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Heiliges Land / Pilgerreise
Das eigensinnig leere Grab
Javier Prades

Antwort auf den Schrei nach Frieden und Einheit

Es folgen die Aufzeichnungen der Erfahrungen einer Pilgergegruppe aus Madrid auf den Spuren Christi im Heiligen Land: Die Begegnungen mit Monsignore Twal und Pater Pizzaballa, sowie mit den lebendigen und architektonischen Zeugen aus zwanzig Jahrhunderten des Lebens der Kirche. Sie machen das Paradox Jerusalems deutlich: Dieser Ort, an dem der Friede in die Welt gekommen ist, steht so im Zentrum von Auseinandersetzungen wie kein anderer Winkel der Erde. Dabei sind die Christen zwar eine Minderheit, aber zugleich auch Zeichen einer Gegenwart, die vereint.

«Was kann man für die Christen im Heiligen Land tun? Ich fasse es für euch in der «Lehre der vier P» zusammen. Das Erste ist prayer: Gebet für die Christen hier und ihre Bedürfnisse. Das Zweite ist pilgrimage: Sich als Pilger an den heiligen Orten aufzuhalten, ist die beste Weise, die Wirtschaft in Bereichen wie Tourismus, Transportwesen, Handwerk und so weiter zu unterstützen. Denn wenn die Pilger ausbleiben, verdienen viele Familien keinen Cent. Das Dritte ist projects, nämlich der systematische Aufbau von Hilfswerken im karitativen, erzieherischen und medizinischen Bereich. Das Vierte lautet pression. So weit es euch möglich ist, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, auch in den Bereichen, die euch am nächsten sind, wie die Lokalpresse, die Kulturnachrichten, die Pfarrbriefe ... Ihr alle könnt zu diesen vier P beitragen. Zumindest aber betet für uns».
Mit diesen Worten voller Zuneigung empfing uns Monsignore Twal, der bischöfliche Koadjutor von Jerusalem, am Ende des Besuchs des lateinischen Patriarchats. Ähnliches wiederholte auch am gleichen Abend der Custos des Heiligen Landes, Pater Pizzaballa, als wir ihn im Kloster des Heilands besuchten. Kraftvoll hob er die erzieherische Dimension der katholischen Gegenwart hervor. Sie zeigt sich in einem Netz von Schulen, die den Jugendlichen eine Hoffnung bietet – nicht nur Christen, sondern auch Moslems und Juden. Sie genießen hohes Ansehen in der Gesellschaft und zwar sowohl auf Seiten des israelischen Staates als auch im Gebiet unter palästinensischer Hoheit. Daher bat uns Monsignore Twal um Unterstützung bei der Ausübung dieser erzieherischen Verantwortung.

Klares Urteil
Die Empfehlungen von Monsignore Twal und Pater Pizzaballa übersetzen die unmittelbare Erfahrung eines jeden Besuchers in ein klares Urteil, aus dem sich ein Handeln ergibt. Das konnten auch wir, 45 Priester der Erzdiözese Madrid, erleben, als wir in der Osterwoche auf Pilgerreise im Heiligen Land waren.
In diesen wenigen Tagen stürmte ein Flut von Eindrücken auf uns ein. An jedem dieser Orte findet sich etwas tief Beeindruckendes und gleichzeitig Unwiderstehliches. Wenn man am ersten Abend am Checkpoint der Mauer ankommt, um nach Bethlehem zu gelangen, bekommt man eine Gänsehaut, wenn man daran denkt, dass man die Stadt betritt, wo der Erlöser der Welt geboren wurde! Man kann nicht anders, als durchzuatmen, aufmerksam zu beobachten, in allem zu bitten, um zu verstehen, was in diesem geheimnisvollen und geplagten Land geschieht. Wenn es einen Ort auf der Erde gibt, wo es des «Mutes zur Ausweitung der Vernunft» bedarf, dann ohne Zweifel hier. Wie kann man sich in diesem Labyrinth von komplexen, doch zunächst sehr überzeugenden Argumentationen zugunsten der einen oder anderen entscheiden? Man sucht sofort irgendeine Erklärung. Die Vernunft versucht zu verstehen. Aber diese Aufgabe übersteigt die Kräfte vollkommen. Es gibt nur eine vernünftige Methode, das Geheimnis zu entschlüsseln: Das Vertrauen in die Zeugen; jene von heute und jene, die die lebendige Tradition der Kirche des Ostens durch die Jahrhunderte bewahrt haben. Wir hatten das große Glück, unsere Pilgerreise als fortgesetztes Zeugnis zu leben. Wir sahen und hörten, wie es möglich ist, hier zu leben, wie man Verantwortung für das eigene Leben übernehmen kann, ohne der Opferrolle oder dem Groll zu verfallen.

