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Libanon
Naher Osten / Die überwundene Einsamkeit
Roberto Fontolan

«Wir sind da. Und wir können jedem nur sagen: Komm und sieh!»

Im Nahen Osten ist die christliche Präsenz immer stärker gefährdet. Doch gibt es Menschen, die weiterhin Vertrauen schaffen, indem sie von einer Tatsache ausgehen: «Das Positive in allem bekräftigen». Erfahrungsberichte aus den Gemeinschaften in Israel, Libanon, Ägypten und Jordanien.
In Beirut trifft man sich jeden Freitag zum Seminar der Gemeinschaft in der Pfarrkirche der südlichen Stadtviertel. In Alexandrien in Ägypten kann man endlich den Religiösen Sinn auf Arabisch lesen. In Jordanien baut ein Ehepaar Freundschaften aus. In Jerusalem lebt die kleine italienisch-israelisch-palestinensisch-maronitische Gemeinschaft weiterhin in intensiver Weise die prophetische Erfahrung in der Stadt, die alle anstreben und der alle Herzen zugewandt sind, wie es der Wächter des Heiligen Landes, Pater Pierbattista Pizzaballa beim Meeting sagte. Jetzt sind sie alle in La Thuile zusammengekommen. Die Ciellini des Nahen Ostens sehen die Prüfung, die Verantwortung, die besondere Berufung ihres Lebens. Und sie berichten über ihre Erfahrung, mit der Weisheit von Simon oder mit den leuchtenden Augen der jungen Mariam.
Akoury ist 42 Jahre alt und Lehrer im Libanon. «In unserer kleinen Gemeinschaft von etwa zehn Personen gibt es Lateiner, Maroniten, Melkiten und Syrer. Wir sind ein Teil des Libanons, wo es etwa 15 christliche Riten gibt. Aber wir widersetzen uns den Partikularismen und der Zersplitterung. Heutzutage sind die Christen auch in der Politik zerstritten, Pro-Syrer auf der einen, Anti-Syrer auf der anderen Seite, Pro-Sunniten und Pro-Schiiten, für die Regierung oder gegen die Regierung. Wir leben immer in einer Nachkriegszeit. Es gab die Zeit nach dem Bürgerkrieg, der so lange gedauert hat, dass wir die Daten kaum zusammenbekommen und jetzt ist die Zeit nach dem israelischen Krieg im Süden des Landes. Unser Land hat unzählige Mängel und Schwächen. Doch seit Beginn dieses Jahres haben wir ein neues Bewusstsein erfahren: in allem das Positive zu bekräftigen und unserer Erfahrung der Freundschaft und Einheit zu vertrauen. Das Seminar der Gemeinschaft fiel nie aus. Allen Demonstrationen und Straßensperren zum Trotz ist es stets unser Bezugspunkt. Aber wir registrieren genau die Krise der Christen, all dieser Jugendlichen, die weggehen wollen.» Said, 43, ist Lehrer in Ägyten: «Das ist auch bei uns ein großes Problem. Ein Christ bekommt keinen Arbeitsplatz, wenn der Leiter der Firma ein Muslim ist. Das öffentliche Leben, die gesellschaftlichen Gruppen sind sehr schwierig und manchmal feindlich. So schotten sich die verschiedenen christlichen Gruppen immer mehr ab, in den Gemeinden und Schulen. Deswegen träumen unsere Jugendlichen den fast immer verbotenen Traum, ins Ausland zu gehen, Schluss zu machen mit all diesen Problemen.
Simon, 55, ist der Verantwortliche des AVSI in Jordanien. «Wir beginnen noch eher, nämlich bei den grundlegenden Dingen. Hier fehlt jede Vorstellung davon, wer Jesus ist. Für einen Araber ist es fast unmöglich, von der eigenen Erfahrung zu reden, das passiert nie. Niemand kommt auf die Idee, das zu machen, und erst recht kommt keinem in den Sinn, sich mit anderen darüber auszutauschen. Es gibt eine große Zurückhaltung. Die inneren Gefühle gelten als Privatsache. Doch diese Haltung begräbt die persönlichen Fragen. Wir beginnen mit einer einfachen Freundschaft, indem wir uns das erzählen, was im Alltag geschieht, als ein Band gegenseitigen Vertrauens».
