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Euthanasie - Der Sinn des Todes
Welchen Sinn?
Roberto Colombo

Die Forderung, «den Stecker herauszuziehen», steht und fällt mit der Antwort, die man auf diese unerbittliche Frage gibt. Ohne die Erfahrung eines Lebens, das stärker ist als der Tod, ist jede Überlegung oder Ethik unzureichend.

Wofür lohnt es sich zu leben?
Das Problem der unheilbaren Krankheit und ihrer Endstadien, der Qualen, die so schrecklich sind, dass man auf den Tod wie auf den einzigen Wunsch eines sinnlos gewordenen Lebens schaut, dieses Problem ist schlagartig Thema der privaten und öffentlichen Diskussion Italiens geworden und hat die Bürger wieder aus der Illusion geweckt, das Leben hänge vom Haushaltsplan, Wirtschaftsaufschwung oder Steueraufkommen ab. Sie sind für das Leben nicht unbedeutend. Aber was Leben ist und worin sein Wert besteht, das entdeckt man angesichts von etwas ganz anderem, von dem, was seine Schönheit, seine Attraktivität, die Freude an Arbeit und Ruhe, die liebsten Gefühle und Freundschaften scheinbar leugnet. Letztlich steht oder fällt die Bitte, «den Stecker (etwa des Beatmungsgerätes) herauszuziehen», oder um die tödliche intravenöse Injektion eines Schmerzmittels angesichts von Vernunft und Freiheit mit der Antwort, die jeder von uns auf die Frage gibt: Wofür lohnt sich letztlich die Mühe zu leben? Und wenn die Mühe zu leben unerträglich wird, dann erscheint am Horizont des Menschen und der Gesellschaft die Euthanasie, der «gute Tod».

Unvernünftiger Gebrauch des klinisch Möglichen
Die so genannte «lebensverlängernde Maßnahme» ist das Ergebnis eines unangemessenen, unvernünftigen Gebrauchs der klinischen Möglichkeiten. Sie führt den Arzt manchmal zu eigensinnigen, nutzlosen Therapien, die nicht den wirklichen Bedürfnissen und Erwartungen des Patienten entsprechen. Diese Therapien sollten gar nicht erst begonnen werden und sie können, mit der Zustimmung des Kranken, eingestellt werden, und zwar ohne die Notwendigkeit eines Gesetzes ad hoc. Die wirkliche Frage - so wie sie sich in einigen Ländern schon gestellt hat - ist die der «Beihilfe zum Selbstmord» des Patienten, der aktiven Sterbehilfe oder die Verweigerung bisher geleisteter Beihilfe, wie die Unterbrechung der lebensnotwendigen Behandlungen, etwa der künstlichen Beatmung, der Wasserzufuhr, der enteralen oder parenteralen Ernährung. Ist Euthanasie die einzige Antwort auf den Sinn eines Lebens, das von der Krankheit gemartert und zu Hause oder im Krankenhaus in ein Bett verbannt ist?
In dem Roman Der Sinn des Todes von Bourget, denkt der von einem Tumor befallene große Neurochirurg Ortègue daran, sich das Leben zu nehmen und vertraut seiner Frau an: «Die Argumente gegen den Selbstmord sind von Genießern ausgedacht, die das Leben lieben und möchten, dass jeder es so liebt wie sie.» Ist es etwa nicht wahr, dass man angesichts des Verlangens nach dem Tod nur antworten kann, wenn man das Leben liebt und es liebenswert macht durch eine genießerische menschliche Gesellschaft, die immer einen Grund zu Fröhlichkeit und Friedlichkeit hat, auch unter Tränen und quälenden Schmerzen?

Eine Lebenserfahrung
Ohne die Erfahrung eines Lebens, das stärker ist als der Tod, erweisen sich alle logischen Argumente, klinischen Prognosen oder ethischen Prinzipien als unzulänglich - zwar notwendig, aber nicht ausreichend, um zu überzeugen: Das ist zu wenig. Nur aus der Erfahrung der liebenswerten Positivität des Daseins beziehen wir jene moralischen Gewissheiten, die stärker sind als ein mathematischer Beweis und eine philosophische Schlussfolgerung (die Alternative wäre das Nichts, die Leugnung jeder Möglichkeit, die der Tod darstellt, wenn er nicht als Teil des Lebens gesehen wird). Aus diesen Gewissheiten muss die Kraft für die Auseinandersetzung mit denen kommen, die im Tod sozusagen das letzte Wort zum Leiden sehen, den Notausgang aus dem Leben, wenn seine erbarmungslose Dramatik unerträglich scheint. Ohne eine starke Menschlichkeit, eine menschliche Genialität, die alles aufwertet und umarmt, weil sie darin eine liebevolle und liebenswerte Gegenwart erkennt, klingt jedes Wort, das aus diesem schmerzlichen Anlass gesprochen wird, wie Hohn, wie «ein Märchen, das ein Idiot erzählt» würde Shakespeare sagen. Und jeder Vorschlag für eine normative Regelung erscheint wie die Regel für ein Spiel mit dem Leben, an dem niemand bereit ist teilzunehmen.
Wir können keine schlauen Lösungen auf den Tisch legen für die Partie zwischen Leben und Tod, ein Duell das schon vor 2000 Jahren an einem Kreuz gewonnen worden ist: «Mors ero mors tua» (vgl. Hos 13, 14). Nur eine Wahrheit eingebettet in eine Freundschaft mit dem, der leidet, ist die Antwort auf die Herausforderung der Euthanasie, die größte Herausforderung der Vernunft und der Freiheit des Menschen, die in diesen Jahren in unserer Gesellschaft aufgetaucht ist. Eine Herausforderung der Vernunft, weil sie deren höchste Kategorie, die der Möglichkeit, zu verneinen scheint: Wer die Euthanasie verlangt, hat der Hoffnung auf ein Ereignis die Tür verschlossen, das ihn aus der Angst zu leben rettet. Eine Herausforderung der Freiheit, weil man angesichts des Leidens nicht gleichgültig bleiben, einfach keine Stellung beziehen kann. Es wäre eine unerträgliche Feigheit, sich der Auseinandersetzung mit dem größten Paradox des Lebens, dem des Todes, zu entziehen. Wir sind für das Leben geschaffen, nicht für den Tod. Deshalb wollen wir im Leben auch die begleiten, die auf den Tod wie auf den Schatten eines Geheimnisses schauen, das über ihnen steht, dessen gutes Antlitz sie aber noch nicht entdeckt haben.

* Direktor des Instituts für molekulare und genetische Humanbiologie der Katholischen Universität Mailand