Marta, Piero, Tommaso, Ettore …
Marta, eine christliche palästinensische Studentin, erzählte uns mit einer für ihr Alter eher untypischen Bestimmtheit und tiefen Freude von den Bedingungen, unter denen sie studiert und von ihren Beziehungen mit jüdischen und muslimischen Kommilitonen der jüdischen Universität von Jerusalem. Piero, Tommaso und Ettore leben im Haus der Memores Domini. Die Arbeit bei den Custoden des Heiligen Landes leben sie mit einer besonderen Leidenschaft für die Personen, denen sie begegnen und die Christus ihnen anvertraut hat. Und sie setzen alles auf das Wachstum dieser Freundschaft. Wir haben auch das stumme, aber um nicht weniger beredte Zeugnis der Geschichte, der Architektur und der Archäologie vernommen. Die Führungen von José Miguel García haben jeden der heiligen Orte zum Sprechen gebracht, ein einmütiges Schauspiel von Vernunft durch die historischen, literarischen oder archäologischen Dokumente und des Glaubes. Dazu verhalf die Lektüre der Erzählungen der Evangelien und die Kommentare durch Texte von Don Giussani. Während wir mit dem Bus reisten, erläuterte uns Sobhy Makhoul unermüdlich die Gegenwart und die Vergangenheit des Christentums, des Judentums und des Islams in Israel sowie die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen.

Gnade und Vernunft
Die archäologischen Fundstücke, gleich ob in vollen Basiliken oder im Wüstensand, stellen den Besucher unweigerlich vor die Frage nach ihrem Sinn. Die vernünftigsten Antworten ergaben sich stets durch eine lebendige Überlieferung. So führen etwa die Franziskaner Studien an den Orten durch, wo einstmals die Kreuzritter waren. Diese hatten ihrerseits die heiligen Orte der Byzantiner gesucht, die wiederum das Werk der Kaiserin Helena sorgfältig erforschten und Helena hatte die Zeugnisse der ersten Christen sorgfältig aufbewahrt ... So treten die Reisenden und Pilger mit ihren Erzählungen in einen Strom von zwanzig Jahrhunderten ein und bestätigen diese Geschichte innerhalb der Geschichte. Das Phänomen ist unendlich reicher und detaillierter, als wir es hier kurz nachgezeichnen können. Und sicherlich hat es viel mehr Protagonisten. Aber es gibt keinen Zweifel mit Blick auf die Gültigkeit der Methode des Vertrauens in die Zeugen. Diese natürliche Weise, die Vernunft zu benutzen, wird durch das übernatürliche Glaubenslicht vervollkommnet. Selten ist es mir leichter gefallen zu verifizieren, wie der katholische Glaube eine überraschende Synthese zwischen dem Geschenk der Gnade und der Fülle der Vernunft erreicht.

Das Heilige Grab
Wenn ich mich unter den vielen großartigen Erinnerungen nur auf Jerusalem beschränke, hat mich das Heilige Grab am meisten begleitet. In dieser einzigartigen Stadt gibt es etwas Grelles und Beunruhigendes, gleichsam als gelinge es ihr nicht, sich mit sich selbst zu versöhnen. Zwei Wünsche sind am tiefsten im Herzen aller Menschen verwurzelt: der nach Frieden und nach der Einheit. Und hiernach schreit auch Jerusalem. Trotz aller friedlichen oder gewalttätigen, manchmal schrecklichen Versuche einer Befriedung, ist dies bislang nicht gelungen. Und im Herzen dieser Stadt gibt es eine Wunde, die man niemals heilen kann, einen Spalt im Felsen, eine scheinbar harmlose Erscheinung, die aber für unsere Bestimmung entscheidend ist. Aus dieser Wunde im Felsen traten einst der Friede und die Einheit in diese Welt, um sie nie mehr zu verlassen. Was für ein Paradox! Der Ursprung der Einheit wird fast erdrückt von den Auseinandersetzungen – wie man es von keinem anderen Winkel der Erde kennt. Aber das Grab ist eigensinnig leer. Und in diskreter Weise breiten sich in Jerusalem und dem ganzen Universum der Friede und die Einheit weiterhin aus. Dies ist möglich dank der Zeugen. Sie sind Zeichen einer Gegenwart, die vereint und daher auf unser Bedürfnis antwortet, als menschliche Wesen zusammenzuleben und zu verstehen. Und dies ist keine Theorie. Wir 45 Priester sind alle stärker vereint und in größerem Frieden nach Spanien zurückgekehrt, als wir eine Woche zuvor in Tel Aviv angekommen waren.
Wenn Jesus in der Herrlichkeit der Parusie wiederkehren wird, werden der Frieden und die Einheit auch in der Heiligen Stadt für immer regieren. In der Zwischenzeit bemühen wir uns gemäß der «Doktrin der vier P».