Logo Tracce


Aufmacher
Im weiten Meer des gewöhnlichen Lebens, eine fortwährende Neuheit
Luigi Giussani

Aufzeichnungen eines Vortrags von Luigi Giussani bei einem Einkehrtag der Memores Domini. Gudo Gambaredo, 13. Juni 1971

1. «Sancta Trinitas, unus Deus». Das Leben als Hingabe
Das Leben des Menschen und der Welt ist vom Geheimnis der Dreifaltigkeit geprägt. Bezeichnenderweise beginnt in der Liturgie die Zeit nach Pfingsten mit dem Dreifaltigkeitssonntag, der gleichsam das Symbol für alle Sonntage ist. Der Sonntag ist der Tag des Herrn. Damit ist er ein Zeichen für die ganze Woche, denn jeder Tag ist ein Tag des Herrn – wie es einer von euch an seiner Zimmerwand festgehalten hat: «Jeder Tag meines Lebens». Jeder Tag unseres Lebens ist vom Geheimnis der Dreifaltigkeit bestimmt, muss vom Geheimnis der Dreifaltigkeit bestimmt sein. Das Geheimnis der Dreifaltigkeit ist wirklich der «Dominus», der Herr, dem alles gehört, so dass sogar alle Haare auf unserem Kopf gezählt sind : jeder Schlag und jede Empfindung unseres Herzens beziehen ihre Kraft und ihren Bestand aus ihm.
«Sancta Trinitas, unus Deus”. Dies muss meiner Meinung nach der Bezugspunkt und das Thema unserer Betrachtung für die kommenden Wochen sein, bis zum Ende des Sommers. Dieser Abschnitt der liturgischen Zeit im Jahreskreis, nach Pfingsten, ist das Symbol des Lebens. Er ist gleichsam ein Zeichen für das Leben, für den langen Weg des Lebens, so wie die langen Sonntage nach Pfingsten. Es gibt keinen längeren Abschnitt des liturgischen Jahres: Er ist geradezu der Weg oder das Meer des Lebens, auf dem es voranzukommen gilt.
Das Hauptthema, der «Dominus», ist genau dies: «Sancta Trinitas, unus Deus». Übrigens könnte und sollte diese Anrufung, dieses Thema – am Beginn des Sommers, am Beginn der langen Zeit nach Pfingsten, die mit dem Dreifaltigkeitssonntag beginnt – auch dazu Anlass geben, etwas aufmerksamer zu sein und immer bewusst das Kreuzzeichen zu machen: im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. «Sancta Trinitas, unus Deus».
Das Gabengebet am Dreifaltigkeitssonntag hat mich seit meiner Zeit am Gymnasium und im Priesterseminar beeindruckt. Ich hatte es sogar auf meine Bank geschrieben: «Gott, unser Vater, [...] heilige per tui nominis invocationem haec munera nostrae servitutis, et per ea nosmetipsos tibi perfice munus aeternum» ; vollende uns selbst durch die Gnade Christi; durch das Kreuz und die Auferstehung Christi, mache uns selbst zu einer ewigen Gabe, zu einer Gabe («munus»), die dir wohlgefällt, zu einer Hingabe an dich. Das Leben als Hingabe an dich, «jeden Tag meines Lebens». Das Leben als Hingabe an dich, das ganze Leben als Opfer an dich, als Opfer des Lobes. Wir könnten auch sagen: das ganze Leben als Gebet. Wir haben ja mittlerweile gelernt, was die Bedeutung, die Definition des christlichen Gebets ist, was also das christliche Gebet von jedem anderen Gebet unterscheidet – und in gewisser Weise trennt –, das der Mensch formuliert, indem er sich mit der Sehnsucht und der Erwartung vorantastet, die er von Natur aus in sich trägt. Die Fülle des Gebets ist demjenigen geschenkt, der dazu berufen ist: Das christliche Gebet ist das Gedächtnis des Faktums Christi. Doch was bedeutet das Gedächtnis des Faktums Christi? Die Enthüllung der Dreifaltigkeit. Christus ist das Instrument – das «medium», der Vermittler –, durch das die Dreifaltigkeit, das Geheimnis, das alles geschaffen hat, sich uns offenbart: «Ich nenne euch nicht mehr Knechte [...]. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich vom Vater gehört habe».
