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Unternehmer
Ein Abenteuer in der Robotik
Mario Molteni

Nach zehn Jahren als Angestellter wagte Paolo Zanella mit ein paar Freunden den Sprung in die Selbstständigkeit – eine neue Herangehensweise an die Arbeit und an die Beziehung zu den Mitarbeitern.

Paolo Zanella, Diplom-Ingenieur, steht an der Spitze der Firma Antil, die im Mailänder Hinterland Roboter baut. Ein schwieriger Sektor, auf dem die Innovation aus der Teamarbeit hervorgeht. Wir blicken mit ihm zurück auf die Schritte seiner Unternehmensgeschichte.

Wie entstand Antil?
Nach dem Studienabschluss 1981 habe ich zehn Jahre lang in der Forschung und Entwicklung gearbeitet und zwar bei einem Unternehmen, das Anlagen zur Kunststoffverarbeitung herstellte. Zwei Dinge haben mich aus dieser Zeit geprägt. Zum Einen das Gefühl einer Distanz gegenüber der Gestalt des Unternehmers. Dieser war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die aber alles im Namen der Arbeit opferte: Freunde, Familie, Freizeit. Dieses Bild entsprach mir nicht. Zum Zweiten erinnere ich mich an all die Energie, die jeden Tag vergeudet wurde, um Besitzstände zu verteidigen, um den Wettbewerb mit den Kollegen, um die Karriere auszuhalten, um sich ja nicht Dinge aufladen zu lassen, für die andere verantwortlich waren: der Wunsch, etwas aufzubauen, den ich in mir hatte, wurde davon geradezu erstickt. Um dagegen anzukämpfen, versuchte ich in der Abteilung, die mir nach einem Jahr anvertraut wurde, ein erträglicheres Umfeld zu schaffen. Die Eigentümer ließen mir Spielraum, vielleicht weil zum Glück die Ergebnisse gut waren: Es kam auch vor, dass sie mir Mitarbeiter zuwiesen, denen es in anderen Abteilungen schwer fiel, sich zu integrieren. In einem Umfeld, wo man bemüht war, den Menschen als solchen zu sehen und nicht nur als Produktionsfaktor, gelang es ihnen auch, sich zu integrieren und gewinnbringend zu arbeiten.
In jener Zeit war ich noch weit von der Idee der Selbstständigkeit entfernt. Im Gegenteil, bei dem Unternehmerbild, das ich mir gemacht hatte, betrachtete ich sie mit Misstrauen . Die Lage veränderte sich, als man wegen des Wachstums einen neuen Generaldirektor einsetzte, der aus der Kultur der Großunternehmen kam. Es entbrannte ein heftiger Konflikt gerade um die Frage der Behandlung der Mitarbeiter. Ich erkannte, dass ich mich nicht mehr so hätte entfalten können, wie ich das wollte. Ich wusste um die Schwierigkeiten, einen besseren Job zu finden. Und so entzündete sich der Funke des Abenteuers Antil. Mit einer Gruppe von Freunden aus der Bewegung wollten wir dem gemeinsamen Wunsch, etwas aufzubauen, eine Form geben. Wir wollten eine Gesellschaft gründen, in der wir selbst über die Form und die Art und Weise des Umgangs mit den Leuten entscheiden konnten. Wir fragten Vittadini nach seiner Meinung. Er sagte uns, dass wir vor allem das Urteil unserer Ehefrauen berücksichtigen sollten! So begannen wir mit der Einwilligung unserer Ehepartner, uns in unserer Freizeit dieser neuen Aktivität zu widmen.

