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Thema - Gehorsam und....
Schule
Paolo Perego

Elisabetta Cassani, Lehrerin für Latein und Griechisch am Mailänder Berchet-Gymnasium, spricht vom Gehorsam in der Schule. «Wenn es kein Ziel gibt, wenn man nicht irgendwo hinkommen will, hat Gehorsam überhaupt keinen Sinn».

Wenn man über die Schule spricht, so scheint der Begriff Gehorsam weithin bedeutungslos zu sein. Ist das tatsächlich der Fall?
Die Struktur der italienischen Schule als Institution unterliegt wie die heutige Welt dem allgemeinen Verschwinden von Sinn. Deshalb tendiert sie dazu, Gehorsam durch Zwang zu ersetzen. Wir sind alle ein wenig der Mentalität verhaftet, wonach Gehorsam ein Synonym für Zwang ist. Dann wird die Notwendigkeit, uns an Protokolle und Vorgaben zu halten, für uns zum Vorwand, uns nicht als Personen einbringen zu müssen.

Weshalb dieses nachlassende Engagement?
Es gibt keinen Gehorsam ohne Freiheit, und auch nicht ohne einen Zweck. Der Gehorsam ist funktional zu einem Ziel. Wenn es keinen Zweck gibt, wenn man nirgendwo hinkommen will, hat der Gehorsam keinen Sinn. Das ist ein wesentlicher Aspekt für die Lähmung der Erziehung, die in unseren Schulen sichtbar ist. Wenn ständige Neutralität und die Abwesenheit von absoluten Werten gepredigt wird, wie kann ein Lehrer dann Gehorsam fordern? Die «neutrale Schule» weiß kein Ziel vorzugeben, sie kann nicht erziehen. Aber wenn es soweit ist, wird es auch unmöglich, Zwang auszuüben, wie die jüngsten Beispiele vor aller Augen klarmachen.

Die «neutrale Schule» erzieht also nicht, sondern schadet dem Schüler?
Nicht nur. Der Lehrer, der nicht unterrichten kann, also nicht aufzeigen kann, dass die Wirklichkeit ein Zeichen ist, verliert an Glaubwürdigkeit. Wenn er es im Namen einer nicht-existierenden und abstrakten Freiheit ablehnt, die eigene Position offen zu legen und wenn er auf diese Weise ablehnt, authentisch zu sein, dann findet er sich ohne Autorität wieder. Denn er macht einem Relativismus Platz, bei dem nichts mehr eine unanfechtbare Evidenz besitzt.

Warum sollte ein Schüler gehorchen?
Ich glaube, dass gerade das Verhältnis in der Erziehung, das sich im Lehren ausdrückt, zur Überzeugung führt, dass der Gehorsam extrem lohnend ist. Erziehung ist, wie wir wissen, die Öffnung auf die Realität hin. Deswegen erfordert sie ein offenherziges Hinhören und ein Befolgen der Hinweise, die die Wirklichkeit selbst uns vorgibt. Das Ganze geschieht auf einem Weg der Erziehung. Der Schüler macht die Erfahrung der Freiheit, wenn er vom Zwang zum Gehorsam übergeht. Letztlich weiß er sehr gut, dass es für sein Bestes ist, zur Schule zu gehen und sich beim Lernen zu engagieren. Aber es ist nötig, dass ihn jemand in dieser anfangs sehr zerbrechlichen Überzeugung unterstützt. Ohne Regeln, die manchmal unterdrückend erscheinen mögen, kann man nicht zur Freiheit gelangen. Aber die Beachtung der Regeln muss von der liebevollen menschlichen Gegenwart eines «Meisters» unterstützt werden, der deren Gültigkeit wertschätzt. Das bedeutet für den «Meister», dem zu gehorchen, den er vor sich hat. Gehorsam bei meiner Arbeit als Lehrerin bedeutet zum Beispiel, nicht zu erwarten, dass alle Schüler einen vorgegebenen Standard erreichen, sondern anzuerkennen, dass ein jeder sich gemäß seiner eigenen Geschichte ausdrücken können muss.