Erst gestern haben wir die Taufliturgie gefeiert. Viele von euch haben sie nur zerstreut und gleichgültig zur Kenntnis genommen und waren eher darauf bedacht, keine Zeit zu opfern für jene Gesten, die als einzige völlig rein und in der Lage sind, unseren Glauben zu erneuern. In der Taufliturgie aber heißt es: «Diese Kinder werden Teil der christlichen Gemeinschaft, der Gemeinschaft der Kirche werden, und in ihrer Hinwendung an Gott werden sie ihn ‚Vater’ nennen». «Außer uns kann niemand Gott als ‚Vater’ anreden», sagt der heilige Paulus.
Wenn also die Dreifaltigkeit der Herr unseres Lebens ist, dem kein unnutzes Wort entgeht und der alle Haare auf unserem Kopf gezählt hat – während wir kein einziges Haar auf unserem Kopf weiß oder schwarz machen können, wie es kürzlich im Evangelium hieß –, wenn die Dreifaltigkeit der Herr ist, der Gott, der Herr unserer Existenz, der Herr unseres Lebens und ebenso des Lebens der ganzen Welt, dann hat unser Leben tatsächlich nur Bestand und Sinn, wenn es ein «munus», eine Gabe ist, ein «munus» an Ihn und für Ihn. «Munus aeternum», eine ewige Gabe. Die bleibende und wirkliche Wahrheit unseres Lebens besteht darin, dass Gott es besitzt. Das heißt umgekehrt, aus unserer Sicht gesprochen, dass das Leben Hingabe, Opfer, Gebet ist, wie es Christus durch das Bewusstsein, mit dem er den Tod auf sich nahm, auf unüberbietbare Weise gezeigt hat. Die Hingabe unseres Lebens, die Anerkennung, dass wir völlig im Besitz eines Anderen und völlig einem Anderen unterworfen sind, dies kann in der Tat nur durch den Tod und die Erfahrung des Kreuzes geschehen.
In diesen Monaten sollten unsere Gedanken also ganz bestimmt sein von dem einen Gott in drei Personen «Sancta Trinitas, unus Deus» und aus einem Blickwinkel der ethischen Konsequenzen im Verstehen und Handeln, vom Leben als Hingabe, als Opfergabe, als Opfer des Altars. Im Übrigen denken wir vielleicht niemals an die großartige Aussage im neuen Messkanon, die der Priester macht, wenn er die Arme ausbreitet: «Du bist heilig, großer Gott, du bist der Quell aller Heiligkeit. Darum bitten wir dich: Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus». Wir haben hier ein wirksames Zeichen vor uns. Aber wovon? Ein Zeichen, ein wirksames Zeichen; «wirksam», das heißt am Ursprung dessen, was wir sagen, weil es Christus enthält. Aber das, was wir mit ausgebreiteten Armen vor uns haben, ist ein Zeichen unserer selbst. Was sind diese Gaben? Es sind dort Brot und Wein, die wahrhaft in Leib und Blut Christi gewandelt werden müssen. Sie bleiben Brot und Wein, werden aber Leib und Blut Christi. Gleichzeitig bleibt dieser Widerspruch, zumindest dem äußeren Anschein nach: Aber es ist der mystische Leib Christi, es ist die Gesamtheit Christi, wovon das, was wir in der Messe vor uns haben, das Zeichen ist. Und jene Gaben, die geheiligt werden müssen, damit sie zum mystischen Leib und Blut Christi werden, sind wir, ein jeder von uns, kurz, es ist unser Leben. Es ist unser Leben – jeder Tag deines Lebens und meines Lebens, alles Fleisch und Blut, Herz und Geist, die Leib Christi sind und deshalb Gabe, Opfer im wortwörtlichen Sinne an das Geheimnis, das alle Dinge beherrscht: «Sancta Trinitas, unus Deus».