Aber ist es möglich, eine neue Firma aufzubauen, wenn man eine andere Arbeit hat?
In der Tat starteten wir mit Vorstellungen, bei denen ich heute eine Gänsehaut bekomme. Wir dachten, 14 Ingenieure können an Abenden und Samstagen das schaffen, was eine Vollzeitkraft leistet! Im Februar '89 gründeten wir die Gesellschaft und teilten uns zu dritt die zentralen Aufgaben. Ich verfolgte die technische Seite, Paolo kümmerte sich um die Verwaltung, und ein dritter war für den Vertrieb zuständig. Leider kam nach acht Monaten Paolo bei einem Verkehrsunfall ums Leben, und der Vertriebsmann entschied sich, Angestellter zu bleiben. Wir übrigen schauten uns in die Augen und entschieden uns weiterzumachen, indem wir das ursprüngliche Konzept über den Haufen warfen. 1990 war ich der Erste, der seinen Job kündigte. In dem Maße, wie die Arbeit nach und nach zunahm, gaben auch die anderen ihren bisherigen Job auf. So zählte das Unternehmen nach kurzer Zeit fünf Vollzeit-Ingenieure. Wir begannen mit der Erstellung von automatisierten Spezialanlagen, Einzelstücken, und versuchten dabei jedes Mal herauszufinden, ob es einen Markt für das Produkt gab, für den man es hätte kopieren können. Gleichzeitig mussten wir immer wieder neue Maschinen entwerfen und herstellen, weil wir sonst nicht überlebt hätten. So hatten wir es bis '95 geschafft, den Umsatz Jahr für Jahr zu steigern, und das trotz der Krise unseres Sektors. 1995 verkauften wir dann das, was unser erstes eigenes Produkt werden sollte: ein Faltroboter, der den Menschen ersetzt bei schwerer und gefährlicher Arbeit, der also die Handhabung der Bleche vor den hydraulischen Pressen abnimmt.
Genau zu der Zeit lernten wir über einen Freund den Generaldirektor einer Gesellschaft kennen, die auf dem Markt für Faltpressen in Italien gut positioniert war. Er war von der Bewegung und von unserem Versuch so fasziniert, dass er sich entschloss, als Gesellschafter bei uns einzusteigen und die Verantwortung für den Vertrieb zu übernehmen. Daraufhin haben wir auch die Gesellschaft neu strukturiert. Der neue Gesellschafter kaufte die Anteile von denen, die zwar bei der Anfangsidee dabei waren, sich aber im Laufe der Jahre nicht eingebracht hatten, und einen Teil unserer Anteile. So begann eine Zeit der glücklichen Entwicklung, die durch den Anschlag auf die Twin Towers unterbrochen wurde. Es folgten drei Jahre rückläufiger Verkaufszahlen, an deren Ende wir erneut aufbrachen und das Wachstum wiederaufnahmen. In der schwierigen Zeit waren auch die Anteilseigner von sechs auf vier Aktionäre zurückgegangen. Dieses Jahr werden wir über sechs Millionen Euro Umsatz erreichen und beschäftigen 32 Mitarbeiter.

Was kennzeichnet das Umfeld, das Sie gestaltet haben?
Alle Anteilseigner hatten eine Erfahrung als Angestellte hinter sich, und das hat uns wesentlich geholfen, das Arbeitsumfeld zu entwerfen, denn wir hatten alle einmal auf der anderen Seite des Tisches gesessen. Wenn jemand bei uns anfängt, erwarten wir vor allem anderen, dass er sich als Person einbringt, mit der ganzen Verantwortung, zu der er fähig ist. Wir erwarten keinen Achtstundentag, wir erwarten, dass jemand sich in Bewegung setzt, um sich selbst und sein Potential in die Firma einzubringen. Der zweite Punkt, auf dem wir bestehen - und auch da ist es am Anfang wirklich so, als spräche man zu Marsmenschen - ist, dass der Mitarbeiter nicht nur irgend etwas machen soll, sondern dass er die Nützlichkeit anerkennen und die Zielsetzung einsehen soll von dem, was er tut. Wenn er sie nicht einsieht, soll er fragen, worin sie besteht. Und wenn ihm das nicht auf einleuchtende Weise erklärt wird, heißt das, dass wir da ein Problem haben, das wir angehen müssen. Oft hat diese Herangehensweise dazu geführt, die Prozesse zu verschlanken. Denn die Dinge zeigen aus sich heraus an, wie sie zu behandeln sind. Und wenn man gemeinsam darüber urteilt - die, die arbeiten und die, die führen - dann ist man effektiver. Ein erhebliches Gewicht hat auch die Art und Weise, wie wir die Beziehung zwischen Unternehmer und Mitarbeitern gestalten. Wir sagen den Mitarbeitern: 364 Tage lang stehen wir auf derselben Seite, jeder mit den Dingen, für die er verantwortlich ist, und arbeiten auf ein gemeinsames Ziel hin; an einem Tag im Jahr, dem Tag des Beurteilungsgesprächs, bist du auf einer Seite und ich auf der anderen. Eins nach dem anderen «haken wir die Dinge ab», betrachten die Probleme, bewerten das abgelaufene Jahr und legen die Ziele für das nächste Jahr fest. Beim ersten Mal läuft das Beurteilungsgespräch ziemlich formal ab. Der Mitarbeiter weiß nicht, was er fragen soll, er kann oder will nicht bewerten, was er getan und gelassen hat. Aber im Laufe der Jahre wird die Begegnung sehr konstruktiv, ein echter Austausch von Bewertungen. Etliche Male haben wir die Organisationsstruktur von Antil wirklich in Folge dieser Dialoge geändert und dadurch an die Erfordernisse der Einzelnen und der Firma angepasst.

