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Meeting / der Leitfaden
Ergriffen von der Anziehungskraft der Wahrheit
Giorgio Vittadini*

Das traditionelle Meeting zur Freundschaft unter den Völkern in Rimini, zählte in diesem Jahr erneut 700.000 Besucher aus aller Welt. Muslime, die mit Juden und Christen einen aufrichtigen Dialog führen. Wissenschaftler, die von der Schönheit beeindruckt sind. Politiker und Unternehmer, die wieder vom Allgemeinwohl ausgehen. Ausstellungen, Aufführungen, Darbietungen ... Eine kommentierte Führung durch das, was sich dieses Jahr in Rimini ereignet hat. Es bezeugte, dass der Weg zur Wahrheit begehbar ist, wenn die eigene Vernunft gegenüber dem Geheimnis aufgeschlossen ist.

Das Schlusskommuniqué des Meetings 2006 endete mit folgenden Worten: «Auf dem diesjährigen Meeting wurde dank des Charismas von Don Giussani erfahrbar, dass die Vernunft „ein weit geöffnetes Fenster (darstellt), das den Blick auf die ganze Wirklichkeit freigibt“. Die Zeugnisse der Teilnehmer des Meetings machten deutlich, wie haltlos ein verkürzter Vernunftgebrauch ist, der unvermeidlich zu Fatalismus, Fideismus und Krieg führt. Gerade dies macht das Meeting zu einem Ort der Begegnung, der Freundschaft und des Dialogs. Das heißt: des Friedens».
Dies bestätigten dieses Jahr, in einem ideellen Staffellauf mit 2006, die Vertreter der muslimischen Kultur Wael Farouq, Dozent für Islamische Wissenschaften an der Koptisch-katholischen Fakultät von Kairo und Sari Nusseibeh, Präsident der Al-Quds-University von Jerusalem. Die Spaltung zwischen Glauben und Vernunft verursacht die Gewalt des Fundamentalismus. Sie ist aber nicht den Religionen an sich zuzuschreiben, sondern den Fanatikern. Ein Mensch, der die Natur der Vernunft als Öffnung und unendliche Suche akzeptiert, kann hingegen «die tiefere Berufung des Menschen verwirklichen: Sucher der Wahrheit und somit Sucher Gottes zu sein». So Benedikt XVI. in seinen Grußworten an die Teilnehmer des Meetings im Anschluss an den Angelus am 19. August.
So stellte das Meeting 2007 mit dem Titel Die Wahrheit ist die Bestimmung, für die wir geschaffen sind eine Antwort auf diese Erwartung dar. Das geschah «vor allem durch die Begegnung mit Persönlichkeiten der verschiedenen Religionen und Glaubensgemeinschaften, Juden und Muslime, Orthodoxe und Protestanten. Sie verliehen ihrer Sehnsucht nach einem Weg der Vernunft auf die Wahrheit hin Ausdruck. Die Vertiefung des Meeting-Themas war zugleich ein Schritt weg vom Nihilismus, der den Menschen angesichts seiner Sehnsüchte immer einsamer und konfuser werden lässt».
Vor allem Kardinal Bertone sprach die Gründe dieser Verwirrung an, als er sagte: « Manchmal gewinnt man angesichts des Klimas von Relativismus und Skeptizismus in unserer Gesellschaft sogar den Eindruck, dass der Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen, radikal misstraut wird».
Gleichzeitig beobachtete Giancarlo Cesana, dass Aussagen bekannter Intellektueller wie: «Die einzige Wahrheit bestehe in der Befreiung von der bösen Leidenschaft für die Wahrheit», in Jugendlichen eine Haltung hervorruft, die nichts und niemanden mehr liebt. Es ist eine Art „Tschernobyl des Bewusstseins“, wie Don Giussani einmal diese Situation beschrieb. Der englische evangelische Theologe Milbank setzte denselben Gedankengang fort, als er die Verkürzung der Liebe auf bloßes subjektives Gefühl beschrieb. Dabei beklagte er eine «gefährliche» Spaltung zwischen Liebe und Erkenntnis. Der evangelische Theologe Hauerwas zeigte, wie die in den USA vorherrschende religiöse Erfahrung und damit in der derzeit allgemein vorherrschende Mentalität selbst bestimmen will, wann und wie ihm das Geheimnis entgegenkommen soll.