Wenn wir unsere Person nicht als ein Gedächtnis Christi verstehen können, dann können wir auch unser Leben nicht als Opfer verstehen. Und dann fehlt uns auch das Bewusstsein unseres Lebens als Mission. Wir müssen uns in Dankbarkeit («Magnificat anima mea Dominum» ), dies sei in Klammern gesagt, an den Reichtum, die Fülle, die Intensität und die Nützlichkeit – der Reichtum als Fülle, Intensität und Nützlichkeit – unseres Lebens erinnern, bis hinein in seine verborgenen Winkel. Es gibt keinen Atemzug, der dieser Erhabenheit entginge. Das Bewusstsein hiervor bringt nach und nach die Größe des Geistes oder Hochherzigkeit hervor, die das Leben besonders braucht – dies vor allem braucht es unbedingt –, um die Dinge und die Zeit tragen zu können. Aus alledem entsteht die Autonomie der Person, der wahre Bestand seiner selbst, in der Nachahmung Gottes, der in sich Bestand hat. «Heilige diese Gaben, damit sie uns werden Leib und Blut Christi». Was heißt «heilige diese Gaben»? Vielleicht wird die Bedeutung dieses Wortes deutlich, wenn wir die Präfation des ambrosianischen Ritus vom vergangenen Sonntag heranziehen, wo es heißt (die Präfationen nach Pfingsten gehören zu den schönsten der ambrosianischen Liturgie – wie sie die spätere römische Liturgie nicht mehr hervorgebracht hat): «Du unterweist die Kinder deiner Kirche ohne Unterlass und lässt sie nie auf deinen Beistand warten, damit wir wissen, was wir an Gutem zu tun haben, und auch fähig sind, es auch zu vollbringen». Die Heiligung besteht also im Bewusstsein dessen, was wir sind – Besitz Gottes – es ist das Bewusstsein dessen, was unser Dasein ist, und die Energie dieses Bewusstsein zu leben, die Fähigkeit dies zu vollbringen (Zu vollbringen: «Consummatum est» , sagte Jesus bevor er den letzten Atemzug tat). Die Wahrheit besteht darin, unsere Existenz, unser Leben zu verwirklichen, im klaren Bewusstsein, dessen, was unser Dasein ausmacht. Das heißt, wahr zu sein, ohne Lüge. «Und die Wahrheit des Herrn bleibt in Ewigkeit».

2. Der Geist Christi «erneuert das Angesicht der Erde»
In der Präfation heißt es, wie gesagt: «Du unterweist die Kinder deiner Kirche ohne Unterlass und lässt sie nie auf deinen Beistand warten»; das heißt: Du unterweist sie, indem du ihnen die Kraft gibst, angesichts der Unterweisung, die ihnen zuteil geworden ist, wahr zu sein, das heißt sie zu erfüllen. Du unterweist sie. Aber an welchen Namen des Geheimnisses Gottes denken wir da, wenn wir das Wort «Unterweisung» hören? Wodurch unterweist das Geheimnis, das alles hervorbringt, die Erwählten? «Es ist gut für euch, dass ich fortgehe, denn wenn ich gehe, werde ich euch den Geist senden, er wird euch in die ganze Wahrheit einführen [sie euch erschließen]» , er wird euch alles offenbaren. In der Pfingstliturgie gibt es noch ein anderes, wunderschönes Gebet, in dem es heißt: «Wir bitten dich, Herr, gib, dass uns der Heilige Geist gemäß der Verheißung deines Sohnes unseres Herrn Jesus Christus das Geheimnis dieses Opfers deutlicher offenbaren [er möge uns das Geheimnis dieses Opfers verstehen lassen, das Opfer Christi als das des Gekreuzigten und Auferstandenen, das Opfer der Eucharistie, das Opfer Christi, des Gekreuzigten und Auferstandenen – «tut dies zu meinem Gedächtnis» –, welches das Zeichen eben des Geheimnisses des mystischen Leibes Christi ist, Christi in seinem mystischen Leib] und er möge uns in seiner Güte jede Wahrheit erschließen [denn jede Wahrheit steht im Dienst des neuen Menschen in der Welt, im Dienst des Ursprungs der neuen Welt, des neuen Himmels und der neuen Erde, die der mystische Leib Christi ist, der Christus ist, der sich in seiner Kirche offenbart]» .
