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Thema - Gehorsam und....
Gehorsam
Luigi Giussani

Das Christentum ist die Verkündigung eines Ereignisses, eines für den Menschen guten Ereignisses, eine Frohbotschaft: Christus ist geboren, gestorben und auferstanden. Das ist keine abstrakte Definition, kein interpretierbarer Gedanke. Das Wort Gottes - das Wort - ist ein Faktum, das sich im Schoß einer Frau ereignet hat, es ist Kind geworden, ein Mensch geworden, der auf Straßen und Plätzen gesprochen hat, mit anderen zu Tisch saß, aß und trank, zum Tode verurteilt und getötet worden ist. Das Wort Gottes ist ein menschliches Faktum, voll und ganz menschlich. (...)
Das Antlitz dieses Menschen ist heute die Gesamtheit der Glaubenden, die dafür in der Welt ein Zeichen sind oder - wie der heilige Paulus sagt - der Leib, der geheimnisvolle Leib, der auch «Volk Gottes» genannt wird, und das als Gewähr von einer lebendigen Person geführt wird, dem Bischof von Rom.
Wenn das christliche Ereignis nicht anerkannt und in seiner Ursprünglichkeit erhalten wird, dient es nur als Vorwand für zahlreiche Interpretationen, Gedanken und vielleicht auch Werke, aber nur neben und häufiger nur als Teil jeder Art von Beeinflussungen, deren das Leben sich bedient. (...)
Wird das Christentum wieder in seiner strukturellen Ursprünglichkeit verstanden, dann vertritt es, im Gegensatz zum Subjektivismus, eine Objektivität des Weges zur Wahrheit. Der Weg des Menschen zur Wahrheit und zu seiner Bestimmung hängt nicht auf Gedeih und Verderb davon ab, was er denkt oder was andere denken, oder von der Gesellschaft, in der er lebt. Er ist objektiv: Es geht nicht darum, sich etwas vorzustellen oder etwas zu erfinden, sondern zu folgen.
Paul Claudel lässt Anna Vercors angesichts des Leichnams ihrer Tochter Violaine sagen: «Warum sich so viele Sorgen machen, wenn es so einfach ist zu gehorchen?» Einer lebendigen Wirklichkeit zu folgen, das ist das eigentliche Kennzeichen des christlichen Ereignisses. Und das ist auch heute das Leben der Kirche. Dazu gehört natürlich das Evangelium, das Wort Gottes zu lesen, aber interpretiert vom wachen Bewusstsein eines lebendigen Leibes, geführt von einer lebendigen Wirklichkeit, dem Lehramt. Für diesen Leib hat die Zeit einen eigenen Rhythmus, die Liturgie.
Der Weg zur Wahrheit kann für den Menschen trotz seiner Zerbrechlichkeit, Widersprüchlichkeit und Schwäche ein friedvoller Weg sein, wenn er darin besteht, jemandem zu folgen, aus einer von Zuneigung geprägten Entscheidung für eine Bestimmung, die ihn zu einem wirklichen Menschen macht.
(Il senso di Dio e l'uomo moderno / Der Sinn für Gott und der moderne Mensch, Bur Rizzoli, Milano 1994, S.125-127.)