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Editorial
Die Stunde der Familie
Giancarlo Cesana

Als Editorial ein Kommentar von Giancarlo Cesana (CL) über die Massenkundgebung „Family Day“ in Rom, veröffentlicht in der Ausgabe der Zeitung Avvenire vom 24. Mai 2007

Der Family Day, eine Großkundgebung in Rom zugunsten des christlichen Familienmodells, hat Anhänger wie Gegner gleichermaßen überrascht. Weder die einen, noch die anderen hätten derart viele Teilnehmer erwartet. Ein Volk machte sich bemerkbar, dass bereits 2005 auf den Plan trat, als in Italien eine Liberalisierung des Embryonenschutzes durch eine überwältigende Stimmenthaltung der Bürger verhindert wurde. Beim Family Day trat es nun als unübersehbare Gegenwart in Erscheinung.
Um was für eine Gegenwart handelt es sich? Angesichts der ungeheuren Zahl von Familien, die nach Rom gekommen waren, interessiert weniger, ob es nun eine halbe Million oder eine ganze Million waren. Mich erinnerte der Anblick dieser Menge an eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium, wo Jesus von der Ehe spricht (Mt 19,3-10). Dort heißt es: «Da kamen Pharisäer zu ihm, die ihm eine Falle stellen wollten, und fragten: „Darf man seine Frau aus jedem beliebigen Grund aus der Ehe entlassen?“ Er antwortete: „Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer die Menschen am Anfang als Mann und Frau geschaffen hat und dass er gesagt hat: Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden ein Fleisch sein? Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ (...) Da sagten die Jünger zu ihm: „Wenn das die Stellung des Mannes in der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten.“»
Der Gedanke, dass auch die Jünger versucht waren, die Einrichtung Ehe zu verwerfen, liegt also gar nicht so fern. Auch sie neigten dazu, die Familie als eine problematische, wenn nicht gar zum Scheitern verurteilte Erfahrung zu betrachten. Doch offenbar erfahren Hundertausende (mit beiden Beinen auf dem Boden stehende) Menschen diese „problematische Erfahrung“ als etwas überaus Positives, das besonderen öffentlichen Schutz verdient. (...) Eine besondere Kraft ist unter ihnen wirksam. Damit stellt sich die Frage der Jünger neu. Wie kann es sein, dass eine Familie überhaupt intakt bleibt? Und: ist es nicht ein Wunder, ein ganzes Volk aus Familien vor sich zu haben?
Denkwürdig ist allemal, dass so viele Menschen zusammen gekommen sind, die unverbrüchlich von der Endgültigkeit der Liebe überzeugt sind – trotz des negativen Einflusses von Kino, Fernsehen, Arbeitswelt, Nachbarschaft und so weiter. Der Family Day ist insofern ein ungewöhnliches und nicht planbares Ereignis, das als Tatsache anerkannt werden muss, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft von grundlegender Bedeutung ist.
Man sollte den Family Day jedoch nicht ideologisch ausschlachten: Wenn jetzt von einer neuen Bewegung geschwärmt wird, deren Protagonisten aktiv Politik machen und sich einen Schlagabtausch mit den Gegnern liefern sollen, um eine menschlichere und christlichere Gesellschaft aufzubauen, dann man zunächst vielleicht fragen, was Familie eigentlich zusammen hält, worauf die Verbundenheit ihrer Glieder beruht, wo ihre Fruchtbarkeit herrührt: die Antwort liegt sicher nicht in christlichen Ehevorbereitungskursen (...) oder einer neuen Familienpartei, von der man lieber absehen sollte.
Es ist kein Zufall, dass die Initiative zur Kundgebung vom 12. Mai von katholischen Verbänden ausging und nicht von einem politischen Lager. Sie macht deutlich, dass Familie der normale Weg ist, zusammen mit dem Leben auch den Glauben weiterzugeben, und zwar den Glauben als Kriterium für Erkenntnis und Moralität. Neu ist dabei, dass dem auch zahlreiche Nicht-Gläubige wohlgesonnen gegenüber standen. Die Teilnehmer des Family Day haben mit ihrer schlichten und standhaften Art den zivilgesellschaftlichen Wert des Glaubens vor Augen geführt. Sie haben gezeigt, dass der Glaube kein Hemmschuh ist, sondern Garant dafür sein kann, dass Vernunft und Freiheit für alle zum Tragen kommen. Damit ist man der Einladung des Papstes gefolgt, die Vernunft zu erweitern, um einer neuen Laizität Raum zu schaffen, die – religiös oder nicht-religiös geprägt – nicht für sich beansprucht, alles zu wissen, sondern danach strebt, immer neu dazu zu lernen.