Der Heilige Geist steht am Ursprung eines Bewusstseins vom Guten, das zu tun ist. Er ist der Ursprung eines neuen Bewusstseins, das der Mensch von sich selbst und vom Leben hat, das, was uns verstehen lässt, was die Dreifaltigkeit für uns ist, das, was uns die Kraft zum Gehorsam gibt, sie unserem Herzen eingibt («er war gehorsam bis zum Tod» , «jeden Tag des Lebens»). Das, was unserem Herzen die Kraft zum Gehorsam gibt, ist der Heilige Geist. Es ist wie das Pfingstfest, auf das die vielen Sonntage des Sommers folgen, die Zeichen für ein Leben sind, das von der Dreifaltigkeit durchdrungen, bewegt und beherrscht wird. Jesus sagte zu seinen Jüngern: «Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben [den Geist], der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch. Nur noch kurze Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet. An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und ich bin in euch. Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren. […] Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen [diese Herrschaft meint eine Einheit der Liebe: «Ich nenne euch nicht mehr Sklaven, sondern Freunde»; kein Herz wird so «beherrscht», kein Leben wird so «beherrscht» vom Anderen wie wenn dieser Andere geliebt wird, wie in der Freundschaft: Sie ist die einzig wahre Herrschaft]. Wer mich nicht liebt, hält an meinen Worten nicht fest. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin. Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird [sein Name ist sein Tod und seine Auferstehung, denn «Name» heißt «Macht»; durch seinen Tod hat er das Recht, die Macht über die ganze Welt erworben], der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe [er wird es euch richtig verstehen lassen, und daraus werdet ihr Frieden schöpfen]. Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch».
Es ist der Heilige Geist. «Brüder, denn uns hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes. Wer von den Menschen kennt den Menschen, wenn nicht der Geist des Menschen, der in ihm ist? So erkennt auch keiner Gott – nur der Geist Gottes. Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt, damit wir das erkennen, was uns von Gott geschenkt worden ist [Was ist uns geschenkt? Er selbst]. Davon reden wir auch, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern wie der Geist sie lehrt, indem wir den Geisterfüllten das Wirken des Geistes deuten. Der irdische gesinnte Mensch aber lässt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, und er kann es nicht verstehen, weil es nur mit Hilfe des Geistes beurteilt werden kann. Der geisterfüllte Mensch urteilt über alles, ihn aber vermag niemand zu beurteilen [das heißt, er befindet sich schon in der Position des Jüngsten Gerichts, in der endgültigen Position, er hat das letzte Kriterium]. Denn wer begreift den Geist des Herrn? Wer kann ihn belehren? Wir aber haben den Geist Christi». Deswegen sagen wir: «Sende deinen Geist aus und ich werde neu belebt, sende deinen Geist aus und du wirst das Angesicht meiner Erde erneuern». Ich glaube, dass es das ist, was uns aufgegeben ist, um den Grundakkord dieser langen Zeit konkret zu leben: das Bewusstsein, von der Dreifaltigkeit beherrscht zu sein, «Sancta Trinitas, unus Deus», im Namen des Vaters, der Macht des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes (in der Macht und der Herrschaft). Niemand hat wie wir den tiefen Geschmack daran, beherrscht zu sein; dieser Geschmack ist nur vergleichbar – auch wenn dieser Vergleich nur eine Annäherung sein kann – mit der Freude und dem Geschmack, den ein Kind daran hat, dass seine Mutter es «besitzt» oder von Mann und Frau, die sich gegenseitig «besitzen». Das sind menschliche Gleichnisse, natürliche Analogien, die vollkommen blass sind im Vergleich zu der Tiefe des Friedens – das ist das Wort, das Christus verwendet hat –, in dem der einzig wahre Geschmack am Leben, am Sein, am Selbstbewusstsein und der Möglichkeit, froh zu sein, gegeben ist.
Was uns aufgegeben ist, ist also den Geist anzurufen, damit sich dies in unserem Leben in diesen Monaten ereigne und damit das Leben in diesen Monaten davon erfüllt sei, damit das Leben diese Herrschaft erfülle, sie anerkenne, sie annehme, sein Gebot halte, das heißt, ihn nachahme, seinen Herrn nachahme, aus einer Hingabe ihm gegenüber lebe, das heißt, seine Gebote beachte. Und sein Gebot ist die Liebe, denn «Gott ist die Liebe».
