt sich also nicht nur um ein ethisches und rechtliches Problem, sondern um einen erschreckenden gesellschaftlichen Horizont, der sich vor unseren Augen auftut und an dem die Ungleichheit unter menschlichen Wesen sogar in dem Punkt festgelegt wird, den wir als das Menschenrecht schlechthin ansehen, die Achtung, die jedem menschlichen Leben gezollt werden muss.

*Dozentin für Gegenwartsgeschichte an der Universität La Sapienza von Rom