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Briefe
Briefe Juni 2007
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Zusammengestellt von Paola Bergamini


Eine Begegnung, die das Leben verändert
Liebe Freunde, nach einigen Jahren, in denen es mir, einem selbstgewählten Single (39 Jahre) gelungen war, ein ruhiges Leben zu führen, und die Sehnsucht nach Glück in meinem Herzen zu unterdrücken, explodierte diese Sehnsucht in einem kurzen Augenblick der Unaufmerksamkeit mit ganzer Macht. Mich ergriff ein tiefes Gefühl der Ohnmacht und Einsamkeit, für das ich keine Lösung finde und das mich nicht mehr ruhen lässt. Aber wie schwer ist es, die Fragen des Herzens wirklich ernst zu nehmen. Wie schwer ist es, sich einem Anderen anzuvertrauen! Ich dachte es würde ausreichen, sich keine Fragen zu stellen, und in Ruhe zu leben. Stattdessen stehe ich hier mit den gleichen Fragen, die ich seit Jahren in mir trage, nur dass sie sich heute in einer dramatischeren Weise stellen. Und an diesem Punkt änderte sich mein Leben plötzlich. Sobald ich beginne, mich ernst zu nehmen, sehe ich die Freunde, mit denen ich seit langem das Seminar der Gemeinschaft teile, mit andern Augen. Ich entdecke sie als grundlegend für mein Leben, auch wenn sie nicht die Lösung für meine Probleme oder die großen Ratgeber sind. Im Gegenteil! Jedes Mal, wenn ich mit ihnen spreche, kommen mir neue Fragen. Auch das Seminar der Gemeinschaft hat sich verändert. Es ist nicht mehr der Termin am Donnerstagabend, sondern die Verifizierung meiner Erfahrung, meines Lebensweges. In diesen Monaten habe ich die Erfahrung einer neuen Freundschaft gemacht, eines Geliebt -Werdens, verstanden als ein Wunsch für das, was für mein Leben gut ist. So geliebt zu werden, lässt mich diese Freunde, die ich bis gestern nicht kannte und die ich als wenig bedeutend, wenn nicht unnütz für mein Leben erachtet habe, anders anschauen: Ich suche sie jeden Tag. Und jedes Mal, wenn ich daran denke, dass es vorher besser war, denn im Grunde ging es mir nicht schlecht, reicht es aus, sie am Telefon zu hören, um die Sehnsucht meines Herzens lauter schreien zu hören. Und wie schön ist es, morgens eine halbe Stunde früher aufzustehen, um gemeinsam den Angelus zu beten.
Fabio, Martinsicuro

Ein argentinischer Eröffnungstag
Lieber Julián, wir möchten dir von unseren Erfahrungen bei der Organisation des Eröffnungstages der Schüler von GS berichten. Von unseren Verantwortlichen kam der Vorschlag, uns die Frage zu stellen: «Was möchte ich in diesem Jahr für mein Leben?» Aus diesem Grund haben wird die Freundschaft der Mitglieder der Weißen Rose aufgegriffen und eine Ausstellung organisiert. Dabei setzten wir uns mit ihrer Erfahrung auseinander und forderten von uns, die Ausstellung so zu organisieren, wie sie es selbst getan hätten. Das bedeutete, uns ganz ins Spiel zu bringen. Wir wählten für die Ausstellung den Titel des Buches, das wir im Seminar der Gemeinschaft lesen: Der Weg zur Wahrheit ist eine Erfahrung. In der Ausstellung nahmen wir nicht nur Bezug auf die Freundschaft der Weißen Rose, sondern wählten auch Bilder und Texte, die uns geholfen haben, unseren Weg zu erkennen. Mit der Zeit stellten wir eine Power Point Präsentation zusammen, in der wir zeigten, was unser Herz wachrüttelt. Wir stellten zum Beispiel fest, dass der Satz von Hans Scholl: «Das Wichtigste ist, sich gegenseitig Licht zu sein », nicht nur die Geschichte der Weißen Rose zusammenfasst, sondern auch unsere Geschichte. Denn wenn das Zusammensein uns nicht verändert, hat es keinen Sinn, unsere Freundschaft fortzusetzen. Davon ausgehend wurde uns bewusst, dass, wenn diese Erfahrung für uns wichtig ist, dann kann sie das auch für unsere Freunde sein. Wir luden sie ein mit der Bereitschaft, sie ebenso ernst zu nehmen, wie wir selbst ernst genommen werden möchten. Und in diesem Sinn brachten wir uns auch zu Hause und in der Schule ein. Der Satz auf der Einladung zur Ausstellung lautete: «Die erste Autorität ist das eigene Herz». Wir wählten ihn, weil er uns sehr beeindruckte, die gleiche Faszination empfanden auch unsere Freunde. Das wurde sichtbar, als wir die Ausstellung in Puerto Franco zeigten, wo mehr Personen kamen, als wir erwartet hatten. Am Ende der Ausstellung sagten wir, dass unser Vorschlag eine Freundschaft sei, die nicht dort endet, sondern ein Weg ist, der dazu bestimmt ist, fortgesetzt zu werden. Einige von ihnen nehmen nun am Seminar der Gemeinschaft und der Caritativa teil.
Emilia, Eugenia, Melisa, Juan Pablo e Pedro, Santa Fé