Ich glaube, dass uns nichts so sehr dabei helfen kann, diese Monate der Arbeit – das heißt des Weges und des Lebens – anzugehen wie die Tatsache, dass wir uns darin eins sind und uns gegenseitig in Erinnerung rufen, uns dessen gewiss zu sein, dass auch der andere den Heiligen Geist anrufen wird, den Geist Christi anrufen wird: «Sende uns deinen Geist und ich werde wieder lebendig, du wirst das Angesicht der Erde erneuern.» Keine «Worte, wie sie menschliche Weisheit eingibt» oder Vorhaben, Pläne und Engagement, die auf unserem Lebenswillen beruhen, unserer Energie im Handeln, unserem Geschmack an der Arbeit, sondern ein Bewusstsein, das ganz vom Anruf des Geistes getragen ist, und eine Kraft, die nur von diesem Anrufen herrührt: durch den Anruf des Geistes nährt sich unser Bewusstsein, es erhellt sich, so nähren wir unsere Fähigkeit zum Guten, nähren wir eine Erfüllung und unsere Kraft zum guten Handeln.
Vergessen wir nicht, dass «Sancta Trinitas, unus Deus» bedeutet, dass der Geist von Christus gesandt ist. Isolieren wir den Gedanken an den Heiligen Geist nicht aus dem Kontext der Einheit. Es ist eine Einheit: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Es ist der Geist Christi. Wie man Christus nicht vom Vater trennen kann, so kann man auch den Vater nicht verstehen außer durch Christus, in seinem Geist. Und es ist im Schrei, im Anrufen seines Geistes, dass wir Christus verstehen, denn sogar Christus habe ich mit den Maßstäben des Fleisches geschaut, sagt der Heilige Paulus , mit menschlichen Maßstäben.
Unsere menschliche Mentalität setzt sich sogar bis an den Punkt durch wie wir Christus betrachten – und ihn damit reduzieren –, wie wir sagen «Ich liebe dich», in der Art und Weise, in der wir uns für Christen halten. Wir reduzieren Christus nach den Maßstäben unseres Verstandes, mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehrt, und wir verkürzen das Wort Christi, die Aufforderung, die Einladung Christi auf Ideale und Gefühle, die von unserem Herz aus Fleisch hervorgebracht werden, von unserer Eigenliebe. Christus wird also reduziert in der Art und Weise, wie wir etwas auffassen und wahrnehmen, statt dass unser Bewusstsein sich ständig zu Christus bekehrt, statt dass unsere Affektivität sich ständig zu Christus bekehrt. Seht: dass sich unser Bewusstsein ständig zu Christus bekehrt, unsere Art zu denken und unsere Affektivität, die Art und Weise, wie wir lieben, will heißen, dass so ein Bewusstsein und so eine Zuneigung ständig dorthin getragen werden, dorthin gebracht werden, wohin sie es nicht gedacht hätten. Sie werden ständig dazu angehalten, aus sich herauszutreten, über sich selbst hinauszugehen, sie werden ständig auf ein Terrain geführt, das jenseits dessen liegt, wie man etwas vorher aufgefasst und wahrgenommen hat. Sie werden immer in etwas Unbekanntes hineingeführt. Es ist ein Maß, das sich erweitert. Bewusstsein und Affektivität werden ständig in einen unvorhergesehenen Horizont geführt, jenseits unseres eigenen Maßes; jenseits davon: Er war uns vorher unbekannt. Und es stimmt, dass unser Maß oft verblüfft werden muss, es ist eine Überraschung, eine Entdeckung, die sich nicht von der Art von Weisheit ableitet, die wir noch bis vor einer Minute hatten; sie kann nicht aus dem abgeleitet werden, was unser Gefühl, unsere Affektivität Minuten zuvor noch ausgemacht hat: Es ist etwas Neues. Deswegen ist es eine Abtötung, ein Bruch: «Wenn du alt geworden bist, wird ein anderer dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst». Statt in dem Maß unseres Bewusstseins und unserer Affektivität kontinuierlich zu Christus bekehrt zu werden, sind wir ständig versucht, Christus auf unser Maß zu verkürzen. Wir sind versucht, die Wahrheit und die Liebe Christi in der Art zu denken und zu lieben auf unser Maß zu reduzieren.
Diese Bekehrung zu Christus, dieses «Erkennen» Christi und diese Liebe zu Christus, dieses «nichts zu wissen als Christus, und zwar Christus als den Gekreuzigten» , dieses Leben, das nicht mehr ein Uns-leben ist, sondern ein Von-Christus-leben, «der in uns ist, der für mich gestorben ist und sich für mich hingegeben hat» , ist Frucht, einerseits im Sinne einer Erleuchtung und Erfüllung, andererseits als Bewusstsein und Kraft zur Erfüllung, das heißt als Kraft des Geistes Christi in uns. Er ist es, der uns verwandelt und «stets das Antlitz unserer Erde erneuert, das Angesicht unseres Lebens».
