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Briefe
Briefe April 2008
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Die Leere überwinden
Was ich schreibe, ist die Frucht eines Engagements vieler Menschen, die mir geholfen haben und es weiterhin tun, und Frucht meines Lebens, das Gott so gewollt hat. Ich bin fast 39 Jahre alt, Landwirt und seit neun Jahren mit einer wundervollen Frau verheiratet, die mir drei Kinder geschenkt hat und die es mir ermöglicht hat, endlich damit aufzuhören, den fortgeschrittenen Heranwachsenden zu spielen. Ich war bis zum Alter von sieben Jahren Einzelkind. Meine Mutter verwöhnte mich sehr und stand mir stets zu Diensten. Mein Vater stand im Schatten meines Großvaters und sorgte sich vorwiegend um die Arbeit. Ich möchte aber hervorheben, dass ich nichts gegen meine Eltern habe. Sie haben ihr Bestes gegeben. Ich hatte zu viel Macht in jenem Haus, und fand paradoxerweise nicht meinen Platz. Aus einem verschlossenen, einsamen und schüchternen Kind wurde ein frecher, krimineller und extrovertierter Jugendlicher. Als ich auszugehen begann, schien es mir, endlich den Fragen, die ich unbewusst hatte, eine Antwort zu geben: «Wer bin ich? Wohin gehe ich? Wie viel bin ich wert?» Ich hatte eine große Leere zu füllen und ich entschloss mich, dass ich deshalb in allerlei Hinsicht der Beste sein sollte! Aber ich hatte weder das Gepäck noch das nötige Werkzeug, um der Welt entgegen zu schreien, dass auch ich da war ... aber ich rief es trotzdem. Mit ungefähr 15 Jahren kifften wir in der Gruppe, warfen Scheiben ein, stießen Vespas um und so weiter. In jeder Disziplin war ich der Beste! Dies war mein Schrei! Mit 19 schnüffelte ich Heroin und wenige Abende später durchstach ein «Freund» meine Vene für einen Probeschuss. Der gute Vorsatz, mich nicht reinlegen zu lassen, hielt nicht lange. Dann bettelte ich, stahl, legte Freunde rein, dealte mit Haschisch, war in Unfälle verwickelt, fand mich mit einem Messer am Hals wieder, sah wie Gleichaltrige starben. Aber eines Nachts im Winter, nach einem wirren Lauf unter Drogeneinfluss, fiel ich erschöpft zu Boden und rief weinend: «Oh Gott, lass mich doch nicht so sterben!». Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich betete. Und von jenem Abend an, begann sich mein Leben zu ändern. Ich hörte auf, mich und meinen Sozialarbeiter, den meine Eltern kontaktiert hatten, zu betrügen. So fand ich mich in einer Entzugsgemeinschaft in Pesaro wieder und nach einigen Gesprächen trat ich am 9. April 1992 ein. Der Direktor, Silvio, und ein großer Teil der Mitarbeiter waren von der Bewegung. Aus diesem Grund gingen sie mir noch mehr auf die Nerven, aber nach den ersten schrecklichen Monaten bemerkte ich, dass diese Leute mich gern hatten, dass sie mich als Person und nicht als Drogenabhängigen behandelten. Mein Ruf war erhört worden und meine Bitte fand eine Andeutung von Antwort. Sie machten mir deutlich, dass mein Bedürfnis nach Schönheit und Liebe auch ihnen zueigen war. Ich sah meine Person. Ich sah, wie sich meine Person zu dem entwickelte, was sie war. Ich empfand Wohlwollen gegenüber einem Mitarbeiter oder einem Freund, Schmerz und Wut über eine dunkle Zeit, die Freude, wenn mir etwas erlaubt wurde, den Frieden, in die Messe zu gehen und zu beten, die Freude über eine neue Verantwortung ... Alles war für mich Neuheit und Staunen, aber auch Angst vor der Zukunft. In meinem Leben habe ich eine außergewöhnliche Erfahrung gemacht. Ich habe von Gott die Gnade bekommen, zu sehen, wie ich mit 23 Jahren neu geboren wurde. Einmal sagte uns eine Mitarbeiterin: «Ihr müsst langsam den Grund lieben, der euch dazu gebracht hat, die Gemeinschaft nötig zu haben.» Ich hätte sie am liebsten auf der Stelle umgebracht. Aber sie hatte Recht. Sie hatte Recht, denn es reichen nicht drei Kinder, eine Frau und Freunde, die dich gern haben ... Manchmal bleibt inmitten der Brust eine Leere. Und wie damals muss ich den Grund lieben, der mich dazu bringt, etwas Unendliches nötig zu haben. Nur, dass ich dazu alleine nicht in der Lage bin. Ich neige dazu, mir selbst zu genügen. Aber Gott sei Dank gibt es die Wirklichkeit zum Leben, die einen nicht in Ruhe lässt ... und manch guten Freund!