Nachdem der Mensch so Gott nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen manipuliert, verlangt er auch, dass sich seine Kinder, seine Frau und die anderen Menschen, nach seinem Wunsch zur richten haben. In seinem Anspruch, alles auszulöschen, was nicht seinem unmittelbaren Wunsch entspricht, wird er schließlich gewalttätig. Gegenüber diese Mentalität betonte der jüdische US-amerikanische Rechtswissenschaftler Joseph Weiler, dass eine Welt, in der die Freiheit des anderen respektiert und wertgeschätzt wird, nur dann möglich ist, wenn man die Freiheit des anderen so achtet, wie Gott das tut; Gott, der sich Menschen und ein Volk wählt, ihnen aber erlaubt, ihn zurückweisen.
Welche Schritte muss man aber tun, um der Lüge zu entkommen, dass es sich nicht lohnt, die Wahrheit zu suchen? Hier hilft keine theoretische Reflexion. Wie wiederum Cesana betonte, ist die Wahrheit ein Vorschlag: «Eine Erfahrung, die dich einbezieht und herausfordert, Stellung zu beziehen ... Es ist eine Begegnung, die dich bewegt». Eine solche Begegnung kann man nicht von sich aus wählen, man kann sie nur akzeptieren oder eben zurückweisen. Und wenn man sie annimmt, dann schließt sie eine Umkehr, die Notwendigkeit einer Veränderung ein. Denn es ist etwas Anziehendes, das unser Herzen gleichsam einen Sprung machen lässt, ein Staunen über etwas, das wir schon immer ersehnten. Don Francesco Ventorino hat daran in seinem beeindruckenden Vortrag über Don Giussanis Grundkurs christlicher Erfahrung als Weg zur Wahrheit erinnert. Er zitierte Thomas von Aquin, Leopardi, Nietzsche und Pirandello und schloss mit den Worten: «Die Nihilisten haben Unrecht, der Mensch ist durch die Liebe eines Gottes gerettet, der Fleisch angenommen hat». Ein Gott, der eine gegenwärtige Schönheit ist. Keine apollinische Schönheit, sondern eine Schönheit, die das Opfer und den Schmerz nicht vergisst. Über sie hatte der damalige Kardinal Joseph Ratzinger bei seinem Besuch des Meetings im Jahre 1990 gesprochen. Beim diesjährigen Meeting kam die Rede oft auf diese Erfahrung der Schönheit, die beispielsweise auch entscheidend für das Verständnis der Orthodoxie ist, wie sie die Philosophen Kozyrev und Legojda beschrieben. Auf dieses Verständnis von Schönheit bezog sich auch der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel in seiner Botschaft an Emile Guarnieri zur Eröffnung der Ausstellung über die Sophienkirche in Istanbul. «Welche Größe kann die christliche Kunst erlangen, wenn sie Frucht einer Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott ist, Quelle der Weisheit und der Liebe», hieß es in dem Schreiben.
Aber die Schönheit des Meetings 2007 konnte man auch und vor allem in den herrlichen Darbietungen sehen, in den Ausstellungen, vor allem in jener über die Gemeinschaft Cometa. Sie ist ein Werk der Communio und der Annahme, und sie bezeugt, dass das ich mit dem Werk übereinstimmen kann, ohne dass man vom Erfolg abhängt, wenn man aus der Begegnung mit der Wahrheit lebt. Die Schönheit als Entsprechung gegenüber der eigenen Menschlichkeit zeigte sich auch in Engagement der freiwilligen Helfer, ihrer Ordnung, Pünktlichkeit und Genauigkeit. Dies überraschte viele Besucher, unter anderem die Gäste aus Russland oder den US-Nobelpreisträger für Physik George F. Smooth. Sie alle bemerkten überrascht, was völlig informell um sie herum geschah. Eigenartigerweise und geheimnisvollerweise war dies dieselbe Entsprechung von der die Wissenschaftler sprachen: jene, die die Unendlichkeit des sichtbaren Kosmos aufweist, die Smooth beschrieb, oder jene die in der Objektivität mathematischer Regeln erkannt werden kann, von der Wissenschaftler wie Ben-Israel, Laurent Lafforgue oder Enrico Bombieri sprachen.
Das Meeting von Rimini stellt sich von Beginn an in seiner Unverwechselbarkeit als «Treffen für die Freundschaft unter den Völkern» dar. Doch ist diese Beschreibung noch aktuell? Heute wie in den 70er Jahren ist die Wahrheit die Kraft des Friedens: Die Gespräche mit dem Präsidenten des EU-Parlaments Hans-Gert Pöttering, mit dem Vizepräsidenten Mario Mauro, der baskischen Politikerin Gotzone Mora, den Libanesen Hariri und Mitri oder der iranischen Schriftstellerin Marina Nemat waren zugleich Zeichen der Hoffnung, selbst in besonders geprüften Gegenden – sofern man sich auf die schwierige Suche nach der persönlichen wie kollektiven Wahrheit macht. Auch in den Debatten über Recht und Gerechtigkeit wurde deutlich, dass das wahre Recht nicht davon absehen kann, dass es bestehende Wahrheiten gibt, die immer und überall gelten, zumal sie in das Herz des Menschen eingeschrieben sind und als evident erfahren werden. An diesen Veranstaltungen nahmen der italienische Richter Guido Piffer, der Richter am Obersten Gerichtshofs der USA, Samuel Alito, und Paolo G. Carozza, Professor an der Notre-Dame-Universität teil.
