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Birma
Wo Mönche zu Rebellen werden
Piero Gheddo

Die Armut wird immer grausamer, während die Regierung das Volk im eisernen Griff hält. Seit 40 Jahren versucht das Regime, Gott zu vernichten, «weil der Mensch das einzig überlegene Wesen ist». Für Spuren erläutert der Historiker und Missionar des Pime, Pater Piero Gheddo, die Gründe für die Tragödie, die das fernöstliche Land zerreißt.

Erstmals seit fast 20 Jahren sprechen die internationalen Medien wieder über Birma (oder Myanmar), ein ansonsten fast völlig vergessenes Land. Seit 1962 herrscht dort eine sozialistische oder besser kommunistische Militärdiktatur. Sie unterdrückt das Volk, stellt für den Westen aber keine direkte Bedrohung dar. Nach einem plötzlichen Anstieg der Benzin- und Gaspreise Mitte August letzten Jahres, der der kleinen Wirtschaft das Genick brach, ging das Volk auf die Straßen. Im September schlossen sich buddhistische Mönche in ihren safranroten Gewändern an. Einige Tage lang hielt das Militär still. Dann folgten die Repressionen, die das ihnen lästige Spektakel schnell beendete. Die Fernsehstationen berichteten hierüber in alle Welt.

Seit der Studentenproteste 1988 hatte es in dem Land keine Volksrebellion mehr gegeben. Damals war es wegen der Schließung höherer Schulen und Universitäten zu Protesten gekommen. Die Militärjunta musste damals aufgrund des starken internationalen Drucks den Oppositionellen einige Freiheiten zugestehen. 1990 hielt die Regierung «freie» Wahlen ab, bei denen die demokratische Liga der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi einen triumphalen Sieg errang, während die Sozialistische Partei Birmas lediglich zehn Prozent der Stimmen erhielt. Einige Jahre später war jedoch alles wieder beim Alten. Suu Kyi hatte die Regierung nie angetreten und die gewählten Abgeordneten waren im Gefängnis verschwunden oder ins Ausland geflohen.
Es gab einige tausend Tote und unzählige der festgenommenen Demonstranten starben durch Zwangsarbeit. Als ich Birma 1993 besuchte, konnte ich mit eigenen Augen Zwangsarbeiter sehen, die jeweils zu zweit an den Füßen aneinandergekettet waren und unter der Bewachung von bewaffneten Militärs Straßen an der Grenze zu Thailand bauten. Der Anblick ließ mir einen Schauer über den Rücken fahren, besonders als mein Begleiter sagte: «Sie sterben wie die Fliegen. Sie leben in Strohhütten mit wenig Essen, ohne Schutz vor Hitze oder vor der Kälte der Berge und ohne ärztliche Versorgung. Die meisten von ihnen kommen aus der Stadt und sind nicht schwere Arbeit und ein Leben im Wald gewohnt.»
Beobachter befürchten, dass die derzeitige Revolte mit den Mönchen an der Spitze trotz des internationalen Drucks genauso enden wird. Die birmanische Regierung fürchtet sich nicht vor äußeren Sanktionsdrohungen. Seit 1990 hat Birma im kommunistischen China einen mächtigen Beschützer gewonnen, der als Großmacht ins Rampenlicht der Weltpolitik zurückgekehrt ist und einen Zugang zum Indischen Ozean benötigt. Ein Augenzeuge berichtete mir vor etwa einem Jahr: «Das Militär zwingt die Bauern, für sie Opium anzubauen und macht aus Birma den größten Opiumexporteur der Welt ... Heute versorgt China das Militär im Land mit Waffen, um im Gegenzug für wertvolle Hölzer, Mineralien, Gas und Öl zu bezahlen. Die Chinesen bauen Straßen und überschwemmen uns mit ihren Produkten.».