Was bedeutet es konkret, die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu fördern?
Ein Beispiel. Wenn du jemandem sagst, er soll von acht bis fünf Uhr arbeiten, dann ist dieses das Ziel. Anschließend macht er am Abend Überstunden, um mehr Geld zu bekommen, und arbeitet dreimal so viel, um die Tatsache zu rechtfertigen, dass er noch da ist. Wenn man hingegen darauf besteht, dass das, was er tut, nützlich sein und er das Ziel selbst erreichen soll, arbeitet er mehr und besser. Wir hatten einen hervorragenden Fabrikleiter, der mit zehn Jahren Erfahrung zu uns kam. Jedes Mal, wenn man ihn fragte; «Wie lange brauchst du dafür?» sagte er mir: «Drei Tage.» «Bist du sicher?» «Ja, drei Tage.» «Gut, schau'n wir mal.» Wir bereiteten alles gemeinsam vor, und in einem Tag war alles fertig. So ging das anderthalb Jahre. Seit er begriffen hat, dass es für ihn interessanter ist, sich für eine andere Arbeitsweise zu öffnen, braucht man ihn nicht mehr zu fragen. Er lässt die Arbeiten in kürzerer Zeit erledigen als vorgesehen und handelt kreativ. Ein anderes Beispiel: Dank unserer Prozesse ist es so, dass, wenn ein Teil in einer Maschine kaputtgeht, wir genau wissen, wer es eingebaut hat. Per E-Mail bekommen wir digitale Fotos des Problems. Der Betroffene sieht so den Schaden, den er verursacht hat, und lernt, wie er ihn in Zukunft vermeiden kann.
Ich habe mal den Einwand gehört: Ihr könnt von den Mitarbeitern nicht so eine Verantwortung verlangen. Lasst sie ihre Sachen machen und dann in Ruhe nach Hause gehen. Ich antworte darauf: «Schau mal, die Leute sind acht Stunden hier, dann müssen sie sieben Stunden schlafen, und essen müssen sie auch noch. Wann leben sie am Ende? Wenn wir ihnen nicht die Möglichkeit geben, sich in ihrer Arbeit zu verwirklichen, wäre das ein Diebstahl ihrer Zeit. Wir würden einem jeden die Möglichkeit nehmen, etwas aufzubauen. Die Ausübung von Verantwortung ist für den Menschen notwendig, ist eines seiner Bedürfnisse: wenn man dieses Prinzip anerkennt, dann geht alles in Ordnung, und niemand wird ausgenutzt.

Aber funktioniert dieses Kriterium immer?
Man muss zwei Dinge im Hinterkopf haben. Erstens muss man auf den Kriterien bestehen und geduldig warten, wie die Menschen mit der Zeit reifen. Und zweitens kann es sein, dass nicht alle für eine bestimmte Arbeit geeignet sind. Das größte Problem gegenüber einem Mitarbeiter ist zu erkennen, wie weit er kommen kann. Wenn man etwas verlangt, was für ihn unmöglich ist, schadet man sowohl der Person als auch dem Unternehmen: Man schafft unnötige Spannungen und kommt nicht zum Ziel.

Ist es Ihnen nie passiert, dass Sie jemanden entlassen mussten?
Doch, aber dann wirfst du ihn nicht einfach raus: du hältst ihn so lange, bis er eine andere Arbeit hat. Du sagst zu ihm: Schau mal, es ist nötig, dass du diese Arbeit so und so machst, und nicht so, wie du dir das vorstellst (das ist immer das Problem). Du wiederholst das ein Jahr lang und dann noch eines. Im dritten Jahr sagst du zu ihm: Schau mal, hier gelingt es dir nicht, effizient zu sein; es ist besser für dich, ein anderes Umfeld zu suchen, wo du dein Potential besser entwickeln kannst. Und das ist besser für alle.

Besteht nicht die Gefahr, dass eine Organisation wie die Ihre von den Mitarbeitern so wahrgenommen wird, dass ihnen ständig jemand «im Nacken sitzt»?
Prozesse und Ergebnisindikatoren zu haben, ist unverzichtbar, denn sonst weißt du nicht, wo du hingehst, und kannst den Laden nicht auf Kurs halten. Es besteht die Gefahr, dass die Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ihnen etwas im Nacken sitzt, aber alles in allem werden die Indikatoren und Prozesse mehr gelebt als Hilfsmittel, um Fehler zu vermeiden, denn als Formen der «Kontrolle». Die Zahlen beschreiben die Wirklichkeit, und die Wirklichkeit ist es, die uns im Nacken sitzt!