Die wahren Bedürfnisse des Menschen versteht man nicht abstrakt, sondern indem man die Suche des Menschen nach Wahrheit wertschätzt, die sich auch in der Entwicklung gesellschaftlicher Institutionen verwirklicht, denen er angehört. Hieraus ergibt sich die Bedeutung der Subsidiarität. Sie ist der Schlüssel für einen neuen Blick auf die Politik, wie er etwa in den Debatten mit Spitzenvertretern der italienischen Politik und Regierung deutlich wurde.
Der Bürger muss wieder zum Souverän werden, nicht zuletzt durch eine Stärkung des Wahlrechts. Denn die Demokratie beschränkt sich nicht auf den Respekt formaler Prozeduren, sondern ist ein Dialog, der aus dem «aktiven Respekt gegenüber dem anderen (hervorgeht), in einer Entsprechung, die danach strebt, den anderen mit seinen Werten und in seiner Freiheit zu bejahen», wie Don Giussani schrieb. Dies führt zu einer «Gemeinschaft unter von unterschiedlicher Überzeugung geprägten Identitäten» (vgl. L. Giussani, Il Cammino al vero e un’esperienza, Rizzoli, 2006, S. 109).
Das Verständnis der Subsidiarität in der Wirtschaft gab auch den Begegnungen mit Spitzenvertretern aus der Industrie wie Profumo, Bonanni, Scaroni oder Bersani die Richtung vor. Diese Debatten konnten freilich nicht von der kritischen Feststellung absehen, die Kardinal-Staatssekretär Tracisio Bertone gleich zu Anfang des Treffens machte, nämlich, die Aufforderung «die Steuern nach geltendem Recht zu zahlen», verbunden mit der Forderung, «dass es keine Ungerechtigkeit bei der Verteilung staatlicher Ressourcen geben darf». Um die verbreitete unternehmerische Kraft als Motor des Aufschwungs in Italien zu erhalten, muss man einerseits die Gesetze des Staates achten. Andererseits ist es aber ein Verbrechen, die öffentlichen Gelder durch einen ungerechten und ineffizienten Wohlfahrtsstaat zu vergeuden, das gilt insbesondere mit Blick auf die Schule. Das machten die Vertreter der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie EU-Bildungskommissar Figel deutlich. Denn trotz immenser Ausgaben belegt das italienische Schulsystem im internationalen Vergleich einen den letzten Plätze. Eine angemessene Unterstützung des Bildungssystems wird damit aber zu einer Frage des Überlebens für das Land.
Allerdings gibt es keine Veränderung, zumal in Bildung und Erziehung, wenn es keine Veränderung des Ichs gibt. Alles was sich beim Meeting ereignet hat, und was man vernehmen konnte, zeigt, dass auch diese gewünschten Veränderungen in Richtung einer Bildungsfreiheit nichts nutzen, wenn man nicht frei und aufrichtig ist, bei allem, was man lebt. Das verdeutlichte das Buch Don Giussanis, das am letzten Tag vorgestellt wurde: Einiger großer Dinge gewiss
«Die Gewissheit bedeutet eine Hingabe seiner selbst, eine Überwindung seiner selbst, es bedeutet, dass ich klein bin, ein Nichts und dass etwas anderes wahr und wirklich ist (...), weil das Gesetz des Menschen die Liebe ist (...), nämlich die Bejahung von etwas anderem als der Bedeutung meiner selbst». So sagte Professor Giulio Spaelli bei der Vorstellung des Werkes: «Ein aktives Verständnis von Kultur als Gemeinsamkeit von Erkenntnissen und Empfindungen, die es der Gesellschaft ermöglichen, Werke hervorzubringen ... Was ist die Wahrheit anderes als diese Art der Offenheit gegenüber sich selbst und gegenüber Gott?».
Deshalb endete die abschließende Pressemitteilung des Meetings 2007 mit den Worten: «Nach dem Meeting über Sehnsucht und Freiheit und jenem über Vernunft und Wahrheit wird das kommende Treffen unter dem Titel stehen: «Entweder ein Protagonist oder ein Niemand». Es findet vom 24. bis zum 30. August 2008 in Rimini statt.

*Präsident der Stiftung Subsidiarität