Denken wir auch daran, dass der Geist nicht ein Licht und eine Kraft ist, die uns im Hinblick auf unsere Maßstäbe intelligenter sein lässt (wie alle denken, wenigstens ist es so lange Zeit für mich gewesen, und es ist immer noch ständig meine Versuchung ihn so zu sehen, und ich sehe, dass es oft wenigstens auch eine Versuchung für die anderen ist). Es geht nicht darum, dass wir den Geist anrufen, damit wir bei unserer Suche innerhalb dessen, was uns die menschliche Weisheit eingibt, fähiger werden, dass er uns also letzten Endes doch nur innerhalb unserer Maßstäbe zu größerer Intelligenz verhilft. Den Geist anrufen, heißt nur eines: Dass der Geist uns die Dimensionen Christi verstehen und erfüllen lasse, dass er uns die Maßstäbe Christi verstehen und begreifen lässt und damit die Struktur des Faktums Christi und sonst nichts; dass er uns das Geheimnis des Faktums Christi in der Geschichte, die die Kirche ist, verstehen und umsetzen lasse; dass er uns diese Struktur begreifen und leben lässt und nur das.
Auf jeden Fall sind wir uns einig darüber, dass die Aufgabe dieser Monate im Anrufen des Heiligen Geistes besteht, damit Pfingsten auch unsere Erde erneuere und unser ganzes Sein verwandelt. Denn nur so kann unser Sein zur Mission werden, wie es bei Petrus und den Aposteln der Fall war, nachdem der Geist auf sie herabgekommen war. Die Mission ist nichts anderes als der Einfluss, den unsere Veränderung auf die Welt hat, wie es auch unser Name sagt: Comunione e Liberazione – Gemeinschaft und Befreiung. Die Veränderung, die da geschieht, befreit die Welt, und sonst nichts. Aber was heißt diese Veränderung? Veränderung im Sinne einer Verwirklichung der Struktur der Kirche, das heißt des Leibes Christi.
Nehmen wir uns vor, uns bei all unseren Versammlungen – auch bei der Versammlung in unseren Häusern –, und im gemeinsamen Gebet (mögen wir nun viele oder wenige sein), daran zu erinnern, dass wir mit der Anrufung des Geistes leben. Der Psalmvers, den ich zitiert habe, fasst das auf wunderbare Weise zusammen: «Emitte Spiritum tuum et creabuntur, et renovabis faciem terrae», «sende aus deinen Geist und das Leben wird zurückkehren, und du wirst den Anblick der Erde, das Antlitz der Erde erneuern».

3. Bewusstsein der Barmherzigkeit
Es gilt noch eine letzte Sache zu erwähnen, die auch die heutige Liturgie nahe legt. Sie ist keine Nebensächlichkeit, auch wenn dies so scheinen mag. Ich glaube, nichts zwingt uns mehr zu verstehen, welche Bedeutung Gott, die Dreifaltigkeit, die absolute Herrschaft der Dreifaltigkeit über uns hat, und die Tatsache, dass wir von ihr besessen sind, als das, woran ich erinnert habe. Wenn wir uns darüber unklar bleiben, leben wir in der Dunkelheit, irren umher und unsere Blicke verlieren sich im Nebel. Wir bleiben verwirrt und verdutzt. Deshalb sollten wir bei der Messfeier und der Lesung aufmerksam sein. Ich möchte nur den Kerngedanken erläutern. Der Prophet Nathan ging zu David und sagte ihm: «Was habe ich dir alles gegeben! Ich gab dir alles! Und du wolltest auch die Frau des Hethiters Urija, indem du gegen mein Gesetz verstoßen hast». Und David antwortete Nathan: «Ich habe gegen den Herrn gesündigt». Darauf erwiderte Nathan: «So hat dir auch Jahwe deine Sünden vergeben; du wirst nicht sterben».