Rony, 46, ist verantwortlich für die Logistik der AVSI-Projekte im Libanon. «Wir sind hier, das ist gewiss und damit beginnen wir, gleich wie wenig oder wie viele wir sein mögen. Es gibt Familien, die während des Bürgerkrieges im Ausland leben konnten und die dann mit der Waffenruhe der vergangenen Jahre zurückgekehrt sind und schließlich wegen des Krieges im Süden erneut aus Verzweiflung flohen. Sie kennen die Bedeutung des gemeinsamen Lebens auf unserer Grundlage, und wissen nur zu gut, dass wir für lange Zeit ein positives Modell gewesen sind. Aber in der Gefahr, wenn es um die Sicherheit der eigenen Kinder, des Lebens, geht, dann setzten sie die Prinzipien, die wahre Erziehung aufs Spiel und gehen weg. Andere, in der Regel die Jüngeren, finden eine Arbeit in den Golfstaaten, werden reich und wenn sie wiederkommen, merkst du, dass sie einen anderen Blick auf die Dinge haben. Sie verfolgen andere Ziele, das Konsumdenken hat sie ergriffen. Ich muss auch sagen, dass die Christen oftmals die Schwere des Problems nicht begreifen. Meistens sagen sie: wenn sie an den Golf gehen, werden sie früher oder später wiederkommen – du wirst schon sehen ... Aber wie kommen sie zurück? Mit welcher Mentalität? Mit welchem Wunsch etwas aufzubauen? Das ist der Punkt. Der um sich greifenden Versuchung zu fliehen, versuchen wir die Positivität des Lebens entgegenzusetzen, gleich in welchen Umständen. Für viele könnte das verrückt klingen, aber wir ... wir sind dafür geschaffen worden. Und an Zeichen fehlt es nicht. Bei unserer Arbeit gibt es einen menschlichen Dialog, die Art von Dialog, die es normalerweise zwischen zwei Libanesen unterschiedlicher Religion gab. Das ist eine wichtige Tatsache. Und wir hoffen, dass auch wir beginnen können, den Religiösen Sinn auf Arabisch zu lesen».
Ettore, 42, ist Ingenieur in Jerusalem. «Unsere Lage ähnelt teilweise der im Libanon und teilweise der in Ägypten. Im Heiligen Land gibt es, wie bekannt, große Spannungen auf beiden Seiten, auf der arabischen wie auf der israelischen. Unsere Präsenz, unser Leben hat keine Ansprüche, keine Erwartungshaltung. Wir sind da und wir bleiben. Wir können jedem sagen: Komm und sieh. Sieh, dass es möglich ist, gemeinsam zu leben, Freunde zu sein und sogar etwas zusammen zu machen, gemeinsam aufzubauen. Im Kleinen wie im Großen ändert sich die Methode nicht: Selbst in der Erfahrung gewaltiger Unterschieden, die manchmal Angst machen, ist doch das Herz des Menschen in seinem Innersten identisch».
Mariam, 24, ist Lehrerin in Ägypten. «Zu Hause leben wir in zwei Räumen, fünf Brüder und zwei Eltern und natürlich bräuchten wir etwas mehr Platz. Ich sehe meine Freude und höre, was sie erzählen, ich spüre ihre Ermattung, und die Vorstellung, dass es anderswo besser ginge. Mir ist dieser Gedanke nie in den Sinn gekommen. Alexandria ist mein Ort, das ist mein Land, meine Gemeinschaft. Wir sind überhaupt nicht alleine, wie ich beim Meeting sehen konnte. Diese unsere Wirklichkeit einer weltweiten Freundschaft beruhigt mich. Ich weiß, dass ihr in Italien und in Amerika, in Brasilien und in Japan an mich, an uns denkt. Jesus hat uns zusammen gewollt, aber zusammen bedeutet nicht, dass wir in derselben Straße wohnen oder uns jeden Tag in der Schule sehen müssten. Unsere Freundschaft hilft uns, das Bewusstsein zu stärken, dass die Einsamkeit und die Angst überwunden sind».