Gabriele, Forlì

Das Seminar der Gemeinschaft
Lieber Don Julián, als wir mit dem neuen Seminar der Gemeinschaft anfingen, fragte ich mich, welche Neuigkeit geschehen könnte. Es war so, als würde ich für mich nach vielen Jahren des Seminars der Gemeinschaft in meiner Gruppe, die mir immer steriler vorkam, eine mögliche Neuerung erahnen. Ich ging weiter mit einer fast ungeduldigen Erwartung zum Seminar, aber auch mit der Gewissheit, dass jene Begegnung für alle war. Also lud ich erneut einige meiner Arbeitskollegen ein; doch vergeblich. Ich sagte mir, es sei unmöglich, jemanden in Bewegung zu setzen, der schon seit langem jeglichen Wunsch verdrängt hat. Ich sprach mit meinem Freund und Kollegen. Doch zeigt sich keine Lösung – bis zu einem bestimmten Erlebnis. Beim Einkehrtag der Fastenzeit der Fraternität wiederholte einer der Priester deine Antworten, auf die Frage «Wie kann ich während der Arbeit Christus gedenken?» Als Antwort stelltest du die Gegenfrage: «Wie kannst du arbeiten, ohne an Christus zu denken?» Ich hatte noch nie die Tragweite dieser Antwort erfasst. Auf der Heimfahrt vom Einkehrtag sprach ich mit einem Freund darüber. Wir hatten immer zwei Probleme: Zum Ersten wollten wir gut arbeiten und die Beziehung zu den Kollegen pflegen, zum Zweiten wollten wir das Seminar der Gemeinschaft missionarischer gestalten. Es gab aber nur eine Möglichkeit, damit die wahre Natur dieser beiden Fragen hervortrat: Christus bei der Arbeit zu gedenken, heißt, seine Gegenwart zwischen mir und ihm so anzuerkennen, wie sie sich im Büro zeigt. Wir besaßen auch das geeignete Mittel, damit dies geschehen konnte: das Seminar der Gemeinschaft. Wir beschlossen also, das Seminar der Gemeinschaft donnerstags in der Mittagspause zu halten. Wir fragten nach einem Raum, bereiteten einige Kopien des Textes vor und luden Kollegen ein. An dem Donnerstag, an dem wir beginnen wollten, holte ich noch Brötchen und Getränke. Wir waren zu viert: Ich, mein Freund, eine Kollegin aus dem Büro und ein Leiter aus einem anderen Bereich. Wir lasen den Text und arbeiteten darüber. Am Ende verabredeten wir uns für den folgenden Donnerstag. So begann eine unerwartete Treue. Jedes Mal, wenn die Gruppe schließt und wir wieder die Treppen zum Büro hoch gehen, rufen mein Freund und ich uns erstaunt das in Gedächtnis, was uns passiert ist. Diese Begegnung verändert ein Stück Wirklichkeit meiner Arbeit, weil sie mich verändert. Sie macht es mir wesentlich einfacher, den Sinn der Arbeit zu entdecken. So wird die Beziehung zu den Kollegen oder die Mission nicht mehr zum «Problem». Stattdessen entsteht eine Wertschätzung, eine Fähigkeit zur Zusammenarbeit und bei der Beurteilung der Dinge steht nicht das Klagen im Vordergrund – all das erwächst aus dem Überschuss an Erfahrung der Wahrheit, die wir machen.