Im Brief des Paulus an die Galater heißt es: «Wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz käme [wenn das, was mich rettet, mein Vermögen ist, die Gesetze einzuhalten, ein Gentleman zu sein und Gutes zu tun, wenn das, was mich rettet, die Einhaltung des Gesetzes ist], dann wäre der Glaube an Jesus Christus nicht mehr notwendig und Jesus Christus wäre vergeblich gestorben». Statt dessen ist es die Gabe Gottes, wenn ich seinen Willen erfülle, und gehorsam bin. Es ist allein eine Gabe Gottes, allein eine Gabe des Geistes. Niemand wird je aufgrund seiner moralischen Kohärenz, aufgrund der Fähigkeit zur moralischen Kohärenz gerechtfertigt, sondern allein wegen der Tatsache, dass Er uns, so wie wir sind – so wie wir sind! – Freunde genannt hat (so sagte ein Pharisäer im Evangelium: «Wenn er wüsste, wer diese Frau ist, würde er sie nicht berühren! Er kann doch kein Prophet sein!» ). Die höchste Gabe des Geistes besteht darin anzuerkennen, dass Er mich, so wie ich bin, Freund nennt. Genau hierin besteht die höchste Gabe. Kurz, die höchste Gabe des Besitzes besteht darin, die Vergebung Gottes zu verstehen, zu verstehen, dass es eine andere Kraft ist, die mich verändert, die mich wandelt, die mich umgestaltet: Es ist die Kraft Christi und nicht meine eigenen Gedanken oder meine eigenen Gefühle. Denn meine Gedanken und Gefühle werden mich niemals retten. Sie rechtfertigen mich nicht, sind nicht gerecht und können nicht gerecht sein.
Wenn es aber ein Anderer ist, der mich rettet und rechtfertigt, wer ist dann dieser Andere? Es ist die Tatsache Christi, die Tatsache, dass Christus mich in seine Geschichte einbezieht, die Tatsache Christi in seiner Kirche. Und wie wirkt die Tatsache Christi? Geheimnisvoll. Deshalb scheinen die Zeiten und Berechnungen nicht aufzugehen. Es ist wie das Ferment in einer Masse, wie der Same unter der Erde: man sieht sie nicht, aber sie wirken. Er wirkt, wenn ich ihn liebe, das heißt, wenn ich ihn anerkenne und annehme, wenn ich diese Vergebung lebe, wenn ich die Vergebung lebe, wenn mein Leben bestimmt davon ist, dass mir vergeben wurde. Darin liegt die Gewissheit des Lebens. Darin liegt die Gewissheit, dass mein Leben geheiligt wird, dass mein Leben befreit wird, dass mein Leben erlöst ist, erlöst wird, sich wandelt.
Einerseits drängt mich diese Erfahrung des Lebens als Vergebung (das Gedenken an Ihn ist das Gedächtnis seines Todes und seiner Auferstehung, das heißt seiner Vergebung, der Vergebung schlechthin. Das Leben ist Vergebung: «Der Erdkreis ist erfüllt von der Barmherzigkeit Gottes» ) stets zu dem Wunsch, seinen Willen zu erfüllen. Andererseits gibt es mir unablässig die Wahrnehmung, wiederaufgenommen zu sein, gleich was ich getan habe. Die Erlösung bricht mit dem schrecklichen Gesetz der Natur: «Was vollendet ist, ist vollendet.» Sie bricht damit, weil sie «das Antlitz der Erde erneuert» und neu erschafft.
Deshalb handelt es sich um eine unerschöpfliche Gewissheit. Und das Leben gewinnt einen Frieden und die ständige Möglichkeit der Freude: Denn mir wird vergeben, weil Er für mich gestorben ist – er hat sein Leben für mich hingegeben –, weil er auferstanden ist und in Ihm bin ich auferstanden. Denn «einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich selbst leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferweckt worden ist» , damit «ich, der ich lebe, nicht mehr mich selbst lebe». Ich bin mir gewiss, dass dies geschieht und sich entwickelt, wie der Same und die Hefe, das heißt mit der Zeit, die in Gottes Hand liegt. Und in der vollkommenen Dunkelheit der Demütigung, der ständigen Unangemessenheit, der ständigen Sündhaftigkeit, der Schwäche, in dieser Dunkelheit bin ich voller Gewissheit – Gewissheit des Lichts, Gewissheit des Guten, der Erfüllung in dieser Welt, in dieser Welt, als Welt Gottes, in diesem Leben, das das Leben Gottes in mir ist, in dieser Zeit – «Nunc tempus acceptabile». Dies ist die anzunehmende Zeit, die Zeit Gottes, damit ich dies anerkenne, das heißt, damit ich Glauben habe: damit Ich glaube. Im Glauben ist Gott Barmherzigkeit, im Glauben entdeckt man ihn als den Herrscher über alle Dinge. Dieser «Deus» – diese «Sancta Trinitas, unus Deus» – ist Barmherzigkeit. Sein erfahrbares Zeichen ist Christus am Kreuz, gestorben für uns, und auferstanden. Seine Barmherzigkeit ist in der Tat kein Zudecken, sondern eine Erneuerung und eine Herausforderung des Lebens, es ist eine Umwandlung unseres Übels in Gutes. Und so wächst man heran bis zur «Reife der Vollendung Christi».
