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Kirchengeschichte
Christen im Heiligen Land: Geschichte und Prophetie
Javier Velasco Yeregui *

Von den Briefen des heiligen Paulus bis zu unseren Tagen. Die Sorge der Christen um die Stätten, an denen Jesus lebte.

Die Sorge der Christen um die christliche Gemeinde im Heiligen Land ist ebenso alt wie das Wirken der Apostel. Um das Jahr fünfzig unserer Zeitrechnung verpflichtete sich Paulus gegenüber Jakobus, Petrus und Johannes, den damals höchsten Autoritäten der Kirche, der Not leidenden Gemeinde von Jerusalem zu Hilfe zu kommen. Zu diesem Zweck sammelte er Spenden bei den Galatern (1 Kor 16, 1), in Korinth (1 Kor 16, 1-4), in Mazedonien (2 Kor 8, 1-5) und in der römischen Provinz Asien (Apg 20, 4-5). Paulus nannte diese Geste der durch die Bekehrung von Heiden entstandenen Kirchen gegenüber der jüdisch-christlichen Kirche von Jerusalem «Gnade und Gemeinschaft», kharis kai koinonía (2 Kor 8, 4). Denn darin kam eine sowohl räumliche (communio) wie zeitliche Einheit (traditio) zwischen der Kirche der Heiden und derjenigen Kirche, «in der sich die Schriften erfüllt haben» (Apg 13, 27) zum Ausdruck. Zwanzig Jahrhunderte später ist die Kirche von Jerusalem immer noch ein besonderes Bild der Kirche, imago Ecclesiae, das stets durch die Zeichen von Demut und Schwäche gekennzeichnet ist. Hieraus schöpft sie ihre Kraft. Sie wacht über die Heiligen Stätten und stellt darüber hinaus wie keine andere den Reichtum – und zugleich die Widersprüche – der Geschichte des Christentums dar. Die Theologen des Orients lieben es, die noch ungeteilte Kirche der ersten Jahrhunderte als ein Spiegelbild des göttlichen Lebens selbst zu betrachten: Rom oder die Latinität, das griechische Byzanz und der von aramäischer Kultur geprägte christliche Osten stellen das Siegel des dreifaltigen Gottes selbst dar, das sich in der Geschichte seiner Kirche ausdrückt. Dass diese Einheit in der Vielfalt heute fehlt, ist unser Problem. Durch ihren Reichtum und gegenseitigen Vergleich haben diese drei Gestalten der einen Kirche das Christentum im Heiligen Land von den ersten Jahrhunderten an geprägt. Das Erbe einer überreichen Geschichte, die immer in einer schwierigen Gegenwart gelebt worden ist, wird so zur Prophezeiung für die Zukunft. Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis der Identität und des Auftrags der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften im Heiligen Land.

Die Struktur der Kirche der ersten drei Jahrhunderte im römischen Palästina lässt sich nur schwer im Detail rekonstruieren. Wir wissen von der Existenz jüdisch-christlicher Gemeinden und von Gemeinden bekehrter Heiden. Es ist die Zeit der Märtyrer, der Gelehrten wie Origines, und der meisterlichen Verteidiger der christlichen Logik gegen das Geflecht von Religion und Philosophie der Kaiserzeit wie der heilige Justin, der aus dem heute so geschundenen Nablus stammt. Mit der Legalisierung der neuen Religion im IV. Jahrhundert beginnt für Jerusalem, das zum Patriarchat erhoben wird, eine glanzvolle Epoche: seine Gläubigen vertreten die Weltkirche. In diesen Jahrhunderten arbeitet der heilige Hieronymus daran, der lateinischen Welt die hebräisch und griechisch geschriebene Bibel zu vermitteln. Ihm zur Seite stehen die aus Rom nach Bethlehem oder zum Ölberg gekommenen Mönche. In der Basilika, in der der Kalvarienberg und das Grab Christi bewahrt wurden, konnte man, wie die spanische Pilgerin Egeria um 382 bezeugt, den heiligen Cyrill auf griechisch predigen hören, während für einen Teil der Zuhörer die Predigt simultan ins Syrische und Aramäische übersetzt wurde. Die orientalischen Mönche in der Wüste Juda, deren berühmteste Klöster sich bis in unsere Zeit erhalten haben, verwandten große Mühe auf die Bekehrung der arabischen Stämme in der Wüste. So nahm der Beduinenklan Aspebet durch den Mönch Eutimius in den ersten Jahren des V. Jahrhunderts den Glauben an. Ihr Bischof nahm später, im Jahr 431, am Konzil von Ephesus als «Bischof der Zelte» teil. Bei dem schweren Bruch innerhalb der Kirchen des V. Jahrhunderts, der einige Kirchen des Ostens aus der Einheit herausführte, blieb Jerusalem in der Orthodoxie an Rom und an Konstantinopel gebunden. Die Gläubigen in den Städten Palästinas folgten dem in den kaiserlichen Städten bekannten rechten Glauben. Es waren die Melchiten oder die Anhänger des Kaisers (auf aramäisch malek). Unter der ländlichen Bevölkerung setzte sich dagegen der Glaube jener Kirchen durch, die später die antiken Kirchen des Orients genannt wurden.

