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Rom 2007
Heft
Luigi Giussani

Briefe des Glauben und der Freundschaft
Ende August 1945
Ich will nicht vergeblich leben: Dieser Gedanke lässt mich nicht los. Was wünscht man sich sonst unter guten Freunden? In einer Freundschaft sehnt man sich nach Einheit, man möchte mit dem Freund eins werden, sich in ihn hineinversetzen und mit ihm verschmelzen, zur gleichen Person werden und die gleichen Züge annehmen: ... aber Jesus ist am Kreuz... Die größte Freude unseres Lebens besteht darin, dass man selbst in jedem kleinen oder großen Schmerz entdeckt: «Nun bist du Ihm ähnlicher, enger mit Ihm verschmolzen». Das Leben für das Glück der Menschen hingeben, für die Freundschaft Christi. Lieber Freund, ein Segen? Nun, ich breite die Arme aus und segne dich mit der ganzen Leidenschaft meines Herzens: Auch dieser Segen möge dir ein einziges Ansinnen im Leben schenken: die Freundschaft Christi - das Glück der Menschen.

Seit vierzig Jahren in diesem Kampf
aus Spuren in der Geschichte der Welt hervorbringen, S. 134
«Je reifer wir werden, umso mehr sind wir ein Schauspiel für uns selbst und, so Gott will, auch für die anderen. Es ist Schauspiel der Schwäche und des Verrats und folglich der VerdDemütigung, gleichzeitig ist es ein -Schauspiel der Gewissheit der Gnade, die uns jeden Morgen geschenkt und erneuert wird. Daraus erwächst jener offenherzige Freimut, der uns kennzeichnet und der uns jeden Tag unseres Lebens annehmen lässt als Hingabe an Gotte, damit die Kirche in unseren Körpern und unseren Seelen anwesend sei, durch die Materialität unserer Existenz hindurch».
In diesen Worten fasst sich unsere Beurteilung von Leben und Welt zusammen. Sie hätten keinen Wert, wenn die Kirche nicht wahr wäre, und zwar indem sie das Glück als Bestimmung eines jeden Menschen, der in die Welt kommt, bejaht - ein Glück, dass bereits in den alltäglichen Beziehungen aufscheint. Es gibt keine Trennung zwischen der materiellen Existenz und Christus, der uns begleitet und uns umarmt.
Wir sind uns unserer menschlichen Zerbrechlichkeit wohl bewusst. Sie macht uns mit allen Menschen gleich. Aber wir sind uns auch der Gewissheit in Christus bewusst. Sie unterscheidet uns von allen Menschen. Deshalb ist unser Bewusstsein von Freude und Optimismus geprägt. Und das wiederum erklärt, weshalb wir immer von Neuem anfangen: stets im Kampf.

Synode 1987
Aus Das Christliche Ereignis, S. 23-24
Was ist das Christentum anderes als das Ereignis eines neuen Menschen, der aufgrund seiner Natur zum neuen Protagonisten auf der Weltbühne wird? (...)
Der Mensch von heute, dem Handlungsmöglichkeiten wie nie zuvor in der Geschichte zur Verfügung stehen, tut sich schwer, Christus als die klare und gewisse Antwort auf die Bedeutung seines eigenen Nachsinnens zu erkennen. Die Institutionen bieten allzu oft keine lebendige Antwort. Was fehlt, ist aber weniger eine verbale oder kulturelle Wiederholung der Botschaft. Der Mensch von heute erwartet statt dessen vielleicht unbewusst die Erfahrung der Begegnung mit Personen, für die die Tatsache Christi eine so gegenwärtige Wirklichkeit ist, dass sie ihr Leben wandelt. Diese menschliche Begegnung kann den Menschen von heute aufrütteln: Ein Ereignis, das ein Widerhall jenes ursprünglichen Ereignisses ist, als Jesus die Augen hob und sagte: «Zachäus steig herab, ich will bei dir einkehren» (vgl. Lk 19,5).
In dieser Welt muss das Geheimnis der Kirche, das uns seit 2000 Jahren überliefert wird, stets als Gnade wiedergeschehen. Die Kirche muss sich jederzeit als Gegenwart ausweisen, die bewegt, das heißt als eine Bewegung, die aufgrund ihrer Natur den Lebensvollzug an dem Ort, wo sie sich ereignet, menschlicher macht. Für jene, die berufen sind, vollzieht sich etwas Analoges zu dem, was das Wunder für die ersten Jünger war. Die Begegnung mit dem erlösenden Ereignis Christi wird stets von der Erfahrung einer Befreiung des Menschlichen begleitet. «Wer mir nachfolgt, wird das ewige Leben haben und das Hundertfache hier auf Erden» (vlg. Mt 19,28-29; Mk 10,28-30; Lk 18,28-30).
Wie es sich bei der Taufe um die Gnade des Heiligen Geistes handelt, so ist auch jede Verwirklichung der Taufe ein Geschenk des Heiligen Geistes, das sich im Temperament und der Geschichte eines jeden inkarniert.
Die Gabe des Heiligen Geistes kann sich mit einer besonders überzeugenden, pädagogischen und wirksamen Kraft mitteilen, so dass sie die Personen in einen Lebensraum der Nähe und der Beziehung einbezieht, in dem sich eine feste Dynamik der Gemeinschaft verwirklicht. Und «indem man dies lebt, gehorcht man dem großen Geheimnis des Heiligen Geistes». (Johannes Paul II., Ihr seid Meister der christlichen Kultur, An die Priester von Comunione e Liberazione, 12. September 1985) (...).
Die Ordnung der großen kirchlichen Disziplin, und der weite Bereich der wirkmächtigen Freiheit des Heiligen Geistes, erblühen in der lebendigen Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri, dem Ort des letzten Friedens für jeden Gläubigen.