Fabrizio, Monte San Savino


Drängende Frage
Lieber Don Julián, vor rund einem Monat haben wir bei Bartolomeo, unserem zehnjährigen Sohn, einen bösartigen Lymphknoten entdeckt. Eine solche Nachricht kann mit Resignation oder – im schlimmsten Fall – mit Groll aufgenommen werden, oder es wird eine Gelegenheit, den Glauben zu stärken. Der Glauben drückte sich für uns in der Bitte an Jesus und an unsere nächsten Freunde aus, nach seiner Gegenwart und nicht so sehr in der Frage nach dem «Warum» dieser Sache. Als Bartolomeo nach einem langen Untersuchungstag fragte: «Mama, bin ich schlecht?», fragte ich zurück: «Warum?» «Weil Jesus mir diese Krankheit geschickt hat.» Ich entgegnete ihm: «Aber glaubst du, dass Jesus dir etwas Böses will, dir, der du ein Kind bist, Er, der ein Kind war?» Die Untersuchungsergebnisse lassen für die Zukunft hoffen. Viele Personen zeigten uns ihre Nähe beteten für uns. Aber es scheint, als ob das Engagement und unser Zusammensein dazu bestimmt ist, an Intensität einzubüßen, kaum dass sich die Umstände bessern – wie in unserem Fall. Wir möchten dagegen, dass das, was wir leben, nicht die Position verstärkt, nach der die Entsprechung Synonym von Erfolg wird, wie du uns in dem Beitrag «Was sucht Ihr?» in Erinnerung gerufen hast. Die Umstände dieser Wochen lassen die Bedeutung des Zeugen verstehen, von der Don Giussani am Anfang des Seminars der Gemeinschaft spricht. In der Tat ist der Zeuge derjenige, der in das Geheimnis einführt, der uns in der Beziehung zu Ihm begleitet. Er ersetzt nicht eine Mittelsperson zwischen uns und Jesus und erspart uns auch nicht das Abenteuer, Ihn persönlich kennenzulernen.
Alceste und Anna, Rovereto


Etwas mehr
Lieber Julián, ich bin Mutter von vier Kindern und arbeite in Teilzeit. Ich habe Jahre damit verbracht, morgens aufzustehen, mein Tagewerk anzusehen, und mit zusammengebissenen Zähnen zu sagen: Na gut ... trotz allem gibt es Christus. Aber «trotz allem» ergibt es noch kein Leben. In letzter Zeit erfahre ich durch Gnade, dass Christus in jedem Moment wirkt. Mich erstaunt am meisten, wie ich zum Bindeglied für andere werde, die Christus begegnen. Daher schicke ich dir einen Brief, den mir eine Freundin geschrieben hat. «In der Vergangenheit verlebte ich eine ruhige – oder fast ruhige – Zeit als Pfarrmitglied. Ich hatte immer von der Bewegung gehört, aber man redete schlecht oder mit Klischees über sie. Eines Tages aber beschloss Er, dass es geschehen soll und ich bestimmten Leuten begegnen soll. Am Anfang war ich widerspenstig und wollte nicht bleiben. Dann aber erfuhr ich ihre Geschichten und verstand, dass ihr Leben Zeugnis der Schönheit des Glaubens ist. An einem gewissen Punkt änderte sich mein Leben, da mich diese Gesichter auch in ihrem täglichen Chaos beeindrucken. Und es erwachte in mir die Neugier: Ich wollte das, was dort unter ihnen ist, den Grund, warum sie anders sind, teilen und verstehen. Es ist wie etwas, das an dir nagt, es scheint Neid zu sein. Aber dann verstehst du, dass es ein Wunsch ist, und nach und nach werden diese Geschichten zu deinen Geschichten – und dann fängst du an, diese Erfahrungen zu leben, es macht Mühe und bringt manchmal Enttäuschung mit sich, aber du glaubst daran, weil bei ihnen nicht nur Worte, sondern Zeugnisse und Tatsachen zu finden sind – Seine Worte sind konkret geworden. Die Kinder, die Wohnung, die Familie und doch fehlt etwas. In der Gruppe der Mütter ist es schön, aber es reicht nicht. Doch dann passiert etwas. Mein Mann sagt zum zweiten Mal «ja» zu den Exerzitien, im Jahr davor schienen es tote Buchstaben geblieben zu sein, aber so ist es nicht. Ein vertrautes Gesicht, deines, lädt ihn zum Seminar der Gemeinschaft ein und unser Leben ändert sich, weil er es mit Aufrichtigkeit lebt. Er fängt an, eine eigene Erfahrung zu leben, sein Glauben, seine Begegnungen, nicht die meinigen oder ein Widerschein davon. Er versteht, warum ich immer mehr teilnehmen möchte, und seitdem ist unser Leben verändert; es verändert sich weiterhin und ist sehr schön. Man fängt an zu plaudern, Meinungen auszutauschen, sich das Seminar zu erzählen, zusammen zu beten – unsere Liebesheirat wandelt sich zu etwas anderem. Die Erfahrung eines neuen Zusammenlebens erfüllt mein Herz so sehr, jeden Tag schenkt sie mir viel Freude. Ich habe die Schönheit des Gebets, der Anerkennung, dass Er immer da ist, wiederentdeckt. Er hat mich auf diesem Weg mit diesen vielen Gesichtern und Erfahrungen geführt, aber nie hat mich die Konkretheit des Glaubens der mir begegneten Personen so sehr verändert.»