Die Chinesen sind längst selbst im Land ansässig und «kolonialisieren» einige Stammesregionen an der Grenze, die autonom sind. 2002 besuchte ich eine von ihnen. Die kleine Provinzhauptstadt Mong Lar war erfüllt von chinesischem Leben: chinesische Schrift, chinesische Taxis, chinesisches Geld, chinesische Restaurants. Die Chinesen modernisieren die Gegend. Sie errichten Gebäude und Infrastruktur, die in der Gegend bislang unbekannt war. So bauten sie auch Kanalisationen und sicherten die Strom- und Wasserversorgung. Es ist leicht zu verstehen, warum sich China und Russland UN-Sanktionen gegen Birma widersetzen. Abgesehen von wirtschaftlichen und strategischen Interessen beider Großmächte gibt es einen weiteren Grund, über den niemand spricht: Der Staatsstreich, durch den die Streitkräfte am 2. März 1962 an die Macht kamen, erfolgte nicht durch einfaches «Militär», sondern durch das «sozialistische» im Klartext «kommunistische» Militär, das sich an Gesellschaftsmodellen des stalinistischen Russlands und maoistischen Chinas orientiert. Das zeigte sich sofort, als das Militärregime 1962 den Lanzin verabschiedeten, «den Weg Birmas zum Sozialismus» – einen angeblich vom Buddhismus inspirierten Sozialismus, der allerdings nichts mit wirklichem Buddhismus zu tun hat. Im Programm des Lanzin liest man bei den Grundideen zum Aufbau einer neuen Gesellschaft: «An den Platz gottes (der bewusst klein geschrieben wird) muss man den Menschen stellen, der das überlegene Wesen darstellt … Die Philosophie unserer Partei ist eine rein moderne und menschliche Doktrin. Sie ist keine Religion ... Die Geschichte der Menschheit ist nicht nur eine Geschichte von Nationen und Kriegen, sondern auch ein Kampf der Klassen. Der Sozialismus beabsichtigt, diese Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beenden. Das Ideal des Sozialismus ist eine wohlhabende, reiche Gesellschaft, die auf Gerechtigkeit gründet. Es gibt keinen Platz für die Caritas. Mit geeigneten Mitteln unternehmen wir alles, um Taten und Werke einer falschen Caritas und Sozialfürsorge zu beseitigen. Der Staat denkt an alles. Die Ernährung und Erziehung der Arbeiterkinder wird ausschließlich Aufgabe des Staates sein, soweit dafür ausreichend wirtschaftliche Mittel zur Verfügung stehen. Der Betrieb sozialer Unternehmen, die sich auf das Recht von Privatbesitz gründen, ist gegen die Natur und endet letztlich in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Der Besitz der Produktionsmittel muss ein gesellschaftlicher sein … Eine Handlung kann nur als richtig und moralisch bezeichnet werden, wenn sie den Arbeitern dient. Ein ganzes Leben lang für das Wohl der Mitbürger und Menschheit im Geist der Brüderlichkeit zu arbeiten, ist das “Programm der Seligpreisungen” für die Gesellschaft der birmanischen Union».
Auf der Grundlage dieser Prinzipien schaffte die Regierung mit einem der ersten Dekrete den Buddhismus als «Staatsreligion» wieder ab. Er hatte diesen Status unmittelbar nach der Unabhängigkeit im Jahre 1948 erhalten. Dann verstaatlichte sie Banken, Industrien, kleine und mittelständische Handwerksbetriebe, Geschäfte und Ländereien, Zeitungen und den Rundfunk, Hotels, Restaurants und so weiter. Nachdem der Privatbesitz enteignet war, gehörte alles dem Staat, der sich in allem am Gemeinwohl orientierte. Zudem enteigneten die Militärs am 31. März 1964 die Privatschulen und die privaten Einrichtungen im Gesundheitswesen. Sie gehörten größtenteils den Katholiken und Protestanten, vor allem Baptisten und Anglikanern. Man nahm den Eigentümern Grundstücke und Transportmittel, was ihnen blieb, waren die Schulden. 1966 wies das Regime alle Missionare aus, die nach 1964 eingereist waren, darunter auch dreißig Missionare des Pime. Dreißig weitere Missionare, die früher gekommen waren, durften bleiben. Als die Regierung aber den wachsenden Unmut in der Bevölkerung registrierte, ließ sie den Religionen einen Überlebensspielraum. Dies führte sogar zu einer Aussöhnung zwischen Buddhisten und Militärjunta. Die Buddhisten unterstützten das Regime, weil es zumindest Stabilität in einem Land garantierte, das in den 14 Jahren seiner demokratischen Regierung (1948-1962) den Bürgerkrieg kennen gelernt hatte. Die erneute Wende gegen das Regime erfolgte dann 1988. Seitdem befinden sie sich in der Opposition.