Christus anerkennen
Exerzitien der Studenten von CL (Video)
Aber wie konnten diese zwei, die ersten beiden, Johannes und Andreas - Andreas war sehr wahrscheinlich verheiratet und hatte Kinder - so schnell von Ihm ergriffen werden. Ihn so schnell anerkennen (es gibt kein anderes Wort, das hier passt: Ihn anerkennen und ich meine, wenn sich diese Tatsache ereignet hat, musste es einfach sein, jenen Mann zu erkennen, d. h. zu erkennen, wer jener Mann war, nicht wer er bis ins letzte und ganz genau war, aber anzuerkennen, dass jener Mann etwas Außergewöhnliches war, etwas Ungewöhnliches - er war überhaupt nicht gewöhnlich -, keiner Analyse unterziehbar: All das anzuerkennen musste einfach sein.
Wenn Gott Mensch würde, zu uns käme, wenn er jetzt käme, wenn er sich in unsere Schar eingeschlichen hätte, wenn Er hier unter uns wäre, müsste es einfach sein. Ihn zu erkennen - a priori meine ich: Einfach. Ihn in seinem göttlichen Wert zu erkennen. Warum ist es einfach,. Ihn zu erkennen? Wegen einer Außergewöhnlichkeit, wegen einer unvergleichlichen Außergewöhnlichkeit. Ich habe etwas Außergewöhnliches vor mir, einen außergewöhnlichen Menschen, mit nichts vergleichbar. Was heißt außergewöhnlich? Was bedeutet das? Warum trifft dich das Außergewöhnliche? Warum empfindest du etwas Außergewöhnliches als außergewöhnlich? Weil es den Erwartungen deines Herzens entspricht, so konfus und unklar sie auch sein mögen. Es entspricht unversehens - unversehens! - den Bedürfnissen deines Gemüts, deines Herzens, den unwiderstehlichen, unleugbaren Bedürfnissen deines Herzens, wie du es dir nie hättest vorstellen oder ausdenken können, denn es gibt niemanden wie diesen Mann.

Brief von Don Giussani an Johannes Paul II.
Zum 50. Jahrestag der Entstehung von CL
Ich wollte niemals irgend etwas "gründen". Ja, ich meine, dass der Genius der Bewegung, die ich entstehen sah, aus der Notwendigkeit einer Rückkehr zu den grundlegenden Aspekten des Christentums entstand, das heißt aus der Leidenschaft für das christliche Ereignis als solches, in seinen wesentlichen Aspekten - und nichts weiter. Und vielleicht hat gerade dies unvorhersehbare Möglichkeiten der Begegnung mit Persönlichkeiten aus der jüdischen, muslimischen, buddhistischen, protestantischen und orthodoxen Welt eröffnet - von den Vereinigten Staaten bis nach Russland. Sie fanden stets in dem Bestreben statt, all das an Schönem, Wahrem und Gutem mit offenen Armen zu empfangen und wertzuschätzen, was noch in Personen zu finden ist, die eine Zugehörigkeit leben. (...)
Innerhalb der Kirche und in Treue zum Lehramt und zur Tradition haben wir stets versucht, den Menschen entdecken zu helfen, auf welche Weise Christus eine Gegenwart ist oder wie sie ihn leichter erblicken könnten. Der Weg zur Gewissheit, dass Christus Gott ist, dass wahr ist, was er gesagt hat, ist in der Haltung der Apostel vorgezeichnet. Die Apostel fragten stets: «Wer ist dieserer?». Denn sie waren von der Erfahrung der Außergewöhnlichkeit jener Gegenwart ergriffen, die mitten in ihr menschliches Leben getreten war. (...)
Deshalb verstehen wir uns weder als Hüter einer besonderen Spiritualität, noch empfinden wir die Notwendigkeit, dieser einen eigenen Namen zu geben. Stattdessen überwiegt die Dankbarkeit für die Entdeckung, dass die Kirche ein Leben ist, dem unser Leben begegnet, und nicht eine Theorie über das Leben.
Die Kirche ist in der Menschlichkeit Christi gelebte Menschlichkeit. Und dies kennzeichnet für jeden von uns das sakramentale Verständnis der Fraternität. Wenngleich es uns auch nicht leicht fällt, dies in seiner Gänze zu verstehen, so gewinnt das Leben so doch eine ganze andere Tiefe.