Chiara, Brugherio

Buchvorstellung – eine Frage der Einfachheit
Liebe Freunde, am 1. März haben wir in Peters Pfarrei in Neuenrade das Buch Kann man so leben? vorgestellt. Es war ganz einfach: Wir sangen zu Beginn einige Lieder– das war das Einzige, was vorbereitet werden musste. Dann berichtete Peter, wie er zur Bewegung gekommen ist, und ich erklärte, wie das Buch entstanden ist, und las einige Passagen vor. Anschließend gab es Gelegenheit zu Fragen und Anmerkungen.
Das Erste, was ich (Richard) dabei gelernt habe, ist, warum bei CL jede Veranstaltung mit Liedern beginnt. Als ich den Text am Nachmittag noch einmal zur Hand nahm, um endgültig zu überlegen, was ich vorlese, waren es im ersten Moment auch für mich nur Worte. Das änderte sich, als ich Chiara, Anja und Ulla die Lieder proben hörte: Da war die Schönheit und die Sehnsucht nach einem Mehr wieder gegenwärtig. Im Übrigen zeigte sich, wovon ich vorher auch schon überzeugt war: Das Buch spricht für sich; man braucht kaum etwas hinzuzufügen, es genügt, einige wichtige Stellen vorzulesen. Die Zuhörer waren sehr aufmerksam, und am Ende gab es eine rege Diskussion, die fast genauso lange dauerte wie die Vorstellung selber. Bemerkenswert war auch deren Qualität: Die Beiträge bezogen sich durchweg auf eigene Erfahrungen; keine Frage war theoretisch. So ging beispielsweise eine Frau auf das Thema Armut ein, weil sie selbst damit konfrontiert war. Was mich (Ulla) sehr beeindruckt hat, war die Anmerkung einer Frau, dass man viel zu wenig über den Glauben spricht und Peters Aussage, dass man sich selbst in einer sehr aktiven Gemeinde mit seinen Glaubensfragen einsam fühlen kann. Es geht also darum, dass die Erfahrung, das Ernstnehmen der eigenen Sehnsüchte vor jedem Aktionismus steht.
Zum Abschluss stellten wir das Lied «Friedenskönigin» vor und sangen es gemeinsam. Es ist unsere deutsche Übersetzung von «Reina de la paz». Alle sangen so mit, als ob sie es schon seit langem gekannt hätten und es ihr Lied sei – was mich (Chiara) besonders berührte. Schließlich fragten mehrere der Besucher, ob sie den Liedzettel behalten dürften. Das Lied wird wohl in der Gemeinde weiter Verwendung finden.
Die Gemeinschaft des Ruhrgebiets (Richard)

Anders als erwartet
Ich war für eine Tagung als Referent zum Thema «Der Allgemeinarzt und die schmerzlindernden Hausmittel» vorgesehen. «Bei all dem, was ich zu tun habe!» dachte ich mir. Bis in die späte Nacht vor Tagungsbeginn wusste ich wirklich nicht, was ich in einer sinnvollen Abfolge hätte sagen können. «Es bietet sich die Gelegenheit, bei mir anzufangen, bei meiner Erfahrung», dachte ich, aber dann sagte ich mir: «Mach es nicht! Man könnte dich für selbstgefällig halten».