Die höchste Frucht des Heiligen Geistes ist das Bewusstsein der Barmherzigkeit. Es ist das Bewusstsein, dass einem vergeben wurde und das Gedächtnis Christi als Vergebung (gestorben und auferstanden). Es ist die immer größere Evidenz der Vergebung, als Erneuerung des Lebens, als Umkehr des Lebens, als gewandeltes Leben. Das ist die höchste Kraft, die Gott in unserer Existenz und jener der Dinge zeigt: Die Vergebung. Nicht wir rechtfertigen uns, aber jenes Faktum, das wir anerkennen, jenes Faktum unter uns, das wir anerkennen und in das wir allein unsere Hoffnung legen, aus dem allein heraus wir Hinweise, Kriterien, Motive, Gefühle, Inspirationen beziehen. Und wir wünschen uns, dass unser Leben und unsere Erde hieraus ihr Antlitz erhält. Es ist ein Werk des Heiligen Geistes, wenn wir dies verstehen, wenn wir darin eingeführt werden, wenn uns dies offenbart wird. Dies ist das tiefe Werk des Heiligen Geistes, dies ist der höchste Inhalt des Geistes. Durch den Heiligen Geist erfüllt sich in uns also das Werk der Erlösung, ohne dass wir Gefahr laufen, nach links oder rechts abzurutschen, etwa durch den Versuch einer Verkürzung Christi auf das Werk unseres Geistes und unserer Hände; ohne die Liebe zu Christus mit der Liebe zu unserem Werk zu verwechseln, und die Liebe zu unseren Werken der Liebe Christi überzustülpen. Die Vergebung ist notwendig, weil die Mitwirkung unserer geistigen Energie und Willenskraft, unserer Freiheit alles bremst, alles schwächt, sie stellt gleichsam ein Vergehen dar, eine Minderung, ein Mangel. «Schau nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben Deiner Kirche und schenke ihr nach Deinem Willen Einheit und Frieden». Es ist der Geist Christi, der sich uns in dem Maße mitteilt, in dem wir im Faktum Christi sind. Es ist dieser Geist, der das Neue auf der Erde hervorbringt – das Neue in uns und folglich auf der Erde. Er bringt seine Kirche hervor, Er bringt uns als Steine, als lebendige Steine seiner Kirche hervor.

Vgl. Mt 10, 30.
Gabengebet am Dreifaltigkeitssonntag
Vgl. Joh 15, 15.
Vgl. Gal 4, 6.
Vgl. Mt 12, 36.
Vgl. Mt 5, 36.
Eucharistisches Gebet
Vgl. Lk 1, 46.
Präfation des ersten Sonntags nach Pfingsten, ambrosianischer Ritus
Vgl. Joh 19, 30.
Vgl. Ps 117, 2.
Vgl. Joh 16, 7.13.
Gabengebet zu Pfingsten, ambrosianischer Ritus
Vgl. Phil 2, 8.
Vgl. Joh 14, 15-27.
Vgl. 1Kor 2, 10-16.
Vgl. Ps 104, 30.
1Joh 4, 8.
Vgl. 2Kor 5, 16.
Vgl. Joh 21, 18.
Vgl. 1Kor 2, 2.
Vgl. Gal 2, 20.
Elfter Sonntag des Kirchenjahres, Lesejahr C
Vgl. 2Sam 12, 7 – 10, 13.
Vgl. Gal 2, 20.
Vgl. Lk 7, 36-39.
Vgl. Ps 33, 5.
Vgl. O.V. Milosz, Miguel Manara, Jaca Book, Mailand 2001, S. 36.
Vgl 2Kor 5, 14-15.
2Kor 6, 2.
Vgl. Eph 4, 3.
Oration der Messe nach dem Vater Unser