Der Islam und die Kreuzzüge
Der Islam erreichte das Heilige Land als Kalif Omar im Februar 638 Jerusalem besetzte. Es war eine friedliche aber bedingungslose Eroberung. Im Laufe der Zeit trat ein Teil der einheimischen Christen (Syrer, Araber und andere) zur Religion Mohammeds über, während andere den Glauben ihrer Vorfahren mit seinen Riten bewahrten, auch wenn sie sich in die neue, arabisch geprägte Kultur integrierten. Diese Integration war so stark, dass die heute im Heiligen Land (und im ganzen Mittleren Osten) lebenden Christen beleidigt wären, wagte jemand zu behaupten, sie gehörten nicht durch Sprache, Sitten und Mentalität der arabischen Kultur an. Bei all dem waren es die einzelnen Kirchen, welche für die immer mehr zur Minderheit werdenden christlichen Gemeinschaften Identität stiftend blieben. In diesem Sinne haben die katholischen Bischöfe des Heiligen Landes kürzlich erklärt: «Im Orient legen wir großen Wert auf unsere Liturgie und unsere Traditionen. Die Liturgie hat im Laufe der Geschichte viel dazu beigetragen, den christlichen Glauben in unseren Ländern zu erhalten. Der Ritus ist wie ein Personalausweis und nicht nur eine Art von vielen zu beten».
Das außergewöhnliche Zwischenspiel der Kreuzzüge (XI.-XIII. Jahrhundert) stellte, zumindest anfänglich, den fehlgeschlagenen Versuch dar, den Ländern des Orients das lateinische Christentum aufzuzwingen. Aber gerade aus diesem Fehlschlag wird der alternative Vorschlag des heiligen Franziskus geboren. Dabei handelt es sich um eine neue Art der Anwesenheit, ganz verschieden von derjenigen der fränkischen Ritter. Die Brüder mit dem Büßerstrick warteten auf der Insel Zypern auf die Gelegenheit, an die Heiligen Stätten zurückkehren zu können und sich ihrer und der gläubigen Christen dort anzunehmen. Dazu kam es im 14. Jahrhundert. Seitdem sind sie auf ihre neue Art und Weise an den Heiligen Stätten gegenwärtig.

Die Christen heute
Ohne die Geduld, die Demut, das Martyrium vieler Söhne des Poverello von Assisi, wäre es heute für Katholiken schwierig, auf Pilgerfahrt ins Land des fünften Evangeliums zu gehen. Ohne die seelsorgerische Arbeit der Franziskaner wäre nicht jede Heilige Stätte Sitz einer arabischen römisch-katholischen Gemeinde. Als im 19. Jahrhundert die anglikanischen, protestantischen und russisch-orthodoxen Missionen ins Land kamen, stellte die katholische Kirche die römisch-katholische Diözese in Form des Patriarchats von Jerusalem wieder her, das heute etwa 30.000 Gläubige in Israel, Zisjordanien und Gaza sowie in Jordanien und Zypern zählt. Neben ihnen gibt es die katholischen Gläubigen der mit Rom unierten orientalischen Kirchen wie die griechisch-katholischen (45.000 Gläubige), die aus dem Norden stammenden libanesischen Maroniten (4.000 Gläubige), sowie Syrer, Armenier, Kopten und Chaldäer (einige Dutzend oder Hundert). Das Bild der Familie der Katholiken wäre unvollständig, würde man nicht an die Gemeinschaft jüdischer Sprache (ebenfalls einige Hundert) erinnern, die in der kulturellen und religiösen jüdischen Umwelt – oft im Stillen – Zeugnis gibt von der Erfüllung der den Vätern Israels gegebenen Versprechen. Wie im IV. Jahrhundert ist das Heilige Land heute Heimat für alle Christen, die es trotz allem vorziehen, sich nur mit dem einen Namen zu nennen: «Christen». So kommen sie den Mitgliedern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschafenten näher, mit denen sie nicht in voller Gemeinschaft leben (Orthodoxe, Ostkirchen oder Protestanten). Alle zusammen stellen zwei Prozent der Bevölkerung und sind eingeschlossen zwischen Moslems und Juden. Jeder geschichtliche Wandel hat bei ihnen seine Spuren hinterlassen. Zuletzt der arabisch –israelische Konflikt, dessen Leiden und Bedrohungen sie teilen, da sie Araber sind, ohne Moslems zu sein, Israelis aber keine Juden. Gerade deshalb können sie, angesichts der ständigen Versuchung auszuwandern, die Gabe der Hoffnung und Versöhnung anbieten, die sich im Herzen des Evangeliums findet. In dieser geschichtlichen Verflechtung kann man die prophetische Bedeutung dieser Kirche wahrnehmen (vergessen wir nicht, dass die buchstäbliche Bedeutung des Wortes Pro-phezeiung Provokation ist). Deshalb ist es, wie schon der heilige Paulus sagte, «Gnade und Gemeinschaft», wenn man sich an die Seite dieser Kirche stellt – auch wenn man es nur bei einer Wallfahrt tut.

* Direktor des Spanischen Biblisch-Archäologischen Instituts Casa di Santiago in Jerusalem