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Lektüre
Christus ergreift mich ganz in seiner Schönheit
Alberto Savorana

Auf den folgenden Seiten schlagen wir einige literarische Beiträge unterschiedlicher Natur zur Lektüre vor. Sie bezeugen eine uns allen bekannte menschliche Erfahrung und verdeutlichen zugleich die Wahrheit der hier zugleich vorgestellten Auszüge aus den Lektionen von Don Carrón bei den Exerzitien der Fraternität. Diese Erfahrung tut sich als Schrei des Herzens kund, entweder aufgrund einer vorurteilsbedingten Verschlossenheit oder wegen einer Überraschung durch eine unerwartete Begegnung. Dieser allen gemeinsamen Menschlichkeit bietet sich die christliche Erfahrung als überzeugender Vorschlag an.

Die diesjährigen Exerzitien der Fraternität von Comunione e Liberazione standen noch ganz unter dem Eindruck der Audienz mit Papst Benedikt XVI. auf dem Petersplatz. Er hatte die ganze Gemeinschaft eingeladen, einen tiefen Glauben zu leben, «der einen persönlichen Charakter hat und fest verwurzelt ist im lebendigen Leib Christi, der Kirche, der die Zeitgenossenschaft mit Jesu garantiert».
Und Don Carrón betonte im Lauf der Exerzitien mehrmals die Bedeutung dieser Einladung des Papstes: «Werden wir den Mut haben, von Grund auf zu überprüfen, ob der Vorschlag eines Lebens, den Christus uns als Erfüllung unserer menschlichen Natur und damit unserer Zuneigung anbietet, wirklich in der Lage ist zu antworten oder werden wir stets auf halbem Weg stehen bleiben?»
Don Carrón begann mit dem Vers des italienischen Dichters Jacopone da Todis «Christus ergreift mich ganz in seiner Schönheit» und erinnerte an das Beharren von Papst Benedikt XVI. auf der Schönheit Christi, die uns anzieht. Dann sprach er von der Auffassung, die Jesus vom Leben hat. Dazu griff er ein Kapitel des Buches Am Ursprung des christlichen Anspruchs (Bonifatius Verlag, Paderborn, 2004, Kapitel 8, S.90 ff) von Don Giussani auf. Giussani habe sein ganzes Leben lang Zeugnis von dieser seiner persönlichen Beziehung zu Jesus gegeben: «Verwundet» von seiner Schönheit und deswegen Vater eines Volkes im großen Zusammenhang der Kirche. Darum wendet sich Jesus, der Herr, so Don Carrón mit einem Zitat aus dem nachsynodalen Schreiben Sacramentum caritatis , der «der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (Joh 14, 6) dem schmachtenden Herzen des Menschen zu, der sich als dürstender Pilger fühlt, dem Herzen, das sich nach der Quelle des Lebens sehnt, dem Herzen, das um die Wahrheit ringt. Jesus Christus ist ja die Person gewordene Wahrheit, die die Welt an sich zieht». Carrón unterstrich, dass Gott Erbarmen mit unserem Nichts hat und Fleisch und Blut annahm, um unsere menschliche Natur zu retten.
Auf den Exerzitien ermutigt Carrón, sich in den Blick Christi auf seine Jünger hinein- zuversetzen. Es war ein Blick voller Sympathie, durch den die Jünger sich in der Beziehung zu Ihm in ihrer gesamten menschlichen Existenz verstanden fühlten. Es war ein Blick, so Carrón, der ihre wirklichen Sehnsüchte ans Licht brachte. Denn wir sind «ein nicht reduzierbarer Wunsch nach dem Unendlichen, wir sind sogar bis zu einem Punkt abhängig, dass wir zu Gott sagen können: „Ich bin Du, der mich schafft“». Anders als die moderne Mentalität es uns vermitteln möchte, ist der Mensch letztlich nicht auf sein psychologisches, biologisches und soziologisches Vorleben zurückzuführen. Denn das entwürdigt ihn und macht ihn einsam. Im Gegenteil, erst indem der Mensch von Gott abhängt, wird die Einsamkeit an der Wurzel entfernt, denn die Gemeinschaft liegt im Ich verankert. Dies reicht sogar so weit, dass ich zur Erkenntnis komme, ohne seine Gegenwart und Schönheit nicht ich selbst sein zu können.
Die zweite Überlegung Don Carróns hatte «das Gesetz des Lebens» zum Thema, das der Auffassung Jesu von der Existenz entspringt: Die Hingabe seiner selbst. Der Mensch verwirklicht sich erst in der Hingabe. Das Opfer und die Liebe bilden die Persönlichkeit des Christen. «Wie kann man arbeiten, ohne dabei das Gedächtnis Christi zu leben?», fragte Carrón. Ohne dieses Gedächtnis fühlt der Mensch sich in der Tat gefangen und gelangweilt innerhalb seiner Umstände. Sich hinzugeben bedeutet also, dass Christus die Substanz des gesamten Lebens ist. Unsere Menschlichkeit ist dabei kein Hindernis, sondern ein Mittel. Sie ist uns gegeben, um Christus anzuerkennen. Und unsere Instinktivität – das, was uns anzieht und bestimmt – führt den Menschen in den Dienst an der Wirklichkeit ein, in die Mühe, den Wunsch auf das Ganze, also Gott, hin auszurichten. Abschließend zitierte Don Carrón Giussani: «Es ist nicht menschlich, sich hinzugeben, wenn nicht für eine Person; es ist nicht menschlich, zu lieben, wenn nicht eine Person. Das „Ganze“ ist Ausdruck einer Person, Gott». Christus anzuerkennen und ihm zu folgen, lässt den Menschen «aufrecht und unermüdlich auf ein Ziel zuschreiten ... im Vertrauen und in der Zustimmung zu Christus blüht eine neue Zuneigung allem gegenüber auf, die eine Erfahrung des Friedens in sich birgt».