In der Einfachheit meines Herzens habe ich Dir voller Freude alles gegeben
Das Zeugnis von Don Giussani während des Treffens mit dem Papst, Petersplatz, 30. Mai 1998 (Video)
Ich versuche zu erzählen, wie in mir eine Haltung entstanden ist - die Gott gesegnet hat, so wie es ihm gefallen hat - die ich nicht hatte vorhersehen können oder gar beabsichtigen können.
«Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?» (Psalm 8,5). Keine andere Frage hat mich in meinem Leben so ergriffen wie diese. Auf dieser Welt gab es nur einen Menschen, der mir eine Antwort geben konnte, indem er mir eine neue Frage stellte: «Was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt? Um welchen Preis könnte ein Mensch sein Leben zurückkaufen?» (vgl. Mt 16,26; Mk 8,36 f.; Lk 9,25). Keine Frage wurde an mich so gerichtet, dass mir der Atem gestockt hätte, wie bei dieser Frage Christi! (...)
Der Geist Jesu, d.h. des fleischgewordenen Wortes, wird - in Seiner Kraft, die das ganze Dasein des Einzelnen und die Menschheitsgeschichte erlöst - für den gewöhnlichen Menschen in der radikalen Veränderung erfahrbar, die Er in demjenigen hervorbringt, der auf Ihn trifft und Ihm, wie Johannes und Andreas, nachfolgt.
So ist für mich die Gnade Jesu in dem Maße, in dem ich der Begegnung mit Ihm anhängen konnte und Ihn meinen Geschwistern in der Kirche Gottes mitteilen konnte, zur Erfahrung eines Glaubens geworden, der sich in der Heiligen Kirche, also im christlichen Volk, als Anruf und als Wille erwiesen hat, ein neues Israel Gottes zu nähren: «Populum Tuum vidi, cum ingenti gaudio, Tibi offerre donaria» Ich habe gesehen, wie Dein Volk mit übergroßer Freude die Existenz als Hingabe an Dich anerkennt»), fährt das Gebet der ambrosianischen Liturgie fort. (...)
Dem verzweifelten Schrei des Pastors Brand im gleichnamigen Drama von Ibsen («Antworte mir, o Gott, in der Stunde, in der der Tod mich verschlingt: Genügt denn der ganze Wille eines Menschen nicht, um auch nur einen Teil des Heils zu erlangen?») antwortet die demütige Positivität der heiligen Therese vom Kinde Jesu, die schreibt: «”Wenn ich gütig bin, so nur, weil Jesus in mir wirkt»”.
All das bedeutet, dass die Freiheit des Menschen, die vom Geheimnis immer einbezogen wird, als höchste, unangreifbare Ausdrucksform das Gebet hat. Darum drückt sich die Freiheit - gemäß ihrer gesamten wahren Natur - als Bitte um Anhängen an das Sein und deshalb an Christus aus. Auch in der Unfähigkeit, in der großen Schwäche des Menschen, ist doch die Zuneigung zu Christus dazu bestimmt, fortzudauern.
In diesem Sinne ist Christus, Licht und Stärke eines jeden seiner Jünger, der angemessene Widerschein dieses Wortes, mit dem sich das Geheimnis in seiner letzten Beziehung zum Geschöpf enthüllt: als Barmherzigkeit: Dives in Misericordia. Das Geheimnis der Barmherzigkeit sprengt jede menschliche Vorstellung von Ruhe oder Verzweiflung; auch das Spüren der Vergebung ist in diesem Geheimnis Christi enthalten.
Dies ist die letzte Umarmung des Geheimnisses, der der Mensch - selbst der entfernteste und perverseste oder verfinstertste, düsterste Mensch - nichts entgegensetzen kann, er kann ihr keinen Einwand entgegensetzen: Er kann ihr abtrünnig werden, aber nur indem er sich selbst und dem eigenen Guten abtrünnig wird. Das Geheimnis als Barmherzigkeit bleibt das letzte Wort, auch in bezug auf alle schlimmen Möglichkeiten der Geschichte.
Darum drückt sich die Existenz - als letztes Ideal - im Betteln aus. Der wahre Protagonist der Geschichte ist der Bettelnde: Christus, der um das Herz des Menschen bettelt und das Herz des Menschen, das um Christus bettelt.