Der Tag der Tagung: Die Vortragenden waren sehr gut und präzise. Sie hatten schöne Computer-Charts. Hinzu kam, dass der Referent unmittelbar vor mir genau das sagte, was ich eigentlich darlegen wollte. Doch kam mir während der Tagung die Erleuchtung und ich begann, aus dem Stegreif zu sprechen. «Ich habe keine Bilder, die ich mit dem Computer projizieren kann, aber mir fällt ein Bild ein, auf dem ein übergroßer Arzt (im Kittel) zu sehen ist, der sich in einem kleinen Raum in Form eines Würfels befindet und der ihn erdrückt. Zudem ist er gezwungen, an einem sehr kleinen Schreibtisch zu arbeiten. Was sagt dieses Bild? Es ist der Wunsch des Arztes beziehungsweise des Menschen, der nicht eingeengt in einer unterdrückenden Arbeitsatmosphäre (Bürokratie, Rezepte und so weiter) bleiben will, sondern einen weiten Raum braucht und einen Sinn in dem finden möchte, was er tut.
Diese Verwirklichung fand ich bei der Ausübung meiner Arbeit aber erst, als ich eines Tages einen Schwerkranken im Endstadium begleitete und behandelte. Er war ein Ingenieur in meinem Alter und im Sozialbereich bei der Aufnahme der Einwanderer aus Nicht-EU-Ländern tätig. Als er seine Krankheit bemerkte, war es schon zu spät. Der Diagnose Darmkrebs folgte eine Operation. Der Eingriff schien erfolgreich zu sein, er war es aber nicht. Die Krankheit begann von neuem. Auch die Chemotherapie, die mehrmals wiederholt wurde, zeigte keine Wirkung. Während er zu Beginn wie alle dachte, er könnte geheilt werden, wurde ihm mit der Zeit klar, dass alle Heilmittel unwirksam blieben. Dessen war er sich nun bewusst. So begann man die Behandlung mit schmerzlindernden Mitteln. Die Krankheit schritt fort und er war sehr beeindruckend. Ich ging ihn regelmäßig besuchen. Und ich gebe zu, dass ich äußerst verlegen war, sowohl wenn ich an der Tür klingelte («Oh Gott, was mach ich jetzt, wie kann ich ihm helfen?»), als auch wenn ich ihn untersuchte und den Bauch des Krebskranken abtastete.
Eines Tages sagte ich ihm, um eine sichtliche Verlegenheit zu überspielen: «Hör mal, ich werde mit ein paar meiner Freunde zum Grab von Don Giussani gehen und werde ihn bitten, für deine Heilung Fürsprache zu halten!». Wer ist Don Giussani? Er ist ganz einfach einer, der uns bewusst gemacht hat, dass Gott in die Welt gekommen ist, und in der Welt lebt, um uns die Hoffnung gegen den Tod zu bringen. Ich wartete verlegen auf seine Antwort und dachte, er könnte sich denken: «Der ist nicht mehr ganz bei Trost …» Stattdessen wollte er mich umarmen und war tief bewegt. In diesem Moment hatte ich das klare Empfinden, dass diese Umarmung den Schmerz besiegt hatte. Ich war von meinem Sockel als Arzt und gesunder Mensch heruntergestiegen, und er hatte verstanden, dass er nicht nur von mir behandelt, sondern auch von mir geliebt wurde. Die Heilung blieb aus, aber er starb friedlich mit der Zuneigung seiner fabelhaften Frau und seines Sohnes.»
Und hier beendete ich meinen Vortrag. Die Zuhörer klatschten mir Beifall. Einige meiner Kollegen, von denen ich mir nichts erwartet hatte, drückten mir sehr herzlich die Hand, eine überschwängliche Kollegin küsste mich, ein anderer, mit dem ich mir über einige Bewertungen uneinig war, sagte mir, dass er von meiner Erfahrung tief berührt worden sei – er, der von sich behauptete, Atheist zu sein. All dies hat mir zu denken gegeben. Ich hatte dieses Ereignis nicht gesucht, es wurde mir geschenkt. Ich brachte mich selbst ins Spiel, mit meiner Wirklichkeit und meiner gelebten Erfahrung. Nicht nur die Kranken haben das Bedürfnis nach Hoffnung. Wir alle, die im Gesundheitsbereich Tätigen eingeschlossen, wünschen uns eine Botschaft des Heils und suchen manchmal verzweifelt danach. Christus ist für den Menschen da, für jeden beliebigen Menschen, für alle. Und darauf wartet man, wenn auch vielleicht unbewusst!