Die Heiligkeit erbitten
Lieber Don Julián, ich möchte dir für die Exerzitien danken. Denn sie haben meine Haltung gegenüber den schweren Umständen, die meine Familie durchlebt, verändert. Vor sechs Monaten kam Giuditta, unsere zweite Tochter, zur Welt. Doch nach nur wenigen Tagen stellten die Ärzte bei ihr eine angeborene Herzkrankheit fest, deretwegen sie eigentlich operiert werden müsste. Wir haben diese Monate mit vielen Kontrolluntersuchungen verbracht, und warten nun auf den Befund, ob Giuditta operiert werden muss. Am Anfang beteten meine Frau und ich, dass unsere Tochter gesund werden möge. Aber mir wurde bald bewusst, dass diese Bitte nicht ausreichte. Ich verspürte das Bedürfnis, darum zu bitten, dass meine Tochter ein erfülltes Leben habe. Ich erkannte, dass dieser Mangel sich nicht nur auf die körperliche Unversehrtheit bezog. Deshalb begannen wir auch für ihre Heiligkeit zu beten. Doch mit der Zeit stellte sich erneut das Gefühl der Unzufriedenheit ein. Ein Gefühl, das ich nicht verstand und wofür ich auch keine Lösung hatte. Was fehlte mir noch? Im Grunde genommen machte ich nichts Falsches ... . Als du auf den Exerzitien gesagt hast, dass wir zwar viel machen können, aber indem wir unsere Reaktionen blockieren, im Zentrum des Ichs weiterhin passiv bleiben, habe ich verstanden, dass es genau dieses war, was mir fehlte. Ich fühlte nicht den Hauch meiner Abhängigkeit vom Geheimnis. Ich bat um die Genesung und Vollendung meiner Tochter und reagierte daher lediglich auf den Umstand, den ich erbat. Doch statt dessen galt es für mich, als erstes die Abhängigkeit vom Geheimnis anzuerkennen, wovon mein Missverhältnis und meine Ohnmacht gegenüber der Situation mit Giuditta Ausdruck waren. Es ist nicht passiv, diesen Umstand Gott anzubieten. Statt dessen liegt darin die Anerkennung, dass Christus das Wesentliche von allem ist, auch vom Heil, das ich für meine Tochter in ihrer Krankheit erbitte. Daher wird es auch verständlich für das Wunder ihrer Genesung zu bitten.
Giorgio

Das Geschenk der Ehe
Lieber Alberto, ich schreibe, um ein Stückchen von der großen und geheimnisvollen Erfahrung zu berichten, die die Krankheit Rodolfos mir ermöglicht hat. Die Ehe ist eine Aufgabe und die Krankheit meines Mannes ist für mich zur höchsten Erfüllung dieser Aufgabe geworden. Das Versprechen, das man sich damals gegeben hat, ist Wirklichkeit geworden und es scheint mir ein Privileg, dies im alltäglichen Leben erfahren zu dürfen. Mein Mann lag zweieinhalb Jahre im Wachkoma in einer absoluten Stille. Dann hat er wieder zu reden begonnen, er wiederholt Gesagtes und antwortet auch wieder auf Fragen. Das macht er nun schon seit 20 Monaten. Ich bin erfüllt von großer Freude, großer Verwunderung und unendlicher Dankbarkeit gegenüber Don Giussani, den wir um diese Gnade gebeten haben. Doch das Wunder geht weiter. Vor zehn Tagen ging ich in Rodolfos Zimmer, das wir extra für ihn eingerichtet haben, und fand ihn nachdenklich vor. Da fragte ich: «Rodolfo, an was denkst du?» Ich erwartete eine Antwort wie: «An meine Schmerzen, an meine lange Krankheit» oder Ähnliches bezüglich seiner Krankheit. Doch er sagte mir: «Ich denke: „Meine Seele preist die Größe des Herrn“». Gott, ich danke Dir für den großen Glauben meines Mannes, ich danke Dir für Deine lebendige Gegenwart mitten unter uns, für uns alle.
Anna, Mailand