Allerdings bedarf es einer Erklärung, warum sich die Buddhisten heute in Birma gegen die Regierung stellen, obgleich sie eigentlich die Abkehr von weltlichen Dingen, den Verzicht auf alles und ein passives Erdulden predigen, um sich einer glücklicheren Wiedergeburt zu versichern.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Wiedergeburt des Buddhismus in der Moderne (ich spreche vor allem von dem «kleinen Weg», dem hinayana, der in Sri Lanka, Birma, Thailand, Kambodscha und Laos praktiziert wird) am Ende des 18. Jahrhunderts mit der Geburt des Nationalismus in diesen Gebieten begann, die damals mit Ausnahme von Thailand) kolonialisiert waren. Die nationale Identität schließt die Sprache, Geschichte und natürlich die buddhistische Religion und Kultur ein, die in diesen Völkern tief verwurzelt waren. Der erneute Bedeutungszuwachs entstand aus der Einsicht der Bonzen, Mönche und gläubigen Laien, dass ihre Religion allein mit ihren Prinzipien und traditionellen Lehren in der neuen Welt nicht überleben könnte; in einer Welt, in der Schule, Politik, Volksorganisationen und das Sozialwohl wachsende Bedeutung bekamen. So wurde der Nationalismus in Asien von Volksreligionen inspiriert. Man muss nur an Pakistan denken und an Sri Lanka, mit dem Bürgerkrieg zwischen der Mehrheit der singalesischen Buddhisten und der Minderheit von Hindu Tamilen. Die Erneuerung des Buddhismus hatte verschiedene Aspekte: die Modernisierung der Klosterschulen, die Gründung buddhistischer Zentren und Universitäten, der Beginn von Laienvereinigungen, die Gründung vieler sozialer Werke für das Volk, die es früher absolut nicht gegeben hatte. Die geschah auch in Nachahmung christlicher Missionare. Ich habe die buddhistische Universität von Kandy in Sri Lanka besucht und dabei wurde mir bewusst, wie komplex der Buddhismus ist. Das fängt schon bei der Frage an, welche der Texte von Buddha stammen. Der Bischof von Kandy, der an dieser Universität studiert hatte, sagte mir, dass die traditionellen Texte in den verschiedenen Sprachen, vor allem Sanskrit und Pali, die Buddha zugeschrieben werden und die heiligen Schriften des Buddhismus, elf Mal länger sind als die gesamte Bibel (mit ihren 72 kanonischen Büchern). Die kritischen Studien, mit denen englische und deutsche Gelehrte vor kaum mehr als einem Jahrhundert begonnen haben, befinden sich in dieser Literatur praktisch noch am Anfang, auf hoher See. Und es existieren auch Texte auf Singalesisch, Birmanisch, Thailändisch, Kambodschanisch, Vietnamesisch und weiteren Sprachen. Man kann wissenschaftlich noch nicht festlegen, was Buddha gesagt und was er nicht gesagt hat. Dies gilt auch in kleinerem Maß für Mohammed und den Koran. Das alles hindert den Volksbuddhismus in Birma jedoch nicht am Überleben. Im Gegenteil, er erfährt sogar eine zweite Jugend und wird immer mehr zur Seele des Volkes und zur einzigen oppositionellen Kraft, nachdem der Gesellschaft alle andere Kräfte genommen wurden. Die massiven Proteste der buddhistischen Mönche gegen die Regierung im letzten September, sind somit ein klares Zeichen dafür, wie unerträglich die Situation geworden ist.
Wenn die friedliche Revolte des Volkes, die von den Bonzen geführt und belebt wird, nicht gelingt, drohen der Bevölkerung von Birma, noch dunklere Szenarien. Das Land könnte durch eine «lokale» Übergangsregierung zu einer chinesischen Provinz werden. Und was tun die Regierungen der EU? Die einzig effektive Maßnahme des Westens wäre ein spontaner Boykott der Olympischen Spiele 2008 in Peking. Aber mir scheint, dass es bisher keine ernsthaften Vorschläge und Debatten in diesem Sinn gegeben hat, nicht einmal in Italien, wo es eine Fülle von Demokraten, Pazifisten und Gruppen gibt, die bereit sind, für die Menschenrechte zu kämpfen. Wo aber liegt der Grund hierfür?