Claudio

Spe Salvi
«Die Erlösung, das Heil ist nach christlichem Glauben nicht einfach da. Erlösung ist uns in der Weise gegeben, dass uns Hoffnung geschenkt wurde, eine verlässliche Hoffnung, von der her wir unsere Gegenwart bewältigen können: Gegenwart, auch mühsame Gegenwart, kann gelebt und angenommen werden, wenn sie auf ein Ziel zuführt und wenn wir dieses Ziels gewiss sein können; wenn dieses Ziel so groß ist, dass es die Anstrengungen des Weges rechtfertigt.»
So beginnt Papst Benedikt die Enzyklika Spe salvi. Dann stellt er die Frage:
«Welcher Art ist denn diese Hoffnung, die es gestattet zu sagen, von ihr her und weil es sie gibt, seien wir erlöst? Und welche Art Gewissheit gibt es da?»
Diese Frage war das Thema von drei Abenden, zu denen wir in Bruchsal eingeladen hatten. An den ersten beiden Abenden arbeiteten wir gemeinsam über den Text der Enzyklika, was auch als Vorbereitung für den dritten Abend diente, an dem auch unser Freund Josef Zöhrer von der Pädagogischen Hochschule in Freiburg, der beim damaligen Professor Josef Ratzinger promoviert hatte, eine Einführung in die Enzyklika gab.
Eine Ahnung von der oben genannten Gewissheit wurde auch im Zeugnis eines Mannes aus der Pfarrei deutlich, der sagte, «in meinem Leben gibt es einige Momente, die nicht anders als von Seiner wirksamen Gegenwart her zu verstehen sind».
Bestärkt wurden wir durch vier Freunde aus Freiburg, die Carróns Wort «Freunde, das bedeutet Zeuge sein» ernst nahmen und uns musikalisch begleiteten.
Josef Zöhrer führte uns erneut vor Augen, dass sich die christliche Hoffnung nicht nur auf Zukünftiges bezieht, sondern auf die Gegenwart, auf eine Person, auf Jesus Christus. Die kleinen und größeren Hoffnungen des Alltags reichen nicht aus. Ohne Gott haben unsere Hoffnungen kein Fundament. Gott umfasst alles und wer seine Liebe erfahren hat, beginnt zu erahnen, was Leben wirklich bedeutet. Ewiges Leben ist Gott zu erkennen und den, den er gesandt hat, Jesus Christus. Da, wo wir ihn lieben, ist sein Reich. Also nichts Eingebildetes und Unerreichbares, sondern etwas Gegenwärtiges. Seine Liebe trägt uns voller Hoffnung durch unser Leben. Durch das Gebet werden wir fähig zu hoffen.
Zum Abschluss sangen wir ein Lied zur Mutter Gottes. Zu Maria, durch deren «Ja» die Hoffnung für uns Wirklichkeit wurde. Dieses «Ja», das wir uns im täglichen Angelus-Gebet immer wieder neu vor Augen führen.
Martin und Matthias Heine, Bruchsal

Leichnam Don Giussanis in Kapelle überführt
Cimitero Monumentale (Monumentalfriedhof Mailand)
Die sterblichen Überreste Don Luigi Giussanis wurden aus dem Friedhofsbereich Famedio in die neue Kapelle überführt. Sie befindet sich am Ende des zentralen Weges auf der linken Seite, vor dem Hauptossarium.
Adresse: Cimitero Monumentale, Mailand, Telefon: +39/02/88465600;
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 8 bis 18 Uhr (bis 15 Minuten vor Schließung), Montag geschlossen.
Heilige Messen in der Kirche innerhalb des Friedhofs: Sonn- und Feiertage: 10, 11 und 16 Uhr, Werktage: 9, 10 und 11.15 Uhr