Vergebung
Heute Morgen kam Grace Hazyo, ein Flüchtling aus Burundi, zu mir. Sie fragte mich, was es bedeute, die Feinde zu lieben und ihnen zu verzeihen, wie es im Vaterunser gebetet werde. Ihre Eltern und Geschwister sind umgebracht worden. Sie kam zu Fuß bis Ruanda und von dort nach Uganda. Die Frage ist für sie von lebenswichtiger Bedeutung, zumal die burundische Gesellschaft in Uganda all den Hass und den Wunsch nach Rache wieder hervortreten lässt. Um dies klarer zu machen, erzählte sie folgende Geschichte: Der Direktor einer Schule teilte seine Schüler in Hutu und Tutsi ein. Dann sperrte er die Tutsi in eine große Hütte und rief die Rebellen, die die Hütte anzündeten. Einem der Schüler gelang es zu fliehen. Eines Sonntags erläuterte der Priester das Evangelium, in dem es heißt, man solle verzeihen und seine Feinde lieben. Als der Priester im Anschluss draußen die Leute begrüßte, kam ein Junge zu ihm und fragte: «Haben Sie gesagt, man solle verzeihen und jene lieben, die einem Böses tun?». Der Priester bestätigte dies. Und der Junge schob die langen Ärmel hoch und zeigte seine Arme, die voller Narben waren, und fragte: «Was sagen Sie jetzt?» Der Priester sagte: «Ich habe das Evangelium erklärt. Aber auch ich bin wie du erfüllt von Hass; denn das Böse, das sie dir angetan haben, haben sie auch meiner Familie angetan». Dann wandte er sich an die Umstehenden und fragte: «Gibt es jemanden unter euch, der diesem Jungen antworten kann? Ich kann es nicht». Ich habe Grace in etwa so geantwortet: «Als die Mörder deine Eltern umgebracht haben, haben sie dir ihr Gift von Hass und Rache eingespritzt. Dieses Gift frisst Herz und Leber und macht die Menschen unglücklich. Auch du bist von diesem Geschwür erfasst, wenn du an diese Dinge denkst. Du bist traurig und traust den anderen nicht mehr. Es ist unnütz, sich um Verzeihung zu bemühen, denn dies ist unmöglich. Was du brauchst ist eine Medizin, die entgiftet. Nur eine tiefe und dauerhafte Begegnung mit Christus und eine große Liebe zu Ihm schenkt dir solch eine Freude im Herzen und zeigt dir solch eine Anziehungskraft, dass du zumindest für deine Eltern und Geschwister, die tot sind, und auch für jene, die sie umgebracht haben, die gleiche Medizin wünschst. Dazu sind dir meine Freundschaft und jene der Bewegung gegeben». Sie strahlte und rief: «Ich habe verstanden». Ich erinnerte mich, dass ich auf Einladung von Doktor Giovanni Galli den Fasteneinkehrtag über die Verzeihung hielt. Es war ein Jahr nach dem Völkermord in Nyanza. Während ich sprach, sah ich viele angespannte Gesichter. Ich hielt inne und sagte: «Ich fordere nicht von euch zu verzeihen, was euch nicht möglich ist; sondern jenem Vorschlag der tiefen Freundschaft in Christus zu folgen. Dies lässt euch solch einen Geschmack am Leben erfahren, dass ihr diesen auch allen anderen wünscht, sogar jenen, die eure Eltern und Geschwister umgebracht haben. Solch ein Geschmack!»
Pater Tiboni, Kampala