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Thema - Gehorsam und....
Politik
Alberto Savorana

Roberto Formigoni, Präsident der Lombardei, beschreibt die Gründe seines Gehorsams gegenüber der Kirche. «Gehorsam ist in der Tat nicht Verzicht auf ein eigenständiges Urteil. Der Papst spricht aus, was dem Bedürfnis des Herzens entspricht. Folglich sind seine Sorgen natürlicherweise Teil des Horizonts, angesichts dessen ich urteile».

Gehorsam ist ein Gesetz der menschlichen Existenz. Wir alle gehorchen irgendetwas oder irgendwem, auch derjenige, der zum Beispiel in der Politik voller Stolz für sich die Eigenständigkeit des Urteils und des Handelns in Anspruch nimmt. Wie stehen die Dinge bei dir?
Ja, Gehorsam ist ein Gesetz der menschlichen Existenz. Der Mensch kann nur er selbst sein, reifen, nach Selbstverwirklichung und dem eigenen Glück streben, wenn er jemanden findet, der ihm hilft zu verstehen, was die wirkliche, tiefere Bedeutung seines Menschseins, der Sinn seines Lebens ist. Schwerlich kann der Mensch allein dahin gelangen, «es sei denn - wie es in einem Dialog Platons heißt - er könnte mit größerer Sicherheit und geringerem Risiko auf einem festeren Boot reisen, nämlich mit Hilfe einer göttlichen Offenbarung». Das ist zutiefst menschlich und für mich absolut wahr.
Deshalb fallen Gehorsam und Gefolgschaft mit dem persönlichen Reifen zusammen: Das heißt dem zu folgen, was mich mir selbst tiefer offenbart, als ich es allein könnte. Das trifft auf meine menschliche Erfahrung auf allen Gebieten zu. Sicher auch auf die Politik. Denn ich verstehe so mehr und besser, was wahr und gerecht ist. Gehorsam steht in der Tat nicht im Gegensatz zu einem eigenständigen Urteil. Das Problem ist, ob sich mein Urteil - eigenständig und frei - aufgrund dieser Annäherung an das bildet, was gerecht und wahr ist, so wie ich es beschrieben habe.

Es scheint so, als sei der Gehorsam umgekehrt proportional zur Freiheit. Mit anderen Worten ist derjenige ein freier Mensch, der sich keiner Bindung unterwerfen muss, es sei denn, er wird parteiisch, verliert an Prägnanz und Objektivität. Wie verhalten sich deiner Erfahrung nach Freiheit und Gehorsam zueinander?
Authentischer Gehorsam ist der Freiheit direkt proportional, denn aus meiner Sicht ist Freiheit Selbstverwirklichung; nicht einfach tun und lassen, was ich will, sondern das wählen zu können, was mich wachsen lässt, was der Wirklichkeit am nächsten kommt.
Ist etwa der Mensch frei, der keine Bindungen hat? Was ist denn der Mensch? Ein von jeder Bindung freies Wesen? Nein. Schließlich ist der Mensch biologisch an Vater und Mutter gebunden, die ihn zur Welt gebracht haben; er ist an die gebunden, mit denen er eine familiäre Verbindung eingeht, an die Ehefrau, die Kinder; und schließlich ist er an die Freunde gebunden, an andere Personen (...). Tatsächlich ist der Mensch geradezu ontologisch an andere gebunden. Der Einzelgänger ist weniger Mensch als derjenige, der Beziehungen unterhält. Und einmal mehr ist der Gehorsam etwas, das uns der eigenen Natur folgen und sie reifen lässt.

Einige Katholiken, die sich politisch betätigen, sagen: «Ich folge der Kirche, wenn sie mir von Gott spricht, aber in den Dingen dieser Welt folge ich meinem Gewissen; in Fragen des öffentlichen Lebens schulden katholische Politiker keiner kirchlichen Autorität Gehorsam». Was heißt für dich als Katholik, deinem Gewissen zu folgen?
Was ist mein Gewissen? Ist es etwas, das ich mir selbst in völliger Abgeschiedenheit gebildet habe? Nein. Ich habe mich entwickelt, als ich größer wurde, zuhörte, die Ergebnisse meiner Erfahrung, der Geschichte und der Erkenntnis mit meinen grundlegenden menschlichen Bedürfnissen verglich und mit den Erfordernissen, die sich im Laufe meiner Geschichte ergeben haben. Und mein Reifen als Mensch geschah und geschieht innerhalb der Kirche. Deshalb drückt die Kirche, wenn sie spricht, das aus, was ich selbst denke. Wenn sie ihren Auftrag treu erfüllen, drücken Papst und Bischöfe in ihren Stellungnahmen nicht die «Meinung» der Hierarchie aus, der sich die Katholiken äußerlich anpassen müssten, sondern - klar und offensichtlich - das, was die Katholiken selbst denken, glauben und als gut und richtig für das öffentliche Leben empfinden.

«Leben, Familie, Erziehung» sind die nicht verhandelbaren Prinzipien, auf denen Benedikt XVI. im Namen des Interesses der Kirche an Leben und Schicksal der Menschen besteht. Im Gegensatz dazu sprechen einige von einer gefährlichen Einmischung und einem Angriff auf die Laizität des Staates. Ihnen erwidert der Papst: «Wenn man uns sagt, die Kirche sollte sich nicht in diese Angelegenheiten einmischen, dann können wir nur antworten: Interessiert uns vielleicht der Mensch nicht?» Welche Rolle spielen die Sorgen des Papstes in deiner Tätigkeit als Politiker und Präsident?
Ich bestehe darauf: Der Papst spricht zu diesen Themen und auch zu anderen das aus, was ich als wahr empfinde und sich im Leben und der Geschichte von Millionen Menschen als wahr erweist. Es entspricht dem Naturrecht. Das heißt, es entspricht dem Bedürfnis des Herzens, den Lebensbedürfnissen von Millionen Menschen, mein Leben eingeschlossen. Ich kann also sagen, dass die Sorgen des Papstes ganz natürlich Teil des Horizonts sind, angesichts dessen ich urteile.
Auch allein mit der Vernunft kann der Mensch verstehen, dass das Leben ein heiliges, unverletzliches Prinzip ist. Er kann auch anerkennen, dass die Familie - gegründet auf die Ehe, ob religiös oder nicht, heterosexuell, tendenziell beständig, tendenziell auf Fortpflanzung ausgerichtet - ein Element ist, das es zu verteidigen gilt und das der Gesellschaft wohl tut und sie wachsen lässt. Ebenso neigt der Mensch natürlicherweise zu dem Urteil, dass Erziehung absolut positiv und notwendig ist: eine freie Erziehung, die danach strebt, die Freiheit des Kindes wachsen zu lassen, ihm bei einer echten Auseinandersetzung mit der es umgebenden Welt und ihrer Geschichte zu helfen.
Gesetzgebung oder politische und administrative Tätigkeit, die darauf abzielt, diese unverzichtbaren Prinzipien zu verteidigen und zu fördern, sind eine Aufgabe für Laien, die keines klerikalen Stigmas bedürfen und das Wohl der Gesellschaft und der Menschen zum Ziel haben.
Was ist übrigens ein laizistischer Staat? - Ich möchte vorweg sagen, dass ich für den laizistischen Staat bin. Ein wirklich laizistischer Staat ist weder ideologisch noch konfessionell. Er vertritt also keine Ideologie, sondern respektiert, auch in seinem Handeln, die im Land existierenden kulturellen Entwürfe.