Julián Carrón
«Was ist der Wert des Ich und worauf gründet er? Im Leben ist nicht nur unmittelbar einsichtig, dass man existiert, sondern dass wir uns das Leben nicht selber gegeben haben. Deswegen sind wir abhängig» (L.Giussani, Am Ursprung des christlichen Anspruchs). Ich bitte euch, übergeht diese Aussage nicht, so als wäre sie euch bereits bekannt. Wir müssen uns nur daran erinnern, wann wir das letzte Mal wirklich unsere Abhängigkeit gespürt haben, diese Wahrheit unserer selbst, bis zur Anerkennung unserer Abhängigkeit – wann haben wir den Schauer dieser Abhängigkeit verspürt. Der Wert des Ichs, der Wert eines jeden von uns liegt darin, dass er direkte und exklusive Beziehung zu Gott ist. Das zeigt sich auch in unserem Bedürfnis und unserer Bitte. Wir haben dieselbe Mühe wie alle anderen, das Gegebene anzuerkennen und so denken wir, dass die Dinge Konventionen sind, die wir über Bord werfen können, ohne dass etwas passiert. Anzuerkennen, dass wir diese direkte Beziehung zum Geheimnis sind, ist aber die einzige Möglichkeit, den Menschen so zu verteidigen, wie er geschaffen ist, mit diesem ihm innewohnenden Wunsch nach Fülle und Glück.

Frédéric Chopin
Die Traurigkeit hat mich ergriffen ... Warum? Nicht einmal die Musik tröstet mich heute ... es ist schon späte Nacht und ich habe keine Lust, zu schlafen; ich weiß nicht, was mir fehlt, dabei bin ich schon über zwanzig Jahre alt ...

Franz Schubert
Keiner, der das Leiden der anderen versteht, keiner, der ihre Freude teilt. Man meint immer, der eine ginge auf den anderen zu, dabei läuft man bloß nebeneinander her ...

Baudelaire
Auszug aus Die Leuchttürme (aus seinem Werk Blumen des Bösen)
Dies alles, Fluch und Lästerung und Sünden –
Verzückungsschrei, Gebet und Todesschmerz, ist Widerhall aus tausend dunklen Gründen,
Berauschend Gift für unser sterblich Herz.

Ein Schrei ist\'s, der da gellt in tausend Stürmen
Die Losung, die von tausend Lippen schallt, Leuchtfeuer, das da flammt von tausend Türmen,
Des Jägers Ruf, der durch die Wildnis hallt.

Ein Zeichen, Gott, das wir Dir bringen wollen, vor Deinen Herrlichkeiten zu bestehn,
Glühende Tränen, die durchs Weltall rollen
Und an der Ewigkeiten Rand vergehn.

Julián Carrón
Nur ein Christentum, das der Mensch als schön und anziehend erfährt, ist in der Lage, der Herausforderung des Herzens zu antworten. Allein ein solches Christentum kann diesem Bedürfnis des Herzens nach Totalität begegnen und ist in der Lage, die Entfremdung zu besiegen, wenn das Herz seiner Attraktivität nachgibt. Deswegen ist es unmöglich, dass Christus den Menschen mit Zuneigung erfüllt, wenn er nur eine Regel darstellt und keine von Zuneigung erfüllte Gegenwart. Hier zeigt sich die Macht der Verheißung Christi. Wenn jemand erfahren hat, dass ihn nichts wirklich befriedigt, beginnt er zu verstehen, dass es vielleicht an der Zeit wäre, sich Ihm zu öffnen. Jesus stellt sich als Zentrum der Zuneigung und Freiheit des Menschen dar: indem er sich selbst in das Herz genau dieser menschlichen Gefühle legt, erweist er sich mit vollem Recht als ihre eigentliche wahre Wurzel. In dieser Weise offenbart Jesus die Macht der Verheißung. Jesus hat den Anspruch, dass der Mensch hierauf nur Antwort finden kann, indem er Ihm nachfolgt.

Franz Schubert
Eine einzige schöne Sache muss den Menschen sein ganzes Leben lang begleiten, das ist wahr; aber der Glanz dieses Ereignisses muss alles andere erleuchten ...

Primo Levi Ist das ein Mensch? (dtv, 1992, S. 146f.)
Nun, zwischen mir und Lorenzo trug sich nichts von all dem zu. Mag es einen Sinn haben oder nicht, den Grund dafür zu suchen, dass gerade mein Leben unter Tausenden gleichwertig anderer diese Prüfung hat bestehen können: Ich glaube, dass ich es Lorenzo zu danken habe, wenn ich noch heute unter den Lebenden bin. Nicht so sehr wegen seines materiellen Beistands, sondern weil er mich mit seiner Gegenwart, mit seiner stillen und einfachen Art, gut zu sein, dauernd daran erinnerte, dass noch eine gerechte Welt außerhalb der unsern da ist: etwas und jemand, die noch rein sind und intakt, nicht korrumpiert und nicht verroht, fern von Hass und Angst, etwas sehr schwer zu Definierendes, eine entfernte Möglichkeit des Guten, für die es sich immerhin verlohnt, sein Leben zu bewahren.

Wolfgang Amadeus Mozart
Ich habe mich vollständig dem Willen Gottes anvertraut ... Gibt es vielleicht eine andere Möglichkeit, um heiter zu sein? Relativ heiter ... denn man kann es ja nie vollständig sein. Ich werde guter Stimmung bleiben, wie auch immer die Dinge laufen mögen, denn ich weiß, dass man trotzdem den Willen Gottes tun wird, der immer alles zu unserem Guten lenkt, auch wenn alles abzustürzen scheint.

Virginia Woolf
Das Nicht-Sein ist ähnlich der Watte, in die unsere Tage eingehüllt sind. Das ganze Problem der Existenz besteht darin, die Momente zu ergreifen, in denen die Dinge durchsichtig werden und man die Spur findet. So als wenn in einem unerwarteten Augenblick der Grund des Seins sichtbar und die Dichtung Wahrheit würde.

Augustinus
Bekenntnisse (10. Buch/27. Kapitel)
Spät habe ich Dich geliebt, Du Schönheit, ewig alt und ewig neu, spät habe ich Dich geliebt! Und siehe, Du warst innen und ich war draußen und da suchte ich nach Dir; und auf das Schöngestalte, das Du geschaffen, warf ich mich, selber eine Missgestalt. Du warst bei mir, ich war nicht bei Dir. Was doch nicht wäre, wär es nicht in Dir: das eben zog mich weit von Dir. Du hast gerufen und geschrien und meine Taubheit zerrissen; Du hast geblitzt, geleuchtet und meine Blindheit verscheucht; Du hast Duft verbreitet, und ich sog den Hauch und schnaube jetzt nach Dir; ich habe gekostet, nun hungere ich und dürste; Du hast mich berührt, und ich brenne nach dem Frieden in Dir.